Klima­po­litik: Auch kleine Schritte führen in die Katastrophe

Die Diskus­sionen vor und nach der Abstim­mung zum CO2-Gesetz zeigen, dass in der Schweiz vor allem etwas fehlt: stra­te­gi­sche Debatten darüber, wie die Klima­ka­ta­strophe aufge­halten und Klima­ge­rech­tig­keit erreicht werden kann. 
Es brennt - Milo Probst findet, es braucht radikalere Massnahmen. (Foto: Malte Seiwerth)

Das CO2-Gesetz wurde mit 51,6 Prozent Nein-Stimmen abge­lehnt. Nun stellt sich für Linke noch viel drin­gender die Frage: Wie weiter? Denn jene, die die Reform als unge­nü­genden, aber wich­tigen Schritt vertei­digten, sind bis heute etwas schuldig geblieben: Eine ernst­hafte Diskus­sion darüber, welche grund­le­genden Verän­de­rungen es braucht, um die Klima­ka­ta­strophe zu verhin­dern. Und wie der Weg dahin aussehen soll.

Zwar spre­chen etwa die Grünen, die SP und die Gewerk­schaften in ihren klima­po­li­ti­schen Posi­ti­ons­pa­pieren von einer Über­win­dung des profit­ori­en­tierten Wirt­schaf­tens. Doch wie dies gegen mäch­tige und reiche Gegner:innen erreicht werden kann und ob die bestehenden Stra­te­gien dafür ausrei­chen, bleibt unklar. Eine prag­ma­ti­sche Politik der kleinen Schritte ohne poli­ti­sche Utopie wird die Kata­strophe nicht abwenden. Ein System­wandel braucht andere poli­ti­sche Ansätze.

Stra­te­gi­sche Fragen

Die Klima­ka­ta­strophe braucht einschnei­dende und radi­kale Mass­nahmen.
Nehmen wir das Beispiel der massiven Arbeits­zeit­re­duk­tion – eine klima­po­li­tisch wich­tige Mass­nahme, wie verschie­dene Studien zeigen. Denn mit einer Senkung der Erwerbs­ar­beits­zeit bei gleich­blei­benden Löhnen (bei unteren Einkom­mens­schichten) kann die kapi­ta­li­sti­sche Tret­mühle des Immer­mehr durch­bro­chen werden. Weniger Lohn­ar­beits­zeit schafft zeit­liche Frei­räume, um sich gesünder zu ernähren, nach­hal­tiger fort­zu­be­wegen und Menschen besser umsorgen zu können. Die SP fordert „mittel­fri­stig“ eine 35-Stun­den­woche, während die Grünen sogar von einer 30-Stun­den­woche spre­chen. Die Unia will eben­falls eine Reduk­tion der Erwerbs­ar­beits­zeit, ohne jedoch konkrete Zahlen zu nennen.

Das letzte Mal, als in vielen Indu­strie­län­dern – auch in der Schweiz – eine markante und rasche Reduk­tion der Erwerbs­ar­beits­zeit durch­ge­setzt wurde, war in der Zeit nach dem Ersten Welt­krieg. Damals brach nicht nur in Russ­land eine Revo­lu­tion aus, sondern auch in zahl­rei­chen anderen Ländern ging die Arbeiter:innenschaft in Massen auf die Strasse, streikte und erschüt­terte die Grund­pfeiler der dama­ligen Gesell­schaft. Dadurch verschob sich das Kräf­te­ver­hältnis zwischen denen, die Geld und Macht besitzen und denen, die sich das Dach über dem Kopf und den vollen Teller Tag für Tag neu verdienen müssen, zugun­sten der Lohnabhängigen.

Heute sind wir weit entfernt von den dama­ligen Kräf­te­ver­hält­nissen. Kann aber eine rasche Arbeits­zeit­re­duk­tion um 16 bis 28 Prozent erreicht werden, wenn die grossen Gewerk­schaften an der insti­tu­tio­na­li­sierten Sozi­al­part­ner­schaft fest­halten? Können Grüne und SP das Kräf­te­ver­hältnis zwischen Kapital und Arbeit mit einer Politik der kleinen Schritte verändern?

Die Logik der kleinen Schritte durchbrechen

Die vorherr­schende Stra­tegie der zwei grossen linken Parteien sowie der grossen Gewerk­schaften und NGOs setzt weiterhin vorwie­gend auf insti­tu­tio­nelle Prozesse. Deren Stra­tegie wird vornehm­lich von Wahlen, Abstim­mungen, Vernehm­las­sungen und sozi­al­part­ner­schaft­li­chen Verhand­lungen bestimmt. Soziale Bewe­gungen und Mobi­li­sie­rungen werden in der Regel als Zuarbeiter:innen gesehen. Das führt zu einer prag­ma­ti­schen Politik der kleinen Schritte, bei der manchmal sogar Verschlech­te­rungen als gerin­gere Übel vertei­digt werden.

In diesem Sinne sahen wir linke Akteur:innen, die die AHV-Revi­sion von 2017 vertei­digten. Dies, obwohl sich viele femi­ni­sti­sche Gruppen gegen eine Erhö­hung des Renten­al­ters für Frauen ausspra­chen. Glei­ches gilt für die von linken Parteien und NGOs unter­stützte Asyl­ge­setz­re­vi­sion von 2016, die zu gefäng­nis­ähn­li­chen Asyl­zen­tren und zu noch mehr abge­lehnten Anträgen geführt hat.

Das Problem: Selbst wenn diese Stra­tegie der kleinen Schritte irgend­wann ans Ziel führen sollte, sie wird nicht die Klima­ka­ta­strophe aufhalten.

Das Problem: Selbst wenn diese Stra­tegie der kleinen Schritte irgend­wann ans Ziel führen sollte, sie wird nicht die Klima­ka­ta­strophe aufhalten. Im Anschluss an eine kürz­lich erschie­nene Studie der Inter­na­tio­nalen Ener­gie­agentur liess deren Leiter Fatih Birol unmiss­ver­ständ­lich verlauten, dass es zur Errei­chung der Klima­ziele ab sofort keine Inve­sti­tionen in fossile Ener­gien mehr geben dürfe. Wir wissen aber, dass etwa die Schweizer Gross­banken weiterhin Millionen in Erdgas, Kohle und Öl investieren.

Wenn dann die Grüne Partei in ihrem „Klima­plan“ vorwie­gend auf Bench­marks, Moni­to­ring, Ziel­ver­ein­ba­rungen mit der Branche oder finan­zi­elle Anreize setzt, wird deut­lich, wie gross die Distanz zu dem ist, was eigent­lich notwendig wäre. So stehen wir weiterhin vor der Frage: Wie bringen wir die Gross­banken Crédit Suisse und UBS, die zwischen 2016 und 2020 118 Mrd. USD in fossile Ener­gien inve­stiert haben, dazu, nicht schritt­weise, nicht frei­willig – weil sie es frei­willig nicht tun werden – und auch nicht über­morgen, sondern sofort ihre Gelder aus dreckigen Ener­gien abzuziehen?

Alter­na­tive Stra­te­gien müssten sich keines­wegs voll­ständig von den insti­tu­tio­nellen Prozessen abkehren. Sie müssten aber vom Grund­satz ausgehen, dass das parla­men­ta­ri­sche Spiel längst nicht der einzige Ort ist, wo Menschen umge­stimmt, Mehr­heits­ver­hält­nisse verän­dert, Alli­anzen geschmiedet, Kräf­te­ver­hält­nisse umge­stülpt werden. Dies zwingt uns, stra­te­gi­sche Fragen ganz offen auszu­dis­ku­tieren: Wie ausser­par­la­men­ta­ri­sche und parla­men­ta­ri­sche Politik verknüpfen? Unter welchen Umständen sind kost­spie­lige und lang­wie­rige Volks­in­itia­tiven ein geeig­netes Mittel? Wie Druck auf mäch­tige Akteur:innen der Wirt­schaft ausüben? Wie Klima­po­litik mit sozialen, femi­ni­sti­schen, anti­ras­si­sti­schen Anliegen und Bewe­gungen verbinden? Wie dazu beitragen, dass es inter­na­tional abge­stimmte Klima­re­geln gibt? Und mit welchen poli­ti­schen Kräften lässt sich zusammenarbeiten?

Falsche Freunde

Während der Abstim­mungs­de­batten hörten wir von allen Seiten, die Gegner:innenschaft einer rich­tigen Klima­po­litik bestünde aus der SVP und der „Öllobby“. Alle, die auf die eine oder andere Weise aner­kennen, dass klima­po­li­tisch etwas geschehen sollte, müssten nun zusammenspannen.

Dabei geht etwas Entschei­dendes vergessen: Späte­stens seit dem Aufkommen der Klima­be­we­gung verläuft die Grenze nicht mehr einfach zwischen den expli­ziten oder impli­ziten Leugner:innen der Klima­krise und jenen, die den wissen­schaft­li­chen Konsens aner­kennen. Unter den poli­ti­schen Kräften, die für gewisse harm­lose Klima­schutz­mass­nahmen werben, gibt es sehr viele, die keines­wegs die drin­gend notwen­digen Schritte einleiten wollen – ja diese sogar sabo­tieren. Viele Gross­kon­zerne und wirt­schafts­li­be­rale Politiker:innen versu­chen, sich einen grünen Anstrich zu geben, um weiterhin dem busi­ness as usual nach­zu­gehen und die Klima­po­litik den eigenen Inter­essen unter­werfen zu können.

Unter den poli­ti­schen Kräften, die für gewisse harm­lose Klima­schutz­mass­nahmen werben, gibt es sehr viele, die keines­wegs die drin­gend notwen­digen Schritte einleiten wollen – ja diese sogar sabotieren.

Wenn wir davon ausgehen, dass zur soli­da­ri­schen Bekämp­fung der Klima­ka­ta­strophe tief­sit­zende Macht- und Wirt­schafts­struk­turen verän­dert werden müssen, wird das Benennen von poli­ti­schen Gegner:innen und Alli­ierten komplexer. Dann müssen die weiterhin massiv in fossile Ener­gien inve­stie­renden Banken mit ihren klima­zer­stö­re­ri­schen Prak­tiken konfron­tiert werden. Dann sind jene, die, ohne mit der Wimper zu zucken, Geflüch­tete im Mittel­meer ertrinken lassen, keine Alli­ierten. Dann können wir von jenen, die umwelt­zer­stö­re­ri­schen Gross­kon­zernen Steu­er­ge­schenke machen, keine Hilfe erwarten.

Verwei­ge­rung

Wenn es etwas gibt, worauf im Kampf gegen die Klima­ka­ta­strophe nicht verzichtet werden kann, dann sind es starke ausser­par­la­men­ta­ri­sche Bewe­gungen. Denn diese trans­por­tieren immer eine wider­spen­stige Unge­duld, eine Verwei­ge­rung, sich vertrö­sten zu lassen. Nichts ist kost­barer als das in einer Situa­tion, in der jede Tonne CO2, jede neu gebaute Pipe­line und jeder ausge­baute Flug­hafen uns einen Schritt näher in Rich­tung Klima­ka­ta­strophe bringen. Wir brau­chen dieses entschie­dene Zurück­weisen von geschürten Hoff­nungen auf mehr Demo­kratie, mehr Frau­en­rechte, weniger CO2 usw., von denen uns weis­ge­macht wird, dass sie sich immer hinter der näch­sten Wegbie­gung befinden.

Diese Unge­duld auch in der Schweiz wieder hör‑, fühl- und sichtbar gemacht zu haben, ist der Verdienst des Klima- und femi­ni­sti­schen Streiks. In diesen Bewe­gungen wird Politik massen­weise auf die Strasse, in die Haus­halte, die Schulen, Unis und Arbeits­plätze getragen. Es werden Kollek­tive gebildet, die sich nicht nur durch das Einwerfen von Abstim­mungs­un­ter­lagen und Wahl­zet­teln ausdrücken, so wichtig es auch sein mag. Sie machen Politik, indem sie eine klare Haltung einnehmen und der Gesell­schaft bei jedem Streik aufs Neue zurufen: Es reicht, da machen wir nicht mit! Die Bekämp­fung der Klima­krise muss als Grund­pfeiler eine Stra­tegie der kollek­tiven Verwei­ge­rung im Hier und Jetzt haben – wir sollten weiter und noch zahl­rei­cher fürs Klima streiken.

Milo Probst schreibt seine Disser­ta­tion in Geschichte an der Univer­sität Basel und ist Klimaaktivist.

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