Im Sumpf der Behörden

Der Bergbau ist Chiles wich­tigste Einnah­me­quelle. Doch der Abbau der Ressourcen verur­sacht enorme Umwelt­be­la­stungen. Demge­gen­über wirken die Behörden meist hilflos – oder sie schauen weg. Dritter Teil der Repor­tage aus der Klein­stadt Andacollo. 
Chile verschenkt seine wichtigen Bodenschätze. Von dem ist der Gewerkschafter Laureano Cardenas überzeugt. (Foto: Rodrigo Salinas)

Es dröhnt und kracht. Die Berg­bau­mine des kana­di­schen Konzerns Teck trennt einzig eine etwa acht Meter hohe Schall- und Staub­schutz­wand von der ersten Reihe Häuser in Anda­collo. Von hier aus hört man die Mine, man spürt die Explo­sionen, und hin und wieder weht der Staub trotz Schutz­mass­nahmen über die kleinen Häuser hinweg.

Dutzende, gar hunderte Beschwer­de­zettel türmen sich in den Büros der lokalen Verwal­tung. Von Anwohner*innen, die sich am Lärm, am Staub und an den kleinen Erdbeben beim Rathaus stören. Wie in den meisten chile­ni­schen Städten steht das pompöse Regie­rungs­ge­bäude an zentraler Stelle in Anda­collo – gegen­über einer gewal­tigen Kathedrale.

Doch viel können sie nicht machen: Chile­ni­sche Behörden zeigen sich meist unfähig, auf die Probleme der Menschen zu reagieren. Warum schaffen sie es nicht, geltende Stan­dards umzusetzen?

Hinter den Fassaden

Häufig hat sich Javier Cifuentes schon an die Gemeinde und andere Stellen gewandt, wenn der Lärm der Mine das Schlafen verun­mög­lichte oder wenn eine Staub­wolke die Stadt bedeckte. Der grosse Mann mit dem Pfer­de­schwanz schäumt vor Wut. „Das Leben der Menschen in dieser Gemeinde hat für den Staat keinen Wert“, meint er im Gespräch am zentralen Platz der Gemeinde, direkt vor dem Rathaus. Grosse Fenster, zwei Türme an jeder Ecke und ein gigan­ti­sches Tor verzieren die Fassade.

Er kämpft weiter: der Umwelt­ak­ti­vist und Gemein­derat Javier Cifuentes. (Foto: Rodrigo Salinas)

Cifuentes ist Mitbe­gründer der Umwelt­or­ga­ni­sta­tion CMA und wurde im Jahr 2007 von Teck entlassen – so wie viele andere Akti­vi­sten, die früher in der Mine gear­beitet haben, der mitt­ler­weile einzigen grosse Arbeit­ge­berin in der Klein­stadt. Heute sitzt er für die Kommu­ni­sti­sche Partei Chiles im Gemein­derat und kämpft so für „das Leben in der Stadt“, wie er sagt.

Im Rathaus selbst empfängt die Rechts­be­ra­terin des Umwelt­de­par­te­ments Karen Pastén die Journalist*innen. Pastén geht in den grossen Sitzungs­saal des Rathauses. An der Wand hängen Kupfer­stiche, in der Ecke steht eine Miniatur eines Mineurs, der mit einem Pickel in den Boden schlägt.

In vier Kapi­teln widmet sich das Lamm dem Bergbau in Anda­collo. Der Fall zeigt exem­pla­risch auf, wie legaler Gold­abbau im globalen Süden funk­tio­niert und was er für die lokale Bevöl­ke­rung bedeutet. 

Die kleinen Mineure – das war früher. Heute ist der grosse, indu­stri­elle Bergbau tragend. Und so beschreibt Pastén die Bezie­hungen zum Unter­nehmen als „eng“ und „positiv“. Teck unter­stütze in der Gemeinde verschie­dene Initia­tiven zur Verbes­se­rung der Umwelt und inve­stiere jähr­lich rund 900’000 Dollar in soziale Projekte. Eine Initia­tive, die nach den massiven Prote­sten von 2007 initi­iert worden sei. Zuvor hatte die Bevöl­ke­rung gegen den Smog, den Teck verur­sachte, demonstriert.

Doch Steuern zahle das Unter­nehmen keine in Anda­collo. Wie die meisten Berg­bau­un­ter­nehmen in Chile hat Teck seinen Sitz in den reichen Vier­teln der Haupt­stadt Sant­iago, wo es auch die entspre­chenden Steuern zahlt.

Was bleibt also für Andacollo?

Im Verlauf des Gesprächs wird Pastén immer deut­li­cher in ihrer Kritik, und ihre Erzäh­lung kehrt ins Persön­liche. „Ich wohne direkt neben der Berg­bau­grube“, sagt sie. Sie leide selbst unter dem Lärm des Unter­neh­mens, der die ganze Nacht andauert. „Viele Menschen in diesem Gebiet sind aufgrund von Schlaf­stö­rungen depressiv geworden“, erzählt sie.

Doch Beschwer­de­ka­näle gibt es wenige. Die Gemeinde stellt ein Formular zur Verfü­gung, das im Rathaus ausge­füllt werden kann und dann an die zustän­digen Behörden weiter­ge­leitet wird. Denn die Gemeinde hat so gut wie keine Aufsichts­kom­pe­tenz: Man sammelt einzig die Klagen und reicht sie dann weiter. Doch meistens passiert danach nichts.

Viel gegen die Geset­zes­ver­stösse von Teck kann sie nicht ausrichten: die Rechts­an­wältin des Umwelt­de­par­te­ments, Karen Pastén. (Foto: Rodrigo Salinas)

Nur 2018 war das anders. Nach jahre­langen Gerichts­ver­fahren wurde das Unter­nehmen damals zu einer Geld­strafe verur­teilt. Ein kleiner Erfolg für die Menschen vor Ort: „Wir waren in gewisser Weise glück­lich“, sagt Pastén. Und das, obwohl die Geld­strafe nur 20’000 Dollar betrug. Ein vernich­tend geringer Geld­be­trag im Verhältnis zur Grösse der Geschäfts­tä­tig­keit des Berg­bau­un­ter­neh­mens, meint sie.

Während man Pastén zuhört, fragt man sich, wieso sie anfangs die Bezie­hungen zum Unter­nehmen noch als “eng” und “positiv” bezeichnet hat. „Ich meine damit ein gutes Verhältnis zwischen der Gemeinde und dem Berg­bau­un­ter­nehmen“, antwortet Pastén. Ange­spro­chen auf die Probleme bekräf­tigt sie: „Wir würden uns wünschen, dass sich das ändert, aber zumin­dest versu­chen wir, gute Bezie­hungen zu Teck aufrecht­zu­er­halten“. Das sei der erste Schritt, um Verbes­se­rungen voranzutreiben.

Javier Cifuentes von der Umwelt­or­ga­ni­sa­tion CMA kriti­siert diese anbie­dernde Politik der Gemeinde: „Unserer Meinung nach war der indu­stri­elle Bergbau aus ökolo­gi­scher und sozialer Sicht katastrophal.“

Ausschlag­ge­bend ist für Cifuentes der geringe Beitrag, den das Berg­bau­un­ter­nehmen in all den Jahren der Produk­tion an die Gemeinde gelei­stet hat. „Fragen Sie mich, ob das Berg­bau­un­ter­nehmen in all den 20 oder 30 Jahren, die es im Geschäft ist, etwas in Anda­collo hinter­lassen hat? Nichts, nur Strei­te­reien.“ Die Gemeinde sei gespalten zwischen jenen, die den Bergbau kriti­sieren, und jenen, die ihn unter­stützen. Für Letz­tere sei meist das Geld ausschlag­ge­bend, das Teck an soziale Orga­ni­sa­tionen vergibt.

Vom Kontrol­leur zum Angestellten

Eigent­lich sind in Chile vor allem die natio­nalen Behörden und deren regio­nalen Vertre­tungen für die Kontrolle und Abnahme neuer Berg­bau­pro­jekte verant­wort­lich. Im Fall von Anda­collo besagen die Umwelt­pläne, dass weder neue Projekte gebaut noch bestehende Anlagen erwei­tert werden dürfen. Trotzdem wurden 2017 und 2019 zwei Erwei­te­rungs­pro­jekte des Berg­bau­un­ter­neh­mens Teck geneh­migt. Wie ist das möglich?

Jedes Projekt dieser Grös­sen­ord­nung wird in Chile einer Umwelt­ver­träg­lich­keits­prü­fung unter­zogen, im Rahmen derer sich die Bevöl­ke­rung und Expert*innen dazu äussern. Schliess­lich stimmen Vertreter*innen aller Mini­ste­rien über das Projekt ab. Damit haben Beamt*innen der Mini­ste­rien eine enorme Macht über die Zukunft eines Berg­bau­pro­jektes. Doch genau hier besteht das Problem: Seit Jahren wech­seln regel­mässig Personen von hohen Behör­den­stellen in Posten der ansäs­sigen Bergbauunternehmen.

Eine einfache Wand trennt die Mine von Teck von der Klein­stadt Anda­collo. (Foto: Rodrigo Salinas)

Marcel Zepeda Cortés ist einer davon. Der studierte Meeres­bio­loge arbei­tete seit 1992 in verschie­denen Mini­ste­rien. Im Jahr 2007 begann er in der Behörde zur Kontrolle von Umwelt­ver­schmut­zung auf regio­naler Ebene zu arbeiten. Als 2010 das chile­ni­sche Umwelt­mi­ni­ste­rium gegründet wurde, wurde er zum regio­nalen Vertreter der natio­nalen Behörde. Jener Einrich­tung, die kontrol­lieren sollte, ob Teck die Umwelt­stan­dards einhält. Im Jahr 2011 wech­selte Zepeda schliess­lich zur Teck. Beim Unter­nehmen war er in Anda­collo für die Einhal­tung der Umwelt­stan­dards zuständig.

Die Infor­ma­tionen sind frei zugäng­lich auf den LinkedIn Profilen der Personen. Verschwie­gen­heit zum Thema ist nicht nötig.

Auch zwei weitere Umwelt­be­auf­tragte von Teck, Ximena Retamal Carrillo und Maria Isabel Reinoso, haben von 2013 bis 2014 in Aufsichts­be­hörden des Umwelt­mi­ni­ste­riums gear­beitet. Die Amts­zeit beider Beam­tinnen fällt zusammen mit der Ausset­zung eines Sank­ti­ons­ver­fah­rens gegen Teck wegen Nicht­ein­hal­tung bestehender Umwelt­auf­lagen. Trotz mehr­ma­ligen Anfragen von das Lamm verzich­tete Teck auf eine Stellungnahme.

Wegen solcher Machen­schaften sind die staat­li­chen Behörden für den Akti­vi­sten Cifuentes eine einzige Enttäu­schung: „Das Umwelt­mi­ni­ste­rium, das Gesund­heits­mi­ni­ste­rium, alle stellen sie sich tot, egal welche Partei an der Macht ist.“

Das Phänomen ist mitt­ler­weile landes­weit bekannt und tritt bei allen grossen Minen­un­ter­nehmen auf. Trotzdem wurde ein entspre­chender Geset­zes­ent­wurf, der es hohen Beamt*innen über einen Zeit­raum von zwei Jahren nach Ausschei­dung aus den Mini­ste­rien verboten hätte, bei privaten Unter­nehmen zu arbeiten, die im glei­chen Tätig­keits­be­reich aktiv sind, im April 2022 endgültig auf Eis gelegt.

All you can eat

Chiles Wirt­schaft ist vom Bergbau abhängig. Rund 12 Prozent des Brut­to­in­lands­pro­dukts des Landes werden direkt durch den Bergbau erwirt­schaftet. Zum Vergleich: In Austra­lien, das eben­falls stark vom Bergbau abhängig ist, waren es zwischen den Jahren 2019 und 2020 um die 10 Prozent.

Vor dem ausge­trock­neten Fluss der Gemeinde. Rechts der Gewerk­schafter Edgardo Peréz und links sein Kolege Fabián Pastén. (Foto: Rodrigo Salinas)

Hinter dieser enormen Wirt­schafts­lei­stung stehen tausende Arbeiter*innen. Sie sind orga­ni­siert in den grössten Gewerk­schaften des Landes. Das Büro der Gewerk­schaft der Arbeiter*innen von Teck in Anda­collo ist ein schmuck­loses Gebäude im Zentrum der Stadt. Die Wände sind unver­putzt – als ob während des Baus das Geld für die Fertig­stel­lung ausge­gangen wäre.

An einem ebenso schmuck­losen Tisch sitzt das Direk­to­rium der Gewerk­schaft. Die Haut der Männer erzählt Geschichten über harte Arbeit unter strah­lender Sonne, ihre Stimmen sind rau. Sie sind wütend, denn seit Jahren streiten sie mit Teck um bessere Arbeitsbedingungen.

Edgardo Pérez, Präsi­dent der Gewerk­schaft, meint, es habe sich eine Gratis­men­ta­lität unter den Minen­un­ter­nehmen entwickelt. „Warum gibt es in Chile so viele Minen?“, fragt er rheto­risch. „Weil sie in Chile kaum Steuern zahlen müssen.“ Es sei der „Lohn Chiles“, der schluss­end­lich in andere Länder abfliesse.

Seit Anfang des 20. Jahr­hun­derts wird in Chile Kupfer gewonnen. Schon seit Beginn der spani­schen Kolo­ni­al­herr­schaft Gold. Nachdem in den 1960er Jahren Regie­rungen versuchten, den Bergbau zu verstaat­li­chen, setzte die Mili­tär­dik­tatur ab 1973 auf dessen Priva­ti­sie­rung. Auch nach der Rück­kehr zur Demo­kratie förderten chile­ni­sche Regie­rungen aller Couleur weiterhin den Bergbau im Land.

Um auslän­di­sche Inve­sti­tionen zu fördern, hat Chile verschie­dene staat­liche Mass­nahmen ergriffen, die der Branche zugu­te­kommen. Von der Befreiung der spezi­fi­schen Kraft­stoff­steuer, die den Endver­kaufs­preis von Benzin eigent­lich verdop­pelt, bis hin zu Garan­tien für die Unver­än­der­lich­keit von Steu­er­re­ge­lungen, bietet der Staat der Berg­bau­in­du­strie eine breite Palette von Vorteilen.

Die soge­nannte Royalty, eine welt­weit übliche Steuer auf den Abbau von Boden­schätzen, ist in Chile beson­ders gering. Ihre eigent­liche Ausar­bei­tung ist so undurch­sichtig, dass kaum jemand weiss, wie hoch sie tatsäch­lich ist. Nach Angaben der Berg­bau­un­ter­nehmen zahlen diese aktuell zwischen 5 und 34 Prozent ihres Umsatzes an Steuern.

Doch die Dunkel­ziffer ist hoch. Wie viel im Vergleich zu anderen Ländern einge­spart werden könnte, ist beson­ders schwer abzu­schätzen. Die Wirt­schafts­kom­mis­sion für Latein­ame­rika und die Karibik der UNO, kurz CEPAL, schätzt in einer Studie, dass „die verschenkten Ressourcen pro Jahr im Zeit­raum von 2005 bis 2014 durch­schnitt­lich einem Wert von 11,4 Milli­arden Dollar entsprachen.“

Weiter heisst es in der Studie: „Hätten diese Privat­un­ter­nehmen die entspre­chenden Steuern gezahlt und dem chile­ni­schen Fiskus den berech­neten Betrag über­wiesen, wäre es zu keiner Verän­de­rung der Gesamt­in­ve­sti­tionen und der Produk­tion der Berg­bau­un­ter­nehmen gekommen, aber das Land hätte über diese beträcht­li­chen Ressourcen verfügen können.“

Die Gewerk­schafts­mit­glieder sind sich dieser beson­deren Situa­tion bewusst. Und sie erzählen, wie der Konzern weiter Steuern senkt. „Alles, was Teck aus Chile expor­tiert, wird als Konzen­trat gelie­fert“, meint Peréz. Im Konzen­trat sollen verschie­dene Export­stoffe enthalten sein. Teck dekla­rie­riere es aber bloss als Kupfer – und spare so doppelt Steuern: Erstens wird flüs­siges Konzen­trat geringer besteuert als das Endpro­dukt und zwei­tens wird Kupfer geringer besteuert als Molybdän, Gold oder Silber.

Doch das Gold wird abge­baut: Laut Geschäfts­be­richt wurden im Jahr 2020 etwa 1,6 Tonnen Gold gewonnen und in die Schweiz gelie­fert. Gemessen wird Gold in Unzen, eine Unze entspricht etwa 28 Gramm und hat derzeit einen Markt­wert von rund 1600 Schweizer Franken, womit der totale Wert der Gold­ge­win­nung in Anda­collo knapp 80 Millionen Franken beträgt. Dem glei­chen Bericht ist zu entnehmen, dass das Gold an die Royal Gold in Zug vorver­kauft wurde. Teck konnte durch dieses Geschäft den Ausbau der Mine in Chile vorfi­nan­zieren. Das Haupt­ge­schäft in Anda­collo ist der Verkauf von Kupfer, der zusätz­lich expor­tiert wird.

Gerade wegen dieser enormen Geld­summen befindet sich die Gewerk­schaft seit Jahren im Konflikt mit dem Berg­bau­un­ter­nehmen. Sie bekräf­tigt, dass die Arbeits­be­din­gungen weit unter dem chile­ni­schen Durch­schnitt liegen. Während auf natio­naler Ebene die Löhne durch­schnitt­lich zwischen 1200 und 3000 Franken monat­lich liegen, sollen sie in Anda­collo kaum 1500 Schweizer Franken erreichen.

Die Gewerk­schafter erin­nern sich an die letzte Mobi­li­sie­rung. Im Jahr 2019 streikten sie mehr als 52 Tage lang. Die finan­zi­ellen Folgen eines solchen Streiks sind enorm. Pérez rechnet aus: „Allein durch die Einstel­lung der Produk­tion hat das Unter­nehmen 70 Millionen US-Dollar verloren; dagegen hätten 2,5 Millionen Dollar gereicht, um die von der Gewerk­schaft gefor­derten Tarif­ver­träge vier Jahre lang zu finanzieren.“ 

Die Gewerk­schaft steht derzeit kurz vor neuen Tarif­ver­hand­lungen, die voraus­sicht­lich im September 2022 statt­finden werden. Für den Gewerk­schafter Laureano Cardenas geht es nur um Gerech­tig­keit: „Wir wollen nicht, dass das Unter­nehmen Probleme hat, wir wollen, dass es ein gerech­teres Unter­nehmen ist, gerechter für seine Arbeitnehmer*innen, gerechter für die Gemein­schaft, damit es bis minde­stens 2031 weiter bestehen kann.“

Ein Hauch des Wandels

Derzeit erlebt Chile einen tief­grei­fenden poli­ti­schen Wandel: Am 11. März 2022 trat der links­re­for­mi­sti­sche Gabriel Boric sein Amt an und erklärte, dass er der ersten ökolo­gi­schen Regie­rung Chiles vorstehen würde. Dies steht in deut­li­chem Gegen­satz zu seinem Vorgänger Seba­stián Piñera, der während seiner Amts­zeit neue Berg­bau­un­ter­nehmen geför­dert hatte.

Die Mass­nahmen von Boric und seiner neuen Regie­rung liessen nicht lange auf sich warten. Seine erste insti­tu­tio­nelle Hand­lung war die Unter­zeich­nung des Escazú-Abkom­mens, eines multi­la­te­ralen Abkom­mens zwischen latein­ame­ri­ka­ni­schen und kari­bi­schen Ländern, das für mehr Trans­pa­renz in sozio-ökolo­gi­schen Fragen und einen besseren Schutz von Aktivist*innen sorgen soll. Regel­mässig werden in Chile Aktivist*innen mit dem Leben bedroht, ermordet oder kommen in bislang unge­klärten Zusam­men­hängen ums Leben.

Im Juni kündigte die Regie­rung zudem die Schlies­sung einer staat­li­chen und hoch konta­mi­nie­renden Kupfer­hütte an. Umweltschützer*innen jubeln wegen dieser ersten Mass­nahmen. Gleich­zeitig erkennt die Regie­rung selbst jedoch die Notwen­dig­keit des Berg­baus in Chile an. Eine Ableh­nung des Berg­baus würde die Haupt­ein­nah­me­quelle der Volks­wirt­schaft gefährden. Bishe­rige Erklä­rungen der Umwelt- und Berg­bau­mi­ni­ste­rinnen zur Zukunft des Berg­baus sind unklar und gehen nicht über das Verspre­chen einer stär­keren Aufsicht hinaus.

Boric kündigte zudem die Förde­rung von weiteren Rohstoffen wie etwa Lithium an. Lithium wird gebraucht, um Batte­rien herzu­stellen und gilt als Schlüs­sel­roh­stoff für die Ener­gie­wende. Der Präsi­dent schlägt jedoch vor, den Rohstoff unter staat­li­cher Verwal­tung abzu­bauen. „Chile darf nicht noch einmal den histo­ri­schen Fehler begehen, Ressourcen zu priva­ti­sieren“, sagte er in einer Rede.

Am 4. September stimmt die Bevöl­ke­rung über eine neue Verfas­sung ab. Diese ist sozi­al­de­mo­kra­tisch geprägt und gibt vielen Forde­rungen des Umwelt­schutzes und des Kampfes gegen die Klima­krise Raum. Der Gemein­derat und Mitbe­gründer der Umwelt­or­ga­ni­sa­tion CMA Javier Cifuentes hat Hoff­nung. Gleich­zeitig warnt er: „Die Politik wird nicht nur von der Regie­rung gemacht. Es sind die wirt­schaft­lich mäch­tigen Kräfte, die den Wandel blockieren können. Wir müssen weiterhin auf der Hut sein.“

Bis Chile von seinen jetzigen wirt­schaft­li­chen Grund­pfei­lern abkommen kann, wird es wahr­schein­lich noch lange dauern.

Diese Repor­tage wurde mit Unter­stüt­zung von Journa­FONDS recher­chiert und umgesetzt.


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