Das Klimaschutzgesetz (KIG), das die Schweizer Stimmbevölkerung 2023 klar angenommen hat, wäre eigentlich deutlich: Der Finanzplatz Schweiz soll seine Geschäfte klimafreundlich ausrichten, heisst es dort. Auf direktem Weg verursachen die Schweizer Finanzinstitute zwar kaum Emissionen; indirekt sind sie aber für sehr viel CO2 verantwortlich, da sie in fossile Infrastruktur investieren. Laut einer Studie der Beratungsfirma McKinsey von 2022 liegen sechs- bis neunmal mehr Emissionen im Einflussbereich des Schweizer Finanzplatzes, als die Schweiz auf ihrem Territorium verursacht.
Auch das Pariser Klimaabkommen verlangt explizit, Finanzmittelflüsse mit der Klimakrise in Einklang zu bringen.
Während für andere Wirtschaftssektoren bereits seit Jahren Klimaauflagen gelten, wurde der Finanzplatz bis anhin verschont. Einzig eine Berichterstattungspflicht zur Klimaverträglichkeit der eigenen Geschäfte besteht derzeit. Weil die Berichterstattung anonym erfolgt, müssen die Finanzinstitute dabei nicht einmal mit ihrem Namen hinstehen.
Das neue Klimaschutzgesetz sollte das ändern. Jetzt zeigt sich aber: Ob der Finanzplatz tatsächlich in die Pflicht genommen wird, ist fraglich.
Bund ist nicht gleich Bundesrat
Die Umsetzung des Gesetzes soll in der Klimaschutzverordnung (KIV) geregelt werden und diese befindet sich mittlerweile in der Vernehmlassung. Noch bis Ende Monat haben NGOs, Parteien, Kantone und andere Interessengruppen Zeit, Stellung zum Entwurf zu nehmen.
Während das Gesetz vor allem die Ziele regelt – wie eben zum Beispiel den Finanzplatz klimaverträglich auszurichten –, geht es in der Verordnung darum, den Weg zu diesen Zielen festzulegen. Wer muss was bis wann tun? Welche Grenzwerte müssen eingehalten werden? Wer überprüft die Fortschritte bei der Umsetzung des Gesetzes? Die Verordnung ist also entscheidend für einen klimaverträglichen Finanzplatz.
Im vorliegenden Entwurf der Verordnung gibt es jedoch einen grossen Abwesenden: den Finanzplatz. Klimaschutzmassnahmen, die diesen betreffen, kommen darin keine vor. Und auch im begleitenden Bericht heisst es lediglich: „Die bestehende gesetzliche Grundlage erlaubt es nicht, in der vorliegenden Verordnung konkrete Massnahmen zur Verminderung der Klimawirkung von Finanzmittelflüssen zu ergreifen.“
Das ist auf den ersten Blick irritierend: Wurde diese Grundlage nicht eben mit dem Volks-Ja zum KIG geschaffen? „Der Bund sorgt dafür, dass der Schweizer Finanzplatz einen effektiven Beitrag zur emissionsarmen und gegenüber dem Klimawandel widerstandsfähigen Entwicklung leistet“, heisst es dort unter Artikel 9.
Entscheidend sei eine Begriffsfrage, schreibt das Bundesamt für Umwelt BAFU auf Nachfrage via Twitter. Der Gesetzesartikel „gibt diesen Auftrag dem Bund und nicht dem Bundesrat“. Damit der Bundesrat auf Verordnungsstufe aktiv werden könne, müsste man ihm mit einem Gesetz zuerst explizit den Auftrag dazu erteilen. „Ein Vorschlag dafür kann vom Parlament oder dem Bundesrat kommen“, so das BAFU weiter.
Juristisch ist das nicht falsch. Der Bundesrat verzichtet aber nicht bloss darauf, die Regulierung des Finanzplatzes zu konkretisieren. Sondern – sofern bekannt – auch darauf, einen entsprechenden Gesetzesentwurf zu erarbeiten, in dem dann nicht mehr „Bund“, sondern „Bundesrat“ stehen würde.
Die Begriffsklauberei betrifft aber ohnehin nur einen Teil des für den Finanzplatz entscheidenden Artikel 9 im KIG. Der zweite Absatz des Artikels sieht nämlich vor, dass der Bundesrat mit der Finanzbranche Vereinbarungen zur klimaverträglichen Ausrichtung der Finanzflüsse abschliessen kann. Damit steht der Verwaltung ein neues Instrument für die Klimazusammenarbeit mit dem Finanzplatz zur Verfügung. Und anders als im ersten Absatz wird hier nicht der Bund, sondern tatsächlich der Bundesrat adressiert.
Doch auch dazu findet sich in der aktuellen Verordnung nichts. Genau hier könnte geklärt werden, welches Bundesamt für die Erarbeitung solcher Vereinbarungen zuständig ist. Und es könnte aufgelistet werden, was diese Vereinbarungen genau regeln sollen, wer ihre Einhaltung kontrolliert und bis wann deren Ausarbeitung abgeschlossen sein muss.
Das liege daran, dass der Absatz bereits genügend klar sei, schreibt das BAFU: „Er gibt dem Bundesrat die Kompetenz, mit der Finanzbranche Vereinbarungen abzuschliessen.“ Womit die Behörde klar macht, in welche Richtung die Umsetzung gehen wird: Die Banken haben nichts zu befürchten.
Ob der Bundesrat die neue Kompetenz also wirklich nutzen wird – daran bestehen berechtigte Zweifel. Obwohl er dazu einen klaren Auftrag erhalten hat, wie Marcel Hänggi sagt. Er war Initiator der Gletscherinitiative, auf deren Grundlage das KIG erarbeitet wurde. Hänggi betont, dass die Stimmbevölkerung sich mit der Annahme des KIG deutlich für entsprechende Massnahmen im Finanzsektor ausgesprochen habe. Der Wille der Gesetzgebenden sei hinreichend klar: „Sonst hätte man den Artikel 9 auch ganz weglassen können.“
Das wäre dem Bundesrat wohl am liebsten gewesen. Diesen Eindruck hinterlässt jedenfalls sein Umsetzungsplan. „Der Finanzplatzartikel würde mit dem vorliegenden Entwurf der KlV völlig ungenügend umgesetzt“, schreibt Patrick Hofstetter, Klimaschutzexperte beim WWF Schweiz. Mit der vorliegenden Verordnung verpasse es der Bund einmal mehr, konkrete Massnahmen und verbindliche Ziele zu benennen, mit denen die durch den Finanzplatz mitfinanzierte Klimaverschmutzung eingeschränkt werden könnte.
Keine Massnahmen für den Finanzplatz
Das Klimaschutzgesetz und die dazugehörige Verordnung bleiben voraussichtlich nicht nur weitgehend wirkungslos, wenn es um CO2-Reduktionen geht, die im Einflussbereich des Schweizer Finanzplatzes stehen. Sie werden sogar dafür eingesetzt, weitere Regulierungen und Massnahmen zu unterbinden.
Auch die kürzlich abgeschlossene Überarbeitung des CO2-Gesetzes, das von 2025 bis 2030 gelten wird, sieht keine Klimaschutzmassnahmen für den Finanzplatz vor. Eine linke Minderheit verlangte im Ständerat zwar, den Finanzplatz neu zu jenen Wirtschaftssektoren hinzuzuzählen, in denen Klimaschutzmassnahmen ergriffen werden müssen. Aber die Bürgerlichen versenkten die Ergänzung. Eine ihrer Begründungen: Der Finanzplatz würde ja nun bereits durch die Bestimmungen im KIG abgedeckt. Zu diesem Zeitpunkt aber lag der Entwurf der Klimaschutzverordnung bereits vor, in dem keine Massnahmen für den Finanzplatz erwähnt werden.
Vor allem Bundesrat Albert Rösti, der als Chef des Umweltdepartements für die Erarbeitung der KIV verantwortlich ist, dürfte bestens darüber informiert gewesen sein, dass die aktuelle KIV beim Finanzplatz nicht verfängt. Trotzdem schloss er sich der Argumentation von SVP und FDP an: „Wenn die Finanzwirtschaft im CO2-Gesetz nicht erwähnt wird, heisst das nicht, dass sie nicht ihren Beitrag gemäss Klimaschutzgesetz leisten muss.“ Richtig wäre das nur, wenn der Bundesrat seinen Auftrag ernst nehmen – und das Klimaschutzgesetz richtig umsetzen würden.
Dieser Beitrag erscheint zeitgleich bei der WOZ.
Hier die Schweizer Klimagesetzgebung auf einen Blick (oder vielleicht auf zwei):
Du willst mehr über das wichtigste Klimaschutzgesetz der Schweiz wissen? Kein Problem. Das Lamm hat zusammen mit Radio Stadtfilter eine dreiteilige Podcast-Serie zum CO2-Gesetz aufgenommen.
In Teil eins geht es die Grundlage des CO2-Gesetzes, das Pariser Abkommen. Denn die Art, wie man unter dem Pariser Abkommen die Emissionen zusammenzählt, ist für kaum ein anderes Land so vorteilhaft wie für die Schweiz.
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