Gillette, toxi­sche Männ­lich­keit und die wenig über­ra­schende Konklu­sion: Die Besten sind glattrasiert

In einem Gillette-Werbe­spot geht es um toxi­sche Männ­lich­keit. H&M und Audi machen femi­ni­sti­sche Werbe­spots. Ein Erfolg der Gleich­be­rech­ti­gung? So einfach ist es nicht. Ein Kommentar. 
Heute ist Feminismus ein Verkaufsgag. Foto: Anina Ritscher

Seit dreissig Jahren lautet das Motto der Rasier­klin­gen­marke Gillette: „Das Beste im Mann.“ Ein neuer Werbe­spot der Marke fragt selbst­kri­tisch: Wie soll ein Mann denn im besten Fall sein? Und stellt fest: Die Antwort auf die Frage hat sich in den letzten dreissig Jahren verän­dert. Der Clip zeigt grap­schende Männer und macho­hafte Chefs. Er nimmt Bezug auf die MeToo-Debatte und die Diskus­sion um toxi­sche Männ­lich­keit. Die Aussage ist deut­lich: Alte Ideale von Männ­lich­keit sind schäd­lich. Neue müssen her. Es hat sich etwas getan: „Toxi­sche Männ­lich­keit“ war bis vor Kurzem ein Begriff, den nur Professor*innen für Gender Studies verwen­deten. Was ist passiert?

Like a girl

Dass sich ein Werbe­spot so kritisch mit Männ­lich­keit befasst, ist neu. Das Weib­lich­keits­ideal hingegen wird in der Werbung seit einiger Zeit verhan­delt. Im H&M‑Spot für die Herbst­kol­lek­tion 2017 waren Frauen unter­schied­li­cher Haut­farbe und mit unter­schied­li­chen Körper­grössen zu sehen. Frauen, die Chefinnen sind und Frauen, die Pommes essen. Im Werbe­spot für die Früh­lings­kol­lek­tion 2018 sind Frauen gelang­weilt von galanten, aber einschlä­fernden Herren auf der Tanz­fläche – und tanzen lieber mitein­ander. Der Spiel­zeug­her­steller Mattel brüstet sich seit Jahren mit seinen Barbie­puppen, die als gute Vorbilder für kleine Mädchen gelten: Die Ärztin­nen­barbie oder die Inge­nieu­rin­nen­barbie etwa. Ein grosser Erfolg war auch die Kampagne „Like a girl“ vom Damen­hy­gie­ne­pro­du­zenten Always. Er entlarvt die Rede­wen­dung „Wie ein Mädchen“ als gefähr­lich für das Selbst­wert­ge­fühl junger Frauen. Ein Lidschat­tenset der Firma L’Oréal trägt den Namen „Femi­nist“. Und in einem Weih­nachts­wer­be­spot pran­gerte der Auto­her­steller Audi gegen­dertes Spiel­zeug an: Ein kleiner Junge wünscht sich neben einem Modell-Audi auch eine Puppe. Der Slogan: „The pres­ents you open can open your mind.“

Frei­heit wurde gefor­dert – Neoli­be­ra­lismus geliefert

Auch wenn wir gerade einen Boom erfahren – die Vermi­schung von femi­ni­sti­schen Idealen und Markt ist nicht neu. Sie entstand viel­leicht schon vor sechzig Jahren.

Die US-Philo­so­phin Nancy Fraser hat eine These: In den 1960er Jahren lieferte die femi­ni­sti­sche Bewe­gung eine Berech­ti­gung für die neoli­be­rale Ideo­logie, die sich damals rasant ausbrei­tete. Feminist*innen forderten Frei­heit und Selbst­be­stim­mung. Das bot den Mäch­tigen von damals die Möglich­keit, mit ihrer eigenen Version von Frei­heit zu antworten: mit der Dere­gu­lie­rung der Märkte und der Priva­ti­sie­rung von staat­li­chen Orga­ni­sa­tionen. Die Forde­rung nach gesell­schaft­li­chen Reformen setzten die Regie­rungen in erster Linie in der Wirt­schafts­po­litik um.

Die femi­ni­sti­schen Ideale wurden so umge­deutet, dass sie den Frauen letzt­lich scha­deten, aber der Wirt­schaft nützten: Statt dass Männer arbei­teten und Frauen zuhause blieben, mussten neu beide Eltern­teile arbeiten, um eine Familie zu ernähren. Ein kapi­ta­li­sti­sches Inter­esse gebar sich als Gleich­stel­lung. Die poli­ti­schen Forde­rungen wurden entkräftet.

Femver­ti­sing

Heute ist Femi­nismus ein Verkaufsgag. „Femver­ti­sing“ heisst das in der Marke­ting­sprache. Es geht hier nicht um einen Femi­nismus, der einen kollek­tiven Aufstand provo­ziert, um eine poli­ti­sche Bewe­gung für mehr Gleich­be­rech­ti­gung. Sondern um einen „Femi­nismus als Iden­tität, die du dir zulegst, weil du sie inter­es­sant findest“, wie es die US-Autorin Andi Zeisler einmal tref­fend formu­lierte. Es geht hier nicht um Ermäch­ti­gung in einem poli­ti­schen Sinn, um einen kollek­tiven Aufstand. Sondern um indi­vi­du­elle Selbst­er­mäch­ti­gung. „Femver­ti­sing“: „Wenn du auch Pommes isst und dir deine Cellu­litis egal ist, dann kauf bei H&M ein!“ oder: „Wenn du auch ein neuer Mann bist, einer, der nicht grapscht oder Frauen ins Wort fällt, dann kauf Gillette!“

Deswegen tun sie das auch nicht. Statt­dessen verar­beiten solche Werbe­kam­pa­gnen den Femi­nismus zu prak­ti­schen Produkten. Sauber einge­schweisste Rasier­klingen. Hübsche bunte Make-Up-Paletten. Damen­binden mit geruchs­neu­tra­li­sie­render Tech­no­logie. Die man kaufen kann, wenn man sie braucht. Und wieder wegwerfen, wenn man sie benützt hat. Folgenlos und nicht bedroh­lich. Was in den 1960er-Jahren stimmte, stimmt noch immer: Gleich­be­rech­ti­gung lässt sich nicht verkaufen. Und die Gefahr besteht, dass auch heute die Vermi­schung uns letzt­lich schadet: Statt mehr Frei­heit kriegen wir mehr Konsumzwang.

Es mag sein, dass Werbe­kam­pa­gnen wie die von Gillette ein Bewusst­sein fördern. Sie stossen Debatten an. Die Reak­tion auf den Spot zeigt ausserdem erneut: Es ist noch viel zu tun. Denn neben Lob hagelte es auch Zorn von verletzten männ­li­chen Egos auf den Rasier­klin­gen­her­steller. Unter dem Hashtag #boycott­gil­lette werfen Männer ihre Rasierer demon­strativ in den Müll.

Am eigent­li­chen Problem rütteln sie aber nicht. Die Antwort auf die Frage „Wie soll ein Mann im besten Fall sein?“, lautet für Gillette auch nach dem neuen Werbe­spot: Am besten ist ein Mann glatt­ra­siert. Nicht mehr und nicht weniger kann man von einem Rasier­klin­gen­her­steller erwarten.


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