Männer spre­chen über Männer, die über Männer spre­chen — Teil 2

Im SRF beklagen sich leidende Männer. Aber wer leidet hier unter was? Ein Kommentar. 
Männer unter Männer haben eine gute Zeit. (Bild: Unsplash)

Man muss sich Männ­lich­keit als zerbrech­liche Vase und die femi­ni­sti­sche Bewe­gung als Elefanten im Porzel­lan­laden vorstellen; anders lässt sich die Rund­schau­r­e­por­tage „Leidende Männer“ nicht erklären. Kurz zusam­men­ge­fasst konnten sich dort ein paar cis Männer, allen voran Leiter von Männ­lich­keits­gruppen, darüber beschweren, dass die Frau­en­be­we­gung „zu weit“ gegangen sei, dass cis Männer vermehrt verdrängt würden, aus Jobs, aus dem Liebes­leben. Und über­haupt: Was haben Männer in dieser Welt noch zu sagen, in der sie ledig­lich 90 Prozent der Staats­häupter stellen?

Auf die einzelnen Argu­mente einzu­gehen, ist müssig. Auch, weil sie sich in den letzten Jahren kaum verän­dert haben. Bereits in den 90er-Jahren schrieben Poli­tiker und Medien gegen den „Mythos von männ­li­chem Privileg“ und „den Femi­nismus“ an; eine Reak­tion, die die Femi­ni­stin Susan Fauldi 1991 in ihrem gleich­na­migen Buch als Back­lash beti­telte.

Darum nur so viel: Wir leben in einem Land, in dem vier von sieben Exeku­tiv­mit­glie­dern, 58 Prozent der National- und 74 Prozent der Ständerät:innen sowie der gesamte Vorstand des Verle­ger­ver­bands männ­lich sind. Eine stär­kere und mäch­ti­gere Lobby­gruppe als cis Männer gibt es nicht.

Aber natür­lich, Männer leiden. Sie leiden an einem Verspre­chen, wonach ein Leben nach dem Geschlech­ter­rol­len­dreh­buch – aufmüpfig und frech in der Grund­schule, raum­ein­neh­mend und laut in der höheren Bildung, domi­nant und beherr­schend im Privat- und Berufs­leben – mit Erfolg auf der Bühne der Gesell­schaft belohnt wird. Diese ist aber je länger je mehr nicht mehr bereit, dieses Verspre­chen zu erfüllen. 

Weil dieses Verspre­chen, diese gesell­schaft­liche Haupt­rolle von (weissen) cis Männern immer auf Kosten der Neben­rollen war: Das poli­ti­sche und ökono­mi­sche Schein­wer­fer­licht streifte die Lebens­rea­lität von Frauen, trans Menschen und People of Color selten. Wem ständig gesagt wird, seine Meinung sei rele­vant, merkt irgend­wann nicht, dass er mit seiner Stimme andere über­tönt und zum Schweigen bringt – oder es wird ihm irgend­wann egal.

Die femi­ni­sti­sche Bewe­gung stellt seit jeher die Rolle und Privi­le­gien von cis Männern in Frage. Nicht aus Ungunst oder Neid, sondern aus Notwen­dig­keit. Weil ein Schat­ten­da­sein mate­ri­elle Konse­quenzen hat: Frauen leiden in der Schweiz häufiger an Alters­armut, haben aufgrund struk­tu­reller Unge­rech­tig­keiten auf dem Arbeits­markt eine tiefere AHV- und Pensi­ons­kas­sen­rente. Sie leiden unter sexua­li­sierter Gewalt und darunter, dass ihnen diese Erfah­rung immer wieder und gerade von cis Männern abge­spro­chen wird.

Aber natür­lich, Männer leiden auch. Der gesell­schaft­liche Aushand­lungs­pro­zess darüber, was Männ­lich­keit sein soll bedeutet ein Verlust von Privi­le­gien. Und das ist gut so, auch wenn es weh tut, weil es die eigene Biografie vieler cis Männer in Frage stellt: Viel­leicht war ich gar nicht der Schlauste im Uni-Seminar, der Fähigste für das Prak­tikum, der Führungs­stärkste für die Beför­de­rung. Viel­leicht war ich einfach der Einzige, der gesehen und gehört wurde.

Jour­na­li­stisch spricht wenig dagegen, eine Gruppe zu porträ­tieren, die unter gesell­schaft­li­chen Rollen­bilder leidet. Auch nicht, wenn es sich bei der Gruppe um cis Männer handelt. Aber warum handelt der Beitrag nicht von bise­xu­ellen Männern, von Männern mit Behin­de­rung oder von Männern, die Rassis­mus­er­fah­rungen machen – von all jenen also, die nicht dem hege­mo­nialen Männ­lich­keits­bild entspre­chen? Warum das Sprech­rohr wieder denen geben, die immer spre­chen können und die bei jedem Anspruch auf mehr Rechte seitens der femi­ni­sti­schen Bewe­gung ihren eigenen Status­ver­lust beklagen, anstatt zu hinter­fragen, auf wessen Kosten sie diesen über­haupt erlangt haben?

Aber natür­lich, Männer leiden. Und wenn sie der femi­ni­sti­schen Bewe­gung zuhören, wissen sie bald auch, woran.


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