«Ich schaffe es nicht, mehr als einmal am Tag all diese Treppen zu steigen. Bis ich oben bin, brauche ich zwei bis drei Pausen.» Alif Aktar, der in Wirklichkeit anders heisst, sitzt auf dem Vorplatz des Internetcafés Kafi Klick in Wiedikon, auf dem Tisch eine Tasse Kaffee. Er wirkt routiniert, nickt hier und da anderen Besuchenden zu. Seine 70 Jahre sieht man ihm mit seinen Jeans und Vans auf den ersten Blick kaum an.
In gebrochenem Deutsch mit Zürcher Akzent erzählt der gebürtige Bangladeschi und ehemalige Politiker von seinem Bandscheibenvorfall und seinen Knieproblemen. Und wie er jeden Tag gut planen muss, weil seine Wohnung im fünften Stock liegt. «Hätte die Wohnung einen Lift, wäre alles anders.»
Die Wohnkrise in Zürich ist allgegenwärtig. Doch die Debatte darüber – etwa, was überhaupt als «bezahlbare Wohnung» gilt – richtet sich meist an den städtischen, gut gebildeten und gutverdienenden Mittelstand.
Die Artikelserie «Wohnungssuche am Limit» ist eine Kooperation zwischen das Lamm und dem Kafi Klick. Sie stellt jene in den Mittelpunkt, die besonders gefährdet sind: Menschen mit unsicherem Aufenthaltsstatus, in prekären Arbeitsverhältnissen oder mit geringem Einkommen – ebenso ältere Menschen, alleinerziehende Personen oder solche mit fehlenden Sprach- und Digitalkenntnissen.
Treppen und fehlende Privatsphäre
Als Aktar Ende 2023 nach einem 12-jährigen Aufenthalt in seinem Heimatland nach Zürich zurückkehrte, stand er erst ohne Unterkunft da. Das Sozialamt half ihm damals bei der Wohnungssuche. «Aber ich wollte auf keinen Fall beim Sozialamt bleiben», sagt Aktar. Bald konnte er ein unmöbliertes Zimmer im Zentrum Zürichs beziehen, für 752 Franken inklusive Nebenkosten.
Kostete eine 2‑Zimmerwohnung 2020 durchschnittlich noch 1’378 Franken, sind es 2025 bereits 1’950 Franken.
Trotzdem sucht Aktar seither ununterbrochen eine Wohnung. Denn für ihn ist das Zimmer nur eine Übergangslösung. «Das liegt nicht nur am fehlenden Lift».
Das Zimmer misst 20 Quadratmeter – das sei für ihn alleine ganz in Ordnung. Aber es sei mühsam, die Gemeinschaftsküche und die zwei Toiletten und Duschen mit 12 anderen Personen teilen zu müssen. «Wenn ich kochen will, muss ich warten. Und für meine Einkäufe ist kein Platz im Kühlschrank.» Deshalb kaufe er kaum noch Fleisch und koche nur zweimal pro Woche.
Das Zusammenleben mit den anderen, meist jüngeren Bewohner*innen, beschränkt sich auf knappe Wortwechsel in der Küche oder im Flur. «Alle schauen für sich. Mein Vorschlag, eine gemeinsame Kasse für Züri-Säcke einzurichten, stiess auf wenig Interesse.» Und manchmal würde laut gestritten. «Das passiert natürlich, wenn drei Leute ein Zimmer teilen müssen.»
Von den acht Zimmern in der Wohnung sind momentan sieben vermietet – einige doppelt, andere sogar dreifach belegt, erklärt Aktar. So wohnten manchmal bis zu drei Personen in Zimmern, die noch kleiner seien als seines. Es komme auch vor, dass jemand sein Zimmer mit zwei anderen teile und von diesen je 300 Franken verlange – und dadurch die eigenen Wohnkosten spare.
Die Verwaltung wisse von all dem aber nichts.
Diese lasse zu wünschen übrig, sagt Aktar kopfschüttelnd. «Weisst du, wenn du heute etwas meldest, passiert erst mal gar nichts.» So sei er wegen eines rinnenden Wasserhahns in der Küche dreimal zur Verwaltung gegangen, bis sie ihm schliesslich mittteilte, dass er doch ein E‑Mail schicken soll. Erst nachdem er ein Video geschickt habe, habe sich die Verwaltung sechs Monate später um die Sache gekümmert.
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Mit der Liegenschaftsverwaltung, einem renommierten schweizweiten Immobilienunternehmen, möchte sich Aktar lieber nicht anlegen. «Manchmal will ich reklamieren, aber dann denke ich wieder: Das gibt nur Ärger.»
Also sucht er weiter nach einer Wohnung. «Wenn sie im ersten Stock liegt, geht es auch ohne Lift», sagt er. Seine Rückenprobleme begannen, als er in einem Bankettbetrieb arbeitete. «Fast den ganzen Tag musste ich Tische schleppen, obwohl ich eigentlich als Kellner angestellt war.»
Am liebsten hätte der 70-Jährige eine 2.5‑Zimmerwohnung in Zürich, wo er seit über 25 Jahren lebt. Drei seiner Kinder und viele Bekannte wohnen ebenfalls hier. Wenn er älter wird, werden sie ihn pflegen kommen. Auch seine Tochter aus Deutschland würde er gern beherbergen, wenn sie ihn besucht. «Doch das ist momentan nicht möglich». Das letzte Mal mussten sie deshalb eine Ferienwohnung mieten.
Zahlen, die gegen ihn sprechen
Aktars Wunsch nach einer eigenen Wohnung kontrastiert aber hart mit der Realität des Zürcher Immobilienmarkts. Seine AHV-Rente von 575 Franken reicht nirgends hin, und er ist auf Ergänzungsleistungen angewiesen. Diese decken für ihn maximal 1’465 Franken für die Miete.
«Um eine komplette Bewerbung samt allen Unterlagen zu verschicken, sind meine digitalen Kenntnisse zu klein.»
Alif Aktar*
Eine kurze Suche auf den gängigen Wohnungsportalen zeigt schnell: Wer in der Stadt Zürich mit diesem Budget eine unbefristete, altersgerechte 2‑Zimmerwohnung sucht, stösst in der Suchergebnissparte auf gähnende Leere.
Das erstaunt kaum. Zwar stieg die Leerwohnungsziffer in Zürich im Vergleich zum Vorjahr von 169 auf 235, doch gleichzeitig schiessen die Mieten weiter rasant in die Höhe. Kostete eine 2‑Zimmerwohnung 2020 durchschnittlich noch 1’378 Franken, sind es 2025 bereits 1‘950 Franken. Die Mietzinsmaxima der Ergänzungsleistungen hingegen wurden zuletzt 2021 angepasst – und hinken der Entwicklung hinterher.
Neue digitale Hürden
Wohnungssuche ist für den vierfachen Familienvater nichts Neues – er musste oft umziehen, meist unfreiwillig. Bangladesch verliess er, weil ich für die Oppositionspartei arbeitete. «Damals bestand die Gefahr, dass mich die Polizei verhaftet.» An das Datum seiner Einreise in die Schweiz erinnert sich der damals 35-Jährige noch genau: der 26. März 1990.
Nachdem er politisches Asyl erhalten hatte, fand er bald eine Stelle als Abwascher im Mövenpickrestaurant im Stadtzürcher Kreis 1 und heiratete eine Schweizerin. Später erhielt er eine Festanstellung bei der damaligen SSG, der Schweizerischen Speisewagen Gesellschaft, wo er Zugpassagieren quer durch die Schweiz Snacks aus dem fahrenden Kiosk verkaufte.
2011 kehrte Aktar aus familiären Gründen nach Bangladesch zurück. Doch da seine Kinder und Grosskinder alle in der Schweiz und Deutschland leben, entschloss er sich nach der Pensionierung 2020, zurück in die Schweiz zu ziehen. Sein ältester Sohn hat eine Behinderung und wohnt in einer Klinik in Zürich. «Ich wollte ihn regelmässig besuchen können», erklärt Aktar.
Obwohl sich Aktar die Wohnungssuche gewohnt ist, stellt sie ihn heute vor neue Hürden.
Auf seinem Handy sucht er auf den bekannten Portalen wie Homegate oder Comparis nach Inseraten. Natürlich bewirbt er sich auch wöchentlich auf Stadtwohnungen. «Doch um eine komplette Bewerbung samt allen Unterlagen zu verschicken, sind meine digitalen Kenntnisse zu klein.» Und er besitzt weder einen Computer noch einen Scanner.
Darum geht er ins Kafi Klick, wo ihn Mitarbeitende unterstützen. Sie helfen ihm, einen passenden Bewerbungsbrief zu schreiben, suchen auf seinem USB-Stick die nötigten Dokumente und verschicken die Bewerbung.
Das Kafi Klick unterstützt seit über 15 Jahren bei der Arbeits- oder Wohnungssuche und bei administrativen Angelegenheiten jeglicher Art: Etwa bei Einsprachen gegen Entscheide der Sozialdienste oder bei Taggeldkürzungen der Arbeitslosenkasse. Das Kafi bietet niederschwellige Beratungen in mindestens fünf Sprachen an, öffnet jeden Nachmittag seine Türen und bietet neben dem Gratiszugang zu Computern, Kopierern und Internet auch einen Treffpunkt für Austausch, Vernetzung und nicht zuletzt einen geheizten Aufenthaltsraum und Kaffee.
Immer warten
«Die Suche ist ermüdend. Immer warten, warten, warten auf den Bescheid.» Und schliesslich kommt doch eine Absage. «Mein Problem ist, dass ich bis vor Kurzem noch keine zwei Jahre wieder in Zürich lebte.»
Diese zwei Jahre sind oft Bedingung, um sich auf eine städtische Wohnung zu bewerben oder Hilfsangebote bei der Wohnungssuche in Anspruch zu nehmen. «Entweder du wohnst schon zwei Jahre in der Stadt oder du musst eine Kündigung erhalten haben.»
Seit Oktober erfüllt Aktar die Zweijahresfrist und bewirbt sich für Alterswohnungen der Stadt Zürich, denn auch dort gilt diese Regel. «Am Telefon wurde mir aber mitgeteilt, dass es wegen der Wohnungssnot im Moment ohne Kündigung sehr schwierig ist, bald etwas zu bekommen.»
Also wird Aktar auch in den kommenden Wochen weiter auf seinem Handy nach Inseraten suchen.
Falls Leser*innen von geeigneten Wohnräumen für die Porträtierten wissen, können sie gerne über Kafi Klick mit sophie.hartmann[at]kafiklick.ch in Kontakt treten.
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