Anfang Juni 2021 kündigte der Präsident El Salvadors, Nayib Bukele, auf einer Bitcoin-Konferenz in Miami überraschend an, dass sein Land als erster Staat der Welt den Bitcoin zur offiziellen Währung machen werde. Wenige Tage später verabschiedete das von ihm kontrollierte Parlament im Schnellverfahren ein entsprechendes Gesetz, das innerhalb von drei Monaten in Kraft tritt.
Dieser bemerkenswerte Schritt, der wahrscheinlich weitreichende Auswirkung auf Staat und Gesellschaft haben wird, findet vor dem Hintergrund zunehmend autoritärer Tendenzen in El Salvador statt. Gerade erst wurde der mexikanische Investigativjournalist Daniel Lizárraga des Landes verwiesen, nachdem ihm El Salvadors Behörden die Arbeitserlaubnis verweigert hatten. Lizárraga arbeitete für das regierungskritische Nachrichtenportal El Faro.
Neben Einschränkungen der Pressefreiheit zeigt Bukele auch wenig Respekt vor Gewaltenteilung und freier Justiz. 2020 liess er bewaffnete Truppen im damals noch von der Opposition kontrollierten Kongress aufmarschieren, um ein Votum für die Finanzierung seines Sicherheitsplans zu erzwingen. Nach dem klaren Sieg bei den Parlamentswahlen Ende Februar, als Bukeles Parteienbündnis eine Zwei-Drittel-Mehrheit gewann, beschloss die neue Nationalversammlung dann in ihrer Auftaktsitzung die Entlassung der Verfassungsrichter:innen sowie des Generalstaatsanwalts. Zur Begründung hiess es, diese hätten im Amt private Interessen verfolgt. Die Opposition warf dem Präsidenten die Inszenierung eines Staatsstreichs vor.
Trotz dieses autoritären Gebarens geniesst Bukele in der Bevölkerung nach wie vor grossen Rückhalt. Die politische Klasse El Salvadors ist nach fast drei Jahrzehnten abwechselnder Regierungen der konservativen ARENA-Partei und der linken Nationalen Befreiungsfront Farabundo Martí (FMLN) diskreditiert. Die unmittelbare Lösung wirtschaftlicher und sozialer Probleme scheint einem Grossteil der Bevölkerung wichtiger als demokratische Ideale und Standards. Bukeles Beliebtheit gründet dabei nicht zuletzt auf sozialen Geschenken, die er mit offenen Händen verteilt und hohen Staatsausgaben finanziert.
Die Lösung im digitalen Geld
Und hier kommt der Bitcoin ins Spiel: Denn angesichts El Salvadors schwindender finanzieller Ressourcen könnte es schwierig werden, diesen populistischen Kurs fortzusetzen. Die Schulden des Landes sind im vergangenen Jahr um mehr als 15 Prozent gewachsen, ein Grossteil davon im Zusammenhang mit den Ausgaben für die Pandemiebekämpfung. Im Jahr 2020 lag die Schuldenquote bei 90 Prozent des BIP und ist seitdem weiter gestiegen.
Versucht Bukele also, mit der Einführung des Bitcoin als offizielle Währung seinen finanziellen Spielraum zu vergrössern?
Der Politikwissenschaftler und Zentralamerika-Experte Christian Ambrosius von der FU Berlin hält dies für möglich. Bukeles Motivation sei undurchsichtig. Aber „wenn der Staat sagt, ich mache meine Transaktionen in Bitcoins, dann ist das auch eine Möglichkeit, sich einer Kontrolle über die eigenen finanziellen Transaktionen zu entziehen“. Die autoritären Ambitionen Bukeles müsse man immer mitdenken.
Christian Ambrosius lehrt an der Freien Universität Berlin und forscht zu wirtschaftlichen und sozialen Themen in und um Zentralamerika. Sein Hauptfokus liegt in der Untersuchung von Migration und Migrationsgründen sowie internationaler Wirtschaftsbeziehungen.
Erst vor wenigen Wochen beschloss die Regierung, die Zusammenarbeit mit den Korruptionsermittler:innen der Internationalen Kommission gegen Straflosigkeit in El Salvador (CICIES) zu beenden.
Ende Juni veröffentlichte die US-Regierung die sogenannte „Engel-Liste“, eine Liste von zentralamerikanischen Beamten, denen Washington Korruption, Behinderung der Justiz oder Schwächung der Demokratie vorwirft. Darauf zu finden: Bukeles Stabschefin, sein Arbeitsminister und weitere Vertreter:innen der Regierung.
Mangelnde Transparenz ist vielleicht das grösste Problem, sagt Ambrosius. „Es fällt auf, dass Bukele sich in seinen Erklärungen vor allem an die Investor:innen gewandt und im eigenen Land wenig zu dem Gesetz erklärt hat.“ Alles geschehe hinter verschlossenen Türen und auf Entscheidung eines einzelnen Mannes hin, der das politische System des Landes innerhalb von zwei Jahren schon sehr umgekrempelt hat.
Selbst die Weltbank zeigt sich skeptisch. Die von der Regierung angefragte technische Unterstützung bei der Implementierung des Bitcoin-Gesetzes lehnte sie wegen Intransparenz und Umweltbedenken ab. Das Bitcoin-Mining verbraucht aufgrund der riesigen benötigten Rechenzentren grosse Mengen Energie; Bukeles Pläne zur ökologischen Energiegewinnung in El Salvador erscheinen wenig realistisch.
Er kenne keine seriösen Wirtschaftswissenschaftler:innen, die die Legalisierung des Bitcoin für eine gute Idee halten, sagt Ambrosius: „Zum einen wegen der extremen Wertschwankungen des Bitcoin; zum anderen ist das Land ja schon dollarisiert.“ Seit Anfang 2001 ist die US-Währung offizielles Zahlungsmittel in El Salvador. Das Land benutzt also bereits ein fremdes Zahlungsmittel. „Dies jetzt zu ergänzen um eine zweite Währung, über die man auch keine Kontrolle hat, die aber sehr viel volatiler ist, ist mit Blick auf die währungspolitische Stabilität kein besonders nachvollziehbarer Grund.“
Ein neues Paradies für Geldwäsche?
Ambrosius vermutet, dass Bukele eine Marktnische für sein Land sieht, attraktiv für Bitcoin-Investor:innen zu werden und eine Ökonomie rund um alle möglichen illegalen Aktivitäten anzulocken, damit Geld ins Land fliesst. „Das könnte das zentrale Motiv sein, auch wenn Bukele das so nicht sagt“, glaubt Ambrosius. In seinen Augen eine riskante Strategie: „Denn damit schafft er ein Paradies für Geldwäsche.“
Bukele selbst verspricht durch die Bitcoin-Legalisierung bessere finanzielle Inklusion, also einen besseren Zugang zu Zahlungssystemen für Arme, und Erleichterungen bei den Geldüberweisungen von Auslandssalvadorianer:innen. Ambrosius hält beide Argumente für vorgeschoben und für nicht besonders stichhaltig. „Jede Person, die Bitcoins verschicken möchte, kann dies auch jetzt schon tun. Dafür braucht es keine staatliche Genehmigung.“
Finanzielle Inklusion dagegen bedeute viel mehr, beispielsweise „zuverlässige Sparoptionen zu haben, Zugang zu Krediten zu vernünftigen Konditionen, Zugang zu Versicherungen oder anderen Finanzprodukten“. Aufgrund der grossen Wertschwankungen sei der Gebrauch von Bitcoin eine Form von Glücksspiel. „Und da sind Arme eher im Nachteil, weil sie nicht dieselben Möglichkeiten haben, Risiko zu streuen. Das als finanzielle Inklusion zu verkaufen, ist zynisch“, findet Ambrosius.
Letztlich sei Bukeles Schritt eine Wette, so Ambrosius: „In einem positiven Szenario fliessen viele Bitcoins ins Land, die Preise steigen, es gibt eine Aktivierung der Wirtschaft, vor allem rund um Bitcoins. Und eventuell sickert auch etwas durch zum Rest der Bevölkerung. Im positiven Szenario passiert das ohne allzu grosse Krisen.“ Demgegenüber stünden aber eine ganze Reihe von Risiken: die unklare technische Umsetzung, die Gefahr von Steuerhinterziehung, nicht abzusehende Auswirkungen auf die Staatsfinanzen und den Bankensektor oder eine mögliche Verschärfung der Schuldensituation.
„Wie jede Wette kann es natürlich aufgehen“, sagt Ambrosius, „aber es kann auch ganz gehörig schiefgehen. Das Problem ist, dass es keine transparente Diskussion über Ziele und Risiken gibt. Es ist ein grosses Experiment, bei dem der Grossteil der Salvadorianer:innen die Versuchskaninchen sind und nicht darüber informiert werden, was das letztendlich bedeutet.“ Und Journalist:innen wie Daniel Lizárraga vom Nachrichtenportal El Faro, die kritisch nachfragen könnten, werden lieber des Landes verwiesen.
Journalismus kostet
Die Produktion dieses Artikels nahm 12 Stunden in Anspruch. Um alle Kosten zu decken, müssten wir mit diesem Artikel CHF 884 einnehmen.
Als Leser*in von das Lamm konsumierst du unsere Texte, Bilder und Videos gratis. Und das wird auch immer so bleiben. Denn: mit Paywall keine Demokratie. Das bedeutet aber nicht, dass die Produktion unserer Inhalte gratis ist. Die trockene Rechnung sieht so aus:
Wir haben einen Lohndeckel bei CHF 22. Die gewerkschaftliche Empfehlung wäre CHF 35 pro Stunde.
CHF 420 → 35 CHF/h für Lohn der Schreibenden, Redigat, Korrektorat (Produktion)
CHF 204 → 17 CHF/h für Fixkosten (Raum- & Servermiete, Programme usw.)
CHF 260 pro Artikel → Backoffice, Kommunikation, IT, Bildredaktion, Marketing usw.
Weitere Informationen zu unseren Finanzen findest du hier.
Solidarisches Abo
Nur durch Abos erhalten wir finanzielle Sicherheit. Mit deinem Soli-Abo ab 60 CHF im Jahr oder 5 CHF im Monat unterstützt du uns nachhaltig und machst Journalismus demokratisch zugänglich. Wer kann, darf auch gerne einen höheren Beitrag zahlen.
Ihr unterstützt mit eurem Abo das, was ihr ohnehin von uns erhaltet: sorgfältig recherchierte Informationen, kritisch aufbereitet. So haltet ihr unser Magazin am Leben und stellt sicher, dass alle Menschen – unabhängig von ihren finanziellen Ressourcen – Zugang zu fundiertem Journalismus abseits von schnellen News und Clickbait erhalten.
In der kriselnden Medienwelt ist es ohnehin fast unmöglich, schwarze Zahlen zu schreiben. Da das Lamm unkommerziell ausgerichtet ist, keine Werbung schaltet und für alle frei zugänglich bleiben will, sind wir um so mehr auf eure solidarischen Abos angewiesen. Unser Lohn ist unmittelbar an eure Abos und Spenden geknüpft. Je weniger Abos, desto weniger Lohn haben wir – und somit weniger Ressourcen für das, was wir tun: Kritischen Journalismus für alle.
Einzelspende
Ihr wollt uns lieber einmalig unterstützen?