Lohn­un­gleich­heit ist keine Privatsache

Das Lohn­ge­fälle zwischen den Geschlech­tern ist so gross, dass sich Frauen ab dieser Woche eigent­lich auf die faule Haut legen könnten. Vermeint­lich erklär­bare Diffe­renzen in der Bezah­lung sind aller­dings nicht einfach persön­lich verän­derbar, findet unsere Autorin. 
Um den Lohnunterschied auszugleichen, dürften alle Frauen ab Ende Oktober für den Rest des Jahres pausieren. (Foto: Avi Naim / Unsplash)

Wären Frauen und Männer gleich­ge­stellt, würden seit dieser Woche und für den Rest des Jahres nur noch Männer zur Arbeit erscheinen. Denn ab Mittag des 21. Okto­bers leisten Frauen ihre Lohn­ar­beit gänz­lich unentgeltlich.

Laut Bundesamt für Stati­stik verdienten Frauen im privaten Sektor im Jahr 2016 durch­schnitt­lich 19,6% weniger als ihre männ­li­chen Kollegen. Am 21. Oktober sind jeweils 80% Prozent des Jahres vorüber und die entlohnte Arbeits­zeit von Frauen somit erschöpft. Dabei wird dieje­nige Arbeit, die Frau das gesamte Jahr über wie selbst­ver­ständ­lich gratis leistet, nicht einmal mit einbe­rechnet: Reproduktions‑, Haus‑, und Care-Arbeit.

Diskri­mi­nie­rung durch Lohn­un­ter­schiede zwischen den Geschlech­tern war bereits ein zentrales Thema des Frau­en­streiks 1991 – die Besei­ti­gung dieser struk­tu­rellen Unge­rech­tig­keit eine nach­drück­liche Forde­rung des dies­jäh­rigen femi­ni­sti­schen Streiks am 14. Juni.

Dennoch: Bisher hat sich nur wenig getan. Dafür macht sich seit einiger Zeit ein unlieb­samer Trend bemerkbar: In den kläg­li­chen Versu­chen, das Lohn­ge­fälle zwischen den Geschlech­tern und deren Ursprünge zu beschreiben, wird zwischen „erklär­baren” (56%) und „uner­klär­baren” (44%) Auslö­sern diffe­ren­ziert. Ausschliess­lich Letz­tere seien von „poten­ziell” diskri­mi­nie­renden Ursprungs, so das eidge­nös­si­sche Büro für die Gleich­stel­lung von Frau und Mann.

In den erklär­baren Teil, so das Bundesamt für Stati­stik, fielen die soge­nannten „Beson­der­heiten der weib­li­chen Erwerbs­tä­tig­keit”, zu denen längere beruf­liche Unter­brüche „aus fami­liären Gründen” zählten, die wiederum das Dienst­alter sowie die Berufs­er­fah­rung von Frauen beein­flussen würden – und somit die Lohn­dif­fe­renz zwischen den Geschlech­tern. Zudem sei der Lohn von „verschie­denen Merk­malen” wie „Ausbil­dung, beruf­li­cher Stel­lung und Anfor­de­rungs­ni­veau” abhängig. Das eidge­nös­si­sche Büro für die Gleich­stel­lung von Mann und Frau ergänzt diese Liste mit den Punkten Branche, Dienst­jahre und Ausbildungsniveau.

Die Bezeich­nung „fami­liäre Gründe” lässt diesen struk­tu­rellen und gesamt­ge­sell­schaft­li­chen Miss­stand der Ungleich­stel­lung als etwas Indi­vi­du­elles, gar Privates erscheinen. So, als sei Repro­duk­tion und die damit einher­ge­hende Arbeit eine rein persön­liche (und ausschliess­lich weib­liche!) Ange­le­gen­heit, die in verein­zelten, karrie­re­tech­nisch unglück­li­chen Fällen vorkommen könnte, wie etwa ein Blinddarminfekt.

Ganz davon abge­sehen, dass „Beson­der­heiten der weib­li­chen Erwerbs­tä­tig­keit” so klingt, als hätte man es mit einem bis heute unbe­kannten und beinahe ausser­ir­di­schen Phänomen zu tun, das in seiner Anders­ar­tig­keit uner­gründ­lich ist und die damit einher­ge­henden Probleme unver­än­derbar macht. (Das erin­nert übri­gens schmerz­lich – und wahr­schein­lich nicht ganz zufällig – an die gesell­schaft­liche Ausein­an­der­set­zung mit dem weib­li­chen Orgasmus.)

Deine Schuld, Frau!

So werden die „erklär­baren” Faktoren ­– da indi­vi­duell und somit selbst verschuldet – gerade deshalb diskri­mi­nie­rend, weil sie vermeint­lich erklärbar sind. Die Unter­schiede in Berei­chen wie „Ausbil­dung, Branche und Dienst­jahre” werden nicht etwa als mögliche Konse­quenz, sondern als reine Ursache des Lohn­ge­fälles behandelt.

Diese Heran­ge­hens­weise „erklärt”, also recht­fer­tigt, die bestehende Diffe­renz und repro­du­ziert sie sogleich. Denn persön­liche Probleme erfor­dern ledig­lich persön­liche Lösungen. Oder wie der Tages­an­zeiger schreibt: „Wenn die Lohn­un­gleich­heit nur von privaten Entschei­dungen inner­halb der Part­ner­schaft herrührt, sind öffent­liche Eingriffe im Arbeits­markt nutzlos.” In private Entschei­dungen möchte sich niemand einmi­schen, die persön­liche Frei­heit darf – ganz nach neoli­be­raler Manier – niemand einschränken. Und schon scheint alles geklärt.

Die uner­klärten Faktoren, die beinahe 50% der Diffe­renz ausma­chen, ledig­lich als „poten­ziell” diskri­mi­nie­rend zu betrachten verharm­lost die Situa­tion aufs Neue. Zwar scheint es nahe­lie­gend zu glauben, dass man bei unbe­kannten Gründen schlichtweg (noch) nicht bestimmen kann, ob es sich um struk­tu­relle Benach­tei­li­gung handelt.

Welcher Glaube wäre aller­dings die Alter­na­tive? Genau, die Selbst­ver­schul­dung. Viel­leicht liegt es einfach nicht in der Natur der Frau, für gleiche Arbeit glei­chen Lohn zu erhalten? Viel­leicht wollen sie es nicht genug? Liegt es in ihren Genen oder doch an den persön­li­chen Vorlieben?

Natür­lich könnte man argu­men­tieren, dass ein tradi­tio­nelles Fami­li­en­mo­dell, in welchem die Frau vermehrt beruf­liche Unter­brüche in Kauf nimmt, um sich zum Beispiel um den Nach­wuchs zu kümmern, eine Frage des persön­li­chen Geschmacks sei. Jedoch zeigen Studien, dass die Lohn­dis­kri­mi­nie­rung bereits beim Einstieg ins Berufs­leben beginnt.

„Bemer­kens­wert an dieser uner­klärten Lohn­dif­fe­renz ist, dass es sich um junge kinder­lose Erwach­sene handelt, die über dieselbe Quali­fi­ka­tion verfügen und in vergleich­baren Berufen und Bran­chen arbeiten”, stellte der Tages­an­zeiger im bereits zitierten Artikel fest. Das Argu­ment der privaten Selbst­ver­schul­dung hält demnach nicht Stand.

Dabei wäre es schon irrsinnig genug zu behaupten, es läge rein an den Frauen oder den Paaren, sich für ein progres­si­veres Fami­li­en­mo­dell zu entscheiden, während man einen essen­zi­ellen Teil der Repro­duk­ti­ons­ar­beit – Schwan­ger­schaft, Geburt etc. – eben nicht gleich­wertig aufteilen kann.

Hinzu kommen die erhöhten („uner­klärten”) Lohn­dif­fe­renzen je weiter Frau auf der Karrie­re­leiter nach oben klet­tert. Oder etwa das Phänomen des „Mutter­malus” und „Vater­bonus”, also die Lohn­ein­bussen der Frau und der Lohn­an­stieg des Mannes, sobald der Nach­wuchs da ist.

Wenn immer grösser werdende Lohn­dif­fe­renz zu männ­li­chen Kollegen die Aussicht für Frauen ist, wie gross mag da der Reiz zu einer Entschei­dung für eine anstren­gende und zeit­in­ten­sive beruf­liche Karriere sein? Und welche junge Familie kann es sich leisten, sich für ein progres­sives Fami­li­en­mo­dell zu entscheiden, dass nur ökono­mi­sche Nach­teile bringt?

Um den Wahn­sinn komplett zu machen, werden Frauen selbst in den Berufen – den soge­nannten „Frau­en­be­rufen”, die ohnehin schon schlechter bezahlt werden als andere Tätig­keiten – schlechter bezahlt als Männer, die derselben Tätig­keit nachgehen.

„Karriere-” und „Power­frauen” lösen keine struk­tu­rellen Probleme

Wann wird sich nun endlich etwas ändern? Gute Frage. Was fest­steht ist, dass die Unter­drückung von Frauen zumin­dest für die sakro­sankte Wirt­schaft durchaus lukrativ ist. Die Doppel­be­la­stung von unbe­zahlter Arbeit Zuhause und schlecht bezahlter Lohn­ar­beit in oftmals margi­na­li­sierten Sektoren entla­stet Konzerne und KMU. Die doppelte Ausbeu­tung ermög­licht es zudem auf (männ­liche) Arbeits­kräfte zurück­zu­greifen, die Zuhause unent­gelt­lich versorgt, gehegt und gepflegt werden.

Deshalb ist die Ungleich­heit der Geschlechter viel­schichtig, poli­tisch und struk­tu­rell. Sie durch­zieht alle Lebens­be­reiche unserer Gesell­schaft, zemen­tiert veral­tete Rollen­mu­ster und setzt Frauen vermehrt dem Problem der Armut aus.

Es ist ein Teufels­kreis: Die von vorn­herein auf dem Arbeits­markt schlechter gestellte Frau leidet an den Folgen eines veral­teten Gesell­schafts­mo­delles, das struk­tu­relle Probleme priva­ti­siert und somit unlösbar macht. Die dadurch entste­henden Nach­teile begün­stigen die Repro­duk­tion desje­nigen Systems, das Frauen in der Berufs­welt von Beginn an diskri­mi­niert und ausbeutet.

Zum Schluss möchte ich auch noch jenen eine Frage stellen, die bei einer Argu­men­ta­tion wie dieser sofort all die „ausser­ge­wöhn­li­chen” Gegen­bei­spiele ins Feld führen. All jene „Power­frauen*” und „Super­m­amis” die beides, steile Karriere und Familie unter einen Hut zu bringen scheinen: Wer springt ein, wenn Frau, das Paar, die Betreu­ungs­ar­beit selbst nicht leisten kann? Die massiv über­be­la­stet Betreuerin im Hort? Die Baby­sit­terin für 19 Franken die Stunde? Eine migran­ti­sche Haus­halts­hilfe ohne gültige Papiere viel­leicht? Und sollte es unser Ziel sein, eine Doppel­be­la­stung stemmen zu können?

Solange ein System besteht, das von prekären Arbeits­ver­hält­nissen und Ausbeu­tung profi­tiert, wird sich durch private Inter­ven­tion nichts Grund­le­gendes ändern.

Das Ziel in der Bekämp­fung der Ungleich­heit sollte nicht sein, ihre Ursa­chen von der „uner­klärten” auf die „erklärte” Seite und somit vom Tisch zu schieben. Erklärt bedeutet eben weder fair, noch selbst verschuldet oder privat. Die Suche nach den Gründen muss ernst­ge­nommen, Ursache und Wirkung aber nicht verwech­selt und gesamt­ge­sell­schaft­liche Miss­stände auf keinen Fall indi­vi­dua­li­siert werden.

Bis zur gesell­schaft­li­chen Gleich­stel­lung muss noch viel getan werden und dabei ist glei­cher Lohn für gleiche Arbeit das Mindeste und bloss der Anfang. Was wir tun können ist uns zu vernetzen, die Miss­stände ernst zu nehmen, sie zu thema­ti­sieren und in die Gesell­schaft hinaus zu tragen: am 14. Juni, am 21. Oktober und an jedem anderen Tag im Jahr.


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