El Salvador: Mit Bitcoins gegen die Demokratie

El Salvador will den Bitcoin als offi­zi­elle Landes­wäh­rung nutzen. Was der Präsi­dent als finan­zi­elle Inklu­sion der Armen preist, sehen Kritiker:innen eher als Methode, ein auto­ri­täres Regime weiter zu festigen. 
Sinnbild der Befreiung, Mittel zur Geldwäsche oder beides? (Foto: Claudio Schwarz / Unsplash)

Anfang Juni 2021 kündigte der Präsi­dent El Salva­dors, Nayib Bukele, auf einer Bitcoin-Konfe­renz in Miami über­ra­schend an, dass sein Land als erster Staat der Welt den Bitcoin zur offi­zi­ellen Währung machen werde. Wenige Tage später verab­schie­dete das von ihm kontrol­lierte Parla­ment im Schnell­ver­fahren ein entspre­chendes Gesetz, das inner­halb von drei Monaten in Kraft tritt.

Dieser bemer­kens­werte Schritt, der wahr­schein­lich weit­rei­chende Auswir­kung auf Staat und Gesell­schaft haben wird, findet vor dem Hinter­grund zuneh­mend auto­ri­tärer Tendenzen in El Salvador statt. Gerade erst wurde der mexi­ka­ni­sche Inve­sti­ga­ti­v­jour­na­list Daniel Lizár­raga des Landes verwiesen, nachdem ihm El Salva­dors Behörden die Arbeits­er­laubnis verwei­gert hatten. Lizár­raga arbei­tete für das regie­rungs­kri­ti­sche Nach­rich­ten­portal El Faro.

Neben Einschrän­kungen der Pres­se­frei­heit zeigt Bukele auch wenig Respekt vor Gewal­ten­tei­lung und freier Justiz. 2020 liess er bewaff­nete Truppen im damals noch von der Oppo­si­tion kontrol­lierten Kongress aufmar­schieren, um ein Votum für die Finan­zie­rung seines Sicher­heits­plans zu erzwingen. Nach dem klaren Sieg bei den Parla­ments­wahlen Ende Februar, als Bukeles Partei­en­bündnis eine Zwei-Drittel-Mehr­heit gewann, beschloss die neue Natio­nal­ver­samm­lung dann in ihrer Auftakt­sit­zung die Entlas­sung der Verfassungsrichter:innen sowie des Gene­ral­staats­an­walts. Zur Begrün­dung hiess es, diese hätten im Amt private Inter­essen verfolgt. Die Oppo­si­tion warf dem Präsi­denten die Insze­nie­rung eines Staats­streichs vor.

Trotz dieses auto­ri­tären Geba­rens geniesst Bukele in der Bevöl­ke­rung nach wie vor grossen Rück­halt. Die poli­ti­sche Klasse El Salva­dors ist nach fast drei Jahr­zehnten abwech­selnder Regie­rungen der konser­va­tiven ARENA-Partei und der linken Natio­nalen Befrei­ungs­front Fara­bundo Martí (FMLN) diskre­di­tiert. Die unmit­tel­bare Lösung wirt­schaft­li­cher und sozialer Probleme scheint einem Gross­teil der Bevöl­ke­rung wich­tiger als demo­kra­ti­sche Ideale und Stan­dards. Bukeles Beliebt­heit gründet dabei nicht zuletzt auf sozialen Geschenken, die er mit offenen Händen verteilt und hohen Staats­aus­gaben finanziert.

Die Lösung im digi­talen Geld

Und hier kommt der Bitcoin ins Spiel: Denn ange­sichts El Salva­dors schwin­dender finan­zi­eller Ressourcen könnte es schwierig werden, diesen popu­li­sti­schen Kurs fort­zu­setzen. Die Schulden des Landes sind im vergan­genen Jahr um mehr als 15 Prozent gewachsen, ein Gross­teil davon im Zusam­men­hang mit den Ausgaben für die Pande­mie­be­kämp­fung. Im Jahr 2020 lag die Schul­den­quote bei 90 Prozent des BIP und ist seitdem weiter gestiegen.

Versucht Bukele also, mit der Einfüh­rung des Bitcoin als offi­zi­elle Währung seinen finan­zi­ellen Spiel­raum zu vergrössern?

Der Poli­tik­wis­sen­schaftler und Zentral­ame­rika-Experte Chri­stian Ambro­sius von der FU Berlin hält dies für möglich. Bukeles Moti­va­tion sei undurch­sichtig. Aber „wenn der Staat sagt, ich mache meine Trans­ak­tionen in Bitcoins, dann ist das auch eine Möglich­keit, sich einer Kontrolle über die eigenen finan­zi­ellen Trans­ak­tionen zu entziehen“. Die auto­ri­tären Ambi­tionen Bukeles müsse man immer mitdenken.

Chri­stian Ambro­sius lehrt an der Freien Univer­sität Berlin und forscht zu wirt­schaft­li­chen und sozialen Themen in und um Zentral­ame­rika. Sein Haupt­fokus liegt in der Unter­su­chung von Migra­tion und Migra­ti­ons­gründen sowie inter­na­tio­naler Wirtschaftsbeziehungen.

Erst vor wenigen Wochen beschloss die Regie­rung, die Zusam­men­ar­beit mit den Korruptionsermittler:innen der Inter­na­tio­nalen Kommis­sion gegen Straf­lo­sig­keit in El Salvador (CICIES) zu beenden. 

Ende Juni veröf­fent­lichte die US-Regie­rung die soge­nannte „Engel-Liste“, eine Liste von zentral­ame­ri­ka­ni­schen Beamten, denen Washington Korrup­tion, Behin­de­rung der Justiz oder Schwä­chung der Demo­kratie vorwirft. Darauf zu finden: Bukeles Stabs­chefin, sein Arbeits­mi­ni­ster und weitere Vertreter:innen der Regierung.

Mangelnde Trans­pa­renz ist viel­leicht das grösste Problem, sagt Ambro­sius. „Es fällt auf, dass Bukele sich in seinen Erklä­rungen vor allem an die Investor:innen gewandt und im eigenen Land wenig zu dem Gesetz erklärt hat.“ Alles geschehe hinter verschlos­senen Türen und auf Entschei­dung eines einzelnen Mannes hin, der das poli­ti­sche System des Landes inner­halb von zwei Jahren schon sehr umge­krem­pelt hat. 

Selbst die Welt­bank zeigt sich skep­tisch. Die von der Regie­rung ange­fragte tech­ni­sche Unter­stüt­zung bei der Imple­men­tie­rung des Bitcoin-Gesetzes lehnte sie wegen Intrans­pa­renz und Umwelt­be­denken ab. Das Bitcoin-Mining verbraucht aufgrund der riesigen benö­tigten Rechen­zen­tren grosse Mengen Energie; Bukeles Pläne zur ökolo­gi­schen Ener­gie­ge­win­nung in El Salvador erscheinen wenig realistisch. 

Er kenne keine seriösen Wirtschaftswissenschaftler:innen, die die Lega­li­sie­rung des Bitcoin für eine gute Idee halten, sagt Ambro­sius: „Zum einen wegen der extremen Wert­schwan­kungen des Bitcoin; zum anderen ist das Land ja schon dolla­ri­siert.“ Seit Anfang 2001 ist die US-Währung offi­zi­elles Zahlungs­mittel in El Salvador. Das Land benutzt also bereits ein fremdes Zahlungs­mittel. „Dies jetzt zu ergänzen um eine zweite Währung, über die man auch keine Kontrolle hat, die aber sehr viel vola­tiler ist, ist mit Blick auf die währungs­po­li­ti­sche Stabi­lität kein beson­ders nach­voll­zieh­barer Grund.“

Ein neues Para­dies für Geldwäsche?

Ambro­sius vermutet, dass Bukele eine Markt­ni­sche für sein Land sieht, attraktiv für Bitcoin-Investor:innen zu werden und eine Ökonomie rund um alle mögli­chen ille­galen Akti­vi­täten anzu­locken, damit Geld ins Land fliesst. „Das könnte das zentrale Motiv sein, auch wenn Bukele das so nicht sagt“, glaubt Ambro­sius. In seinen Augen eine riskante Stra­tegie: „Denn damit schafft er ein Para­dies für Geldwäsche.“

Bukele selbst verspricht durch die Bitcoin-Lega­li­sie­rung bessere finan­zi­elle Inklu­sion, also einen besseren Zugang zu Zahlungs­sy­stemen für Arme, und Erleich­te­rungen bei den Geld­über­wei­sungen von Auslandssalvadorianer:innen. Ambro­sius hält beide Argu­mente für vorge­schoben und für nicht beson­ders stich­haltig. „Jede Person, die Bitcoins verschicken möchte, kann dies auch jetzt schon tun. Dafür braucht es keine staat­liche Genehmigung.“ 

Finan­zi­elle Inklu­sion dagegen bedeute viel mehr, beispiels­weise „zuver­läs­sige Spar­op­tionen zu haben, Zugang zu Krediten zu vernünf­tigen Kondi­tionen, Zugang zu Versi­che­rungen oder anderen Finanz­pro­dukten“. Aufgrund der grossen Wert­schwan­kungen sei der Gebrauch von Bitcoin eine Form von Glücks­spiel. „Und da sind Arme eher im Nach­teil, weil sie nicht dieselben Möglich­keiten haben, Risiko zu streuen. Das als finan­zi­elle Inklu­sion zu verkaufen, ist zynisch“, findet Ambrosius.

Letzt­lich sei Bukeles Schritt eine Wette, so Ambro­sius: „In einem posi­tiven Szenario fliessen viele Bitcoins ins Land, die Preise steigen, es gibt eine Akti­vie­rung der Wirt­schaft, vor allem rund um Bitcoins. Und even­tuell sickert auch etwas durch zum Rest der Bevöl­ke­rung. Im posi­tiven Szenario passiert das ohne allzu grosse Krisen.“ Demge­gen­über stünden aber eine ganze Reihe von Risiken: die unklare tech­ni­sche Umset­zung, die Gefahr von Steu­er­hin­ter­zie­hung, nicht abzu­se­hende Auswir­kungen auf die Staats­fi­nanzen und den Banken­sektor oder eine mögliche Verschär­fung der Schuldensituation.

„Wie jede Wette kann es natür­lich aufgehen“, sagt Ambro­sius, „aber es kann auch ganz gehörig schief­gehen. Das Problem ist, dass es keine trans­pa­rente Diskus­sion über Ziele und Risiken gibt. Es ist ein grosses Expe­ri­ment, bei dem der Gross­teil der Salvadorianer:innen die Versuchs­ka­nin­chen sind und nicht darüber infor­miert werden, was das letzt­end­lich bedeutet.“ Und Journalist:innen wie Daniel Lizár­raga vom Nach­rich­ten­portal El Faro, die kritisch nach­fragen könnten, werden lieber des Landes verwiesen.


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