„Die Erklärung kann von jeder Person abgegeben werden, die innerlich fest davon überzeugt ist, nicht dem im Personenstandsregister eingetragenen Geschlecht zuzugehören“, verkündete der Bundesrat seinen Entschluss zur vereinfachten Anpassung des Geschlechtseintrags, welche ab Januar 2022 in Kraft tritt. Dieses Verfahren macht den bisher schweren Weg zur korrekten amtlichen Registrierung über eine medizinische Abklärung und einen richterlichen Entscheid obsolet.
Bis im Jahr 2017 noch zwangen die Schweizer Gerichte trans Menschen zu operativen Sterilisationen und Hormonbehandlungen, um einen passenden Geschlechtseintrag erhalten zu können. Mit dem ab Januar in Kraft tretenden Beschluss fällt auch die Bestätigung einer medizinischen Fachperson weg, die bisher nötig war. Für die sonst langsame, bürokratische Schweiz ist das ein erstaunlich progressiver Schritt.
Absurde Befürchtungen
Einige Stimmen allerdings, darunter SVP-Ständerat Werner Salzmann, wittern hinter dem bundesrätlichen Beschluss ein Schlupfloch für Männer, die sich dem Militärdienst verweigern oder früher in Rente wollen. „Bald kann sich jeder für 75 Franken vom Militärdienst befreien lassen“, titelte die 20 Minuten kürzlich (und änderte den Online-Titel kurz darauf wieder). Es ist leider nicht der einzige transphobe Bericht von 20 Minuten in letzter Zeit. Die Annahme in diesem Artikel: Durch das neue Gesetz würden cis Personen je nach Lust und Laune ihren Geschlechtseintrag ändern und damit geschlechtsspezifischen rechtlichen Unterschieden bequem aus dem Weg gehen.
Diese Annahme ist nicht nur transphob, weil sie trans Menschen unter Generalverdacht stellt, eigentlich tricksende cis Menschen zu sein, sie zeugt auch von Ignoranz gegenüber den prekären Lebensrealitäten von trans Menschen.
Die Kritik setzt ausserdem am falschen Punkt an, da sie nicht die zugrundeliege Problematik bemängelt. Wenn es tatsächlich so reizvoll sein sollte, den Geschlechtseintrag zur Umgehung der Wehrpflicht zu ändern – dann sollten wir darüber sprechen, wie sinnvoll diese Wehrpflicht an sich überhaupt ist.
Zwar begrüsse der SVP-Ständerat Salzmann einen höheren Anteil Frauen im Militär, da diese „dort ihre Fähigkeiten mit einbringen“ und bestimmt „enorm von der technischen Ausbildung profitieren“ könnten. Eine obligatorische Dienstpflicht für Frauen lehne er aber ab. Denn das könne dazu führen, befürchtet Salzmann, „dass dann einfach weniger Männer ins Militär einrücken“.
Dass es für einen SVP-Politiker und Oberst im Schweizer Militär keine Option ist, die Militärpflicht gänzlich abzuschaffen, liegt auf der Hand. Dass es für jemanden, der Angst davor hat, einige Kandidaten fürs Militär potenziell zu verlieren, aber keine Option ist, die Dienstpflicht auch auf Frauen auszuweiten, ist schlicht sexistisch.
Was übrigens auch sexistisch ist: Der Grund, weshalb Frauen in erster Linie vom Militärdienst ausgeschlossen wurden. Laut dem Schweizer Bundesgericht nämlich, weil Frauen „aufgrund physiologischer und biologischer Unterschiede“ weniger dafür geeignet seien. Dass es unsinnig ist, diese Unterscheidung anhand der angenommenen Genitalien und nicht anhand der tatsächlichen Physiologie festzustellen, muss an dieser Stelle nicht gesagt werden. Hinzu kommt, dass die Wehrpflicht nie nur eine Pflicht war, sondern historisch mit dem Wahlrecht verknüpft ist – und somit den Ausschluss der Frauen aus dieser Sphäre lange mitlegitimierte.
Salzmanns Befürchtungen, dass das Militär unattraktiver werde, sind jedoch berechtigt: Immer mehr junge Menschen bevorzugen den Zivildienst gegenüber dem Militärdienst. Die Armee hat schon lange einen schlechten Ruf bei der jungen Generation, weil sie im Militärdienst keinen Sinn erkennen. Für diese Entwicklung braucht es keine Gesetzesänderungen.
Für 75 Franken an die Spitze
„Das Geschlecht darf im Schweizer Recht keine Rolle spielen“, sagt auch FDP-Ständerat Andrea Caroni gegenüber 20 Minuten. Überall dort, wo es einen rechtlichen Unterschied zwischen den Geschlechtern gäbe, könnte die neue Gesetzgebung zu Komplikationen führen. Das stimmt einerseits, doch ganz so einfach ist es nicht: Denn vor dem Gesetz gleich zu sein und tatsächliche gesellschaftliche Gleichstellung zu erfahren, sind zwei unterschiedliche Dinge.
Wie schön wäre es, wenn Frauen, non-binäre und trans Personen einfach 75 Franken zahlen könnten, um gesellschaftlich gleichgestellt zu sein. Ein paar Scheine und – schwups – sind die Lohndiskriminierung, die Gewalt, die fehlende Repräsentation und die unbezahlte Kinder- und Hausarbeit passé. Dass gerade Männer, die immer noch die Spitze der gesellschaftlichen Ordnung besetzen, mit einer Korrektur ihres Geschlechtseintrages diese Privilegien aufs Spiel setzen würden, ist dagegen doch recht unwahrscheinlich.
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