Frie­dens­no­bel­preis: Falsche Signal­wir­kung für neoli­be­rale Werte

Der Frie­dens­no­bel­preis wurde dieses Jahr nicht im Sinne von Alfred J. Nobel vergeben. Statt­dessen unter­stützt er eine neoli­be­rale Organisation. 
Monatliche Nahrungsmittelverteilung im Kyangwali Refuge Settlement in Uganda. (Foto: Marie-Theres Schuler)

Letzten Freitag erhielt das World Food Programme (WFP) für seinen Kampf gegen den Hunger und die Verbes­se­rung der Frie­dens­be­din­gungen in Kriegs­ge­bieten den Frie­dens­no­bel­preis. Die Entschei­dung hat wich­tige Signal­wir­kung: Nachdem der Welt­hunger über die letzten Jahr­zehnte stetig zurück­ge­gangen ist, hungern nun wieder 60 Millionen Menschen mehr als noch vor fünf Jahren.

Durch die Corona-Pandemie sind weitere 132 Millionen Menschen von Hunger bedroht. Mittels Nahrungs­mit­tel­hilfe und Bargeld­pro­grammen hat das WFP Millionen von Armuts­be­trof­fenen durch die Krise geholfen.

„Until the day we have a vaccine, food is the best vaccine against chaos”, hat Berit Reiss-Andersen, Vorsit­zende des Norwe­gi­schen Nobel­ko­mi­tees, an der Pres­se­kon­fe­renz die Orga­ni­sa­tion zitiert. Ein Slogan, der medial breit aufge­nommen wurde und nicht zuletzt dazu dient, die Nicht­wahl der eben­falls für den Preis nomi­nierte WHO zu legitimieren.

Diese Preis­ver­gabe und die Argu­men­ta­tion verschleiern aber die struk­tu­rellen Gründe für Hunger. Denn es wird nicht etwa zu wenig Essen produ­ziert, sondern die Menschen können es sich in ihrer Armut schlicht nicht leisten.

Nahrungs­mit­tel­preise für Soja und Mais sind gestiegen, weil mehr als die Hälfte der land­wirt­schaft­lich genutzten Fläche für die Produk­tion von Biodiesel und Futter­mittel verwendet wird. Kleinbäuer*innen produ­zieren zwei Drittel der mensch­li­chen Nahrungs­mittel, sind aber selbst der Gefahr einer unaus­ge­wo­genen Ernäh­rung und Hunger ausge­setzt. Weil sie für ihre Arbeit keine existenz­si­chernden Löhne erhalten.

Während subven­tio­nierte Agrar­pro­dukte aus dem globalen Norden sowie unfaire Handels­be­din­gungen den Aufbau einer stabilen Nahrungs­mit­tel­ver­sor­gung im globalen Süden verhin­dern, kommen struk­tu­rell produ­zierte Über­schüsse mitunter dem WFP zugute.

Im Jahr 2005 wurden laut Oxfam 90 Prozent der gesamten Nahrungs­mit­tel­hilfe in Form von Waren gelei­stet – vor allem die USA haben ihre land­wirt­schaft­li­chen Über­schüsse an Mais und Soja in Empfän­ger­län­dern depo­niert und damit lokale Märkte bedroht. 2017 hat der Bundesrat seine Nahrungs­mit­tel­hilfe an das WFP in Form von Schweizer Milch­pulver in Krisen­ge­biete gestoppt. Mit dem Aufkauf über­schüs­siger Schweizer Milch zu diesem Zweck wider­sprach der Bund mit dieser inlän­di­schen Export­sub­ven­tion dem Entwick­lungs­ziel, lokale Wirt­schaften zu fördern.

Heute erfolgen nur noch rund 20 Prozent aller Spenden in Form von Lebens­mit­teln, das WFP kauft möglichst lokal ein und setzt zudem vermehrt auf Bargeld­pro­gramme – es händigt die Unter­stüt­zung direkt in bar oder als E‑Geld auf Mobil­te­le­fone aus. Die Menschen können dadurch selbst entscheiden, was sie essen möchten, kurbeln durch ihre Kauf­kraft die lokalen Märkte an, und die Lebens­mittel müssen nicht per Flug­zeug, Schiff und Last­wägen verfrachtet werden. Doch auch dieser Ansatz über­windet die struk­tu­rellen Probleme nicht.

Trans­for­mieren, nicht normalisieren

In Uganda wird in der huma­ni­tären Hilfe eine als fort­schritt­lich gelobte Stra­tegie umge­setzt, indem Geflüch­teten ein Stück Land zur Bewirt­schaf­tung zuge­wiesen wird. Damit kann das WFP ihre Lebens­mit­tel­hilfe schritt­weise redu­zieren und ihre knappen Ressourcen in anderen Kata­stro­phen­ge­bieten einsetzen.

Es sind neoli­be­rale Werte, die einer solchen Politik für Geflüch­tete zugrunde liegen: Die betrof­fenen Menschen sollen aktiv Verant­wor­tung über­nehmen, es müssen Bedin­gungen für ihre ökono­mi­sche Produk­ti­vität geschaffen werden, und der Markt wird den Rest regeln. Klingt eigent­lich gut, nur greift dieses neoli­be­rale Verspre­chen wie meistens für die Ärmsten nicht. Denn diese gelangen trotz ihrer wirt­schaft­li­chen Akti­vi­täten selten auf einen sicheren Ast.

Daher lautet das viel­ge­fei­erte Schlüs­sel­wort ‚Resi­lienz’ – ein Eckpfeiler der Akti­vi­täten des WFP, der etwa durch unter­neh­me­ri­sche Initia­tiven und Schu­lungen im Agrarma­nage­ment die Wider­stands­fä­hig­keit der Betrof­fenen stärken soll, damit diese bei Krisen mit einem Minimum an externer Hilfe auskommen.

Wie eine Gruppe von Sozialwissenschaftler*innen für das subsa­ha­ri­sche Afrika aber aufzeigen konnte, verlangt dieses Konzept von Menschen und Bevöl­ke­rungen, „mit den Insta­bi­li­täten eines neoli­be­ralen Ernäh­rungs­sy­stems zu leben, ohne die eigent­li­chen Ursa­chen sozio­öko­no­mi­scher und poli­ti­scher Insta­bi­lität infrage zu stellen, zu desta­bi­li­sieren oder sich ihnen zu widersetzen”.

Mit dem Frie­dens­no­bel­preis wollte Alfred J. Nobel eigent­lich eine Person für ihre Frie­dens­be­mü­hungen würdigen – sei es durch diplo­ma­ti­sche Vermitt­lung, Frie­dens­kon­gresse oder mili­tä­ri­sche Abrüstung.

Wenn schon Hunger als eine Quelle von Konflikten ange­sehen wird, dann hätte der Preis Ansätze würdigen können, welche Ernäh­rungs­un­si­cher­heit nicht norma­li­sieren, sondern trans­for­ma­tive Ansätze zu deren Bekämp­fung verfolgen: mittels Regu­lie­rung des Agrar­roh­stoff­han­dels, Unter­stüt­zung klein­räu­miger land­wirt­schaft­li­cher Prak­tiken, Einsatz für faire Handels­ver­träge oder Konzernverantwortung.


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