- Sacha (49) und Jean (44): „Es ist doch gar nicht negativ, wenn unser Aktivismus ein Hobby ist.“
- Jann (24): „Für mich ist Aktivismus eher eine Haltung als eine Tätigkeit.“
- Paula (16): „Es gibt auch Zeiten, da haben wir nur 2–3 Sitzungen pro Woche.“
Das Leben als Aktivist*in: eine Serie
Immer öfters hört man von Menschen, die ihr „normales“ Berufsleben hinter sich lassen und zu Vollzeit-Aktivist*innen werden – für das Klima oder generell für eine gerechtere Welt. Das Lamm hat sie begleitet, interviewt und ihre Lebensweise hinterfragt.
Teil 1: Wie hart ist das Aktivist*innen-Leben? Ein Selbstversuch.
Teil 2: Die Klimakrise spornt zu Höchstleistungen an. Das Care-Team kümmert sich um die Ausgebrannten.
Teil 3: Drei Gespräche mit Aktivist*innen über Geld, Motivation und Probleme.
Sacha (49) und Jean (44): „Es ist doch gar nicht negativ, wenn unser Aktivismus ein Hobby ist.“
Kosten reduzieren. Das ist das Geheimrezept der Vollzeitaktivist*innen Sacha und Jean. Der Liechtensteiner und die Spanierin ziehen mit ihrem Caravan durch Europa und versorgen mithilfe einer mobilen Grossküche überall, wo sie hinkommen, hungrige Aktivist*innen. Verdienen tun sie dabei nichts. Das Lamm hat Sacha und Jean gefragt, wie es dazu kam, was sie aus ihrem früheren, sesshaften Leben am meisten vermissen und ob sie nicht Angst haben, im Alter von Armut betroffen zu sein. Denn unsere Altersvorsorge basiert nun mal auf dem, was wir an Geld nach Hause getragen haben.
das Lamm: Sacha, Jean, ihr habt einen etwas speziellen Lebensentwurf gewählt. Könnt ihr uns ein wenig darüber erzählen?
Sacha: Wir haben uns dazu entschieden, als Kochnomad*innen die Proteste für eine gerechtere Welt zu unterstützen. Deshalb reisen wir mit der mobilen Aktionsküche des KochKollektivs von Aktion zu Aktion. Zusammen mit vielen weiteren ehrenamtlichen Helfer*innen haben wir beispielsweise an der Klimakonferenz in Madrid für bis zu 2000 Menschen gekocht. An der Winterwanderung gegen das World Economic Forum (WEF) in Davos versorgten wir 600 Leute. Und an der Demo für eine nachhaltige Landwirtschaft Ende Februar werden wir in Bern 500 Menschen bekochen. Unser Zuhause, einen Caravan, haben wir immer dabei.
Aber ein bisschen Geld zum Leben brauchen wir doch alle. Wie läuft das bei euch?
Jean: Wir brauchen nicht mehr so viel Geld, weil wir unsere Ausgaben bewusst runtergeschraubt haben. Zudem habe ich früher im Bereich Design gearbeitet. Heute entwerfe ich immer noch Strickmuster, die ich online verkaufe. Das bringt uns nicht so viel Geld ein, aber im Januar waren es doch 200 Franken. Ein bisschen was haben wir auch noch auf der Seite und zum Glück wird es bald Frühling.
Was haben denn die Jahreszeiten damit zu tun?
Sacha: Wir brauchen zusammen momentan etwa 300 Franken pro Monat. Davon ist der grösste Teil Gas zum Heizen des Caravans. Wenn es richtig kalt ist draussen, dann können das 10 Franken pro Tag sein. Diese Kosten fallen weg, sobald es wärmer wird. Zudem sehen wir uns auch gerade nach einem Holzofen um. Das wäre dann auch billiger.
Für was braucht ihr denn sonst noch Geld?
Sacha: Wenn wir nicht gerade auf dem Weg von einer Kochaktion zur anderen sind, brauchen wir noch Essen und Benzin. Und natürlich die Krankenkassenprämien. Aber ich plane, mich bei Jean in Spanien anzumelden. Dort kostet das weniger als in Liechtenstein. Ein unterstützender Faktor ist sicher auch, dass unser Engagement das Kochen ist. Essen ist also die meiste Zeit genug da.
Jean: Und wir sind mobil. Wir haben unser Haus immer mit dabei. Schon als ich 20 Jahre alt war, wollte ich in einem Wohnwagen leben. (lacht)
Sacha: Essen für Silke, unsere Hündin, brauchen wir auch noch. Und Geld für Tabak und manchmal ein Bier.
Wie kam es dazu, dass ihr euch so engagiert?
Sacha: Meine Geschichte als Kochnomade startete im Jahr 2011. Damals organisierten wir in Liechtenstein ein Nachhaltigkeitsfestival und versuchten, die Besucher*innen gut, vegan, bio und gesund zu versorgen, was sich als gar nicht so einfach herausstellte. Das lokale Cateringunternehmen verstand nicht so recht, was wir wollten. Bei der Suche nach einer Lösung stiessen wir auf das Buch 24 Rezepte zur kulinarischen Weltverbesserung von Wam Kat, der in den Niederlanden die rollende und vegetarische Aktionsküche Rampenplan mitbegründet hat. Das hat uns dazu inspiriert, die Menschen am Nachhaltigkeitsfestival mithilfe eines 30-Liter-Topfes selbst zu bekochen. Mit der Zeit wurden wir immer mehr Teil des internationalen Netzwerks mobiler Aktionsküchen. Heute fasst unser grösster Topf 350 Liter. Und seit Mai 2019 leben Jean und ich zusammen in diesem Caravan und sind mit ein paar Unterbrüchen Vollzeit für die Umwelt und eine gerechtere Welt unterwegs.
Jean: Kennengelernt haben wir uns an einer Kochaktion im Januar, bei welcher ich spontan aushalf, da Sacha lediglich einen Helfer dabei hatte. Da ich mich schon vorher vegan ernährte, war ich sofort begeistert von dieser mobilen und veganen Aktionsküche. Heute organisieren wir die Einsätze des KochKollektivs gemeinsam und reisen zusammen von Aktion zu Aktion. Zuerst hatten wir nur ein Zelt. Dann einen Bus. Der Caravan fühlt sich deshalb nun richtig luxuriös an. (lacht)
Hat euer Engagement negative Folgen für euch?
Sacha: Auch wenn wir ganz viele spannende Menschen treffen auf unseren Reisen: Alte Freundschaften müssen hintenanstehen. Zudem hat das mobile Leben auch Nachteile. Früher war ich bei verschiedenen Projekten engagiert, bei denen man vor Ort sein muss. Zum Beispiel in einer Gartenkooperative. Wenn man immer unterwegs ist, kann man sich bei solchen Projekten aber einfach nicht mehr einbringen.
Jean: Für mich ist die grösste Herausforderung, in einem Land zu sein, wo ich die Sprache nicht spreche. Bei manchen Diskussionen oder in gewissen Gruppen fühle ich mich einfach nicht ganz integriert, weil die Leute, ohne es zu merken, von Englisch wieder auf Deutsch wechseln. Und ich vermisse das gute Wetter in Spanien. Aber eben, eigentlich wollte ich schon immer einmal so leben. Mobil und ausserhalb Spaniens. Und mit meiner Familie geht das gerade auch ganz gut. Meine Kinder sind ziemlich unabhängig. Meine Tochter ist 19 und lebt in Grossbritannien. Mein Sohn ist 23 und reist gerade durch Europa. Wie ich also. (lacht)
Sacha: Bei mir ist das nicht so einfach. Meine Kinder sind jünger, 15 und 17 Jahre alt. Mit Jean habe ich zwar jemanden getroffen, mit dem ich meinen Traum von der mobilen Aktionsküche leben kann. Aber ich vermisse meine Kinder. Das ist wahrscheinlich das Härteste daran.
Habt ihr keine moralischen Bedenken, den Aktivismus höher zu gewichten als eure Familie?
Jean: Ich habe viele Jahre meines Lebens meinen Kindern gewidmet. Sobald sie unabhängig wurden, fühlte ich mich aber auch wieder frei zu tun, was ich tun möchte. Und ich habe ihre volle Unterstützung. Sie finden toll, was ich tue.
Sacha: Eine berechtigte Frage, die ich mir auch immer wieder stelle. Und ich habe auch Zweifel. Gleichzeitig sehe ich meine Verantwortung meinen Kindern und möglichen Enkeln gegenüber darin, nicht dem Geld nachzurennen, sondern meine Energie in eine enkeltaugliche Zukunft zu investieren.
Und was ist mit eurer Pensionskasse? Habt ihr nicht Angst, dass ihr im Alter Geldprobleme haben könntet? Unsere Altersvorsorge basiert ja schon auf einem Einkommen.
Sacha: Ich versuche schon, das Liechtensteiner Minimum der AHV einzubezahlen.
Jean: Darüber möchte ich gar nicht nachdenken.
Sacha: Durch die Art und Weise, wie wir gerade leben, lernen wir so viele Menschen kennen, die ein ganz anderes Verständnis von Solidarität haben. Deshalb denke ich, dass es in Zukunft mehr Platz geben wird für ältere Menschen. Orte, wo man sich um Menschen mit speziellen Bedürfnissen kümmert, ohne diese Abhängigkeit von staatlichen Institutionen.
Was motiviert euch?
Jean: Es ist echt schön zu sehen, dass Menschen nicht nur für Geld den Arsch hochkriegen.
Sacha: Mit dieser Arbeit können wir ein Teil des Wandels sein, den wir gerne sehen möchten.
Jean: Und natürlich die Liebe. Wir sind beide Hals über Kopf ineinander verliebt. Ich denke, dass auch das ein wichtiger Grund ist, weshalb wir dieses verrückte Nomadenleben so geniessen. Gleichzeitig stecken wir viel Leidenschaft in alles, was wir machen und unterstützen Menschen, die versuchen, eine bessere Welt für uns alle zu schaffen. Für mich ist es klar: Love is the answer. (lacht)
Was sagt ihr dazu, dass viele Leute Aktivismus als ein Hobby betrachten?
Jean: Das ist doch nicht negativ, wenn sie sagen, das sei unser Hobby. Es ist doch gut, wenn wir Freude haben an dem, was wir machen. Wenn alle ihre Zeit für etwas einsetzen würden, das sie mögen, wäre die Welt vielleicht besser. Hätten wir ein bedingungsloses Grundeinkommen, würden das vielleicht mehr Leute machen.
Sacha: Klar, durch unseren Aktivismus verdienen wir zwar kein Geld. Aber wir kriegen Freundschaften, Netzwerke, Freude, Glück und wir lernen viel darüber, wie man jenseits der gängigen Muster leben kann. Das ist mehr wert als Geld. Es ist faszinierend zu sehen, was alles möglich ist, wenn man aufhört, für Geld zu arbeiten.
Ihr seht das alles ziemlich positiv.
Jean: Ja. Wir wollen noch etwas machen, bevor wir in den Ruhestand gehen. Und vielleicht sind wir arm. Aber wir haben Zeit. Wir sind Zeit-Millionäre.
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Jann (24): „Für mich ist Aktivismus eher eine Haltung als eine Tätigkeit.“
Jann hat sein Studium abgebrochen und ist Vollzeit-Klimaaktivist. Während andere für Geld arbeiten, schreibt er jeweils die Kommunikationsstrategie für den Klimastreik – ohne einen Stundenlohn. Wir wollten von ihm wissen, ob er sich nicht wünscht, dass diese ganze Gratisarbeit bald nicht mehr nötig ist.
das Lamm: Jann, du bezeichnest dich als Vollzeitaktivist. Verdienen tut man dabei aber nichts. Wie finanzierst du dich?
Jann: Ich wohne in Bern in einem günstigen WG-Zimmer und arbeite ein bis zwei Tage pro Monat gegen Geld als selbstständiger Filmemacher. Zusammen mit dem, was meine Freundin verdient, kommen dann etwa 1500 Franken pro Monat rein. Das reicht uns zum Leben. Mein Studium der Filmwissenschaften habe ich abgebrochen, damit ich mich komplett für das Klima einsetzen kann.
Das Studium abzubrechen ist keine leichte Entscheidung. Wie kam es dazu?
Eigentlich fehlten mir nur noch ein paar Wochen bis zu meinem Bachelorabschluss. Aber ich habe immer stärker gespürt, dass mit diese Ausbildung Perspektiven verspricht, die sie gar nicht halten kann. Andererseits passierten in der Klimastreik-Bewegung genau die Entwicklungen, nach denen ich gesucht hatte. Beim Klimastreik kann ich gerade viel mehr lernen als im Studium. Zudem wollte ich mich nicht dem Leistungsdruck dieser Gesellschaft unterwerfen. Ich konnte vom Studium mitnehmen, was mir als nützlich und wichtig erschien, und brauche kein Diplom, das mir sagt, was ich kann und bin.
Findest du, dass dies nach wie vor die richtige Entscheidung war?
Ich hinterfrage das täglich. Aber das habe ich auch an der Uni gemacht. Sogar noch mehr.
Wie genau sieht dein Engagement beim Klimastreik aus?
Wir erstellen gerade einen Kommunikationsplan für den Klimastreik. Die Menschen sind bezüglich der Klimakrise auf verschiedenem Wissenssstand. Die einen haben den Ernst der Lage noch nicht verstanden. Anderen fehlt das Bewusstsein dafür, dass auch sie etwas ändern können. Wir wollen unsere Kommunikationsstrategie entsprechend anpassen. Zudem bewegen sich die Menschen in verschiedenen Lebenswelten: Die einen sind vielleicht eher städtisch-liberal, die anderen traditionell-christlich. Je nachdem muss man anders auf sie zugehen, wenn man sie erreichen will. Deshalb schauen wir gerade, welche Menschen aus welchen Lebenswelten wir bereits im Klimastreik mit dabeihaben und wo diese in der Kommunikation mit bestimmten Gruppen wichtig sein könnten. Wir wollen die Schnittstellen stärken und dadurch mehr Gruppen mit an Bord holen.
Zudem erarbeiten wir gerade ein Tool, mit dem es möglich sein wird, den ganzen Organismus „Klimastreik“ mit all seinen Arbeitsgruppen und Vernetzungen bildlich darzustellen. Denn es ist für Aussenstehende ziemlich schwer zu verstehen, wie wir organisiert sind. Das würden wir gern transparenter machen.
Wie lange machst du das schon?
Ich würde sagen, dass mein Leben seit etwa einem Jahr nur noch Aktivismus ist. Obwohl es manchmal halt auch gar nicht so einfach ist, zu sagen, ob etwas nun aktivistisch ist oder nicht. Wenn ich zum Beispiel ein Abendessen vorbereite für eine Gruppe Klimastreikende, dann ist das ja eigentlich nur kochen. Ist das nun Aktivismus oder nicht? Für mich ist Aktivismus deswegen mehr eine Haltung als eine Tätigkeit.
Diese Haltung bestimmt dein Leben momentan ziemlich stark. Stört dich das nicht manchmal auch?
Ich finde es halt logisch, dass man sich für das Klima einsetzt. Wenn man sich die Situation genau anschaut, dann gibt es gar keine andere Möglichkeit.
Du siehst dich also auch ein wenig dazu gezwungen, dein Leben so zu führen, wie du es gerade tust. Ein Leben, das viel unbezahlte Arbeit beinhaltet. Würdest du dir wünschen, die Klimakrise wäre schon gelöst, damit du wieder normal Geld verdienen könntest?
Jein, der Weg, den wir gerade beschreiten, ist ja auch sehr spannend. Zudem finde ich, dass das System der Lohnarbeit sowieso überholt ist. Wir wollen gar nicht darauf hinarbeiten, dass wir uns irgendwann als Klimastreikende einen Lohn auszahlen können. Vielmehr wollen wir Strukturen schaffen, in denen wir unsere Grundbedürfnisse kollektiv und solidarisch decken können. Dafür sind wir momentan auch auf der Suche nach Menschen, Stiftungen und anderen Geldgeber*innen, die sich dazu bereit erklären würden, in einen Solidaritätstopf einzubezahlen, aus dem die Klimaaktivist*innen dann ihre Grundbedürfnisse decken könnten.
Was wäre in diesem Fall denn der Unterschied zwischen Aktivismus und Lohnarbeit?
Man kriegt nicht Geld, damit man eine gewisse Anzahl Arbeitsstunden erledigt, sondern um seine Grundbedürfnisse zu decken, damit man seine Energie in den Kampf gegen die Klimakrise stecken kann und sich nicht täglich darum sorgen muss, ob man sich nun etwas zu essen leisten kann oder nicht. Es gibt viele Menschen, die gerne mehr tun würden, jedoch nicht wissen, was, oder ihren Job sehr sinnvoll finden und diesen nicht aufgeben möchten. Diese Menschen könnten uns zum Beispiel finanziell unterstützen und uns dadurch mehr Zeit schenken.
Und wie würde man bestimmen, wer aus diesem Topf Geld beziehen dürfte?
Das muss noch genau ausgearbeitet werden. Grundsätzlich ist die Idee aber, dass wir gemeinsam Richtlinien erarbeiten würden, welchen alle zustimmen könnten. Es geht einfach darum, ein kollektives Gefäss zu schaffen, damit nicht jede*r individuell schauen muss, wie man den Aktivismus und das eigene Überleben unter einen Hut bringen kann.
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Paula (16): „Es gibt auch Zeiten, da haben wir nur 2–3 Sitzungen pro Woche.“
Im letzten Sommer hat Paula die Sekundarschule beendet und sich dazu entschieden, ein Zwischenjahr zu machen, um genug Zeit für den Klimastreik zu haben. Arbeiten geht Paula daneben vor allem, um ihr Engagement finanzieren zu können. Während sie in den Wochen vor einem Streik oder einer Demo ihre ganze Zeit und Energie in den Klimastreik stecke, gebe es aber auch Zeiten, in denen sie „nur 2–3 Sitzungen pro Woche“ habe. Das Lamm wollte von Paula wissen, wie es sich anfühlt, so viel Zeit für die Klimabewegung aufzubringen und ob sie sich vorstellen kann, langfristig Teil der Proteste zu bleiben.
das Lamm: Paula, du bist aktiv beim Klimastreik Zürich. Wieviel Zeit nimmt dieses Engagement ein?
Paula: Während ich in den Wochen vor einem Streik oder einer Demo meine ganze Zeit und Energie in den Klimastreik stecke, gibt es auch Zeiten, in denen ich nur etwa 2–3 Sitzungen pro Woche habe und neben meinen anderen Aktivitäten nur wenige Stunden am Tag in den Klimastreik investiere.
Wenn du deine Arbeit in Stellenprozent ausdrücken müsstest: Wieviel Prozent würdest du deiner Aktivistinnen-Stelle geben?
Hm, das ist eine schwere Frage. Das kommt sehr darauf an. Wie gesagt haben wir manchmal Phasen, in denen wir alle 100 Prozent arbeiten. In „inaktiveren“ Zeiten ist es etwa nur die Hälfte. Durchschnittlich würde ich also etwa 60 Prozent sagen.
Das ist viel Zeit. Und verdienen tut man dabei ja nichts. Essen und wohnen müssen wir aber alle irgendwie bezahlen. Wie geht das bei dir?
Da ich noch bei meinen Eltern wohne, bin ich in der glücklichen Situation, dass ich keine hohen Fixkosten habe. Was bleibt, sind die Ausgaben für den Klimaaktivismus. Zum Beispiel die Fahrkosten mit dem Zug nach Madrid an die Klimakonferenz oder an die Aktionen gegen den Kohleabbau in Deutschland von Ende Gelände. Und leider ist das Zugfahren halt immer noch um einiges teurer als das Fliegen. Das Geld, das ich hierfür brauche, bekomme ich durch mein Praktikum als Tierarzthelferin und mit diversen Ferienjobs zusammen.
Wie lange bist du bereits aktiv? Und wie kam es dazu?
Bei den Klimastreiks in der Schweiz war ich von Anfang an dabei. Also jetzt ziemlich genau seit einem Jahr und kam so nach und nach immer mehr rein. Ich bin schon sehr früh immer wieder bei Demonstrationen mitgelaufen. Mir waren die Umwelt und die Natur schon immer sehr wichtig und ich habe nie verstanden, wie wir so damit umgehen können. Doch erst mit dem Klimastreik habe ich endlich die Möglichkeit bekommen, selbst aktiv etwas bewirken zu können.
Welche Aufgaben und Verantwortungen übernimmst du im Rahmen des Klimastreiks?
Die Aufgaben sind sehr unterschiedlich und hängen davon ab, welches Projekt gerade ansteht. Vor einem Streik bilden wir jeweils ein Grüppchen, welches die Koordination der Arbeiten übernimmt. Neben diesen wechselnden Gruppen sind wir aber auch in fixen Arbeitsgruppen, sogenannten AGs, organisiert. Momentan bin ich vor allem in der AG Mobilisierung und natürlich in den Vorbereitungen für den „Strike for Future“ am 15. Mai aktiv.
Hat dein Engagement negative Folgen für dich?
Ich wurde häufig aus meinem Umfeld blöd angemacht, weil ich mich fürs Klima einsetze. Viele verstehen das Ausmass der Krise nicht. Von den Leuten habe ich mich allerdings langsam distanziert, als ich merkte, dass sie gar nichts davon hören, geschweige denn etwas ändern wollten. Zudem musste ich mir auf jeden Fall die Zeit neu einteilen und auf einiges verzichten. Als ich noch in der Schule war, musste ich sehr viel nacharbeiten und hatte viel mehr zu tun – doch das war es mir wert! Jetzt bin ich ja zum Glück im Zwischenjahr und arbeite nur vormittags, um an den Nachmittagen an Sitzungen gehen zu können.
Eine weitere Veränderung, die ich bemerkt habe, ist, dass es ehrlich gesagt etwas schwierig geworden ist, persönliche Kontakte ausserhalb des Klimastreiks zu pflegen, da ich oft zum Beispiel nach Sitzungen gerne mit den Menschen vom Klimastreik den Abend verbringe. Daraus haben sich aber auch sehr viele neue Freundschaften gebildet.
Zudem leidet in den Phasen vor einem Streik oder einer Demo natürlich auch der Schlaf. Viele Sitzungen gehen dann bis spät abends und anschliessend müssen noch Aufgaben erledigt werden.
Wieso engagierst du dich trotzdem?
Vielleicht sollte die Frage eher heissen „Warum engagieren sich Menschen nicht für die Erhaltung unseres Planeten?“. Für mich ist das gar keine Frage, denn es geht doch um nichts Geringeres als um meine, als um unsere Zukunft! Natürlich müssen wir Prioritäten setzen und die persönliche Freizeit wird eingeschränkt, aber trotz allem kann ich sagen, dass es das Beste ist, für das ich meine Zeit einsetzen kann! Es gibt so viel Hoffnung und Kraft, bei einem derart grossen Wandel mitwirken zu können, zu merken, dass man nicht allein ist und zu sehen, wie viele andere Menschen gleich denken. Gemeinsam können wir gegen die Klimakrise und für eine gemeinsame Zukunft kämpfen.
Kannst du dir vorstellen, die nächsten 5 bis 10 Jahre so weiterzumachen?
Ich hoffe, dass es nicht nötig sein wird, dies noch so lange weiterzuführen. Aber falls doch, würde ich natürlich alle Zeit, die neben meiner Lehre bleiben wird, dafür einsetzten!
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