Ener­gie­ge­setz vs. CO2-Gesetz aus der Sicht des Klimastreiks

Das CO2-Gesetz schei­terte im Sommer an der Urne. Auch Teile des Klima­streiks waren dagegen. Anders beim Zürcher Ener­gie­ge­setz, über das in einer Woche abge­stimmt wird. Im Inter­view erzählt die Akti­vi­stin Annika Lutzke, weshalb der Klima­streik dieses im Unter­schied zum CO2-Gesetz klar befürwortet. 
Das Energiegesetz will den Austoss von CO2 in Haushalten und deren Heizungen verringern. (Foto: Unsplah/Thomas Vogel)

Das Lamm: Die Klima­streik-Bewe­gung war ange­sichts des CO2-Gesetzes gespalten: Manche befür­wor­teten das Gesetz als einen zu kleinen, aber notwen­digen Schritt in die rich­tige Rich­tung. Andere, unter anderem Sie, bekämpften es. Beim neuen Ener­gie­ge­setz, welches am 28. November zur kanto­nalen Abstim­mung kommt, gibt es diese Kontro­verse nicht. Wieso?

Annika Lutzke: Ener­gie­ge­setz und CO2-Gesetz sind zwei grund­sätz­lich verschie­dene Vorlagen. Beim Ener­gie­ge­setz handelt es sich um ein spezi­fi­sches kanto­nales und in vielerlei Hinsicht sehr gutes Gesetz. Es beinhaltet zwar ledig­lich Lösungs­an­sätze für den Gebäu­de­sektor, aber diese sind solide und betreffen einen wich­tigen Anteil aller Treib­haus­gas­emis­sionen im Kanton Zürich: 40 % davon sind nämlich auf Öl- und Gashei­zungen zurückzuführen.

Das natio­nale CO2-Gesetz enthielt zwar eine brei­tere Palette an Mass­nahmen zur CO2-Reduk­tion in diversen Berei­chen, sah aber Sonder­rechte für die grössten Emit­tenten vor. Zudem beinhal­tete es Mass­nahmen, die kontra­pro­duk­tive Mecha­nismen begün­stigt und zemen­tiert hätten, die wir lang­fri­stig nicht unter­stützen können.

Annika Lutzke ist 19 Jahre alt und seit bald drei Jahren sowohl auf natio­naler als auch kanto­naler Ebene ein aktives Mitglied des Klima­streiks Zürich. Sie ist Mitgrün­derin der Food Coop rampe 21 und arbeitet Teil­zeit in der Land­wirt­schaft. Obwohl sie nicht aktiv an der poli­ti­schen Arbeit bezüg­lich CO2- und Ener­gie­ge­setz betei­ligt war, hat sie sich im Rahmen des Klima­streiks intensiv mit beiden Vorlagen befasst.

Welche Mass­nahmen meinen Sie?

Beispiels­weise die Befreiung von der CO2-Abgabe für gewisse Unter­nehmen. Das CO2-Gesetz fokus­sierte sich stark auf den Ausstoss von uns als Indi­vi­duen, etwa mittels Flug­ticket­ab­gabe. Gleich­zeitig sollten die Unter­nehmen mit den höch­sten Emis­sionen weiterhin geschützt werden. Darüber hat das Lamm ja berichtet. Entweder indem sie, anstatt CO2-Abgabe zu bezahlen, ledig­lich am Emis­si­ons­handel teil­nehmen müssen oder „Zum Schutz ihrer Wett­be­werbs­fä­hig­keit“ von der CO2-Abgabe befreit bleiben. Die Befrei­ungs­mög­lich­keiten sollten mit dem CO2-Gesetz gar noch auf weitere Unter­nehmen ausge­dehnt werden. Zwei Instru­mente, die wir als völlig fehl­ge­leitet ablehnen. Anstatt endlich Mass­nahmen zur Reduk­tion der Treib­haus­gas­emis­sionen zu ergreifen, wären die schlimm­sten Klimasünder:innen weiterhin verschont geblieben.

Beim Ener­gie­ge­setz hingegen sehen Sie keine Kritikpunkte?

Wie gesagt – in vielerlei Hinsicht ist das Gesetz sehr gut. Aber natür­lich könnte es noch radi­kaler sein: Es wäre wünschens­wert, fossile Heizungen nicht erst nach Ablauf ihrer Lebens­dauer, sondern möglichst schnell zu ersetzen. Jedes Gramm CO2, das wir ausstossen, ist eins zu viel. Ausserdem finde ich es nicht sinn­voll, dass Biogas­hei­zungen weiterhin als „klima­neu­trale Heiz­sy­steme“ einge­baut werden dürfen. Wir sollten unsere Gasstruk­turen unbe­dingt ab- und nicht ausbauen. Biogas haben wir ohnehin viel zu wenig. Es sollte in Berei­chen wie der Indu­strie für Prozess­wärme einge­setzt werden, um den Verbrauch von fossilem Gas in bestehenden Struk­turen zu redu­zieren. Für den Gebäu­de­sektor sind gute Alter­na­tiven vorhanden: Holz, Fern­wärme, Wärme­pumpen. Lang­fri­stig sind diese Systeme nicht nur nach­hal­tiger, sondern auch kostengünstiger.

Die Ände­rung im Zürcher Ener­gie­ge­setz schreibt vor, dass Öl- und Gashei­zungen nach Ablauf ihrer Lebens­dauer durch klima­neu­trale Heiz­sy­steme ersetzt werden müssen. Ausnahmen sind möglich, wenn der Einbau einer klima­neu­tralen Heizung zu mehr als 5 % Mehr­ko­sten führen würde oder wenn die Eigentümer:innen die Inve­sti­ti­ons­ko­sten nicht tragen können. Elek­tri­sche Heizungen müssen bis 2030 ersetzt werden und Neubauten sollen nicht nur mit klima­neu­tralen Heiz­sy­stemen ausge­stattet werden, sondern künftig auch einen Teil ihres Strom­ver­brauchs selbst produ­zieren. Zudem sieht das Gesetz mehr kanto­nale Förder­gelder für den Ener­gie­be­reich vor.

Die SVP und der Hauseigentümer:innenverband haben das Refe­rendum ergriffen, weshalb am 28. November über die Geset­zes­än­de­rung abge­stimmt wird.

Die Gegner:innen des Ener­gie­ge­setzes warnen auch davor, dass ein Ja am 28. November zu Miet­zins­er­hö­hungen und Leer­kün­di­gungen führen könnte.

Wir haben in Zürich defi­nitiv ein Problem mit Leer­kün­di­gungen und unser Mieter:innenschutz muss unbe­dingt verbes­sert werden. Aber: Dieses Problem hat nichts mit der kommenden Abstim­mung zu tun.

Hauseigentümer:innen werden durch das neue Ener­gie­ge­setz nicht zu umfas­senden Sanie­rungen und Kündi­gungen gezwungen, da es hier nur um den Einbau eines erneu­er­baren Heiz­sy­stems geht und nicht um eine komplette Reno­va­tion, welche zu Kündi­gungen führen könnte.

Zu Miet­zins­er­hö­hungen sollte es infolge des Ener­gie­ge­setzes eben­falls nicht kommen. Zwar können die höheren Anschaf­fungs­ko­sten einer klima­neu­tralen Heizung auf die Mieter:innen abge­wälzt werden, die tieferen Neben­ko­sten im Vergleich zu fossilen Heiz­sy­stemen sollten diese aber in etwa ausgleichen.

Das Refe­ren­dums­ko­mitee, zusam­men­ge­setzt aus SVP und Hauseigentümer:innenverband, führt eine Lügen­kam­pagne. Sie sind es, die den Mieter:innenschutz in den vergan­genen Jahren immer wieder attackiert haben, sie sind, getrieben durch die Logik unseres Finanz­sy­stems, für die Miet­zins­er­hö­hung und Leer­kün­di­gungen verant­wort­lich – und schlagen daraus Profit. Eine ener­ge­ti­sche Sanie­rung dient dabei höch­stens als Vorwand.

Der Mieter:innenverband gibt keine Abstim­mungs­emp­feh­lung heraus. Er bezeichnet die Behaup­tung des Refe­ren­dums­ko­mi­tees, wonach das Ener­gie­ge­setz Eigentümer:innen zu Total­sa­nie­rungen und Leer­kün­di­gungen zwingen würde, jedoch offi­ziell als „falsch“. Trotzdem fordert er flan­kie­rende Mass­nahmen zum Ener­gie­ge­setz, um den Mieter:innenschutz zu gewähr­lei­sten. Könnten diese ein Lösungs­an­satz sein?

Absolut. Die Forde­rungen des Mieter:innenverbandes beab­sich­tigen, Kündi­gungen und Ersatz­neu­bauten unter dem Vorwand der ener­ge­ti­schen Sanie­rung zu verhin­dern und den Fort­be­stand von preis­gün­stigem Wohn­raum zu sichern. Das unter­stütze ich voll und ganz. Wie gesagt – wir brau­chen mehr Mieter:innenschutz.

Das Ener­gie­ge­setz behan­delt mit seinen Bestim­mungen zur Sanie­rung von fossilen Heiz­sy­stemen trotz all seiner Vorteile nur einen Bruch­teil der Themen, welche im CO2-Gesetz hätten gere­gelt werden sollen. Was braucht es Ihrer Meinung nach zusätz­lich zum Ener­gie­ge­setz, damit der Kanton Zürich sein Ziel von Netto Null bis 2050 errei­chen kann?

Wir brau­chen ein Umdenken in der Mobi­lität, insbe­son­dere muss der moto­ri­sierte Indi­vi­du­al­ver­kehr abge­baut werden. Wir müssen weg von der indu­stri­ellen Land­wirt­schaft, hin zu produk­ti­veren, klein­struk­tu­rierten Anbau­formen mit mehr Hand­ar­beit und Auto­nomie. Es braucht auch einen sozialen Wandel in Bezug auf unser Konsum­ver­halten – grüner reicht nicht, es muss weniger sein, daran führt kein Weg vorbei.

Was die Indu­strie betrifft, so gibt es Bran­chen, beispiels­weise die Zement­in­du­strie, aus denen wir schlicht und einfach aussteigen müssen. Dasselbe gilt für den Finanz­platz: Wir brau­chen klare Rege­lungen, die nur noch nach­hal­tige Inve­sti­tionen erlauben. Und wir brau­chen funk­tio­nie­rende Kontrollmechanismen.

Dies bedingt eine gewisse Konver­sion, einen Rückbau von Indu­strie- und Inve­sti­ti­ons­zweigen, welche schlicht nicht mehr tragbar sind und radikal verän­dert werden müssen. Natür­lich staat­lich unter­stützt und begleitet von Umschu­lungs­pro­grammen, damit die Arbeits­stellen der betrof­fenen Menschen gesi­chert und deren Wissen in anderen Berei­chen nach­hal­tiger einge­setzt werden können.

Reicht Netto Null bis 2050 über­haupt? Könnte sich Zürich als reicher Kanton nicht ein ehrgei­zi­geres Ziel stecken?

Nein, Netto Null bis 2050 reicht nicht. Der Klima­streik fordert Netto Null bis 2030. Die Schweiz als reiches Land trägt eine grosse histo­ri­sche Verant­wor­tung und muss ihre Emis­sionen schneller senken als Staaten, die über weniger finan­zi­elle Mittel verfügen und in der Vergan­gen­heit viel weniger emit­tiert haben als wir. Soll die Welt­ge­mein­schaft 2050 bei Netto Null ange­kommen sein, so muss die Schweiz bereits 2030 an diesem Punkt stehen.

Wir sind bereits jetzt bei einer Erder­wär­mung von durch­schnitt­lich 1.2°C. Mit dem Ziel von Netto Null bis 2030 können wir die 1.5°C Grenze einhalten. Verfolgen wir jedoch weiterhin unseren jetzigen Kurs, sind wir 2050 bei + 4°C. Es geht nicht mehr darum, ob wir wollen – wir müssen! Darum: Auch wenn es nur den Gebäu­de­sektor im Kanton Zürich behan­delt – das Ener­gie­ge­setz ist ein wich­tiger Schritt in die rich­tige Richtung.


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