Die links-alternativ-grüne Mehrheit im Genfer Stadtparlament stimmt der Initiative „Zéro pub“ zum Verbot kommerzieller Werbeplakate zu. Laut der Initiative sollen keine konsumtreibenden Werbeplakate mehr im öffentlichen Raum der Stadt zu sehen sein.
Nicht betroffen sein sollen Plakate für die Bewerbung kultureller Veranstaltungen und solche der Polizei, die auf Gefahren aufmerksam machen. Ausserdem beschränkt sich das Verbot nur auf den öffentlichen Raum der Stadt – private Flächen und kantonale Grundstücke sind ausgenommen.
Nach einem mehrjährigen Rechtsstreit hat das Bundesgericht die schon 2017 von mehreren zivilgesellschaftlichen Organisationen eingereichte Initiative als gültig erklärt und sie wurde nun vom linksdominierten Parlament angenommen.
Dies entgegen der Haltung der ebenso linken Exekutive, die die drohenden Einbussen von 4,3 Millionen Schweizer Franken infolge der Initiative als schädlich für das jetzt schon defizitäre Budget ansieht. Ausserdem bestünden schon strikte Regeln für kommerzielle Werbung wie zum Beispiel ein Verbot diskriminierender und sexistischer Plakate.
Dass ein Verbot von kommerzieller Werbung ein probates Mittel ist, um Konsum zu minimieren, weiss man hierzulande spätestens seit dem teilweise eingeführten Werbeverbot für Tabakprodukte von 1995, wie Untersuchungen des Bundesamtes für Gesundheit (BAG) zeigen.
Darüber hinaus ist klar, dass ein Verbot von kommerzieller Werbung nicht nur aus gesundheitspolitischer, sondern auch aus klima- und wirtschaftspolitischer Perspektive ein wichtiger Schritt ist, um unsoziale und klimaschädliche Praktiken von Unternehmen zu brechen.
Denn wie eine im November 2020 erschienene Studie des Thinktanks New Weather Institute zeigt, trägt kommerzielle Werbung indirekt zum Klimawandel bei, indem sie unter anderem die Konsument:innen in materialistischen Werten und Zielen bestärkt und den konsumtreibenden Arbeits- und Ausgabenzyklus insgesamt befördert. Kommerzielle Werbung fungiert also einerseits als Grundlage des wachstumsorientierten, nicht-nachhaltigen und energieintensiven Marktliberalismus, andererseits befördert sie dadurch die Reproduktion von marktliberaler Ideologie.
Dass bürgerliche Akteur:innen von der Genfer CVP bis hin zur NZZ nach dem Entscheid des Genfer Stadtparlamentes nun allerlei Schreckensszenarien an die Wand malen, darf nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Initiative weniger radikal ist, als sie klingt, da sie neben privaten Werbeflächen auch Direktwerbung – also jene, die direkt nach Hause verschickt wird – sowie Presse- und Internetwerbung ausnimmt. Die Initiative ist ein erster Schritt – und somit Teil einer Politik der kleinen Schritte, die dafür sorgt, dass links-grüne Anliegen im Sinne des Kompromisses immer mehr verwässert, in die Mitte gerückt und die drängenden Probleme somit nicht an der Wurzel angegangen werden.
Das Verbot von kommerzieller Werbung im öffentlichen Raum ist richtig und wichtig. Es betrifft jedoch nur einen kleinen Teil der Werbeindustrie. Laut der Stiftung Werbestatistik beliefen sich die schweizweiten Netto-Werbeumsätze der Aussenwerbung, also der Werbung im öffentlichen Raum, im Jahr 2020 auf 10 Prozent des Werbeumsatzes von insgesamt 3,7 Milliarden. Einen grösseren Anteil am Kuchen haben die Direktwerbung, (22,2 Prozent), die Pressewerbung (19,5 Prozent), die TV-Werbung (16,5 Prozent), Werbeartikel (16,4 Prozent) und Onlinewerbung (12,4 Prozent, Suchmaschinenwerbung und Social Media wurden dabei aber nicht berücksichtigt).
Das Genfer Verbot bezieht sich also nur auf einen Zehntel des gesamten schweizweiten Werbeumsatzes und trägt dazu bei, dass kommerzielle Werbetreibende nun wohl vermehrt auf Inserate in lokalen privaten Medien und auf Onlinewerbung ausweichen werden. Die Tribune de Genève (Tamedia) und globale Internetkonzerne werden ihre Freude daran haben.
Ausserdem wird das Verbot nichts am Ausmass der Werbeinvestitionen der grössten inseratschaltenden Firmen Coop (374 Millionen Schweizer Franken im Jahr 2020) und Migros (196 Millionen) ändern.
Dass sich das Verbot nur auf den öffentlichen Raum beschränkt und voraussichtlich erst 2025 eingeführt wird – gut acht Jahre, nachdem die Initiative eingereicht wurde – spricht Bände. Die immer schneller stattfindende Verlagerung von Werbung auf digitale Kanäle wird nicht berücksichtigt und die Politik lässt sich mit Entscheidungen und Massnahmen zu viel Zeit.
Es bedürfte gezielterer und schnellerer Verbote von kommerzieller Werbung, die flächendeckend – im öffentlichen Raum, online, im Fernsehen, bei der Direktwerbung – angewendet werden müssten. Vor allem bei Detailhandelsunternehmen wie Coop und Migros, deren Aufgabe in der Distribution von Produkten des alltäglichen Gebrauches liegt.
Obwohl die Initiative das Problem der kommerziellen Werbung nicht grundsätzlich angeht, sondern es einfach auf andere Ebenen verlagert, hat ihre Annahme trotzdem eine positive Signalwirkung auf den Rest der Schweiz, da ähnliche Anliegen zuvor noch nie Zustimmung erhielten. Der Parlamentsentscheid zeigt, dass die kommerzielle Werbung als Triebwerk des Marktliberalismus auch hierzulande mehr unter Beschuss gerät.
Der Genfer Entscheid ist Anlass, das Anliegen weiterzutragen, es aber auf die Direkt‑, Internet- und Pressewerbung auszuweiten und einen bundesweiten Versuch zu seiner Umsetzung zu lancieren. Denn erst ein grundsätzliches und flächendeckendes Verbot würde zu einer effizienten und wirkungsvollen Einschränkung von kommerzieller Werbung führen.
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