Klima­schutz braucht weniger Tiere

Das Klima­schutz­ge­setz klam­mert die Land­wirt­schaft gross­zügig aus. Einige Landwirt*innen fürchten sich trotzdem vor einem Ja – sie sehen ihre Tier­be­stände bald schwinden. Ein Grund mehr, Ja zu stimmen, findet unser Kolumnist. 
Je mehr Fleisch gegessen wird, desto mehr Klimamassnahmen müssen wir in anderen Bereichen ergreifen. (Foto: Unsplash/Ignat Dolomanov)

Am 18. Juni wird übers Klima­schutz- und Inno­va­ti­ons­ge­setz abge­stimmt. Es geht haupt­säch­lich um ein Geld­paket, das die Reduk­tion von Treib­haus­gas­emis­sionen in der Schweiz fördern soll, insbe­son­dere durch den Ersatz von alten Heizungen und durch klima­scho­nende Inno­va­tionen in der Industrie.

Die Vorlage hat gute Chancen, zu gewinnen: Gemäss gfs.bern sagten Ende Mai 62 Prozent Ja, laut Tamedia waren es zuerst 58 und dann 55 Prozent. Auch einfluss­reiche Verbände wie Econo­mie­su­isse und der Schwei­ze­ri­sche Bauern­ver­band haben die Ja-Parole gefasst.

Eine Grund­vor­aus­set­zung für diese breite Akzep­tanz dürfte sein, dass alles Unbe­queme ausge­klam­mert wurde: keine neuen Verbote, keine neuen Steuern. Es geht nur um Förde­rung für frei­wil­lige Massnahmen.

Auch das Reiz­thema Fleisch und der ganze Bereich Ernäh­rung und Land­wirt­schaft werden im Gesetz nicht erwähnt. Doch bedeutet das auch, dass die Vorlage keine Auswir­kungen auf diesen Sektor hat?

Schaut einmal zum Fenster raus, wahr­schein­lich seht ihr bald ein Tier. Sie sind die Mehr­heit der Bevöl­ke­rung. Doch in der Schweizer Medi­en­land­schaft werden sie meist igno­riert. Animal Poli­tique gibt Gegen­steuer. Nico Müller schreibt über Macht­sy­steme, Medien, Forschung und Lobby­ismus. Und denkt nicht, es gehe immer „nur“ um Tiere. Ihre Unter­drückung hängt oft mit der Unter­drückung von Menschen zusammen. Animal Poli­tique macht das sichtbar.

Nico Müller hat den Doktor in Tier­ethik gemacht und arbeitet an der Uni Basel. Daneben setzt er sich poli­tisch für Tier­schutz und ‑rechte ein, beson­ders mit dem Verein Animal Rights Switzerland.

Die Tier­zahlen müssen runter

Ganz im Gegen­teil, schreibt der Zürcher Bauern­ver­bands­prä­si­dent und Natio­nalrat Martin Haab in einem SVP-Blog­bei­trag. Der Milch­bauer ist der promi­nen­teste Land­wirt­schafts­ver­treter im Nein-Lager.

Laut Haab ist eine Netto-Null-Schweiz „nur durch einen massiven Abbau der Tier­be­stände möglich und viel­leicht in ferner Zukunft mit einer fossil­freien Mecha­ni­sie­rung“. Für ihn spricht das aber nicht gegen die zu hohen Tier­be­stände, sondern gegen das Klimaschutzgesetz.

Aus der Luft gegriffen ist der Zusam­men­hang nicht. Die Land­wirt­schaft verur­sacht je nach Rech­nung zwischen 12.4 und 14.3 Prozent der Schweizer Gesamt­emis­sionen. Das Bundesamt für Land­wirt­schaft spricht auf Anfrage sogar von „rund 16 Prozent“, wenn man auch die Emis­sionen aus Brenn­stoffen und Böden berück­sich­tigt. Inner­halb der land­wirt­schaft­li­chen Emis­sionen wiederum sind gemäss Bund gut 85 Prozent der Tier­hal­tung zuzurechnen.

Haabs Befürch­tung: Diese Emis­sionen könnten bei einem Ja ins Faden­kreuz des Klima­schutzes rücken. Denn für die direkt betrof­fenen Sektoren werden im neuen Gesetz Reduk­ti­ons­ziele fest­ge­legt – und falls sie diese verfehlen, so speku­liert Haab, wird der Bundesrat weitere Mass­nahmen suchen, um das Netto-Null-Ziel noch zu errei­chen. Da sind die hohen Tier­be­stände einfach der Elefant im Raum.

Ich frage bei Haab nach: Welche Mass­nahmen befürchtet er konkret? Viel­leicht gibt er mir ja eine Schritt-für-Schritt-Anlei­tung für den geplanten Rückbau der Schweizer Tierindustrie.

Andere Subven­tionen, weniger Tiere

Zurück kommt erst einmal ein gepflegter Rüffel: „Natür­lich habe ich ihre Veröf­fent­li­chungen kritisch unter die Lupe genommen und sie entspre­chen, was Sie sich sicher denken können, über­haupt nicht meinen Wahr­neh­mungen. Vor allem ihr Artikel über Swiss­milk und die Milch­kühe strotzt nur so von Denkfehlern.“

Hoffent­lich merkt er nicht, dass ich auch über den Fleisch­verein Carna Libertas geschrieben habe. Da ist er nämlich neuer­dings Vorstands­mit­glied. Wir sind so etwas wie Anti-Seelenverwandte.

Nachdem er mir die Leviten gelesen hat, gibt er mir aber Auskunft – und das sehr infor­mativ. Zusätz­liche Mass­nahmen des Bundes­rats wittert er vor allem im Bereich der Subven­tionen: „Schon heute wird das Direkt­zah­lungs­sy­stem in der Verord­nung andau­ernd ange­passt. Unser Betrieb, welcher mass­geb­lich von der Milch­pro­duk­tion lebt, wird ab näch­stem Jahr mit einer Reduk­tion von über 20 Prozent der Direkt­zah­lungen rechnen müssen.“

Es folge ein Domi­no­ef­fekt, erklärt er: „Um die Kürzungen auszu­glei­chen, müssten wir vermehrt Biodi­ver­si­täts­flä­chen anlegen oder Exten­si­vie­rungs­mass­nahmen im Ackerbau umsetzen. Dies hätte zur Folge, dass klar weniger Futter produ­ziert werden kann und somit unser Tier­be­stand nach unten ange­passt werden muss.“

Die Umver­tei­lung von Subven­tionen, die Haab hier als Kata­strophe schil­dert, ist ziem­lich genau, was die Forschung empfiehlt. Gerade im Mai veröf­fent­lichte das natio­nale Forschungs­pro­gramm „Nach­hal­tige Wirt­schaft“ im Auftrag des Bundes seine Ergeb­nisse. Empfeh­lung Nummer eins für den Bereich Land­wirt­schaft: die staat­liche Unter­stüt­zung von tier- auf pflan­zen­ba­sierte Produk­tion umverteilen.

Gemäss Haabs Argu­ment wird das Klima­schutz­ge­setz also indi­rekt zur Umver­tei­lung von Subven­tionen führen, dann zur Reduk­tion der Tier­be­stände, damit auch zu gerin­geren Emis­sionen und zu weniger Tier­leid und Tod in Schweizer Schlacht­höfen… Klingt fast zu gut, um wahr zu sein!

Ich hake bei der Klein­bau­ern­ver­ei­ni­gung und beim Bauern­ver­band nach: Warum sagt ihr ange­sichts dieser Prognosen Ja?

Anführen oder Tritt­brett fahren

Die Antworten der Land­wirt­schafts­ver­bände könnten unter­schied­li­cher nicht sein. Die Klein­bau­ern­ver­ei­ni­gung sagt: „Es ist klar, dass die Land- und Ernäh­rungs­wirt­schaft einen Beitrag leisten muss, um die länger­fri­stigen Klima­ziele zu errei­chen.“ Um das Klima zu schonen, müsse die Land­wirt­schaft stand­ort­an­ge­passter werden, so die Co-Geschäfts­lei­terin Barbara Küttel.

Das heisst: Weniger Futter­mittel impor­tieren, weniger Acker­flä­chen für Tier­futter verwenden, weniger Tiere halten. Dafür werde es Anpas­sungen brau­chen – wiederum fällt das Stich­wort Direkt­zah­lungen. Von alledem stehe zwar nichts in der Vorlage, aber ein Ja verleihe den Bemü­hungen in diese Rich­tung einen „ganz gene­rell wich­tigen Schub“.

Im Endef­fekt stimmt die Klein­bau­ern­ver­ei­ni­gung Martin Haab also zu, dass ein Ja zum Klima­schutz­ge­setz die Land­wirt­schaft auf indi­rektem Weg verän­dern kann. Aber im Gegen­satz zu ihm findet sie das gut.

Ganz anders der Bauern­ver­band. Er gibt sich gelassen und betont: „Das Netto-Null-Ziel der Schweiz – das wir übri­gens immer unter­stützt haben – bedeutet nicht, dass jede Branche Null errei­chen muss oder kann.“

Spre­cherin Sandra Helfen­stein verweist auf die Klima­stra­tegie des Bundes. Darin werden der Land­wirt­schaft auch 2050 noch 4.1 Millionen Tonnen in CO2-Äqui­va­lenten erlaubt, die dann anderswo ausge­gli­chen werden müssen. Diese Zahl sei ohne neue Mass­nahmen erreichbar. Die Rinder­be­stände seien sowieso im Abwärts­trend, zudem gäbe es bereits viel­ver­spre­chende Mass­nahmen in den Berei­chen Boden­be­ar­bei­tung, Gülle und Fütterung.

Anders als Haab hat der Bauern­ver­band deshalb keine Angst, dass der Bund mit dem Klima­schutz­ge­setz neue Mass­nahmen für eine nach­hal­ti­gere Land­wirt­schaft ergreifen wird. Im Gegen­teil: Die Land­wirt­schaft darf weiter emit­tieren, genau weil andere Sektoren grüner werden.

Und was ist mit dem Konsum?

Fast beiläufig merkt Helfen­stein an: „Grund­sätz­lich macht es keinen Sinn, die Nutz­tier­be­stände in der Schweiz deut­lich zu redu­zieren, wenn der Konsum von Fleisch (und Milch) nicht gleich­zeitig im glei­chen Ausmass sinkt. Sonst impor­tieren wir einfach mehr.“

Das stimmt. Aber der Konsum von Tier­pro­dukten ist keine unver­än­der­liche Konstante. Er hängt ab von Preisen, von Werbung und von öffent­li­cher Infor­ma­tion – also von Faktoren, die poli­tisch regu­liert werden können. Wenn der Bund will, hat er hier einen weiteren Hebel, um die Emis­sionen der Land­wirt­schaft zu senken.

Genau das empfehlen die Forschenden des Netzwerks für Nach­hal­tig­keits­lö­sungen SDSN: Auf emis­si­ons­reiche Lebens­mittel – also auch Tier­pro­dukte – soll der normale Mehr­wert­steu­er­satz gelten statt der redu­zierte. Zölle für Fleisch und Futter­mittel sollen hoch. In öffent­li­chen Kantinen soll das Vegi-Menü immer zuoberst stehen. Für Fleisch fordern sie sogar ein Werbeverbot.

Hinzu kommt das sanfte Mittel der Aufklä­rung. Wie mir das BLW bestä­tigt, hat der Bund bereits heute die Kompe­tenz, über nach­hal­tige Ernäh­rung zu infor­mieren. So steht es im Umwelt­schutz­ge­setz (Art. 10e) und im Lebens­mit­tel­ge­setz (Art. 24). Einer staat­li­chen Empfeh­lung, aus Rück­sicht aufs Klima weniger Fleisch zu essen, steht somit eigent­lich nichts im Weg.

Man könnte also viel unter­nehmen, um die Emis­sionen der Land­wirt­schaft vom Konsum her zu senken. Nur fehlt bisher der poli­ti­sche Wille, das tatsäch­lich zu tun.

Abwarten ist unnötig

Ich finde, Martin Haab hat ein Stück weit recht: Es ist unrea­li­stisch, dass sich andere Sektoren für den Klima­schutz verbiegen werden, nur damit wir auch 2050 noch 50 Kilo­gramm Fleisch pro Kopf und Jahr essen können. Unfair wäre es auch. Entspre­chend müssen wir aber auch nicht abwarten, bis die ersten Zwischen­ziele verfehlt werden, bevor wir endlich etwas für eine klima­freund­li­chere Ernäh­rung tun.

Wer es ernst meint mit dem Klima­schutz, stimmt deshalb nicht nur Ja, sondern fordert auch Mass­nahmen für mehr pflanz­liche Ernäh­rung und tiefere Tier­be­stände. Ange­fangen mit zwang­losen Mitteln wie öffent­li­chen Info-Kampa­gnen und der bevor­zugten Posi­tio­nie­rung von fleisch­freien Menüs. Das wäre doch jetzt eine gute Idee für die grüne Partei Schweiz, die ohnehin Tier­rechte fordert!


Jour­na­lismus kostet

Die Produk­tion dieses Arti­kels nahm 25 Stunden in Anspruch. Um alle Kosten zu decken, müssten wir mit diesem Artikel CHF 1560 einnehmen.

Als Leser*in von das Lamm konsu­mierst du unsere Texte, Bilder und Videos gratis. Und das wird auch immer so bleiben. Denn: mit Paywall keine Demo­kratie. Das bedeutet aber nicht, dass die Produk­tion unserer Inhalte gratis ist. Die trockene Rech­nung sieht so aus:

Soli­da­ri­sches Abo

Nur durch Abos erhalten wir finan­zi­elle Sicher­heit. Mit deinem Soli-Abo ab 60 CHF im Jahr oder 5 CHF im Monat unter­stützt du uns nach­haltig und machst Jour­na­lismus demo­kra­tisch zugäng­lich. Wer kann, darf auch gerne einen höheren Beitrag zahlen.

Ihr unter­stützt mit eurem Abo das, was ihr ohnehin von uns erhaltet: sorg­fältig recher­chierte Infor­ma­tionen, kritisch aufbe­reitet. So haltet ihr unser Magazin am Leben und stellt sicher, dass alle Menschen – unab­hängig von ihren finan­zi­ellen Ressourcen – Zugang zu fundiertem Jour­na­lismus abseits von schnellen News und Click­bait erhalten.

In der kriselnden Medi­en­welt ist es ohnehin fast unmög­lich, schwarze Zahlen zu schreiben. Da das Lamm unkom­mer­ziell ausge­richtet ist, keine Werbung schaltet und für alle frei zugäng­lich bleiben will, sind wir um so mehr auf eure soli­da­ri­schen Abos ange­wiesen. Unser Lohn ist unmit­telbar an eure Abos und Spenden geknüpft. Je weniger Abos, desto weniger Lohn haben wir – und somit weniger Ressourcen für das, was wir tun: Kriti­schen Jour­na­lismus für alle.

Ähnliche Artikel