Ich schreibe das Jahr 2027, es ist 15 Uhr und das Thermometer zeigt drückende 34° Celsius an. An das leise Surren der Klimaanlage habe ich mich ebenso gewöhnt wie an die obligate Siesta über Mittag. Was ich aber noch immer vermisse, ist die sommerliche Brise, die man früher hat durch die Wohnung ziehen lassen. Diese Zeiten sind vorbei. Zu gefährlich ist die Brise geworden. Feinstaub, Stickoxide und Ozon haben den Pollen der Bäume so zugesetzt, dass sie zu Superallergenen mutiert sind. In den Städten war die Pollenbelastung so hoch, dass man vor drei Jahren viele Bäume entfernt und durch Büsche ersetzt hat. Trotz dieser Massnahme will man sich ohne Schutzmasken nicht mehr draussen aufhalten.
Make Umweltverschmutzung great again!
Dabei fing die ganze Geschichte so harmlos an: 2018 erliess der damalige US-Präsident Donald Trump Abgaben auf ausländische Handelsgüter. Die EU und China empörten sich zwar, reagierten aber nur langsam auf die US-amerikanischen „Strafzölle”. Erst als die OPEC zwei Jahre später die Ölfördermengen drastisch reduzierte, begann sich die Situation zu verschärfen. Die Ölpreise explodierten innert kürzester Zeit. Als Reaktion darauf verknappte Xi Jinping seltene Erden und die Preise für Lithiumbatterien und Solaranlagen schnellten ebenfalls in die Höhe.
Die Klimarahmenkonvention von Paris war Makulatur. Anstelle von Windrädern und Solaranlagen wurden totgeglaubte Atommeiler und ausrangierte Kohlekraftwerke ans Netz angeschlossen. Quarzsand wurde in die Erde gepumpt, um Erdgas aus dem Gestein zu pressen. Und die Öl- und Gasbohrungen an den Polarpolen wurden intensiviert. Angela Merkel und Emmanuel Macron riefen kurz vor den Bundestagswahlen 2021 die Initiative „Europäische Energie für Europäer” aus und setzten Energie-Autarkie auf die politische Agenda einer halben Milliarde Menschen. Biotreibstoff war die Losung, und innert der nächsten Dekaden verwandelte sich Mitteleuropa in eine grosse land- und forstwirtschaftliche Zone, wo im Sommer Sonnenblumen, Mais und Raps um die Wette blühten und im Winter der Geruch von Fäulnis und unzähligen Lagerfeuern über den Städten hing. Hochgezüchtete Sonnenblumen‑, Mais- und Rapssorten wurden gepresst, raffiniert oder vergoren, um Treibstoff, Gas und Schmiermittel ersetzen zu können. Wälder wurden abgeholzt, um Holzkohle und Biogas herzustellen.
Superallergene überrollen die Städte
Die zunehmende Luftverschmutzung verwandelte die Pollen der Bäume, Wiesen und Nutzpflanzen in gefährliche Superallergene und der Anteil von AllergikerInnen an der Gesamtbevölkerung verdoppelte sich auf über 30%. Die heimische Birke ist so gefährlich für den Menschen geworden, dass sie inzwischen verboten ist. Wer sie anbaut, riskiert eine hohe Busse. Hasel, Eiche, Erle und Esche sind mehrheitlich aus unserem Stadt- und Landschaftsbild verschwunden. Nur die Sonnenblume und der Mais werden noch angebaut, obwohl die Pollen dieser Pflanzen sehr aggressiv sind und den Sommer hindurch die Luft der Städte verpesten. Aber die Menschen möchten lieber Auto fahren als im Freien joggen und deshalb muss fleissig Biodiesel und Bioethanol produziert werden.
Die vielen Plätze, Wiesen und Freiluftbadeanstalten in den Städten gleichen japanischen Steingärten. Was auf Korsika schön aussieht, bringt mich in Zürich zum Weinen: die Macchia – anstatt massiver, schattenspendender Bäume stehen überall nur noch armselige Mittelmeerbüsche. Auf den wenigen verbliebenen Spielplätzen spielen hustende Migrantenkinder. Die einheimischen Kinder spielen in der Shoppingmall, wo die Temperaturen angenehm kühl sind und die Luft gefiltert wird. Indoor-Sportarten haben dem Fussball und dem Mountainbiken den Rang abgelaufen. Wer es sich leisten kann, hat seinen Keller zur Sportanlage umfunktioniert und mit Vitamin-D-spendenden Lampen ausgestattet.
Wer mal wieder durchatmen will, braucht viel Geld und muss weit reisen. Saint Tropez und Sankt Moritz sind Geschichte, die crème de la crème trifft sich jetzt in der pollenfreien Stadt Putingrad, nahe Norilsk in Nordsibirien. Der Rest der Bevölkerung tuckert in schwimmenden Shoppingmalls übers Meer. Kreuzfahrten auf dem Mittelmeer sind angesichts der ökonomischen und politischen Situation des „autarken Europas“ alles, was noch drinliegt.
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