Ist das Arbeit oder kann das weg?

Die Idee, man könnte das Problem von „Burn-Out-Akti­vismus“ mit einer besseren Work-Life-Balance oder ein paar Yoga­stunden lösen, täuscht über das eigent­liche Problem hinweg: unsere Auffas­sung davon, was Arbeit ist. 
Ist soziales Engagement keine Arbeit? (Foto: Maria Oswalt / Unsplash)

Klima­ak­ti­vi­sten haben Angst vor Burnout“ titelte im November letzten Jahres die Gratis­zei­tung 20 Minuten. Einige Klimaaktivist*innen seien erschöpft, weil sie zu viel zu tun hätten. Ob Arbeit oder Hobby, was zähle sei die Eigen­ver­ant­wor­tung, wurde ein Arbeits­psy­cho­loge im entspre­chenden Artikel zitiert. Denn wer produktiv bleiben wolle, brauche eine konstante Work-Life-Balance. Und auch das klima­streik­ei­gene Wiki gibt zum Thema Burn-Out-Akti­vismus Tipps wie „Aufmerk­sam­keit auf klare Ziele lenken“, „Selbst­für­sorge ernst nehmen“ oder „Sich in gute Stim­mung versetzten“.

Das klingt alles irgendwie so, als liesse sich Erschöp­fung aufgrund poli­ti­schen Enga­ge­ments mit ein paar Retreats in den Bergen, Wohl­fühl­tees oder Yoga­work­shops beheben. Das ist aber ein Trugschluss.

Das Leben als Aktivist*in: eine Serie
Immer öfters hört man von Menschen, die ihr „normales“ Berufs­leben hinter sich lassen und zu Vollzeit-Aktivist*innen werden – für das Klima oder gene­rell für eine gerech­tere Welt. Das Lamm hat sie begleitet, inter­viewt und ihre Lebens­weise hinterfragt.

Natür­lich ist es nicht falsch, auf seine Grenzen zu achten. Und der Ratschlag „Mach mal Pause“ ist als erste Sofort­mass­nahme, wenn es zu Über­ar­bei­tung kommt, sicher nicht falsch – ob bei akti­vi­sti­schem Enga­ge­ment oder in einer normalen Anstel­lung. Schluss­end­lich sind diese Ratschläge aber doch nur Symptom­be­kämp­fung. Denn egal, ob es nun ein Yoga-Retreat ist, das einem beim Entspannen helfen soll, oder gut gemeinte Tipps für eine bessere Work-Life-Balance: All diese Dinge zielen darauf ab, dass der einzelne Akti­vist oder die einzelne Akti­vi­stin entweder besser Nein sagen kann zu noch mehr Enga­ge­ment, oder dass die einzelnen Aktivist*innen effi­zi­enter und stärker werden, um mehr leisten zu können.

Aber das wahre Problem liegt nicht darin, dass Menschen, die sich für Klima­ge­rech­tig­keit oder andere Ziele wie die Bekämp­fung von Rassismus, Armut oder Hunger einsetzen, eine schlechte Work-Life-Balance haben. Es liegt darin, was die Gesell­schaft unter Arbeit versteht und wie wir diese entlohnen.

Was genau ist denn eigent­lich Arbeit?

Auch der bereits zitierte Arbeits­psy­cho­loge scheint sich nicht ganz sicher gewesen zu sein, mit was er es beim Einsatz der Klima­strei­kenden zu tun hat: mit einer Arbeit oder mit einem Hobby. Und tatsäch­lich ist es gar nicht so klar, welches Krite­rium eine Tätig­keit nun als Arbeit kate­go­ri­siert. Der Lohn kann es nicht sein. Es gibt auch viele Tätig­keiten, die im unbe­zahlten Ehrenamt als Arbeit erle­digt werden. Die Tätig­keit an und für sich jedoch auch nicht. Denn viele Tätig­keiten, die von Klima­strei­kenden gemacht werden, wie Demos orga­ni­sieren, kochen oder Kommu­ni­ka­ti­ons­stra­te­gien entwerfen, sind Dinge, die man genauso gut in einem klas­si­schen Arbeits­ver­hältnis wie in einem akti­vi­sti­schen Rahmen machen kann. Was also ist Arbeit?

Das Bundesamt für Stati­stik (BFS) erfasst im Rahmen der Schwei­ze­ri­schen Arbeits­kräf­teer­he­bung (SAKE) neben den bezahlten Arbeits­stunden auch regel­mässig die Arbeits­stunden, die von Herrn und Frau Schweizer unbe­zahlt gelei­stet werden. Das dabei ange­wandte Krite­rium, um etwas als Arbeit einzu­stufen, ist laut Jacque­line Schön-Bühl­mann, wissen­schaft­liche Mitar­bei­terin beim BFS in der Sektion Arbeit und Erwerbs­leben, das soge­nannte Dritt­per­sonen-Krite­rium. Das Konzept dahinter: Jede unbe­zahlte Tätig­keit, die durch eine über den Markt enga­gierte Person gegen Bezah­lung ausge­führt werden könnte, gilt als unbe­zahlte Arbeit. Darunter fallen laut Schön-Bühl­mann sowohl Haus- und Betreu­ungs­ar­beiten, Frei­wil­li­gen­ar­beit für Vereine und Orga­ni­sa­tionen sowie infor­melle Hilfeleistungen.

Die Klima­strei­kenden, so Schön-Bühl­mann, seien wahr­schein­lich schwierig zuzu­ordnen: „Falls sie in einer Art Orga­ni­sa­tion aktiv sind, würde z.B. die Orga­ni­sa­tion von Streiks im Prinzip als Frei­wil­li­gen­ar­beit zählen. Die Teil­nahme an Anlässen respek­tive Streiks jedoch nicht.“ Das macht Sinn. Denn einen Menschen zu finden, der gegen Geld für mich an die Demo geht, ist schwierig. Eine Person zu finden, die für den Klima­streik gegen Geld eine Kommu­ni­ka­ti­ons­stra­tegie oder eine Medi­en­mit­tei­lung entwirft, jedoch nicht. Vieles von dem, was die Klima­strei­kenden leisten, ist also offi­ziell Arbeit. Die Kommen­tare unter dem Burnout-Artikel von 20 Minuten zeigen, dass das nicht allen klar ist.

Leser*innen-Kommentar auf der Website von 20-Minuten unter dem Artikel «Klimaaktivisten haben Angst vor Burnout». Das Engagement der Klimastreikenden wird nicht als Arbeit wahrgenommen.
Leser*innen-Kommentare auf der Website von 20 Minuten unter dem Artikel „Klima­ak­ti­vi­sten haben Angst vor Burnout“. Das Enga­ge­ment der Klima­strei­kenden wird nicht als Arbeit wahr­ge­nommen. (Screen­shot 20minuten.ch)

Viel­mehr scheinen die Kommentator*innen das Enga­ge­ment für eine klima­ge­rechte Welt als eine Art Frei­zeit­be­schäf­ti­gung einzu­ordnen. Dabei sollte es ja offen­sicht­lich sein, dass der Kampf gegen die Klima­krise nicht mit dem Besuch in einem Fitness­center gleich­zu­setzen ist, sondern viel mehr mit dem Einsatz in der ehren­amt­li­chen Feuer­wehr gemein hat. Denn den Menschen das Gefühl zu geben, dass jemand zu Hilfe eilt, wenn das eigene Haus brennt, ist im Gegen­satz zu einem dicken Bizeps gesell­schaft­lich wichtig. Genauso, wie es momentan wichtig ist, Politik, Wirt­schaft und Öffent­lich­keit daran zu erin­nern, endlich vehe­ment gegen die Klima­er­hit­zung vorzugehen.

Was gemacht werden muss, ist Arbeit!

Deshalb: Es ist zwar frei­willig, sich dafür einzu­setzen, dass die Fidschi-Inseln nicht unter­gehen, dass in den Hitze­mo­naten nicht jedes Jahr noch mehr alte Menschen sterben oder dass Milli­arden von Koalas in Busch­feuern verbrennen. Trotzdem ist es Arbeit. Der Vorwurf „Geht doch erst mal arbeiten“ ist haltlos. Denn die arbeiten schon. Einfach gratis.

Und sie sind nicht die Einzigen. Laut dem BFS kamen im Jahr 2016 auf 7.9 Milli­arden bezahlte Arbeits­stunden noch­mals 9.2 Milli­arden unbe­zahlte Arbeits­stunden. Damit unsere Gesell­schaft funk­tio­niert, mussten diese genauso erbracht werden wie die bezahlten Stunden. Der grösste Teil dieser Gratis­ar­beit wird zur Betreuung von Kindern und Verwandten gelei­stet. Aber auch der Einsatz in Sport­ver­bänden, kari­ta­tiven Orga­ni­sa­tionen und Inter­es­sen­ver­bänden wird hier mitge­zählt. Wäre es nicht fair, wenn wir diese unbe­zahlte Arbeit gleich­mässig über alle Mitglieder der Gesell­schaft verteilen würden, statt dass sich die einen die gut bezahlten Jobs unter den Nagel reissen, während Mütter, Klimaaktivist*innen und sozial enga­gierte Menschen ausbrennen, weil sie all das über­nehmen, was schlicht kein Geld abwerfen kann?

Witzi­ger­weise könnte man mit vielen Leistungen, die von Aktivist*innen erbracht werden, durchaus einen Haufen Geld verdienen – würde man sie unter einem anderen Vorzei­chen erbringen. Denn während die Klima­strei­kenden für das Verfassen ihrer Kommu­ni­ka­ti­ons­stra­te­gien nichts verdienen und deshalb ihre Frei­zeit dafür einsetzen müssen, um doch noch ein paar Franken für die Kran­ken­kas­sen­rech­nung zusam­men­zu­kriegen, sitzen auf der anderen Seite des gesell­schaft­li­chen Spiel­felds die Strategieberater*innen und Marke­ting­men­schen des Ener­gie­kon­zerns RWE[1] oder der Credit Suisse[2].  Sie können dieselben Leistungen in einem fürst­lich bezahlten Arbeits­ver­hältnis erbringen. Die Frei­zeit bleibt ihnen, um sich zu erholen.

Klimaaktivist*innen haben hingegen weder einen Stun­den­lohn noch eine Pensi­ons­kasse, eine Kran­ken­tag­geld­ver­si­che­rung oder eine Unfall­ver­si­che­rung. Zusam­men­ge­fasst: Ihre Ausgangs­lage ist richtig schlecht. Und dies, obwohl sie sich für ein Anliegen einsetzen, das uns alle betrifft. Denn auch der Chef­stra­tege von RWE und die Star­ban­kerin der Credit Suisse werden dereinst froh sein, wenn nicht alle Lawi­nen­ver­bau­ungen der Schweiz wegen aufge­tautem Perma­frost erneuert werden müssen, um den Schutz der Bevöl­ke­rung zu gewährleisten.

Es bleibt die Frage, was dann keine Arbeit ist

Wir werden also alle etwas davon haben, wenn das Klima dank dem Einsatz der Klima­strei­kenden nicht voll­ends kolla­biert. Die gesell­schaft­liche Stel­lung, in der die Aktivist*innen ihre Arbeit momentan verrichten müssen, ist jedoch mehr als prekär. Das ist nicht okay, denn sie leisten einen wich­tigen gesell­schaft­li­chen Beitrag. Und das sollte auch dementspre­chend goutiert werden. Vor allem wenn die Gegen­seite, anders als die Klima­strei­kenden, ledig­lich für die Inter­essen privater Wirt­schafts­player eintritt und ihr Personal easy mit ein paar Prozent des Profits finan­zieren kann, den sie, wie im Fall von RWE oder der Credit Suisse, auf Kosten der Allge­mein­heit erwirt­schaftet hat. Die Frage bleibt, ob das, was dieses Personal macht, dann eigent­lich noch Arbeit ist oder nicht. Denn Arbeit sollte nicht einfach das sein, was uns persön­lich Geld einbringt. Sondern das, was die Gesell­schaft braucht.

[1] Die RWE AG mit Sitz in Essen ist ein börsen­no­tierter Ener­gie­ver­sor­gungs­kon­zern und gehört welt­weit zu den grössten CO2-Emittenten.

[2] Sowohl die Credit Suisse als auch die zweite Schweizer Gross­bank, die UBS, inve­stieren nach wie vor massiv in CO2-inten­sive Projekte. Laut einem Bericht von Green­peace haben die zwei Schweizer Gross­banken im Jahr 2017 zusammen 12.3 Milli­arden Dollar in fossile Ener­gien inve­stiert. Die dadurch geför­derten Projekte sind für die Emis­sion von 93.9 Millionen Tonnen CO2-Äqui­va­lenten verant­wort­lich. Das ist doppelt so viel, wie die ganze Schweiz in einem Jahr ausstösst.


Jour­na­lismus kostet

Die Produk­tion dieses Arti­kels nahm 6 Stunden in Anspruch. Um alle Kosten zu decken, müssten wir mit diesem Artikel CHF 572 einnehmen.

Als Leser*in von das Lamm konsu­mierst du unsere Texte, Bilder und Videos gratis. Und das wird auch immer so bleiben. Denn: mit Paywall keine Demo­kratie. Das bedeutet aber nicht, dass die Produk­tion unserer Inhalte gratis ist. Die trockene Rech­nung sieht so aus:

Löse direkt über den Twint-Button ein Soli-Abo für CHF 60 im Jahr!

Ähnliche Artikel