Eine „gut gemeinte“ Aussage entfuhr der SP-Nationalrätin Yvonne Feri in der letzten Arena bei SRF am Samstagabend, als sie gefragt wurde, welches Lied sie der US-Vize-Präsidentin Kamala Harris empfehlen würde. Ihre Antwort lautete: Jerusalema, das Lied, zu dem gerade alle tanzen. Feris Einschätzung nach müsse Harris aufgrund ihrer Herkunft und Hautfarbe bestimmt ein gutes Rhythmusgefühl haben. Nun, so ein Rhythmusgefühl, das ist doch keine schlechte Eigenschaft, könnte man jetzt meinen.
Doch diese Zuschreibung von Charaktermerkmalen ist rassistisch, da es aufgrund der Hautfarbe und der vermeintlichen Herkunft getätigt wurde. Auch die Absicht dahinter ist irrelevant, denn die Verletzung bleibt dieselbe: Auch wenn wir jemandem unabsichtlich mit einem Hammer auf den Daumen hauen, tuts weh.
Aussagen sind nicht erst dann rassistisch, wenn aus tiefster Boshaftigkeit und mit dem bewussten Ziel, eine andere Person herabzusetzen, gehandelt oder gesprochen wird. Sie sind es bereits dann, wenn mangels Reflexion und Differenzierung stereotype Zuschreibungen reproduziert oder marginalisierte Personen auf gewisse Eigenschaften reduziert werden.
Solche nett gemeinten Behauptungen kommen ganz unterschiedlich daher: als Lob darüber, wie „gut Deutsch“ eine Person spreche, wobei man ihr das aufgrund ihrer Hautfarbe anscheinend nicht zugetraut hätte; als Kompliment für den „schönen Teint“, der Betroffene exotisiert; oder eben in der Form dieser pauschalen Einschätzungen über vermeintliche Charaktermerkmale und Talente wie dem angeblich angeborenen Rhythmusgefühl.
Ich bin doch nicht rassistisch!
Anscheinend hat das SRF seine Rolle als nationales Sprachrohr bis heute nicht wahrgenommen und nicht ausreichend Ressourcen in den Umgang und die Prävention von rassistischen Strukturen investiert. Denn offensichtlich herrscht in der grössten Politiksendung des Landes bis heute ein geringes Verständnis darüber, wo Rassismus anfängt. Das ist erschreckend und peinlich, denn es wäre der perfekte Moment für Moderator Sandro Brotz gewesen, um zu zeigen, dass sich sein Verständnis seit der unterirdischen Jetzt-reden-wir-Schwarzen-Arena von letztem Sommer diesbezüglich weiterentwickelt hat.
Die damalige Sendung, die im Kontext der BLM-Bewegung ins Leben gerufen wurde, liess die Hoffnung auf eine schweizweite Auseinandersetzung mit Rassismus aufflammen – was jedoch bald der Ernüchterung wich, da vorwiegend weisse Sprecher:innen eingeladen und bloss über die mögliche Existenz von Rassismus philosophiert wurde, anstatt dessen Strukturen zu analysieren.
Damals entschuldigte Brotz sich lediglich dafür, dass sein Publikum wohl etwas anderes von der Sendung erwartet habe. Diesmal bedauert er, dass „um die Aussage von #YvonneFeri in der #srfarena eine solche Debatte entstanden ist“ und nicht etwa seinen unzureichenden Umgang mit rassistischen Äusserungen in seiner Sendung. Feris Aussage blieb auch von ihm unkommentiert.
Die Etablierung der dringend notwendigen öffentlichen Fehlerkultur erfordert aber, dass sich SRF, Moderator und Diskussionspartner:innen öffentlich zu solchen Vorkommnissen äussern. Ausserdem müssten endlich Instanzen geschaffen werden, die sich ausschliesslich mit antirassistischer Arbeit innerhalb des SRF beschäftigen. Das würde auch heissen, dass redaktionell relevante Positionen mit Schwarzen Menschen und Menschen of Color besetzt werden müssten. Es gibt genug Wissen über die Strukturen von Rassismus – extrem viel und wertvolle Arbeit wurde bereits für uns geleistet. Nun wäre es an allen, diese Arbeit weiterzuführen.
Doch die öffentliche Diskussion kreist weiterhin um die vermeintliche „Übercorrectness“ der Kritiker:innen. So wurde zum Beispiel das Feministische Streikkollektiv Zürich aufgrund seiner Kritik an Feris Aussagen als „empörungsfanatisch“ betitelt. Ein anderes absurdes Argument wurde in den sozialen Medien geäussert, wo gefragt wurde, weshalb die Aktivist:innen denn „eine aus ihren Reihen“ kritisieren, wo es sich bei der kritisierten Person doch um eine „linke Frau“ handle.
Das ist einerseits witzig, weil diese Aussage aus identitätspolitischer Sicht gemacht wurde – eine Perspektive, die sonst gerne linken Feminist:innen vorgeworfen wird. Andererseits ist es traurig, weil tatsächlich davon ausgegangen wird, dass „Linke“ kein Rassismusproblem hätten.
Auch das ewiggestrige argumentative Ausweichmanöver, wonach solche „Empörungskampagnen“ nur vom eigentlichen, „echten Rassimus“ ablenken würden, ist ins Feld geführt worden. Michèle Binswanger schrieb im Tages-Anzeiger über die Kritiker:innen gar als „jene, die sich auf dem Rücken der Fehlbaren antirassistisch profilieren“. Keine nachvollziehbare Aussage, wenn man sich vor Augen hält, dass es ja gerade jene Kritiker:innen sind, die verlangen, dass sich alle ihrer Fehlbarkeit und verinnerlichten Rassismen stellen und dabei auch vor sich selbst keinen Halt machen.
Doch statt sich in Selbstkritik zu üben, beschwört Binswanger lieber den Untergang der Kritisierten herbei: „Jede unbedachte Aussage kann auf einen zurückfallen und im schlimmsten Fall die Karriere beenden.“ Deshalb würden sich Politiker:innen und Intellektuelle auch bald nicht mehr zu diesem Thema äussern – „aus Angst, in eines der zahlreichen Fettnäpfchen zu treten“.
Dieser Gedanke ist zwar eigentlich ganz nett, denn so würde mehr Platz für weniger gehörte Stimmen frei werden. Allerdings ist er auch ziemlich kindisch. Zum Schluss untermauert Binswanger dann ihre Haltung auch noch damit, dass selbst Barack Obama einmal über den Zusammenhang von Rhythmusgefühl und Schwarzsein gescherzt habe, wobei sie selbstgerecht ausgeblendet haben muss, dass Selbstzuschreibungen und Humor auf eigene Kosten etwas diametral anderes sind als stereotype Aussagen über andere.
Die Pointe bleibt, denn die fehlbaren Stimmen wissen: Rassistische Strukturen betreffen unsere gesamte Gesellschaft und somit jede:n Einzelne:n von uns. Deswegen ist es auch an uns allen, unsere eigenen ebenso wie die Gedanken, Aussagen und Handlungen anderer genau zu beobachten. Und wenn uns etwas entgeht, sollten wir es uns eingestehen und uns dafür entschuldigen. Wenn diese Form des gegenseitigen Umgangs bereits als „quasireligiöses Ritual“ verspottet wird, wie Binswanger es tut, können wir als Gesellschaft auch direkt mit Begrüssungsformeln, Danke- und Bittesagen oder Entschuldigungen im Allgemeinen aufhören.