Kein Lift, kein Platz, keine Privatsphäre

Der 70-jährige Alif Aktar ist eine von vielen älteren Personen in Zürich, die trotz Ergän­zungs­lei­stungen keine alters­ge­rechte Wohnung finden. Heute schafft er es kaum, die Treppen bis in seine Wohnung empor zu steigen. 
Alif Aktars Budget lässt ihm auf dem Zürcher Wohnungsmarkt kaum Chancen. (Bild: Kira Kynd)

«Ich schaffe es nicht, mehr als einmal am Tag all diese Treppen zu steigen. Bis ich oben bin, brauche ich zwei bis drei Pausen.» Alif Aktar, der in Wirk­lich­keit anders heisst, sitzt auf dem Vorplatz des Inter­net­cafés Kafi Klick in Wiedikon, auf dem Tisch eine Tasse Kaffee. Er wirkt routi­niert, nickt hier und da anderen Besu­chenden zu. Seine 70 Jahre sieht man ihm mit seinen Jeans und Vans auf den ersten Blick kaum an. 

In gebro­chenem Deutsch mit Zürcher Akzent erzählt der gebür­tige Bangla­de­schi und ehema­lige Poli­tiker von seinem Band­schei­ben­vor­fall und seinen Knie­pro­blemen. Und wie er jeden Tag gut planen muss, weil seine Wohnung im fünften Stock liegt. «Hätte die Wohnung einen Lift, wäre alles anders.»

Die Wohn­krise in Zürich ist allge­gen­wärtig. Doch die Debatte darüber – etwa, was über­haupt als «bezahl­bare Wohnung» gilt – richtet sich meist an den städ­ti­schen, gut gebil­deten und gutver­die­nenden Mittel­stand.
Die Arti­kel­serie «Wohnungs­suche am Limit» ist eine Koope­ra­tion zwischen das Lamm und dem Kafi Klick. Sie stellt jene in den Mittel­punkt, die beson­ders gefährdet sind: Menschen mit unsi­cherem Aufent­halts­status, in prekären Arbeits­ver­hält­nissen oder mit geringem Einkommen – ebenso ältere Menschen, allein­er­zie­hende Personen oder solche mit fehlenden Sprach- und Digitalkenntnissen.

Treppen und fehlende Privatsphäre

Als Aktar Ende 2023 nach einem 12-jährigen Aufent­halt in seinem Heimat­land nach Zürich zurück­kehrte, stand er erst ohne Unter­kunft da. Das Sozi­alamt half ihm damals bei der Wohnungs­suche. «Aber ich wollte auf keinen Fall beim Sozi­alamt bleiben», sagt Aktar. Bald konnte er ein unmö­bliertes Zimmer im Zentrum Zürichs beziehen, für 752 Franken inklu­sive Nebenkosten. 

Kostete eine 2‑Zimmerwohnung 2020 durch­schnitt­lich noch 1’378 Franken, sind es 2025 bereits 1’950 Franken.

Trotzdem sucht Aktar seither unun­ter­bro­chen eine Wohnung. Denn für ihn ist das Zimmer nur eine Über­gangs­lö­sung. «Das liegt nicht nur am fehlenden Lift».

Das Zimmer misst 20 Quadrat­meter – das sei für ihn alleine ganz in Ordnung. Aber es sei mühsam, die Gemein­schafts­küche und die zwei Toiletten und Duschen mit 12 anderen Personen teilen zu müssen. «Wenn ich kochen will, muss ich warten. Und für meine Einkäufe ist kein Platz im Kühl­schrank.» Deshalb kaufe er kaum noch Fleisch und koche nur zweimal pro Woche. 

Das Zusam­men­leben mit den anderen, meist jüngeren Bewohner*innen, beschränkt sich auf knappe Wort­wechsel in der Küche oder im Flur. «Alle schauen für sich. Mein Vorschlag, eine gemein­same Kasse für Züri-Säcke einzu­richten, stiess auf wenig Inter­esse.» Und manchmal würde laut gestritten. «Das passiert natür­lich, wenn drei Leute ein Zimmer teilen müssen.»

Von den acht Zimmern in der Wohnung sind momentan sieben vermietet – einige doppelt, andere sogar drei­fach belegt, erklärt Aktar. So wohnten manchmal bis zu drei Personen in Zimmern, die noch kleiner seien als seines. Es komme auch vor, dass jemand sein Zimmer mit zwei anderen teile und von diesen je 300 Franken verlange – und dadurch die eigenen Wohn­ko­sten spare.

Die Verwal­tung wisse von all dem aber nichts.

Diese lasse zu wünschen übrig, sagt Aktar kopf­schüt­telnd. «Weisst du, wenn du heute etwas meldest, passiert erst mal gar nichts.» So sei er wegen eines rinnenden Wasser­hahns in der Küche dreimal zur Verwal­tung gegangen, bis sie ihm schliess­lich mitt­teilte, dass er doch ein E‑Mail schicken soll. Erst nachdem er ein Video geschickt habe, habe sich die Verwal­tung sechs Monate später um die Sache gekümmert. 

Mit der Liegen­schafts­ver­wal­tung, einem renom­mierten schweiz­weiten Immo­bi­li­en­un­ter­nehmen, möchte sich Aktar lieber nicht anlegen. «Manchmal will ich rekla­mieren, aber dann denke ich wieder: Das gibt nur Ärger.»

Also sucht er weiter nach einer Wohnung. «Wenn sie im ersten Stock liegt, geht es auch ohne Lift», sagt er. Seine Rücken­pro­bleme begannen, als er in einem Bankett­be­trieb arbei­tete. «Fast den ganzen Tag musste ich Tische schleppen, obwohl ich eigent­lich als Kellner ange­stellt war.» 

Am lieb­sten hätte der 70-Jährige eine 2.5‑Zimmerwohnung in Zürich, wo er seit über 25 Jahren lebt. Drei seiner Kinder und viele Bekannte wohnen eben­falls hier. Wenn er älter wird, werden sie ihn pflegen kommen. Auch seine Tochter aus Deutsch­land würde er gern beher­bergen, wenn sie ihn besucht. «Doch das ist momentan nicht möglich». Das letzte Mal mussten sie deshalb eine Feri­en­woh­nung mieten.

Zahlen, die gegen ihn sprechen

Aktars Wunsch nach einer eigenen Wohnung kontra­stiert aber hart mit der Realität des Zürcher Immo­bi­li­en­markts. Seine AHV-Rente von 575 Franken reicht nirgends hin, und er ist auf Ergän­zungs­lei­stungen ange­wiesen. Diese decken für ihn maximal 1’465 Franken für die Miete.

«Um eine komplette Bewer­bung samt allen Unter­lagen zu verschicken, sind meine digi­talen Kennt­nisse zu klein.»

Alif Aktar*

Eine kurze Suche auf den gängigen Wohnungs­por­talen zeigt schnell: Wer in der Stadt Zürich mit diesem Budget eine unbe­fri­stete, alters­ge­rechte 2‑Zimmerwohnung sucht, stösst in der Such­ergeb­nis­sparte auf gähnende Leere. 

Das erstaunt kaum. Zwar stieg die Leer­woh­nungs­ziffer in Zürich im Vergleich zum Vorjahr von 169 auf 235, doch gleich­zeitig schiessen die Mieten weiter rasant in die Höhe. Kostete eine 2‑Zimmerwohnung 2020 durch­schnitt­lich noch 1’378 Franken, sind es 2025 bereits 1‘950 Franken. Die Miet­zins­ma­xima der Ergän­zungs­lei­stungen hingegen wurden zuletzt 2021 ange­passt – und hinken der Entwick­lung hinterher.

Neue digi­tale Hürden

Wohnungs­suche ist für den vier­fa­chen Fami­li­en­vater nichts Neues – er musste oft umziehen, meist unfrei­willig. Bangla­desch verliess er, weil ich für die Oppo­si­ti­ons­partei arbei­tete. «Damals bestand die Gefahr, dass mich die Polizei verhaftet.» An das Datum seiner Einreise in die Schweiz erin­nert sich der damals 35-Jährige noch genau: der 26. März 1990. 

Nachdem er poli­ti­sches Asyl erhalten hatte, fand er bald eine Stelle als Abwa­scher im Möven­pick­re­stau­rant im Stadt­zür­cher Kreis 1 und heira­tete eine Schwei­zerin. Später erhielt er eine Fest­an­stel­lung bei der dama­ligen SSG, der Schwei­ze­ri­schen Spei­se­wagen Gesell­schaft, wo er Zugpas­sa­gieren quer durch die Schweiz Snacks aus dem fahrenden Kiosk verkaufte. 

2011 kehrte Aktar aus fami­liären Gründen nach Bangla­desch zurück. Doch da seine Kinder und Gross­kinder alle in der Schweiz und Deutsch­land leben, entschloss er sich nach der Pensio­nie­rung 2020, zurück in die Schweiz zu ziehen. Sein älte­ster Sohn hat eine Behin­de­rung und wohnt in einer Klinik in Zürich. «Ich wollte ihn regel­mässig besu­chen können», erklärt Aktar.

Obwohl sich Aktar die Wohnungs­suche gewohnt ist, stellt sie ihn heute vor neue Hürden. 

Auf seinem Handy sucht er auf den bekannten Portalen wie Home­gate oder Comparis nach Inse­raten. Natür­lich bewirbt er sich auch wöchent­lich auf Stadt­woh­nungen. «Doch um eine komplette Bewer­bung samt allen Unter­lagen zu verschicken, sind meine digi­talen Kennt­nisse zu klein.» Und er besitzt weder einen Computer noch einen Scanner. 

Darum geht er ins Kafi Klick, wo ihn Mitar­bei­tende unter­stützen. Sie helfen ihm, einen passenden Bewer­bungs­brief zu schreiben, suchen auf seinem USB-Stick die nötigten Doku­mente und verschicken die Bewerbung.

Das Kafi Klick unter­stützt seit über 15 Jahren bei der Arbeits- oder Wohnungs­suche und bei admi­ni­stra­tiven Ange­le­gen­heiten jegli­cher Art: Etwa bei Einspra­chen gegen Entscheide der Sozi­al­dienste oder bei Taggeld­kür­zungen der Arbeits­lo­sen­kasse. Das Kafi bietet nieder­schwel­lige Bera­tungen in minde­stens fünf Spra­chen an, öffnet jeden Nach­mittag seine Türen und bietet neben dem Gratis­zu­gang zu Compu­tern, Kopie­rern und Internet auch einen Treff­punkt für Austausch, Vernet­zung und nicht zuletzt einen geheizten Aufent­halts­raum und Kaffee.

Immer warten

«Die Suche ist ermü­dend. Immer warten, warten, warten auf den Bescheid.» Und schliess­lich kommt doch eine Absage. «Mein Problem ist, dass ich bis vor Kurzem noch keine zwei Jahre wieder in Zürich lebte.» 

Diese zwei Jahre sind oft Bedin­gung, um sich auf eine städ­ti­sche Wohnung zu bewerben oder Hilfs­an­ge­bote bei der Wohnungs­suche in Anspruch zu nehmen. «Entweder du wohnst schon zwei Jahre in der Stadt oder du musst eine Kündi­gung erhalten haben.» 

Seit Oktober erfüllt Aktar die Zwei­jah­res­frist und bewirbt sich für Alters­woh­nungen der Stadt Zürich, denn auch dort gilt diese Regel. «Am Telefon wurde mir aber mitge­teilt, dass es wegen der Wohnungs­snot im Moment ohne Kündi­gung sehr schwierig ist, bald etwas zu bekommen.»

Also wird Aktar auch in den kommenden Wochen weiter auf seinem Handy nach Inse­raten suchen.

Falls Leser*innen von geeig­neten Wohn­räumen für die Porträ­tierten wissen, können sie gerne über Kafi Klick mit sophie.hartmann[at]kafiklick.ch in Kontakt treten.


Jour­na­lismus kostet

Die Produk­tion dieses Arti­kels nahm 23 Stunden in Anspruch. Um alle Kosten zu decken, müssten wir mit diesem Artikel CHF 1456 einnehmen.

Als Leser*in von das Lamm konsu­mierst du unsere Texte, Bilder und Videos gratis. Und das wird auch immer so bleiben. Denn: mit Paywall keine Demo­kratie. Das bedeutet aber nicht, dass die Produk­tion unserer Inhalte gratis ist. Die trockene Rech­nung sieht so aus:

Soli­da­ri­sches Abo

Nur durch Abos erhalten wir finan­zi­elle Sicher­heit. Mit deinem Soli-Abo ab 60 CHF im Jahr oder 5 CHF im Monat unter­stützt du uns nach­haltig und machst Jour­na­lismus demo­kra­tisch zugäng­lich. Wer kann, darf auch gerne einen höheren Beitrag zahlen.

Ihr unter­stützt mit eurem Abo das, was ihr ohnehin von uns erhaltet: sorg­fältig recher­chierte Infor­ma­tionen, kritisch aufbe­reitet. So haltet ihr unser Magazin am Leben und stellt sicher, dass alle Menschen – unab­hängig von ihren finan­zi­ellen Ressourcen – Zugang zu fundiertem Jour­na­lismus abseits von schnellen News und Click­bait erhalten.

In der kriselnden Medi­en­welt ist es ohnehin fast unmög­lich, schwarze Zahlen zu schreiben. Da das Lamm unkom­mer­ziell ausge­richtet ist, keine Werbung schaltet und für alle frei zugäng­lich bleiben will, sind wir um so mehr auf eure soli­da­ri­schen Abos ange­wiesen. Unser Lohn ist unmit­telbar an eure Abos und Spenden geknüpft. Je weniger Abos, desto weniger Lohn haben wir – und somit weniger Ressourcen für das, was wir tun: Kriti­schen Jour­na­lismus für alle.