Ein prominentes Beispiel: Sobald zur Sprache kommt, dass du an der letzten Klima-Demonstration warst, kriegst du zu hören, dass Demonstrieren das Klima sowieso nicht rette, was diesen Möchtegern-Rebellen eigentlich einfalle, die Schule dafür zu schwänzen und das mit dem Abfall nach den Demos sei ja auch klimaschädlich. Du antwortest routiniert, falls dir etwas daran liegt, dem Geschwafel etwas entgegenzusetzen. Und dann, irgendwann, kommt es, das Totschlagargument, das Ass aus dem Ärmel, der Trick 77 der Kritiker*innen: „Das allein nützt ja doch nichts. Warum nicht auch noch dies oder das?“ Und dieselbe Leier bei allen Engagements, die Herr und Frau Bünzli sonst noch falsch oder unwichtig erscheinen.
Im Kern geht es darum, Aktivist*innen aller Richtungen zu kritisieren und niederzumachen aufgrund der Tatsache, dass diese Menschen die Frechheit besitzen, sich aus moralischer Überzeugung für etwas einzusetzen und ihre Handlungen nicht bis in die letzte Konsequenz durchzudisziplinieren. Vor allem linke Aktivist*innen werden mit solchen Polemiken angegangen. Niemand ausser coronaleugnenden Bünzlis würde einem coronaleugnenden Bünzli vorwerfen, dass er ab und zu mit Maske in den Aldi geht, weil es sozial unkomplizierter ist.
Linkes Engagement erhält oft das Stigma des Moralapostels. Einmal aufgedrückt, soll es allen erlauben, nach Lücken zu suchen. Dabei verlaufen solche Diskussionen selten ergebnisoffen. Menschen müssen sich für ihren Aktivismus rechtfertigen, ohne dass dabei die Möglichkeit bestünde, die Kritiker*innen von irgendetwas zu überzeugen. Sobald auffällt, dass in der Summe der Handlungen der Aktivist*in ein Element fehlt, wird das Engagement insgesamt für unbrauchbar erklärt und auf dem Müllhaufen der Moral entsorgt. Das Problem solcher „kritischen“ Gerichte nenne ich das Problem der letzten Konsequenz.
Oft werden in solchen Gesprächen Themen gegeneinander aufgewogen, von denen jedes für sich wichtig wäre. Menschen, die für Menschenrechte auf die Strasse gehen, werden gefragt, warum sie nicht auch für die Rettung des Klimas demonstrieren. Und wer sich für die Rettung der Bergente einsetzt, bekommt bestimmt irgendeinen grösseren Zusammenhang um die Ohren geschlagen, in Anbetracht dessen die Rettung der Bergente doch obsolet erscheinen müsste.
Menschen setzen sich für Themen ein, die sie berühren, die ihnen persönlich als besonders wichtig erscheinen. Die Vielfalt an Dingen, die Menschen dazu bewegen, sich zu engagieren, erinnert uns daran, wie verschieden wir sind. Zum Beispiel arbeitete die Mathematikerin Dr. Maria Reiche vierzig Jahre lang daran, die sogenannten Nazca-Linien in der Wüste Atacama in Peru zu vermessen und zu kartieren. Gleichzeitig setzte sie sich für den Schutz und Erhalt der Nazca-Linien ein. Ist das nicht ein unglaublich bewundernswertes Engagement und Werk?
Soll nun Dr. Reiche vorgeworfen werden, dass sie sich nicht für dieses oder jenes auch noch engagiert hat? Oder soll ihr erklärt werden, dass diese Nazca-Linien ganz und gar unwichtig sind?
Hier ein Gegenvorschlag: Wir könnten auch akzeptieren und anerkennen, dass die Thematik, die sich das Gegenüber ausgesucht hat, es Wert ist, sich damit zu beschäftigen. Was könnten wir für anregende Gespräche haben und voneinander lernen! Und wer weiss, vielleicht gibt es ja sogar Überschneidungen zwischen der Bergente in den Alpen und den Nazca-Linien in Peru?
Natürlich darf politisches Engagement kritisiert werden. Aus welcher Motivation heraus es entsteht und welche Ziele es verfolgt, können wichtige Fragen sein. Aber bitte, lieber Bünzli, bleiben Sie beim Thema und erwägen Sie beim nächsten Mal, wenn Sie von einem Engagement an die eigene Passivität erinnert werden, die Möglichkeit, dass nicht komplett falsch ist, was Ihr Gegenüber tut.