Wenn Klima­for­schende Züge predigen, aber Flüge buchen

Klima­for­schende, die selber fliegen, finden wir ziem­lich doof. Vor allem, wenn sie gleich­zeitig von uns verlangen, aufs Flug­zeug zu verzichten. Wir haben die Umwelt­psy­cho­login Vivian Frick gefragt, woran das liegt. Sie selber hat schon lange kein Flug­zeug mehr von innen gesehen — aus Über­zeu­gung. Würde der nächste Klima­gipfel jedoch ein grös­serer Erfolg als die vorhe­rigen, würde sie den Klima­for­schenden und Poli­ti­ke­rInnen sofort persön­lich die Flug­tickets nach Katowice buchen! 
Selbst Klimaforschende entscheiden sich selten für die Zugreise (Foto: Colin Lloyd / Unsplash)

Welt­weit sassen ledig­lich 5% aller Menschen jemals in einem Flug­zeug. Die Folgen davon spüren aber 100% aller Menschen: Inseln versinken im Meer, Perma­frost­hänge tauen auf und rutschen ins Tal, Wüsten breiten sich aus und verschlingen frucht­bares Acker­land. Eigent­lich dürfte mensch maximal 1–2 Tonne(n) CO2 (Quelle: mycli­mate) pro Jahr in die Luft pusten. Ein Flug nach Neusee­land verur­sacht aber bereits vier Tonnen CO2 – one-way.

Auch den unbe­gna­detsten Rech­ne­rInnen muss klar sein, dass das nicht aufgeht. Fliegen liegt im heute gängigen Ausmass einfach nicht drin! Umso empö­render ist es, dass die Klima­for­schenden selber mit dem Flug­zeug von Konfe­renz zu Konfe­renz jetten (das Lamm berich­tete).

Der Wüste, dem Perma­frost und den Inseln ist es egal, wer die CO2-Emis­sionen verant­wortet, die ihr Schicksal besie­geln werden. Die Öffent­lich­keit macht hier hingegen offen­sicht­lich eine Unter­schei­dung: Die Empö­rung über flie­gende Klima­for­schende ist viel grösser als die Empö­rung über dieje­nigen, die für ein Shop­ping-Weekend nach New York fliegen.

Wieso das so ist und was das für den Kampf gegen den Klima­wandel bedeutet, haben wir die Umwelt­psy­cho­login Vivian Frick gefragt.

Das Lamm: Wenn Klima­for­schende fliegen, finden wir das weitaus empö­render, als wenn Leute allein für ihr persön­li­ches Vergnügen Flug­meilen zurück­legen. Wieso ist das so?

Vivian Frick: Während sich die Frei­zeit­flie­ge­rInnen nicht dazu bekennen, die Umwelt schützen zu wollen, ist dies den Klima­for­sche­rInnen ein erklärtes Anliegen. Unser Gerech­tig­keits­sinn verlangt von anderen Menschen, dass sie sich gemäss ihren eigenen Werten verhalten – sonst werfen wir ihnen Heuchelei vor. Zudem können Klima­for­schende, die zu weniger fliegen ermahnen, gleich­zeitig aber selbst zu Konfe­renzen fliegen, Reak­tanz auslösen. Authen­ti­zität und Glaub­wür­dig­keit sind daher gerade in einem mora­lisch so aufge­la­denen Span­nungs­feld extrem wichtig.

Was heisst Reaktanz?

Damit ist der Wider­stand gegen Druck von aussen gemeint. Wenn mir jemand erzählen möchte, wie ich gewisse Dinge zu tun habe, kann das bei mir Reak­tanz auslösen. Etwa dann, wenn die Person mir Druck macht, ich mich mani­pu­liert oder erpresst fühle oder ich der Person kein Recht zuspreche, mir Vorschriften zu machen.

Von flie­genden Klima­for­sche­rInnen wollen wir uns also nichts sagen lassen. Muss man selber ‚perfekt‘ sein, um andere kriti­sieren zu dürfen?

Ob man perfekt sein muss, um andere kriti­sieren zu dürfen, ist primär eine philo­so­phi­sche Frage. Natür­lich kann jeder Mensch jedem Menschen sagen, was sie oder er möchte. Die Frage ist eher, ob es aus ökolo­gi­scher Sicht etwas bringt, Menschen auf ihr Umwelt-‚Fehlverhalten‘ aufmerksam zu machen. Die psycho­lo­gi­sche Forschung deutet eher darauf hin, dass reine Infor­ma­ti­ons­ver­mitt­lung und Ratschläge noch nicht zu Verhal­tens­ver­än­de­rung führen.

Kurz gesagt: Von Leuten, die einen auf ökolo­gi­sches Fehl­ver­halten aufmerksam machen, wollen wir uns nichts sagen lassen.

Genau. Dazu gab es auch eine inter­es­sante Studie, die unter­suchte, wie Omni­vore – also Menschen, die sich nicht vege­ta­risch ernähren – Vege­ta­rie­rInnen beur­teilen. Das Fazit war: Menschen, die sich vege­ta­risch ernähren, wurden von Omni­voren nega­tiver wahr­ge­nommen: mora­li­sie­rend, arro­gant, beur­tei­lend und selbst­ge­recht. Omni­vore erwarten gemäss Studie, dass vege­ta­ri­sche Menschen sich selbst für mora­lisch inte­grer halten und ihnen Vorwürfe für ihren Fleisch­konsum machen würden. Diese Vorwürfe müssen dafür gar nicht tatsäch­lich geäus­sert werden, sie werden von den Omni­voren anti­zi­piert. Die Forschenden tauften dieses Phänomen „Do-Gooder Dero­ga­tion“, also in etwa „Gutmen­schen-Herab­set­zung“. Wenn eine Minder­heit ihre mora­li­sche Haltung in der Öffent­lich­keit sichtbar macht, kann sie dafür schnell in Ungnade fallen.

Das Blöde daran ist, dass die Omni­voren so natür­lich nicht davon über­zeugt werden, selbst vege­ta­risch zu werden. Statt­dessen können unge­wollte Graben­kämpfe entstehen. Das lässt sich so vermut­lich eins zu eins aufs Fliegen übertragen.

Vivian Frick ist Umwelt­psy­cho­login und arbeitet im Projekt „Digi­ta­li­sie­rung und sozial-ökolo­gi­sche Trans­for­ma­tion“ an der Tech­ni­schen Univer­sität Berlin. Sie enga­giert sich zudem im Netz­werk „Initia­tive Psycho­logie im Umwelt­schutz“. Zuletzt hielt sie im Rahmen der Nach­hal­tig­keits­woche in Zürich einen Vortrag mit dem Titel „Züge predigen und Flüge buchen“.

Wie kann man denn Kritik so äussern, dass keine solchen Graben­kämpfe entstehen? 

Die Frage ist, was wir mit Kritik über­haupt errei­chen können. Viel­leicht sollten wir gene­rell weniger auf ‚Kritik‘ setzen. Mit dem Finger zu zeigen, bringt niemandem etwas – ebenso wenig wie die Verant­wort­lich­keiten zwischen Bürge­rInnen, Politik und Unter­nehmen hin und her zu schieben. Was wir brau­chen, ist mehr Koope­ra­tion beim Suchen und Testen von Lösungen.

Hast du hierfür ein Beispiel?

Mir gefällt der prag­ma­ti­sche Ansatz der 2000-Watt-Gesell­schaft. Er wurde an der ETH Zürich entwickelt und wird heute unter anderem in der Stadt Zürich ange­wandt. Dieser Ansatz veran­schlagt eine Tonne CO2 pro Kopf und Jahr. Wenn es dir gelingt, mit diesem Emis­si­ons­budget durch die Welt zu jetten: bitte sehr! Bei dem krassen CO2-Ausstoss von Flug­zeugen könnte das aller­dings eine ziem­liche Heraus­for­de­rung werden. Selbst, wenn du dein Auto verkaufst, ins Tiny House ziehst und dich strikt regional-saisonal-vegan ernährst.

Dass es den Menschen in unseren Brei­ten­graden so schwer­fällt, aufs Fliegen zu verzichten, zeigt aber auch: Die Entschei­dung, zu fliegen, ist kein rein indi­vi­du­elles Thema. Wir alle leben in sozialen und infra­struk­tu­rellen Kontexten, die uns das Fliegen als wünschens­wert oder teil­weise notwendig erscheinen lassen.

Was meinst du damit genau?

Umwelt­psy­cho­lo­gi­sche Forschung zeigt immer wieder, dass eine umwelt­be­wusste Einstel­lung allein den Lebens­stil selten nach­hal­tiger macht. Umwelt­be­wusste Menschen fliegen sogar am häufig­sten. In unserer auf Konsum und Wirt­schafts­wachstum ausge­legten Gesell­schafts­struktur ist das ‚absolut nach­hal­tige Leben‘ fast ein Ding der Unmög­lich­keit. So haben wir es etwa beim Fliegen mit einer extrem ungün­stigen Anreiz­struktur zu tun: Fliegen ist viel zu billig. Multi­na­tio­nale Unter­nehmen und Kerosin werden nicht ange­messen besteuert und die Förde­rung fossiler Brenn­stoffe wird immer noch massiv subven­tio­niert. Würde sich das ändern und vermehrt in umwelt­freund­li­chere Verkehrs­in­fra­struk­turen inve­stiert, würden umwelt­be­wusste Menschen viel­leicht eher auf das Fliegen verzichten. Es geht also auch darum, einen gesell­schaft­li­chen Wandel zu fördern. Und das geht weit über die indi­vi­du­elle Wahl des rich­tigen Trans­port­mit­tels hinaus.

Im Gegen­satz zu einem Shop­ping-Weekend sind die Klima­kon­fe­renzen wichtig für den Klima­schutz. Die Klima­for­schenden fliegen also immerhin aus einem guten Grund. Wenn über­haupt noch jemand fliegen soll, dann sie. Kannst du dieser These zustimmen?

Ich sehe mich nicht in der Posi­tion, über die Legi­ti­ma­tion von Flug­reisen bestimmen zu können. Aber ja, ich denke, dass die Bekämp­fung des Klima­wan­dels neben vielen anderen gesell­schaft­li­chen Zielen ein guter Grund ist, sich inter­na­tional zu verstän­digen. Die Wahrung von Frieden, die Bekämp­fung von Ungleich­heit und die Entwick­lungs­zu­sam­men­ar­beit würde ich neben verschie­denen Umwelt­pro­ble­ma­tiken eben­falls als ‚legi­time‘ Gründe bezeichnen. Das gilt natür­lich auch für gesell­schaft­liche oder poli­ti­sche Akteure, welche diese Ziele verfolgen.

Die eigent­lich span­nende Frage ist also, ob der Zweck die Mittel heiligt. Und diese Frage kann nicht abschlies­send beant­wortet werden. Die Lösung liegt wohl wie so oft irgendwo dazwi­schen. Aus eigener Erfah­rung in der Forschung kann ich etwa sagen, dass der Besuch einiger wissen­schaft­li­cher Konfe­renzen auf den zweiten Blick nicht notwendig gewesen wäre – auch wenn es dort um Nach­hal­tig­keits­for­schung ging. Und dank der viel­ge­prie­senen Digi­ta­li­sie­rung sollten wir auch fähig sein, vermehrt Treffen übers Netz abzu­halten. Aber sollte der nächste Klima­gipfel ein grös­serer Erfolg sein als die vorhe­rigen, so würde ich den ganzen Poli­ti­ke­rInnen und Klima­for­schenden natür­lich sofort persön­lich die Flug­tickets ins polni­sche Katowice buchen, wo der nächste Klima­gipfel stattfindet!

Fliegst du selber?

Ich bin seit 2012 trocken.

 


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