Israel beginnt die Endphase des Geno­zids – und die Schweiz schaut weiterhin zu

Anfang Mai begann Israel eine neue Offen­sive – ein letzter Schritt zur voll­stän­digen Zerstö­rung und Besied­lung des Gaza­strei­fens. Nach fast 20 Monaten Genozid äussern euro­päi­sche Regie­rungen verhal­tene Kritik. Die Schweiz schafft nicht mal das. 
Die Stadt Rafah während dem kurzzeitigen Waffenstillstand am 25. Januar 2025 – bevor Israel begonnen hat, die Trümmer im grossen Stil abzutragen. (Bild: Wiki Commons)


Die neue israe­li­sche Offen­sive soll die verblie­bene Infra­struktur im Gaza­streifen voll­ständig zerstören. Damit wird das Leben für Palästinenser*innen unmög­lich. Inzwi­schen ist das Gesund­heits­wesen in Gaza beinahe völlig zerstört, 94 Prozent der Spitäler sind beschä­digt oder ganz zertrüm­mert. Nach den neusten Bombar­die­rungen marschieren Boden­truppen ein, um das Land länger­fri­stig zu besetzen. Die Stadt Rafah, in die die Bewohner*innen von Gaza noch vor einem Jahr auf Anord­nung Israels fliehen mussten, gibt es nicht mehr. Das gleiche Schicksal droht der Stadt Khan Younis. Urbane Regionen werden mit Explo­siven und Bull­do­zern gezielt so zerstört, dass auch eine Rück­kehr möglichst undenkbar wird.

Der rechts­extreme israe­li­sche Finanz­mi­ni­ster Bezalel Smot­rich bringt das Ziel der Offen­sive unver­hohlen auf den Punkt: Das, was vom Gaza­streifen übrig­ge­blieben ist, wird ausge­löscht.” Auch Mini­ster­prä­si­dent Benjamin Netan­yahu verkündet in aller Öffent­lich­keit die „voll­stän­dige Erobe­rung Gazas” und vorge­se­hene „dauer­hafte Präsenz” durch Israelis. 

Die UNO warnte am 20. Mai 2025 davor, dass 14‘000 Babys in den näch­sten Tagen verhun­gern könnten. 

Dieje­nigen Palästinenser*innen, die bei der Erobe­rung nicht ermordet werden, sollen zuerst in soge­nannte Evaku­ie­rungs­zonen, isolierte Enklaven, getrieben werden. Letzt­lich will die Mili­tär­ope­ra­tion die Über­le­benden ganz im Süden des Gaza­strei­fens, südlich des Morag-Korri­dors, inner­halb der israe­li­schen „Sicher­heits­zonezusam­men­pfer­chen und, so Bezalel Smot­rich, „mit Hilfe Gottes in Dritt­länder umsie­deln”, also depor­tieren

Die ethni­sche Säube­rung ist in vollem Gange. Inzwi­schen wird der zerbombte Gaza­streifen dem Erdboden gleich­ge­macht und die Trüm­mer­haufen werden abge­tragen, um ihn neu besie­deln zu können. Seit Monaten bilden zioni­sti­sche Sied­ler­or­ga­ni­sa­tionen „Kolo­nien”, die nur darauf warten, dass die Armee ihnen die Erlaubnis gibt, um sich in Gaza nieder­zu­lassen. Der zioni­sti­sche Traum der Besie­de­lung des Gaza­strei­fens ist in greif­barer Nähe. Das sagt die israe­li­sche Regie­rung mitt­ler­weile selbst.

Huma­ni­täre Kata­strophe und zöger­liche Reak­tion der euro­päi­schen Regierungen

Die huma­ni­täre Lage in Gaza nimmt unvor­stell­bare Ausmasse an. Aus dem Frei­luft­ge­fängnis Gaza ist längst ein Frei­luft­friedhof geworden. Israel blockiert seit Mitte März drin­gend benö­tigte Hilfs­lie­fe­rungen und setzt Hunger als Kriegs­waffe ein. Ärzt*innen ohne Grenzen werfen Israel vor, vorsätz­lich eine huma­ni­täre Kata­strophe herbei­zu­führen. Die UNO warnte am 20. Mai 2025 davor, dass 14‘000 Babys in den näch­sten Tagen verhun­gern könnten. Ange­sichts der inter­na­tio­nalen Empö­rung kündigte Israel kürz­lich an, UNO-Hilfs­lie­fe­rungen an wenigen, mili­tä­risch kontrol­lierten Orten im Süden des Landes wieder zuzu­lassen. Die begrenzte Zulas­sung von Hilfs­gü­tern ist aber nicht nur ein Tropfen auf den heissen Stein, sondern verfolgt mehr noch das Ziel, die verzwei­felte Bevöl­ke­rung im Norden Gazas in den Süden zu treiben. Huma­ni­täre Hilfe, die die Menschen flächen­deckend erreicht, ist nicht vorgesehen. 

Warum auch, wenn man einen Land­strich ethnisch säubern will?

Die Schweiz schweigt mehr­heit­lich, gewährt nur mini­male huma­ni­täre Hilfe und weigert sich, Sank­tionen gegen Israel zu ergreifen.

Nach einein­halb Jahren des Geno­zids und der stän­digen Eska­la­tion der israe­li­schen Verbre­chen haben es nun auch die euro­päi­schen Aussen­mi­ni­ste­rien – unter anderem von Deutsch­land, Gross­bri­tan­nien und Frank­reich – geschafft, eine Erklä­rung abzu­geben, in der sie Israel auffor­dern, huma­ni­täre Hilfe zuzulassen.

Die Schweiz ist nicht dabei. Aussen­mi­ni­ster Ignazio Cassis (FDP) will nach eigener Aussage abwarten, ob das israe­li­sche Modell der Zulas­sung huma­ni­tärer Hilfe in den südli­chen Gebieten funk­tio­niert. Er habe aber die Schweizer Botschaft in Tel Aviv ange­wiesen, die israe­li­schen Behörden deut­lich auf die Einhal­tung des huma­ni­tären Völker­rechts hinzu­weisen. Anson­sten schweigt die Schweiz, gewährt nur mini­male huma­ni­täre Hilfe und weigert sich, Sank­tionen gegen Israel zu ergreifen.

Israel setzt um, was es von Anfang an ange­kün­digt hat

Seit Beginn des Geno­zids in Gaza hat Israel nach und nach Teile seines endgül­tigen Planes enthüllt. Im Oktober 2023 verkün­dete der dama­lige Vertei­di­gungs­mi­ni­ster Joaw Galant die „totale Blockade Gazas”. Seitdem wird die Versor­gung mit Lebens­mit­teln, Wasser, Strom, Gas und Öl massiv erschwert oder ganz unterbunden. 

Mitt­ler­weile hat das israe­li­sche Militär nach offi­zi­ellen Angaben minde­stens 50’000 Palästinenser*innen sowie inter­na­tio­nale Helfer*innen und Journalist*innen ermordet, Hundert­tau­sende verletzt und ihre Lebens­grund­lagen zerstört. Israel wird den Norden des Gaza­strei­fens entvöl­kern und hat bereits 70 Prozent des Terri­to­riums mili­tä­risch besetzt. 

All diese Entwick­lungen wurden von der US-ameri­ka­ni­schen und den meisten euro­päi­schen Regie­rungen tole­riert und gebilligt.

Im März 2025 brach Israel schliess­lich den Waffen­still­stand und macht mitt­ler­weile keinen Hehl mehr daraus, dass es dabei nicht um die Befreiung der verblie­benen israe­li­schen Geiseln geht. Die IDF hat Anfang Mai offi­ziell verkündet, dass sie die Geisel­be­freiung ans Ende der Prio­ri­tä­ten­liste gesetzt haben. Statt­dessen wird mit der aktu­ellen Offen­sive die letzte Phase des Geno­zids in Gaza einge­leitet. Denn wenn Armee und Regie­rung ihre Ziele errei­chen, wird es am Ende der Offen­sive keine Palästinenser*innen mehr in Gaza geben.

All diese Entwick­lungen wurden von der US-ameri­ka­ni­schen und den meisten euro­päi­schen Regie­rungen tole­riert und gebil­ligt und durch die Waffen­lie­fe­rungen aus den USA und Deutsch­land ermög­licht. UNO-Reso­lu­tionen, Genozid-Warnungen des Inter­na­tio­nalen Gerichts­hofs (IGH), Haft­be­fehle des Inter­na­tio­nalen Straf­ge­richts­hofs (IStGH) gegen Netan­yahu und Gallant, Appelle von Menschen­rechts- und huma­ni­tären Orga­ni­sa­tionen sowie die welt­weiten Proteste der palä­sti­nen­si­schen Soli­da­ri­täts­be­we­gung wurden igno­riert oder als anti­se­mi­tisch gebrand­markt. Noch im Februar 2025 kündigte der inzwi­schen zum Bundes­kanzler gewählte Fried­rich Merz erneut an, den Haft­be­fehl gegen Netan­jahu zu umgehen. 

Die nun von den euro­päi­schen Regie­rungen geäus­serte „Besorgnis” über das Vorgehen Israels und die vagen Distan­zie­rungs­er­klä­rungen können nicht darüber hinweg­täu­schen, dass die west­liche Staa­ten­ge­mein­schaft seit einein­halb Jahren vor den Augen der Welt­öf­fent­lich­keit einen Genozid unterstützt.


Dieser Text erschien zuvor auf sozialismus.ch.

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