Einmal selbst Bulle sein

Perso­nen­kon­trollen durch­führen und mit der Dienst­waffe auf Verdäch­tige zielen: Im Video­spiel Police Simu­lator: Patrol Offi­cers spielt man Streifenpolizist*in. In seiner Spiel­kritik zeigt Thomas Spies, wie die Spiel­ge­stal­tung eine idea­li­sierte Sicht auf die Polizei fördert. 
Die vermeintlich "realistische" Simulation von alltäglicher Polizeiarbeit offenbart sich als verklärte Idealisierung und reproduziert Polizeigewalt. (Bild: Screenshot von Police Simulator: Patrol Officers)

Straf­zettel ausstellen, Radar­kon­trollen durch­führen, Unfälle proto­kol­lieren. Das sind typi­sche Aufgaben im Video­spiel „Police Simu­lator: Patrol Offi­cers“ (oder PS:PO), das uns als Streifenpolizist*in in die Strassen der fiktiven US-ameri­ka­ni­schen Stadt Brighton schickt. 

Unhe­ro­isch und recht gemäch­lich wirken diese Ziel­vor­gaben im Vergleich zu denen vieler anderer Video­spiele. Der Düssel­dorfer Vertreiber astragon Enter­tain­ment, der das in München entwickelte PS:PO welt­weit verkauft, reiht den Titel in seine Produkt­pa­lette von „Working Simu­la­tion Games“ ein – dazu gehören auch ein Tram‑, ein Land­wirt­schafts- und ein Baustel­len­si­mu­lator. Mit seinen Produkten ist der Vertreiber sehr erfolg­reich, allein PS:PO brachte bis heute einen Umsatz von knapp 10 Millionen Euro ein. Das Spiel wurde über eine halbe Million Mal verkauft.

Laut Eigen­wer­bung auf der Website von astragon Enter­tain­ment zeichnen sich die Arbeits­si­mu­la­toren „durch gewalt­freies koope­ra­tives Game­play in äusserst detail­lierten, tech­ni­schen und reali­sti­schen Spiel­um­ge­bungen“ aus. Realismus scheint hier zu meinen, dass nicht eine fiktive Hand­lung in diesen Spielen im Vorder­grund steht – sondern das Handeln selbst in Berufen, die für die breite Gesell­schaft ein Wieder­erken­nungs­po­ten­zial aufweisen.

Dabei werden durch die Spiel­ge­stal­tung bestimmte gesell­schaft­liche Vorstel­lungen von diesen Berufen vermit­telt – bezie­hungs­weise bereits veran­kerte reproduziert. 

Gerade die vermeint­lich „reali­sti­sche“ Simu­la­tion von alltäg­li­cher Poli­zei­ar­beit in PS:PO offen­bart sich bei genauerer Betrach­tung als verklärte Idea­li­sie­rung, die einer­seits Gewalt ausblendet, ande­rer­seits gewalt­voller ist, als uns astragon Enter­tain­ment glauben lassen möchte.

Gewalt­volle Interaktionen

Gewalt kann auf viele Weisen defi­niert werden. In PS:PO führt das Zielen mit der Dienst­waffe auf Personen, ohne dass ein „hinrei­chender Verdacht“ vorliegt, zum Game Over und der Text „Du hast poli­zei­liche Gewalt ange­wandt“ wird einge­blendet. Das impli­ziert, dass das Ziehen der Dienst­waffe mit hinrei­chendem Verdacht niemals eine gewalt­volle Hand­lung ist. Und es sugge­riert, dass klar zwischen einem gerecht­fer­tigten und unge­recht­fer­tigten Einsatz der Dienst­waffe unter­schieden werden kann. Die Spiel­re­geln von PS:PO kennen keine Grauzonen.

„Es wirkt, als ob das Spiel in einem Universum existiert, in dem es die Black-Lives-Matter-Bewe­gung niemals gegeben hat.“

Künstler und Soft­ware­ent­wickler David McNa­mara in der Spiel-Review von PS:PO

Die Beur­tei­lung der Recht- und Verhält­nis­mäs­sig­keit poli­zei­li­cher Mass­nahmen findet aber oft genau in diesen Grau­zonen statt – nicht selten unter Ausschluss oder Abwer­tung der Perspek­tive Betrof­fener. Das zeigt die umfang­reiche Studie Gewalt im Amt von 2023. Sie belegt, dass nicht nur bei einem Poli­zei­ein­satz, sondern auch bei dessen Bewer­tung die Polizei als Insti­tu­tion eine Deutungs­ho­heit über die Situa­tion hat – und es oftmals nicht zur Aufar­bei­tung über­mäs­siger poli­zei­li­cher Gewalt­an­wen­dung kommt. Demzu­folge wird Gewalt in der Studie als körper­be­zo­gener sozialer Prozess verstanden, der ein asym­me­tri­sches Verhältnis zwischen (minde­stens) zwei Personen produziert.

Wenden wir diese Defi­ni­tion auf PS:PO an, entpuppt sich die Inter­ak­tion mit den compu­ter­ge­steu­erten Bürger*innen Brigh­tons als durchaus gewalt­voll: Ich kann jede belie­bige Person grundlos anhalten. Es öffnet sich dann ein Akti­ons­menü, das mehrere Dienst­hand­lungen zur Auswahl stellt, wie „nach dem Perso­nal­aus­weis fragen“, „durch­su­chen“ oder „Hand­schellen anlegen“. Zwar muss ein „Anfangs­ver­dacht“ vorliegen, um diese Mass­nahmen regel­haft durch­zu­führen. Doch die Strafe für eine nicht den Regeln entspre­chende Hand­lung – ein Punkt­abzug in der Bewer­tung nach Schich­tende – ist gering und kann mit einer regel­kon­formen Aktion, für die es reich­lich Plus­punkte gibt, leicht ausge­gli­chen werden.

Beim Spielen entsteht ein Gene­ral­ver­dacht gegen­über den Menschen: Wir können sie nicht verab­schieden, sondern nur über das Akti­ons­menü „laufen lassen“.

Über­griffe durch die virtu­ellen Polizeibeamt*innen bleiben also faktisch konse­quen­zenlos und gewähren ein stän­diges Zugriffs­recht auf die Körper der Stadtbewohner*innen.

Dieser Zugriff wird zusätz­lich gerecht­fer­tigt: Da eine Beför­de­rung nur durch die Ahndung von Delikten möglich ist, entwickelt sich beim Spielen ein Gene­ral­ver­dacht gegen­über und eine antago­ni­sti­sche Bezie­hung zu den Menschen Brigh­tons. Mit ihnen können wir keinen wirk­li­chen Dialog führen und sie nicht einmal verab­schieden, sondern nur über das Akti­ons­menü „laufen lassen“. Eine gewalt­volle Macht­hier­ar­chie – von koope­ra­tivem Game­play, wie es von astragon Enter­tain­ment ange­priesen wird, kann keine Rede sein.

Insti­tu­tio­nelle Polizeigewalt

Zeigt sie sich in PS:PO auf indi­vi­du­eller Ebene bei den Poli­zei­kon­trollen, wird die Gewalt, die von der Polizei als Insti­tu­tion ausgeht, völlig ausge­blendet. So bemerkt der Künstler und Soft­ware­ent­wickler David McNa­mara in seiner Review des Spiels: „Es wirkt, als ob Brighton in einem Universum existiert, in dem es die Black-Lives-Matter-Bewe­gung niemals gegeben hat, als ob die ganze Welt nichts von der struk­tu­rellen Gewalt wüsste, die Commu­ni­ties von der Polizei angetan wird.“

Natür­lich besitzen wir als Spie­lende einen gewissen Grad an Entschei­dungs­macht in der virtu­ellen Stadt, können eigene Rassismen und Vorur­teile ins Spiel tragen, indem wir beispiels­weise nur Menschen einer bestimmten Ethnie, eines bestimmten Geschlechts anhalten oder härter bestrafen. Unser Verhalten wird aber immer gleich bewertet: als nüch­terne Stati­stik in Form von Plus- und Minus­punkten am Polizeicomputer.

Gerade aber in Bezug auf die Auswer­tung von Begeg­nungen mit der Polizei hat die Studie „Gewalt im Amt“ belegen können, dass poli­zei­liche gewalt­volle Diskri­mi­nie­rungs­formen wie Racial Profiling, die syste­ma­ti­sche, verdachts­un­ab­hän­gige Kontrolle nach rassi­sti­schen Bewer­tungs­mu­stern, fast nie geahndet werden.

Die zuneh­mende Mili­ta­ri­sie­rung der Polizei zieht immer mehr Menschen an, die minde­stens gewalt­a­ffin, manchmal gar gewalt­tätig sind.

Die Gründe dafür sind vor allem struk­tu­rell bedingt. Die Insti­tu­tion Polizei ermit­telt bei Vorwürfen in der Regel gegen sich selbst. Eine externe Kontroll­in­stanz fehlt. Ausserdem ist es für von Poli­zei­ge­walt Betrof­fene oft schwer, Beweise vorzu­legen, es steht dann Aussage gegen Aussage.

Erschwe­rend kommen zwei sozio­kul­tu­relle Phäno­mene ins Spiel, die die Aufar­bei­tung von Poli­zei­ge­walt weiter verkom­pli­zieren, wenn nicht sogar verhindern.

„Cop Culture“ und „Copa­ganda“

Als erstes sozio­kul­tu­relles Phänomen ist die soge­nannte Cop Culture zu nennen, eine von Polizist*innen gelebte, nach innen gerich­tete Alltags­kultur mit eigenen Regeln. Mehrere Studien konnten belegen, dass sich viele Polizeibeamt*innen als Teil einer Schick­sals­ge­mein­schaft wahr­nehmen, was zu einer engen Verbun­den­heit unter­ein­ander führt. Dies erschwert es, über­mäs­sige Gewalt­an­wen­dungen durch Kolleg*innen behör­den­in­tern zu proble­ma­ti­sieren, da mit sozialen Sank­tionen gerechnet werden muss.

Das zweite sozio­kul­tu­relle Phänomen ist die mehr­heits­ge­sell­schaft­liche Über­zeu­gung, dass die Polizei in der Regel richtig und „gut“ handelt und das Wohl aller zum Ziel hat. 

Für ein idea­li­siertes, medial verbrei­tetes Posi­tiv­bild der Polizei hat sich der Begriff Copa­ganda etabliert, ein Koffer­wort aus „Cop“ und „Propa­ganda“.

Die Über­zeu­gung wird nicht nur über die oft rassi­sti­sche und klas­si­sti­sche Konstruk­tion des*der „bösen“ Verbrecher*in aufrecht­erhalten, sondern auch über die bewusste Insze­nie­rung durch die Polizei selbst: Videos auf Social Media von Polizist*innen, die Katzen retten, rappen oder gar soli­da­risch während der Black-Lives-Matter-Proteste nieder­knien, werfen ein vorteil­haftes Licht auf die Polizei. Sie vermit­teln den Eindruck, dass die Insti­tu­tion bürgernah, mensch­lich und verständ­nis­voll agiert. 

Dabei, so schil­dert es der US-ameri­ka­ni­sche inve­sti­ga­tive Jour­na­list Radley Balko, zieht gerade die zuneh­mende Mili­ta­ri­sie­rung der Polizei immer mehr Menschen an, die minde­stens gewalt­a­ffin, manchmal gar gewalt­tätig sind.

PS:PO erzählt von all dem nichts. Der Simu­lator unter­schlägt struk­tu­relle Proble­ma­tiken, die mit der Insti­tu­tion Polizei in ihrer jetzigen Form einher­gehen, und schreibt ein vor allem auch medial geformtes Bild des nahbaren, oft männ­lich konno­tierten „Schutz­mannes“ fort, der – unfehlbar und stets gerecht – im Sinne aller handelt. 

Man kann von einer Form der Propa­ganda spre­chen. Tatsäch­lich hat sich für ein solch idea­li­siertes, über die Massen­me­dien verbrei­tetes Posi­tiv­bild der Polizei der Begriff Copa­ganda etabliert, ein Koffer­wort aus „Cop“ und „Propa­ganda“.

Eine Welt ohne Polizei

Das nur vermeint­lich gewalt­freie PS:PO als Copa­ganda zu betrachten, hilft, die proble­ma­ti­schen Aspekte des Video­spiels sichtbar zu machen. Es ist ein Produkt, das das Ideal­bild der Polizei bestä­tigt, dass in einer weissen, nicht von Rassismus und Armut betrof­fenen Mehr­heits­ge­sell­schaft vorherr­schend ist – schliess­lich wird dieser Teil der Gesell­schaft in der nicht-virtu­ellen Welt vornehm­lich durch diese geschützt.

Die Vorstel­lung einer zukünf­tigen Welt ohne Polizei hilft uns, über wirk­liche Alter­na­tiven nachzudenken.

Gleich­zeitig werden die Polizei und ihre Arbeit als selbst­ver­ständ­lich ange­sehen, als notwendig für eine funk­tio­nie­rende Gesellschaft. 

Dabei gab es Zeiten ohne Polizei. Wie es der Philo­soph und Sozi­al­wis­sen­schaftler Daniel Loick betont, hilft uns die Vorstel­lung einer zukünf­tige Welt ohne Polizei. Nur dann könne man über wirk­liche Alter­na­tiven nach­denken – zu einer Insti­tu­tion, deren Geschichte untrennbar mit (kolo­nialer) Gewalt verwoben ist.

Für unsere Gesell­schaft kann mit diesen Alter­na­tiven gemeint sein, Ressourcen in Insti­tu­tionen der sozialen Teil­habe – wie Wohn­raum­be­reit­stel­lung, Gesund­heits­ver­sor­gung und demo­kra­ti­sche Selbst­be­stim­mung – umzu­ver­teilen, um die sozialen Ursa­chen von Krimi­na­lität und Gewalt zu bekämpfen.

Für Video­spiele, die sich um Poli­zei­ar­beit drehen, könnte dies meinen, dass es in diesen eine Aner­ken­nung oder eine Ausein­an­der­set­zung gibt mit der histo­ri­schen Verflech­tung von Polizei, Rassismus, Klas­sismus und Gewalt, ohne diese zu repro­du­zieren. Die Bina­rität und das oppres­sive Macht­ge­fälle zwischen dem „gerechten stra­fenden Schutz­mann“ und dem „bestraften Krimi­nellen“ müsste aufge­löst werden. Es müsste zu Inter­ak­tionen kommen, die nicht länger auf Zwang basieren, sondern über die gemeinsam ausge­han­delten Regeln umge­setzt, inter­per­so­nelle Konflikte geschlichtet und Sicher­heit für alle garan­tiert werden kann.

Sollte sich die Gesell­schaft im Sinne Loicks verän­dern, würde letzt­end­lich ein Video­spiel, das sich um Poli­zei­ar­beit dreht, nicht mehr von sich sagen können, es sei ein Simu­lator, – sondern höch­stens histo­risch akkurat, weil es eine Welt zeigt, in der es die Polizei noch gab.

Dieser Artikel beruht auf einem Beitrag zum Sammel­band „Spiel*Kritik: Kriti­sche Perspek­tiven auf Video­spiele im Kapi­ta­lismus“, 2024 erschienen beim tran­script Verlag.

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