Drei Gespräche mit Aktivist*innen über Geld, Moti­va­tion und Probleme

Jede Stunde, die man in akti­vi­sti­sche Arbeit steckt, fehlt einem, um Geld verdienen zu können. Wir haben mit Aktivist*innen aus verschie­denen Lebens­rea­li­täten geredet, die trotz dieser Heraus­for­de­rung einen Weg gefunden haben, ihren Akti­vismus nicht nur als kleine Neben­be­schäf­ti­gung zu leben. 
Die demonstrierende Masse durch die Gassen manövrieren – auch das gehört zur Arbeit einer Klimastreikenden dazu. (Foto: Ursula Markus)

Das Leben als Aktivist*in: eine Serie

Immer öfters hört man von Menschen, die ihr „normales“ Berufs­leben hinter sich lassen und zu Vollzeit-Aktivist*innen werden – für das Klima oder gene­rell für eine gerech­tere Welt. Das Lamm hat sie begleitet, inter­viewt und ihre Lebens­weise hinterfragt.

Teil 1: Wie hart ist das Aktivist*innen-Leben? Ein Selbstversuch.

Teil 2: Die Klima­krise spornt zu Höchst­lei­stungen an. Das Care-Team kümmert sich um die Ausgebrannten.

Teil 3: Drei Gespräche mit Aktivist*innen über Geld, Moti­va­tion und Probleme.

Teil 4: Ist das Arbeit oder kann das weg? Eine Analyse.

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Sacha (49) und Jean (44): „Es ist doch gar nicht negativ, wenn unser Akti­vismus ein Hobby ist.“

Kosten redu­zieren. Das ist das Geheim­re­zept der Vollzeitaktivist*innen Sacha und Jean. Der Liech­ten­steiner und die Spanierin ziehen mit ihrem Caravan durch Europa und versorgen mithilfe einer mobilen Gross­küche überall, wo sie hinkommen, hung­rige Aktivist*innen. Verdienen tun sie dabei nichts. Das Lamm hat Sacha und Jean gefragt, wie es dazu kam, was sie aus ihrem früheren, sess­haften Leben am meisten vermissen und ob sie nicht Angst haben, im Alter von Armut betroffen zu sein. Denn unsere Alters­vor­sorge basiert nun mal auf dem, was wir an Geld nach Hause getragen haben.

Sacha und Jean bei der Kochaktion für die Winterwanderung nach Davos gegen das World Economic Forum (WEF)
Sacha und Jean bei der Koch­ak­tion für die Winter­wan­de­rung nach Davos gegen das World Economic Forum (WEF). (© André Rießler)

das Lamm: Sacha, Jean, ihr habt einen etwas spezi­ellen Lebens­ent­wurf gewählt. Könnt ihr uns ein wenig darüber erzählen?

Sacha: Wir haben uns dazu entschieden, als Kochnomad*innen die Proteste für eine gerech­tere Welt zu unter­stützen. Deshalb reisen wir mit der mobilen Akti­ons­küche des Koch­Kol­lek­tivs von Aktion zu Aktion. Zusammen mit vielen weiteren ehren­amt­li­chen Helfer*innen haben wir beispiels­weise an der Klima­kon­fe­renz in Madrid für bis zu 2000 Menschen gekocht. An der Winter­wan­de­rung gegen das World Economic Forum (WEF) in Davos versorgten wir 600 Leute. Und an der Demo für eine nach­hal­tige Land­wirt­schaft Ende Februar werden wir in Bern 500 Menschen beko­chen. Unser Zuhause, einen Caravan, haben wir immer dabei.

Aber ein biss­chen Geld zum Leben brau­chen wir doch alle. Wie läuft das bei euch?

Jean: Wir brau­chen nicht mehr so viel Geld, weil wir unsere Ausgaben bewusst runter­ge­schraubt haben. Zudem habe ich früher im Bereich Design gear­beitet. Heute entwerfe ich immer noch Strick­mu­ster, die ich online verkaufe. Das bringt uns nicht so viel Geld ein, aber im Januar waren es doch 200 Franken. Ein biss­chen was haben wir auch noch auf der Seite und zum Glück wird es bald Frühling.

Was haben denn die Jahres­zeiten damit zu tun?

Sacha: Wir brau­chen zusammen momentan etwa 300 Franken pro Monat. Davon ist der grösste Teil Gas zum Heizen des Cara­vans. Wenn es richtig kalt ist draussen, dann können das 10 Franken pro Tag sein. Diese Kosten fallen weg, sobald es wärmer wird. Zudem sehen wir uns auch gerade nach einem Holz­ofen um. Das wäre dann auch billiger.

Für was braucht ihr denn sonst noch Geld?

Sacha: Wenn wir nicht gerade auf dem Weg von einer Koch­ak­tion zur anderen sind, brau­chen wir noch Essen und Benzin. Und natür­lich die Kran­ken­kas­sen­prä­mien. Aber ich plane, mich bei Jean in Spanien anzu­melden. Dort kostet das weniger als in Liech­ten­stein. Ein unter­stüt­zender Faktor ist sicher auch, dass unser Enga­ge­ment das Kochen ist. Essen ist also die meiste Zeit genug da.

Jean: Und wir sind mobil. Wir haben unser Haus immer mit dabei. Schon als ich 20 Jahre alt war, wollte ich in einem Wohn­wagen leben. (lacht)

Sacha: Essen für Silke, unsere Hündin, brau­chen wir auch noch. Und Geld für Tabak und manchmal ein Bier.

Wie kam es dazu, dass ihr euch so engagiert?

Sacha: Meine Geschichte als Koch­no­made star­tete im Jahr 2011. Damals orga­ni­sierten wir in Liech­ten­stein ein Nach­hal­tig­keits­fe­stival und versuchten, die Besucher*innen gut, vegan, bio und gesund zu versorgen, was sich als gar nicht so einfach heraus­stellte. Das lokale Cate­ring­un­ter­nehmen verstand nicht so recht, was wir wollten. Bei der Suche nach einer Lösung stiessen wir auf das Buch 24 Rezepte zur kuli­na­ri­schen Welt­ver­bes­se­rung von Wam Kat, der in den Nieder­landen die rollende und vege­ta­ri­sche Akti­ons­küche Rampen­plan mitbe­gründet hat. Das hat uns dazu inspi­riert, die Menschen am Nach­hal­tig­keits­fe­stival mithilfe eines 30-Liter-Topfes selbst zu beko­chen. Mit der Zeit wurden wir immer mehr Teil des inter­na­tio­nalen Netz­werks mobiler Akti­ons­kü­chen. Heute fasst unser grösster Topf 350 Liter. Und seit Mai 2019 leben Jean und ich zusammen in diesem Caravan und sind mit ein paar Unter­brü­chen Voll­zeit für die Umwelt und eine gerech­tere Welt unterwegs.

Jean: Kennen­ge­lernt haben wir uns an einer Koch­ak­tion im Januar, bei welcher ich spontan aushalf, da Sacha ledig­lich einen Helfer dabei hatte. Da ich mich schon vorher vegan ernährte, war ich sofort begei­stert von dieser mobilen und veganen Akti­ons­küche. Heute orga­ni­sieren wir die Einsätze des Koch­Kol­lek­tivs gemeinsam und reisen zusammen von Aktion zu Aktion. Zuerst hatten wir nur ein Zelt. Dann einen Bus. Der Caravan fühlt sich deshalb nun richtig luxu­riös an. (lacht)

Sacha und Jean (im HIntergrund) an den Kochtöpfen. Die Arbeit geht oft bis spät in die Nacht.
Sacha und Jean (im Hinter­grund) an den Koch­töpfen. Die Arbeit geht oft bis spät in die Nacht. Bild: zvg

Hat euer Enga­ge­ment nega­tive Folgen für euch?

Sacha: Auch wenn wir ganz viele span­nende Menschen treffen auf unseren Reisen: Alte Freund­schaften müssen hinten­an­stehen. Zudem hat das mobile Leben auch Nach­teile. Früher war ich bei verschie­denen Projekten enga­giert, bei denen man vor Ort sein muss. Zum Beispiel in einer Garten­ko­ope­ra­tive. Wenn man immer unter­wegs ist, kann man sich bei solchen Projekten aber einfach nicht mehr einbringen.

Jean: Für mich ist die grösste Heraus­for­de­rung, in einem Land zu sein, wo ich die Sprache nicht spreche. Bei manchen Diskus­sionen oder in gewissen Gruppen fühle ich mich einfach nicht ganz inte­griert, weil die Leute, ohne es zu merken, von Englisch wieder auf Deutsch wech­seln. Und ich vermisse das gute Wetter in Spanien. Aber eben, eigent­lich wollte ich schon immer einmal so leben. Mobil und ausser­halb Spaniens. Und mit meiner Familie geht das gerade auch ganz gut. Meine Kinder sind ziem­lich unab­hängig. Meine Tochter ist 19 und lebt in Gross­bri­tan­nien. Mein Sohn ist 23 und reist gerade durch Europa. Wie ich also. (lacht)

Sacha: Bei mir ist das nicht so einfach. Meine Kinder sind jünger, 15 und 17 Jahre alt. Mit Jean habe ich zwar jemanden getroffen, mit dem ich meinen Traum von der mobilen Akti­ons­küche leben kann. Aber ich vermisse meine Kinder. Das ist wahr­schein­lich das Härteste daran.

Habt ihr keine mora­li­schen Bedenken, den Akti­vismus höher zu gewichten als eure Familie?

Jean: Ich habe viele Jahre meines Lebens meinen Kindern gewidmet. Sobald sie unab­hängig wurden, fühlte ich mich aber auch wieder frei zu tun, was ich tun möchte. Und ich habe ihre volle Unter­stüt­zung. Sie finden toll, was ich tue.

Sacha: Eine berech­tigte Frage, die ich mir auch immer wieder stelle. Und ich habe auch Zweifel. Gleich­zeitig sehe ich meine Verant­wor­tung meinen Kindern und mögli­chen Enkeln gegen­über darin, nicht dem Geld nach­zu­rennen, sondern meine Energie in eine enkel­taug­liche Zukunft zu investieren.

Und was ist mit eurer Pensi­ons­kasse? Habt ihr nicht Angst, dass ihr im Alter Geld­pro­bleme haben könntet? Unsere Alters­vor­sorge basiert ja schon auf einem Einkommen.

Sacha: Ich versuche schon, das Liech­ten­steiner Minimum der AHV einzubezahlen.

Jean: Darüber möchte ich gar nicht nachdenken.

Sacha: Durch die Art und Weise, wie wir gerade leben, lernen wir so viele Menschen kennen, die ein ganz anderes Verständnis von Soli­da­rität haben. Deshalb denke ich, dass es in Zukunft mehr Platz geben wird für ältere Menschen. Orte, wo man sich um Menschen mit spezi­ellen Bedürf­nissen kümmert, ohne diese Abhän­gig­keit von staat­li­chen Institutionen.

Was moti­viert euch?

Jean: Es ist echt schön zu sehen, dass Menschen nicht nur für Geld den Arsch hochkriegen.

Sacha: Mit dieser Arbeit können wir ein Teil des Wandels sein, den wir gerne sehen möchten.

Jean: Und natür­lich die Liebe. Wir sind beide Hals über Kopf inein­ander verliebt. Ich denke, dass auch das ein wich­tiger Grund ist, weshalb wir dieses verrückte Noma­den­leben so geniessen. Gleich­zeitig stecken wir viel Leiden­schaft in alles, was wir machen und unter­stützen Menschen, die versu­chen, eine bessere Welt für uns alle zu schaffen. Für mich ist es klar: Love is the answer. (lacht)

Was sagt ihr dazu, dass viele Leute Akti­vismus als ein Hobby betrachten?

Jean: Das ist doch nicht negativ, wenn sie sagen, das sei unser Hobby. Es ist doch gut, wenn wir Freude haben an dem, was wir machen. Wenn alle ihre Zeit für etwas einsetzen würden, das sie mögen, wäre die Welt viel­leicht besser. Hätten wir ein bedin­gungs­loses Grund­ein­kommen, würden das viel­leicht mehr Leute machen.

Sacha: Klar, durch unseren Akti­vismus verdienen wir zwar kein Geld. Aber wir kriegen Freund­schaften, Netz­werke, Freude, Glück und wir lernen viel darüber, wie man jenseits der gängigen Muster leben kann. Das ist mehr wert als Geld. Es ist faszi­nie­rend zu sehen, was alles möglich ist, wenn man aufhört, für Geld zu arbeiten.

Ihr seht das alles ziem­lich positiv.

Jean: Ja. Wir wollen noch etwas machen, bevor wir in den Ruhe­stand gehen. Und viel­leicht sind wir arm. Aber wir haben Zeit. Wir sind Zeit-Millionäre.

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Jann (24): „Für mich ist Akti­vismus eher eine Haltung als eine Tätigkeit.“

Jann hat sein Studium abge­bro­chen und ist Voll­zeit-Klima­ak­ti­vist. Während andere für Geld arbeiten, schreibt er jeweils die Kommu­ni­ka­ti­ons­stra­tegie für den Klima­streik – ohne einen Stun­den­lohn. Wir wollten von ihm wissen, ob er sich nicht wünscht, dass diese ganze Gratis­ar­beit bald nicht mehr nötig ist.

Jann am nationalen Plenum des Klimastreiks in Bern ((c) Janik Witzig)
Jann am natio­nalen Plenum des Klima­streiks in Bern (© Janik Witzig)

das Lamm: Jann, du bezeich­nest dich als Voll­zeit­ak­ti­vist. Verdienen tut man dabei aber nichts. Wie finan­zierst du dich?

Jann: Ich wohne in Bern in einem günstigen WG-Zimmer und arbeite ein bis zwei Tage pro Monat gegen Geld als selbst­stän­diger Filme­ma­cher. Zusammen mit dem, was meine Freundin verdient, kommen dann etwa 1500 Franken pro Monat rein. Das reicht uns zum Leben. Mein Studium der Film­wis­sen­schaften habe ich abge­bro­chen, damit ich mich komplett für das Klima einsetzen kann.

Das Studium abzu­bre­chen ist keine leichte Entschei­dung. Wie kam es dazu?

Eigent­lich fehlten mir nur noch ein paar Wochen bis zu meinem Bache­lor­ab­schluss. Aber ich habe immer stärker gespürt, dass mit diese Ausbil­dung Perspek­tiven verspricht, die sie gar nicht halten kann. Ande­rer­seits passierten in der Klima­streik-Bewe­gung genau die Entwick­lungen, nach denen ich gesucht hatte. Beim Klima­streik kann ich gerade viel mehr lernen als im Studium. Zudem wollte ich mich nicht dem Leistungs­druck dieser Gesell­schaft unter­werfen. Ich konnte vom Studium mitnehmen, was mir als nütz­lich und wichtig erschien, und brauche kein Diplom, das mir sagt, was ich kann und bin.

Findest du, dass dies nach wie vor die rich­tige Entschei­dung war?

Ich hinter­frage das täglich. Aber das habe ich auch an der Uni gemacht. Sogar noch mehr.

Wie genau sieht dein Enga­ge­ment beim Klima­streik aus?

Wir erstellen gerade einen Kommu­ni­ka­ti­ons­plan für den Klima­streik. Die Menschen sind bezüg­lich der Klima­krise auf verschie­denem Wissens­s­stand. Die einen haben den Ernst der Lage noch nicht verstanden. Anderen fehlt das Bewusst­sein dafür, dass auch sie etwas ändern können. Wir wollen unsere Kommu­ni­ka­ti­ons­stra­tegie entspre­chend anpassen. Zudem bewegen sich die Menschen in verschie­denen Lebens­welten: Die einen sind viel­leicht eher städ­tisch-liberal, die anderen tradi­tio­nell-christ­lich. Je nachdem muss man anders auf sie zugehen, wenn man sie errei­chen will. Deshalb schauen wir gerade, welche Menschen aus welchen Lebens­welten wir bereits im Klima­streik mit dabei­haben und wo diese in der Kommu­ni­ka­tion mit bestimmten Gruppen wichtig sein könnten. Wir wollen die Schnitt­stellen stärken und dadurch mehr Gruppen mit an Bord holen.

Zudem erar­beiten wir gerade ein Tool, mit dem es möglich sein wird, den ganzen Orga­nismus „Klima­streik“ mit all seinen Arbeits­gruppen und Vernet­zungen bild­lich darzu­stellen. Denn es ist für Aussen­ste­hende ziem­lich schwer zu verstehen, wie wir orga­ni­siert sind. Das würden wir gern trans­pa­renter machen.

Wie lange machst du das schon?

Ich würde sagen, dass mein Leben seit etwa einem Jahr nur noch Akti­vismus ist. Obwohl es manchmal halt auch gar nicht so einfach ist, zu sagen, ob etwas nun akti­vi­stisch ist oder nicht. Wenn ich zum Beispiel ein Abend­essen vorbe­reite für eine Gruppe Klima­strei­kende, dann ist das ja eigent­lich nur kochen. Ist das nun Akti­vismus oder nicht? Für mich ist Akti­vismus deswegen mehr eine Haltung als eine Tätigkeit.

Diese Haltung bestimmt dein Leben momentan ziem­lich stark. Stört dich das nicht manchmal auch?

Ich finde es halt logisch, dass man sich für das Klima einsetzt. Wenn man sich die Situa­tion genau anschaut, dann gibt es gar keine andere Möglichkeit.

Du siehst dich also auch ein wenig dazu gezwungen, dein Leben so zu führen, wie du es gerade tust. Ein Leben, das viel unbe­zahlte Arbeit beinhaltet. Würdest du dir wünschen, die Klima­krise wäre schon gelöst, damit du wieder normal Geld verdienen könntest?

Jein, der Weg, den wir gerade beschreiten, ist ja auch sehr span­nend. Zudem finde ich, dass das System der Lohn­ar­beit sowieso über­holt ist. Wir wollen gar nicht darauf hinar­beiten, dass wir uns irgend­wann als Klima­strei­kende einen Lohn auszahlen können. Viel­mehr wollen wir Struk­turen schaffen, in denen wir unsere Grund­be­dürf­nisse kollektiv und soli­da­risch decken können. Dafür sind wir momentan auch auf der Suche nach Menschen, Stif­tungen und anderen Geldgeber*innen, die sich dazu bereit erklären würden, in einen Soli­da­ri­täts­topf einzu­be­zahlen, aus dem die Klimaaktivist*innen dann ihre Grund­be­dürf­nisse decken könnten.

Was wäre in diesem Fall denn der Unter­schied zwischen Akti­vismus und Lohnarbeit?

Man kriegt nicht Geld, damit man eine gewisse Anzahl Arbeits­stunden erle­digt, sondern um seine Grund­be­dürf­nisse zu decken, damit man seine Energie in den Kampf gegen die Klima­krise stecken kann und sich nicht täglich darum sorgen muss, ob man sich nun etwas zu essen leisten kann oder nicht. Es gibt viele Menschen, die gerne mehr tun würden, jedoch nicht wissen, was, oder ihren Job sehr sinn­voll finden und diesen nicht aufgeben möchten. Diese Menschen könnten uns zum Beispiel finan­ziell unter­stützen und uns dadurch mehr Zeit schenken.

Und wie würde man bestimmen, wer aus diesem Topf Geld beziehen dürfte?

Das muss noch genau ausge­ar­beitet werden. Grund­sätz­lich ist die Idee aber, dass wir gemeinsam Richt­li­nien erar­beiten würden, welchen alle zustimmen könnten. Es geht einfach darum, ein kollek­tives Gefäss zu schaffen, damit nicht jede*r indi­vi­duell schauen muss, wie man den Akti­vismus und das eigene Über­leben unter einen Hut bringen kann.

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Paula (16): „Es gibt auch Zeiten, da haben wir nur 2–3 Sitzungen pro Woche.“

Im letzten Sommer hat Paula die Sekun­dar­schule beendet und sich dazu entschieden, ein Zwischen­jahr zu machen, um genug Zeit für den Klima­streik zu haben. Arbeiten geht Paula daneben vor allem, um ihr Enga­ge­ment finan­zieren zu können. Während sie in den Wochen vor einem Streik oder einer Demo ihre ganze Zeit und Energie in den Klima­streik stecke, gebe es aber auch Zeiten, in denen sie „nur 2–3 Sitzungen pro Woche“ habe. Das Lamm wollte von Paula wissen, wie es sich anfühlt, so viel Zeit für die Klima­be­we­gung aufzu­bringen und ob sie sich vorstellen kann, lang­fri­stig Teil der Proteste zu bleiben.

das Lamm: Paula, du bist aktiv beim Klima­streik Zürich. Wieviel Zeit nimmt dieses Enga­ge­ment ein?

Paula: Während ich in den Wochen vor einem Streik oder einer Demo meine ganze Zeit und Energie in den Klima­streik stecke, gibt es auch Zeiten, in denen ich nur etwa 2–3 Sitzungen pro Woche habe und neben meinen anderen Akti­vi­täten nur wenige Stunden am Tag in den Klima­streik investiere.

Wenn du deine Arbeit in Stel­len­pro­zent ausdrücken müss­test: Wieviel Prozent würdest du deiner Akti­vi­stinnen-Stelle geben?

Hm, das ist eine schwere Frage. Das kommt sehr darauf an. Wie gesagt haben wir manchmal Phasen, in denen wir alle 100 Prozent arbeiten. In „inak­ti­veren“ Zeiten ist es etwa nur die Hälfte. Durch­schnitt­lich würde ich also etwa 60 Prozent sagen.

Das ist viel Zeit. Und verdienen tut man dabei ja nichts. Essen und wohnen müssen wir aber alle irgendwie bezahlen. Wie geht das bei dir?

Da ich noch bei meinen Eltern wohne, bin ich in der glück­li­chen Situa­tion, dass ich keine hohen Fixko­sten habe. Was bleibt, sind die Ausgaben für den Klima­ak­ti­vismus. Zum Beispiel die Fahr­ko­sten mit dem Zug nach Madrid an die Klima­kon­fe­renz oder an die Aktionen gegen den Kohle­abbau in Deutsch­land von Ende Gelände. Und leider ist das Zugfahren halt immer noch um einiges teurer als das Fliegen. Das Geld, das ich hierfür brauche, bekomme ich durch mein Prak­tikum als Tier­arzt­hel­ferin und mit diversen Feri­en­jobs zusammen.

 

Paula in der Kohlengrube an einer Aktion des Bündnisses „Ende Gelände", das sich für einen sofortigen Stopp des Kohleabbaus einsetzt.
Paula in der Kohlen­grube an einer Aktion des Bünd­nisses „Ende Gelände“, das sich für einen sofor­tigen Stopp des Kohle­ab­baus einsetzt. Bild: zvg

Wie lange bist du bereits aktiv? Und wie kam es dazu?

Bei den Klima­streiks in der Schweiz war ich von Anfang an dabei. Also jetzt ziem­lich genau seit einem Jahr und kam so nach und nach immer mehr rein. Ich bin schon sehr früh immer wieder bei Demon­stra­tionen mitge­laufen. Mir waren die Umwelt und die Natur schon immer sehr wichtig und ich habe nie verstanden, wie wir so damit umgehen können. Doch erst mit dem Klima­streik habe ich endlich die Möglich­keit bekommen, selbst aktiv etwas bewirken zu können.

Welche Aufgaben und Verant­wor­tungen über­nimmst du im Rahmen des Klimastreiks?

Die Aufgaben sind sehr unter­schied­lich und hängen davon ab, welches Projekt gerade ansteht. Vor einem Streik bilden wir jeweils ein Grüpp­chen, welches die Koor­di­na­tion der Arbeiten über­nimmt. Neben diesen wech­selnden Gruppen sind wir aber auch in fixen Arbeits­gruppen, soge­nannten AGs, orga­ni­siert. Momentan bin ich vor allem in der AG Mobi­li­sie­rung und natür­lich in den Vorbe­rei­tungen für den „Strike for Future“ am 15. Mai aktiv.

Hat dein Enga­ge­ment nega­tive Folgen für dich?

Ich wurde häufig aus meinem Umfeld blöd ange­macht, weil ich mich fürs Klima einsetze. Viele verstehen das Ausmass der Krise nicht. Von den Leuten habe ich mich aller­dings langsam distan­ziert, als ich merkte, dass sie gar nichts davon hören, geschweige denn etwas ändern wollten. Zudem musste ich mir auf jeden Fall die Zeit neu einteilen und auf einiges verzichten. Als ich noch in der Schule war, musste ich sehr viel nach­ar­beiten und hatte viel mehr zu tun – doch das war es mir wert! Jetzt bin ich ja zum Glück im Zwischen­jahr und arbeite nur vormit­tags, um an den Nach­mit­tagen an Sitzungen gehen zu können.

Eine weitere Verän­de­rung, die ich bemerkt habe, ist, dass es ehrlich gesagt etwas schwierig geworden ist, persön­liche Kontakte ausser­halb des Klima­streiks zu pflegen, da ich oft zum Beispiel nach Sitzungen gerne mit den Menschen vom Klima­streik den Abend verbringe. Daraus haben sich aber auch sehr viele neue Freund­schaften gebildet.

Zudem leidet in den Phasen vor einem Streik oder einer Demo natür­lich auch der Schlaf. Viele Sitzungen gehen dann bis spät abends und anschlies­send müssen noch Aufgaben erle­digt werden.

Wieso enga­gierst du dich trotzdem?

Viel­leicht sollte die Frage eher heissen „Warum enga­gieren sich Menschen nicht für die Erhal­tung unseres Planeten?“. Für mich ist das gar keine Frage, denn es geht doch um nichts Gerin­geres als um meine, als um unsere Zukunft! Natür­lich müssen wir Prio­ri­täten setzen und die persön­liche Frei­zeit wird einge­schränkt, aber trotz allem kann ich sagen, dass es das Beste ist, für das ich meine Zeit einsetzen kann! Es gibt so viel Hoff­nung und Kraft, bei einem derart grossen Wandel mitwirken zu können, zu merken, dass man nicht allein ist und zu sehen, wie viele andere Menschen gleich denken. Gemeinsam können wir gegen die Klima­krise und für eine gemein­same Zukunft kämpfen.

Kannst du dir vorstellen, die näch­sten 5 bis 10 Jahre so weiterzumachen?

Ich hoffe, dass es nicht nötig sein wird, dies noch so lange weiter­zu­führen. Aber falls doch, würde ich natür­lich alle Zeit, die neben meiner Lehre bleiben wird, dafür einsetzten!


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