Klima­fi­nan­zie­rung aus der Schweiz: gebro­chene Versprechen

Neue Zahlen zeigen: Die Schweiz bezahlt weniger Geld an die Länder des globalen Südens als verspro­chen – obwohl das Ziel von Anfang an tief ange­setzt war. 
Die Schweiz sei reich, aber vergleichsweise unschuldig an der Klimakrise, findet der Bundesrat. (Bild: Unsplash)

Über­schwem­mungen in Paki­stan, Wald­brände in Südfrank­reich, Dürren in ganz Europa. Der vergan­gene Sommer zeigte einmal mehr: Die Klima­krise ist keine abstrakte Gefahr mehr, sondern Realität. Dieser Tage treffen sich Vertreter*innen aus der ganzen Welt zum wieder­holten Mal zu einer Welt­kli­ma­kon­fe­renz, um über die Bekämp­fung zukünf­tiger Kata­stro­phen zu verhandeln.

Aus einer vergan­genen Verhand­lung stammt etwa die Zahl 1.5 Grad, die mitt­ler­weile den meisten bekannt ist: So stark darf sich die Atmo­sphäre maximal aufheizen, wenn wir das Schlimmste noch verhin­dern wollen. Eine andere Zahl wird weniger oft erwähnt: 100 Milli­arden US-Dollar. Die soge­nannten Indu­strie­staaten verpflich­teten sich im Pariser Abkommen auch dazu, ab dem Jahr 2020 jähr­lich diesen Geld­be­trag zusam­men­zu­legen und an „Entwick­lungs­länder“ zu zahlen, damit diese Mass­nahmen zur Bekämp­fung der Klima­ka­ta­strophe ergreifen können.

Auch die Schweiz muss einen Teil dieses Gelds bezahlen. Ein kürz­lich veröf­fent­lichter Bericht zeigt aller­dings: Sie zahlte bisher weit weniger, als sie verspro­chen hatte.

Reich, aber unschuldig?

Ein Blick in die vergan­genen Jahre zeigt, wie schwierig es ist, in den drän­gend­sten global­po­li­ti­schen Fragen in Klima­sa­chen Eini­gung zu finden.

Die UNO-Klima­kon­fe­renz in Kopen­hagen 2009 etwa war ein Rein­fall: Zu keinem der vorgängig geplanten Trak­tanden konnte ein Konsens erreicht werden. Am Ende kam kaum mehr dabei herum als die Eini­gung, dass die Klima­er­wär­mung ein wich­tiges Thema sei, dem man sich annehmen sollte. Verbind­liche Beschlüsse: Fehl­an­zeige. Eine lose Abma­chung wurde dennoch getroffen und in den folgenden Jahren gefe­stigt: Ab dem Jahr 2020 sollten 100 Milli­arden US-Dollar als Klima­fi­nan­zie­rung von Indu­strie­staaten an Entwick­lungs­länder fliessen.

Die Hälfte der Gelder soll Projekten zugu­te­kommen, die Treib­haus­gas­emis­sionen verrin­gern, zum Beispiel Solar­parks. Die andere Hälfte soll dazu dienen, dass sich die beson­ders von der Klima­krise betrof­fenen Länder an deren Auswir­kungen anpassen können. Die Idee: Da Indu­strie­staaten für den Gross­teil der Emis­sionen verant­wort­lich sind, sollen sie auch den Gross­teil der Mass­nahmen bezahlen.

Doch die Abma­chung war von Anfang an ungenau. Vor allem weil die Konfe­renzen nie fest­legten, wer wie viel Geld zu diesen 100 Milli­arden beitragen muss. Statt­dessen soll jedes Land selbst entscheiden, welcher Betrag ange­messen sei – je nach der eigenen Emis­si­ons­menge und den finan­zi­ellen Mitteln. Bereits hier haben die Länder viel Spiel­raum: Denn der „ange­mes­sene“ Betrag fällt sehr unter­schied­lich hoch aus, je nachdem was stärker gewichtet wird, Wohl­stand oder Masse an Emissionen.

Der Bundesrat kam 2017 zum Ergebnis: Ab 2020 soll die Schweiz zwischen 450 und 600 Millionen pro Jahr für die Klima­fi­nan­zie­rung beisteuern. Im Bericht steht zudem: „Allge­mein gilt, dass der faire Anteil der Schweiz umso höher ausfällt, je stärker die wirt­schaft­liche Leistungs­fä­hig­keit gewichtet wird. Dies liegt daran, dass die Schweiz als wohl­ha­bendes Indu­strie­land über eine Wirt­schaft verfügt, die relativ wenig Treib­haus­gas­emis­sionen verursacht.“

Heisst: Die Schweiz sei zwar reich, aber vergleichs­weise wenig betei­ligt an der Klima­krise. Als Grund­lage für diese Behaup­tung stützt sich der Bundesrat auf das Treib­hausgas-Inventar. Darin wird ange­geben, wie viel Emis­sionen die Schweizer Wirt­schaft verur­sacht. Aller­dings: Im Inventar werden nur Emis­sionen ausge­wiesen, die aus Schweizer Boden ausge­stossen werden. Die Emis­sionen, die während der Produk­tion impor­tierter Güter im Ausland entstanden sind, gehören nicht dazu.

„Fair“ sähe anders aus

Berichte von Alli­ance Sud und Caritas kommen zu einem anderen Ergebnis als der Bundesrat. Beide schätzen den „fairen“ Anteil der Schweizer Klima­fi­nan­zie­rung auf zwischen 735 Millionen und 845 Millionen im Jahr. Deut­lich höher als die Schät­zungen des Bundes­rats. Der Grund dafür: Der Bericht der Alli­ance Sud stützt sich nicht auf das Treib­hausgas-Inventar, sondern rechnet auf Basis der Konsu­ma­ti­ons­prin­zips. Dieses schliesst auch Emis­sionen durch impor­tierte Güter mit ein. 

Der Alli­ance Sud-Bericht sagt also: Die Schweiz verant­wortet nicht nur das CO2, das auf ihrem Boden verur­sacht wird, sondern auch das CO2, das durch den Konsum der Schweizer*innen welt­weit ausge­stossen wird. Und in dieser Zahl sind die Emis­sionen, die durch Inve­sti­tionen des Schweizer Finanz­platzes oder den inter­na­tio­nalen Flug- und Schiffs­ver­kehr ausge­stossen werden, noch nicht einmal einbe­rechnet. Werden sie mitge­rechnet, kommen beide Orga­ni­sa­tionen sogar auf eine Milli­arde Franken im Jahr.

Ein paar Zahlen zeigen, wie wichtig diese Unter­schei­dung ist: Nach dem soge­nannten „Terri­to­ri­al­prinzip“, auf dem der Bundesrat aufbaut, verur­sacht die Schweiz 5 Tonnen CO2 pro Person und Jahr; nach Konsu­ma­ti­ons­prinzip aller­dings rund 14 Tonnen. Bei kaum einem anderen Land ist die Lücke zwischen diesen zwei Zahlen so gross wie in der Schweiz.

Als Veran­schau­li­chung: Für jede Tonne Klimagas, die in der Schweiz entsteht, gehen zwei weitere Tonnen irgendwo auf der Welt für die Schweizer
Konsument*innen in die Atmo­sphäre. Damit gehört die Schweiz im CO2‑Import zu den Spitzenreiterinnen.

Sie profi­tiert daher beson­ders stark davon, dass das Pariser Klima­ab­kommen vom Terri­to­ri­al­prinzip ausgeht. Denn das bedeutet: Die Schweiz muss sich nur um knapp einen Drittel der Emis­sionen kümmern, die ihre Bürger*innen welt­weit verursachen.

So oder so: Für den Bundesrat steht die Zahl zwischen 450 und 600 Millionen als „fairer“ Beitrag zur Klima­fi­nan­zie­rung seit 2017 fest. Doch neue Zahlen zeigen nun: Die Schweiz konnte 2020, im ersten Jahr also, in dem das 100-Milli­arden-Ziel umge­setzt werden soll, nicht einmal dieses tief gesetzte Ziel errei­chen. In einem Bericht der Schweiz an das UNFCCC vom September dieses Jahres gibt die Schweiz gerade einmal 411 Millionen US-Dollar an, die 2020 in die Klima­fi­nan­zie­rung geflossen sind. Davon fliessen aller­dings nur 329 Millionen US-Dollar direkt in Projekte, die der Abschwä­chung oder Anpas­sung an die Klima­krise dienen. Der Rest geht an inter­na­tio­nale Fonds oder an Banken, die das Geld dann weiter­ver­teilen sollen.

Die Schweiz ist in ihrem Schei­tern nicht allein. Laut der OECD brachten alle Indu­strie­staaten im Jahr 2020 zusammen rund 83 Milli­arden US-Dollar für die Klima­fi­nan­zie­rung auf – also fast 20 Prozent weniger als abge­macht. Und dabei wurde noch nicht unter­sucht, wofür genau diese Gelder ausge­geben wurden – oder woher sie kommen.

Die Schweiz bricht ihr Verspre­chen nämlich noch in einem weiteren Punkt: Das UNO-Abkommen über die Klima­fi­nan­zie­rung schreibt vor, dass dafür neue und zusätz­liche Gelder mobi­li­siert werden müssen. Statt­dessen zapft die Schweiz für ihre Klima­fi­nan­zie­rung vor allem Gelder aus den bishe­rigen Töpfen der Entwick­lungs­zu­sam­men­ar­beit an. In Bern machte eine Akti­ons­gruppe am vergan­genen Montag darauf aufmerksam, dass die Schweiz ein Viel­fa­ches der Gelder für die Klima­fi­nan­zie­rung in den euro­päi­schen Grenz­schutz investiert.

Obwohl die Ziele der UNO nicht erreicht wurden – in den soge­nannten „Entwick­lungs­län­dern“ wird längst eine neue Forde­rung laut. Bereits jetzt ist klar, dass es Klima­schäden gibt, die nicht mehr rück­gängig gemacht werden können und an die sich vulnerable Länder auch nicht anpassen können. Dazu gehören etwa der stei­gende Meeres­spiegel. Auch für diese Verluste und Schäden sollten die Indu­strie­staaten aufkommen, finden etwa Insel­staaten wie Jamaika. Die Debatte um diese „Losses and damages“ steht nun auch im Zentrum der COP27 in Sharm al-Sheik. Doch von einem Zuge­ständnis hierzu ist in der Schweiz noch keine Spur.


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