Es tut mir wirk­lich sehr leid, dass ich mich entschul­digen muss

Wer etwas falsch gemacht hat, bittet danach oft um Entschul­di­gung. Notwendig macht es das eigene Fehl­ver­halten – nicht etwa die womög­lich verletzten Gefühle des Gegen­übers. Eigent­lich. Denn was wir bereits als Kinder gelernt haben sollten, beherr­schen selbst erwach­sene Personen des öffent­li­chen Lebens kaum. 

Seit einigen Tagen kursiert eine weitere, menschen­ver­ach­tende Werbe­kam­pagne der SVP durch die sozialen Netz­werke. Mit einem Bild des Berliner Holo­caust-Mahn­mals und der Aufschrift „Mit einem JA zur Begren­zungs­in­itia­tive wird die Schweiz nicht weiter zube­to­niert“ wirbt die soge­nannte Volks­partei für ihre asyl­feind­liche Politik.

Mit dem Mahnmal für einen Völker­mord dafür zu werben, Menschen im Mittel­meer ertrinken zu lassen – oh, sweet Switz­er­land 2020.

Aber: alles halb so wild! Denn die zustän­dige Instanz kannte das welt­be­rühmte Monu­ment leider einfach nicht. Oops, kann als Werbe­ab­tei­lung der stärk­sten Partei eines Landes schon mal passieren. Sorry!

Sich in und an der Öffent­lich­keit zu entschul­digen birgt wahr­lich so einige Tücken: Einer­seits möchte man die Gunst der Verär­gerten zurück­ge­winnen, ande­rer­seits die eigenen Unterstützer*innen nicht verlieren. Und viel­leicht, viel­leicht möchte man sich eigent­lich auch gar nicht entschul­digen. Viel­leicht, weil das Ganze einfach wieder ein weiterer, medi­en­wirk­samer, perfekt orche­strierter Minuten-Skandal war, oder aufgrund des mora­li­schen Gruppendruckes.

Gefühle verletzt

Im Falle des Mahnmal-Desa­sters der Schwei­ze­ri­schen Volks­partei musste Sekretär Martin Suter eine Entschul­di­gung bereit­stellen und liess sich dafür Folgendes einfallen: „Wir entschul­digen uns bei allen Menschen, deren Gefühle wir allen­falls mit diesem Fehler verletzt haben.“ Eigent­lich bittet man um Entschul­di­gung – und kann sie sich nicht selbst erteilen. Aber lassen wir das mal so stehen. Wenig­stens sagte er nicht: „Tut mir leid, dass ihr euch verletzt fühlt. Heute sind aber auch wirk­lich alle so empfindlich!“

Es stellt sich die Frage: Geht es wirk­lich um „allen­falls“ verletzte Gefühle? Oder doch viel mehr darum, dass es kaum vorstellbar ist, eine derart kollek­tive Wissens­lücke aufzu­weisen, gerade wenn sich die Bild­sprache samt Skan­däl­chen nahtlos in den Kampa­gnen-Style der SVP einglie­dert? Das sind wirk­lich ganz schön viele Zufälle.

Der Verweis auf die poten­zi­elle emotio­nale „Verlet­zung“ anderer lenkt dabei von den eigenen Schand­taten ab und diffa­miert ganz nebenbei die Kritiker*innen als beson­ders sensible Exponent*innen der heutigen Empö­rungs­ge­sell­schaft. Das Problem liegt nicht im emotio­nalen Affekt der anderen, sondern im eigenen Fehl­tritt. Aber mit diesem Einge­ständnis hätte sich die SVP wohl zu viel empha­ti­sche Blösse gegeben – und das ginge wiederum gegen die partei­liche Gesamtausrichtung.

Sorry, wenn du was anderes erwartet hast

Ein eben­falls nettes Beispiel der Entschul­di­gungs­un­fä­hig­keit lauter Männer (echte Fehler machen nur Weich­eier) in der Öffent­lich­keit ist dasje­nige des Arena-Mode­ra­tors Sandro Brotz. In der Sendung Jetzt reden wir Schwarzen letzten Monat spra­chen mehr­heit­lich weisse Personen. Aller­dings war das bei Weitem nicht das einzige Problem. Aber das wurde bereits diskutiert.

Zwar sah man auch beim SRF ein, dass die ganze Sache nicht so lief, wie man sich das erhofft hatte. Herr Brotz wurde aufgrund seiner Stel­lung­nahme nach dem Debakel sogar als durchaus kritik­fähig bezeichnet. Beim genauen Lesen aller­dings entpuppen sich die Worte des Mode­ra­tors als nicht beson­ders selbst­kri­tisch. „Ich kann die Kritik inso­fern nach­voll­ziehen, als dass die Erwar­tungs­hal­tung offen­sicht­lich eine andere war und bedauere das“, sagte er, wohl mit bemüht betrübter Miene.

„Es ist wirk­lich sehr bedau­er­lich, dass ihr so hohe Ansprüche an mich stellt! Ich bin doch nur der Mode­rator der grössten poli­ti­schen Debat­ten­sen­dung eines winzigen Landes! Das tut mir wirk­lich sehr leid für mich! Und auch, dass ich mich entschul­digen muss, tut mir echt leid!“ Nun ja.

Tut mir leid, aber…

Andreas Glarner, Stim­mungs­ma­cher für die zahlen­mässig belieb­teste Partei der Schweiz, wählte eine nicht weniger popu­läre Stra­tegie des Pflicht-Entschul­di­gens. Oder auch: des Nicht-Entschuldigens.

Wir erin­nern uns: Vor etwa einem Jahr veröf­fent­lichte der Poli­tiker den Namen samt Tele­fon­nummer einer Lehrerin in den sozialen Medien. Die Frau hatte betref­fenden Schüler*innen in einem Eltern­brief einen frohen Ramadan gewünscht und sie ohne Joker-Tag vom Unter­richt dispen­siert. Ein Vorgehen, das in Volks­schulen ausdrück­lich vorge­sehen ist.

In seinem Face­book-Post rief Glarner seine Anhän­ger­schaft dazu auf, der Lehr­person mitzu­teilen, was man als Konservative*r in diesem Land davon hält. Die betrof­fene Lehrerin wurde daraufhin mit Anrufen bombar­diert, bedroht und beschimpft.

Zum Glück bekam der Poli­tiker für diesen „Ausrut­scher“ von seinen zwei Töch­tern „aufs Dach“, wie Glarner es formu­lierte. Auch die Öffent­lich­keit war empört. Oops, dass dieser Post eine solche Eigen­dy­namik entwickeln würde, konnte zuvor nun wirk­lich keiner wissen.

Lieber schnell entschul­digen, dachte sich das Natio­nal­rats­mit­glied wohl: Sein Verhalten sei nicht korrekt gewesen und ihm täte es wirk­lich leid, sagte Glarner in einem Inter­view mit Tele Züri. Aber – so läutete der Poli­tiker den Anfang des Endes seiner Entschul­di­gung ein – eigent­lich wollte man mit dieser Kritik nur von dem eigent­li­chen Problem ablenken. Wen inter­es­sieren schon Tele­fon­terror und Hass­bot­schaften, wenn die verwöhnten Auslän­der­kinder so viele Feier­tage haben. Zum Glück traut sich wenig­stens einer, diese Miss­stände anzusprechen!

Ein Glück, dass mir das nicht leid tut

Am bequem­sten lebt es sich aller­dings, wenn man sich gar nicht zu entschul­digen braucht. Genial. Und da können wir auch gleich bei Andreas Glarner bleiben: Dieser veröf­fent­lichte erst kürz­lich eine Liste mit Namen erfolg­rei­cher KV-Lehrabsolvent*innen des Discoun­ters Aldi. Bemer­kens­wert schien Glarner diese Liste aufgrund der darauf zu lesenden Namen, die ihm seine grösste Sorge zu bestä­tigen schienen, und zwar: „dass wir immer mehr fremd im eigenen Land werden.“ Das sei aber kein Rassismus. Das müsse man noch sagen dürfen (hat er wirk­lich so gesagt). Es gäbe keinen Grund, sich zu entschul­digen. Na dann, alles paletti.

Echt super läufts auch, wenn sich rassi­sti­sche und sexi­sti­sche Werbung durchaus gut verkaufen lässt. Die Frucht­ge­trän­ke­firma true fruits ist Meisterin darin, ihren primi­tiven Stamm­tisch­humor (mit Slogans wie „abge­füllt und mitge­nommen“) als vermeint­lich system­kri­ti­sche Satire zu entschul­digen. Und wenn nichts mehr geht, argu­men­tiert die Saft­firma gern damit, dass die Leute für ihre ausge­fuchst sati­ri­schen Werbungen einfach zu wenig Grips haben und sie deshalb miss­ver­stehen. Ein hoch auf die dummen Konsument*innen!

Es könnte so einfach sein

Nun, Sie merken, es gibt viele Möglich­keiten, dem gesell­schaft­li­chen Druck zum Exgüse die Stirn zu bieten. Und das Beste daran: Sie können das auch! Fassen wir deshalb einmal zusammen, was wir heute übers Entschul­digen gelernt haben:

    1. Es ist unbequem.
    2. Behaupten Sie deshalb, dass es nichts gäbe, für das Sie sich zu entschul­digen bräuchten. Entweder, weil a) man es nie allen recht machen kann, oder b) die Menschen Ihren intel­li­genten Humor einfach miss­ver­standen haben.
    3. Wenn das nicht klappt, entschul­digen Sie sich dafür, dass andere Menschen so sensibel sind (und mit Ihrer direkten Art einfach nicht klarkommen.)
    4. Wenn auch das nicht klappt, entschul­digen Sie sich, aber ohne von Ihrem vorhe­rigen Stand­punkt abzu­wei­chen. (Das wäre ein Zeichen von Schwäche vor Ihren Fans.)
    5. Und wenn das alles zu anstren­gend ist, verklagen Sie einfach alle, die eine Entschul­di­gung von Ihnen wollen.

An dieser Stelle möchte ich mich präventiv dafür entschul­digen, falls Ihnen dieser Kommentar aufgrund Ihres schlechten Geschmacks nicht gefallen hat. Das tut mir wirk­lich sehr leid.


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