Das Lamm: Die Klimastreik-Bewegung war angesichts des CO2-Gesetzes gespalten: Manche befürworteten das Gesetz als einen zu kleinen, aber notwendigen Schritt in die richtige Richtung. Andere, unter anderem Sie, bekämpften es. Beim neuen Energiegesetz, welches am 28. November zur kantonalen Abstimmung kommt, gibt es diese Kontroverse nicht. Wieso?
Annika Lutzke: Energiegesetz und CO2-Gesetz sind zwei grundsätzlich verschiedene Vorlagen. Beim Energiegesetz handelt es sich um ein spezifisches kantonales und in vielerlei Hinsicht sehr gutes Gesetz. Es beinhaltet zwar lediglich Lösungsansätze für den Gebäudesektor, aber diese sind solide und betreffen einen wichtigen Anteil aller Treibhausgasemissionen im Kanton Zürich: 40 % davon sind nämlich auf Öl- und Gasheizungen zurückzuführen.
Das nationale CO2-Gesetz enthielt zwar eine breitere Palette an Massnahmen zur CO2-Reduktion in diversen Bereichen, sah aber Sonderrechte für die grössten Emittenten vor. Zudem beinhaltete es Massnahmen, die kontraproduktive Mechanismen begünstigt und zementiert hätten, die wir langfristig nicht unterstützen können.
Annika Lutzke ist 19 Jahre alt und seit bald drei Jahren sowohl auf nationaler als auch kantonaler Ebene ein aktives Mitglied des Klimastreiks Zürich. Sie ist Mitgründerin der Food Coop rampe 21 und arbeitet Teilzeit in der Landwirtschaft. Obwohl sie nicht aktiv an der politischen Arbeit bezüglich CO2- und Energiegesetz beteiligt war, hat sie sich im Rahmen des Klimastreiks intensiv mit beiden Vorlagen befasst.
Welche Massnahmen meinen Sie?
Beispielsweise die Befreiung von der CO2-Abgabe für gewisse Unternehmen. Das CO2-Gesetz fokussierte sich stark auf den Ausstoss von uns als Individuen, etwa mittels Flugticketabgabe. Gleichzeitig sollten die Unternehmen mit den höchsten Emissionen weiterhin geschützt werden. Darüber hat das Lamm ja berichtet. Entweder indem sie, anstatt CO2-Abgabe zu bezahlen, lediglich am Emissionshandel teilnehmen müssen oder „Zum Schutz ihrer Wettbewerbsfähigkeit“ von der CO2-Abgabe befreit bleiben. Die Befreiungsmöglichkeiten sollten mit dem CO2-Gesetz gar noch auf weitere Unternehmen ausgedehnt werden. Zwei Instrumente, die wir als völlig fehlgeleitet ablehnen. Anstatt endlich Massnahmen zur Reduktion der Treibhausgasemissionen zu ergreifen, wären die schlimmsten Klimasünder:innen weiterhin verschont geblieben.
Beim Energiegesetz hingegen sehen Sie keine Kritikpunkte?
Wie gesagt – in vielerlei Hinsicht ist das Gesetz sehr gut. Aber natürlich könnte es noch radikaler sein: Es wäre wünschenswert, fossile Heizungen nicht erst nach Ablauf ihrer Lebensdauer, sondern möglichst schnell zu ersetzen. Jedes Gramm CO2, das wir ausstossen, ist eins zu viel. Ausserdem finde ich es nicht sinnvoll, dass Biogasheizungen weiterhin als „klimaneutrale Heizsysteme“ eingebaut werden dürfen. Wir sollten unsere Gasstrukturen unbedingt ab- und nicht ausbauen. Biogas haben wir ohnehin viel zu wenig. Es sollte in Bereichen wie der Industrie für Prozesswärme eingesetzt werden, um den Verbrauch von fossilem Gas in bestehenden Strukturen zu reduzieren. Für den Gebäudesektor sind gute Alternativen vorhanden: Holz, Fernwärme, Wärmepumpen. Langfristig sind diese Systeme nicht nur nachhaltiger, sondern auch kostengünstiger.
Die Änderung im Zürcher Energiegesetz schreibt vor, dass Öl- und Gasheizungen nach Ablauf ihrer Lebensdauer durch klimaneutrale Heizsysteme ersetzt werden müssen. Ausnahmen sind möglich, wenn der Einbau einer klimaneutralen Heizung zu mehr als 5 % Mehrkosten führen würde oder wenn die Eigentümer:innen die Investitionskosten nicht tragen können. Elektrische Heizungen müssen bis 2030 ersetzt werden und Neubauten sollen nicht nur mit klimaneutralen Heizsystemen ausgestattet werden, sondern künftig auch einen Teil ihres Stromverbrauchs selbst produzieren. Zudem sieht das Gesetz mehr kantonale Fördergelder für den Energiebereich vor.
Die SVP und der Hauseigentümer:innenverband haben das Referendum ergriffen, weshalb am 28. November über die Gesetzesänderung abgestimmt wird.
Die Gegner:innen des Energiegesetzes warnen auch davor, dass ein Ja am 28. November zu Mietzinserhöhungen und Leerkündigungen führen könnte.
Wir haben in Zürich definitiv ein Problem mit Leerkündigungen und unser Mieter:innenschutz muss unbedingt verbessert werden. Aber: Dieses Problem hat nichts mit der kommenden Abstimmung zu tun.
Hauseigentümer:innen werden durch das neue Energiegesetz nicht zu umfassenden Sanierungen und Kündigungen gezwungen, da es hier nur um den Einbau eines erneuerbaren Heizsystems geht und nicht um eine komplette Renovation, welche zu Kündigungen führen könnte.
Zu Mietzinserhöhungen sollte es infolge des Energiegesetzes ebenfalls nicht kommen. Zwar können die höheren Anschaffungskosten einer klimaneutralen Heizung auf die Mieter:innen abgewälzt werden, die tieferen Nebenkosten im Vergleich zu fossilen Heizsystemen sollten diese aber in etwa ausgleichen.
Das Referendumskomitee, zusammengesetzt aus SVP und Hauseigentümer:innenverband, führt eine Lügenkampagne. Sie sind es, die den Mieter:innenschutz in den vergangenen Jahren immer wieder attackiert haben, sie sind, getrieben durch die Logik unseres Finanzsystems, für die Mietzinserhöhung und Leerkündigungen verantwortlich – und schlagen daraus Profit. Eine energetische Sanierung dient dabei höchstens als Vorwand.
Der Mieter:innenverband gibt keine Abstimmungsempfehlung heraus. Er bezeichnet die Behauptung des Referendumskomitees, wonach das Energiegesetz Eigentümer:innen zu Totalsanierungen und Leerkündigungen zwingen würde, jedoch offiziell als „falsch“. Trotzdem fordert er flankierende Massnahmen zum Energiegesetz, um den Mieter:innenschutz zu gewährleisten. Könnten diese ein Lösungsansatz sein?
Absolut. Die Forderungen des Mieter:innenverbandes beabsichtigen, Kündigungen und Ersatzneubauten unter dem Vorwand der energetischen Sanierung zu verhindern und den Fortbestand von preisgünstigem Wohnraum zu sichern. Das unterstütze ich voll und ganz. Wie gesagt – wir brauchen mehr Mieter:innenschutz.
Das Energiegesetz behandelt mit seinen Bestimmungen zur Sanierung von fossilen Heizsystemen trotz all seiner Vorteile nur einen Bruchteil der Themen, welche im CO2-Gesetz hätten geregelt werden sollen. Was braucht es Ihrer Meinung nach zusätzlich zum Energiegesetz, damit der Kanton Zürich sein Ziel von Netto Null bis 2050 erreichen kann?
Wir brauchen ein Umdenken in der Mobilität, insbesondere muss der motorisierte Individualverkehr abgebaut werden. Wir müssen weg von der industriellen Landwirtschaft, hin zu produktiveren, kleinstrukturierten Anbauformen mit mehr Handarbeit und Autonomie. Es braucht auch einen sozialen Wandel in Bezug auf unser Konsumverhalten – grüner reicht nicht, es muss weniger sein, daran führt kein Weg vorbei.
Was die Industrie betrifft, so gibt es Branchen, beispielsweise die Zementindustrie, aus denen wir schlicht und einfach aussteigen müssen. Dasselbe gilt für den Finanzplatz: Wir brauchen klare Regelungen, die nur noch nachhaltige Investitionen erlauben. Und wir brauchen funktionierende Kontrollmechanismen.
Dies bedingt eine gewisse Konversion, einen Rückbau von Industrie- und Investitionszweigen, welche schlicht nicht mehr tragbar sind und radikal verändert werden müssen. Natürlich staatlich unterstützt und begleitet von Umschulungsprogrammen, damit die Arbeitsstellen der betroffenen Menschen gesichert und deren Wissen in anderen Bereichen nachhaltiger eingesetzt werden können.
Reicht Netto Null bis 2050 überhaupt? Könnte sich Zürich als reicher Kanton nicht ein ehrgeizigeres Ziel stecken?
Nein, Netto Null bis 2050 reicht nicht. Der Klimastreik fordert Netto Null bis 2030. Die Schweiz als reiches Land trägt eine grosse historische Verantwortung und muss ihre Emissionen schneller senken als Staaten, die über weniger finanzielle Mittel verfügen und in der Vergangenheit viel weniger emittiert haben als wir. Soll die Weltgemeinschaft 2050 bei Netto Null angekommen sein, so muss die Schweiz bereits 2030 an diesem Punkt stehen.
Wir sind bereits jetzt bei einer Erderwärmung von durchschnittlich 1.2°C. Mit dem Ziel von Netto Null bis 2030 können wir die 1.5°C Grenze einhalten. Verfolgen wir jedoch weiterhin unseren jetzigen Kurs, sind wir 2050 bei + 4°C. Es geht nicht mehr darum, ob wir wollen – wir müssen! Darum: Auch wenn es nur den Gebäudesektor im Kanton Zürich behandelt – das Energiegesetz ist ein wichtiger Schritt in die richtige Richtung.
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