Kann ich bitte aufs Klo?

Alle müssen auf die Toilette, auch Personen, die weder Mann noch Frau sind. Damit auch sie am öffent­li­chen Leben teil­nehmen können, braucht es geschlechts­neu­trale Toiletten. Ein Erfahrungsbericht. 
Auf die Toilette zu gehen kann für eine non-binäre Person zu einem unangenehmen Erlebnis werden. (Foto: Samuel Regan-Asante / Unsplash)

Du bist wieder neun Jahre alt. Du sitzt im Schul­zimmer und deine Blase drückt. Du hörst der Lehr­person schon lange nicht mehr zu. Das im Schul­bank einge­ritzte S‑Zeichen – ja, dieses coole S, das wir alle gekrit­zelt haben, wenn uns lang­weilig wurde im Mathe-Unter­richt – kratzt du tiefer und tiefer in das Holz hinein. Es fällt dir immer schwer, dich im Unter­richt zu melden, doch um die Toilette benutzen zu können, musst du um Erlaubnis fragen.

Du machst dich lang und streckst deinen linken Zeige­finger in die Höhe. Mit einem lang­ge­zo­genen „Siiieee” erlangst du die Aufmerk­sam­keit deiner Lehr­person. „Kann ich bitte aufs Klo?”, fragst du. „Ich weiss nicht, kannst du?”, antwortet die Fach­kraft. Diese Antwort war noch nie witzig und das wird sie auch niemals sein.

Diese unnö­tige Frage ist in diesem Fall ironisch gemeint. Für mich als non-binäre Person ist sie aber echt. Denn in unserer binären Gesell­schaft, in der alles für Männer und Frauen ausge­richtet ist, weiss ich wirk­lich nicht, ob ich aufs Klo kann. Weder beim Besuch im Schwimmbad, beim Einkaufen oder im Büro.

Mir wurde bei der Geburt das weib­liche Geschlecht zuge­wiesen, aber ich bin keine Frau. Und wie eine Frau aussehen tu ich schon gar nicht.

Ich bin zwar nicht sonder­lich gross, aber eher breit gebaut. Ich habe haarige Beine, einen eher „typisch männ­li­chen” Haar­schnitt, wenn ich die Haare zusam­men­binde, und ich trage am lieb­sten Klamotten, die ursprüng­lich aus der „Herren­ab­tei­lung” kommen. Optisch werde ich männ­lich gelesen. Und ich bin glück­lich so, wie ich bin. Bin ich aber unter­wegs, kann der Gedanke an den Gang auf die öffent­liche Toilette mir oftmals die Stim­mung verderben.

Nicht meine Box

Für mich gibt es nur zwei Optionen:

Entweder ich gehe auf die „Damen­toi­lette”. Bevor ich rein­gehe, hoffe ich, dass sie leer ist. Blöder­weise ist sie es aber dieses Mal nicht. Eine Frau wäscht gerade ihre Hände und dreht ihren Kopf in meine Rich­tung. Sie versucht ihre Emotionen zu verstecken, doch ich sehe, was über ihr Gesicht huscht: Neugier, Verwir­rung, Unver­ständnis, ein wenig Abscheu und Angst. Ich ducke mich und verschwinde so schnell wie möglich in die Kabine. Erst wenn ich höre, dass die Luft rein ist, traue ich mich wieder hinaus, um die Hände zu waschen. Mein Spie­gel­bild gibt wieder, was ich gerade fühle: Scham.

Ich werde auf die unan­ge­nehmste Art und Weise daran erin­nert, dass ich hier nicht will­kommen bin, dass dies nicht meine Box ist. Auch wenn ich jahre­lang versucht habe, in sie reinzupassen.

Wenn ich hingegen auf die „Herren­toi­lette” gehe, kommt mir als Erstes eine Welle von ekligen Gerü­chen entgegen. Es ist unge­wöhn­lich still und die Luft ist dick. Nur schon das kleinste Geräusch, eine falsche Bewe­gung könnte mich auffliegen lassen. Ich will diese Luft nicht einatmen. Ich habe Angst, dass die Art und Weise, wie ich atme, verraten könnte, dass ich eine Vulva habe. Vulva, Verwund­bar­keit, Vorur­teile. Ich hoffe so sehr, dass ich hier wieder heil rauskomme.

Ich habe nicht gelernt, mich in der toxisch masku­linen Atmo­sphäre zu bewegen. Ich weiss nicht, auf welche Art ich die Türe schliessen muss, um nicht aufzu­fallen. Darf man meinen Urin­strahl hören? Ist das männ­lich? Viel­leicht doch lieber leise und unauf­fällig. Und ja nicht zu laut abtupfen. Meine Miene beim Hände­wa­schen ist todernst. Ich meide jeden Blick­kon­takt. An mir kann man keine Emotionen ablesen. Schliesst sich endlich die Türe hinter mir, atme ich aus.

Wir sind kein Hype

Dieses Entweder-oder stellt mich als non-binäre Person vor eine unmög­liche Wahl. Die einzige Lösung ist geschlechts­neu­trale Toiletten: für alle, die sich weder auf der einen noch auf der anderen Toilette sicher und wohl fühlen. Wir brau­chen einen Safe Space, wenn wir bei einem Barbe­such mit Freund:innen kurz die Blase leeren müssen.

Die „Toilet­ten­de­batte” ist alles andere als lächer­lich. Man sagt, es gäbe „grös­sere Probleme”. Doch wenn eine Person beim Pinkeln Angst haben muss, ihr werde etwas angetan, ist das ein grosses Problem. Und es ist keine Klei­nig­keit, dass wir aus beiden Toiletten raus­ge­schickt werden mit dem Kommentar: „Die Herren-/Damen­toi­lette ist da lang.” 

Und nein, dieser „Gender­wahn” ist kein Hype. Ein Hype zieht vorbei.

Wir sind aber keine Hipster, die irgend­wann den Bart wieder abra­sieren und die langen Haare abschneiden. Unsere Geschlechts­iden­tität begleitet uns jeden Tag, sie macht uns zu dem Menschen, der wir sind. Wir können sie nicht einfach wieder ablegen. Vor allem sollten wir es nicht tun müssen, nur um auf die Toilette gehen zu können.

Also, liebe Schweizer Gesell­schaft: Kann ich bitte endlich aufs Klo?


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