Gelbe Socken und schwere Themen

Die junge Zürcher Band Fräu­lein Luise erzählt in ihren Liedern Geschichten aus dem Alltag – auch solche, die wehtun. Im Gespräch mit das Lamm spre­chen drei Mitglieder der Band über Dürren­matt, schwere Texte und tanz­bare Musik. 
Die junge Zürcher Band Fräulein Luise erzählt in ihren Liedern Geschichten aus dem Alltag. V.l.n.r: Aliosha Todisco, Olivia Merz, Paula Scharrer. Paul Studer war beim Gespräch nicht dabei. (Foto: Kira Kynd)

Das Lamm: Zum Anfang die wich­tigste Frage von allen: Wer oder was ist Fräu­lein Luise?

Olivia: Wir sind eine junge Zürcher Band, die während des Corona-Lock­downs im Früh­jahr 2020 zuein­an­der­fand und dann, eher über­ra­schend, 2021 den Musik­wett­be­werb Band-it gewonnen hat.

Warum war das überraschend?

Paula: Weil wir davor noch nie aufge­treten waren und auch erst viermal richtig mit der ganzen Band geprobt hatten. Mit diesem Sieg ging dann plötz­lich eine Türe auf und wir durften zahl­reiche Konzerte spielen. Momentan nehmen wir gerade einzelne Singles auf, die dann nach und nach erscheinen werden.

Die junge Zürcher Band Fräu­lein Luise, bestehend aus den vier Mitglie­dern Olivia Merz, Paula Scharrer, Paul Studer und Aliosha Todisco, gewann den ersten Preis am Band-it ZH 2021. Der Wett­be­werb stellte gleich­zeitig das erste gemein­same Konzert der vier dar. Ende Februar 2022 erscheint mit „Marie“ die erste Single-Auskopp­lung, ein Lied über sexua­li­sierte Über­griffe und den schwie­rigen Umgang damit. Die alle­samt 18-jährigen Mitglieder von Fräu­lein Luise gehen zur Schule oder studieren, alle kommen sie aus dem Gross­raum Zürich.

(Foto: © Fräu­lein Luise)

Wie ist das zu verstehen, dass ihr im Lock­down zusam­men­ge­kommen seid? Ihr wirkt, als würdet ihr euch alle schon seit Jahren kennen…

Olivia: Paula und ich sind Kinder­gar­ten­freun­dinnen. Während einem dieser berüch­tigten Lock­down-Spazier­gänge rief Paula dann die Band ins Leben. Ich holte noch Paul mit ins Boot, den ich aus der Schule kannte. Er kann heute leider nicht hier sein. Fast ein Jahr lang machten wir zu dritt mehr schlecht als recht Musik…

Paula: Ich schrieb irgend­welche Songs und bat die anderen, in die Proben zu kommen. Alle drei Wochen klappte das mal (lacht). Der Anfang war sehr harzig. Zu dritt nahmen wir dann an der Vorrunde vom Band-it teil. Zwei Tage bevor wir wussten, dass wir weiter sind, lernte ich Aliosha an der Critical Mass in Zürich kennen und fragte ihn, ob er Lust hätte, bei uns mitzumachen.

Und wie hört sich so eine zusam­men­ge­wür­felte Band an?

Aliosha: Musi­ka­lisch ist es wohl eher schwierig, uns in eine Schub­lade zu stecken. Meistens heisst es, wir würden Indie-Pop oder Indie-Rock machen, aber das sind zum Glück dehn­bare Begriffe.

Paula: Weil wir in unseren Songs verschie­dene Geschichten erzählen, bedienen wir uns auch unter­schied­li­cher Genres, um die ganze Breite mögli­cher Emotionen abzubilden.

Okay, jetzt ist klar „wer“ Fräu­lein Luise ist. Aber das mit dem Namen erschliesst sich mir noch immer nicht richtig.

Paula: Der Name ist eine Parodie auf den Zürcher Musiker Faber, der sich ja nach einer Haupt­figur aus dem gleich­na­migen Max-Frisch-Roman benannt hat. Auf mich wirkte das immer etwas machoid, vor allem, wenn man das Buch kennt. Fräu­lein Luise dagegen ist eine eher unwich­tige Neben­figur in Dürren­matts Besuch der alten Dame. Sie betritt zwei Mal die Bühne und sagt nichts, aber beim zweiten Mal wird den Zuschauer:innen klar, dass die Geschichte jetzt eine Wendung nimmt. Uns gefiel die Vorstel­lung, von einer lite­ra­ri­schen Figur reprä­sen­tiert zu werden, die unwichtig scheint, aber nicht unwichtig ist. Deswegen tragen wir an unseren Konzerten auch immer gelbe Socken.

Wie bitte?

Paula: Na ja, gelbe Schuhe, eigent­lich Pumps, spielen in Der Besuch der alten Dame ja eine beson­ders wich­tige Rolle, da gehe ich jetzt nicht ins Detail. Auf alle Fälle hat sich das bei uns so etabliert.

Ihr habt vorhin gemeint, dass ihr in euren Songs Geschichten aus eurem Leben erzählt. Eure kommende Single „Marie“ handelt von sexua­li­sierter Gewalt. Das ist irgendwie ein unüb­lich schweres Thema für eine Debütsingle.

Paula: Das Lied beruht auf einem Gespräch mit einer Freundin, die einen Über­griff erlebt hatte. Damals wusste ich nicht, wie ich reagieren muss: Was tun, wenn sich jemand mit so einer Sache öffnet? In „Marie“ geht es also nicht primär um die sexua­li­siere Gewalt oder den Über­griff, sondern um die Frage, wie man als befreun­dete Person mit so einer Situa­tion umgeht oder eben nicht umgeht.

Es geht also um Überforderung?

Paula: Ja, genau. Ich glaube, uns wurde nie wirk­lich beigebracht, wie man sich in einer solchen Situa­tion zu verhalten hat. Wenn ich jetzt zurück­schaue, merke ich, dass ich falsch reagiert habe.

Kann man solche Themen über die Musik denn anders oder gar besser behan­deln als in einem Vieraugengespräch?

Olivia: Wenn wir nur den musi­ka­li­schen Teil dieses Songs anschauen, dann steht dieser ja in einem gewissen Kontrast zum Text, weil er teil­weise sogar tanzbar ist. Das ist eine Erzähl­ebene, die beim reinen Spre­chen wegfällt, aber zusätz­lich diese Über­for­de­rung verdeut­li­chen kann, indem eine quasi absurde Situa­tion entsteht.

Ihr seid Newcomer. Habt ihr nicht Angst, dass ihr mit solchen Themen Menschen vor den Kopf stosst?

Olivia: Ich glaube, wenn wir unsere Themen ändern müssen, um erfolg­reich zu sein, sind wir eben nicht erfolgreich.


Jour­na­lismus kostet

Die Produk­tion dieses Arti­kels nahm 18 Stunden in Anspruch. Um alle Kosten zu decken, müssten wir mit diesem Artikel CHF 1196 einnehmen.

Als Leser*in von das Lamm konsu­mierst du unsere Texte, Bilder und Videos gratis. Und das wird auch immer so bleiben. Denn: mit Paywall keine Demo­kratie. Das bedeutet aber nicht, dass die Produk­tion unserer Inhalte gratis ist. Die trockene Rech­nung sieht so aus:

Soli­da­ri­sches Abo

Nur durch Abos erhalten wir finan­zi­elle Sicher­heit. Mit deinem Soli-Abo ab 60 CHF im Jahr oder 5 CHF im Monat unter­stützt du uns nach­haltig und machst Jour­na­lismus demo­kra­tisch zugäng­lich. Wer kann, darf auch gerne einen höheren Beitrag zahlen.

Ihr unter­stützt mit eurem Abo das, was ihr ohnehin von uns erhaltet: sorg­fältig recher­chierte Infor­ma­tionen, kritisch aufbe­reitet. So haltet ihr unser Magazin am Leben und stellt sicher, dass alle Menschen – unab­hängig von ihren finan­zi­ellen Ressourcen – Zugang zu fundiertem Jour­na­lismus abseits von schnellen News und Click­bait erhalten.

In der kriselnden Medi­en­welt ist es ohnehin fast unmög­lich, schwarze Zahlen zu schreiben. Da das Lamm unkom­mer­ziell ausge­richtet ist, keine Werbung schaltet und für alle frei zugäng­lich bleiben will, sind wir um so mehr auf eure soli­da­ri­schen Abos ange­wiesen. Unser Lohn ist unmit­telbar an eure Abos und Spenden geknüpft. Je weniger Abos, desto weniger Lohn haben wir – und somit weniger Ressourcen für das, was wir tun: Kriti­schen Jour­na­lismus für alle.

Ähnliche Artikel

Einmal selbst Bulle sein

Personenkontrollen durchführen und mit der Dienstwaffe auf Verdächtige zielen: Im Videospiel Police Simulator: Patrol Officers spielt man Streifenpolizist*in. In seiner Spielkritik zeigt Thomas Spies, wie die Spielgestaltung eine idealisierte Sicht auf die Polizei fördert.