Mit Akti­vismus-Ästhetik das Image polieren

Was hat Watsons neue Werbe­kam­pagne mit diversen Produkt-Revo­lu­tionen gemeinsam? Beide verspre­chen eine bessere Welt – und meinen doch nur ihr Produkt. Eine Glosse über den Ausver­kauf von Aktivismus. 
Nichts sagt „Haltung!“ so wie ein Listicle mit den 15 lustigsten Katzenbildern, oder erschütternde Recherchen wie „Influencerin redet Klartext: Das hat es mit ihrem Stirn-Tattoo wirklich auf sich!“. Auch Aussenwerbung ist bekanntlich ein klares Indiz für eine kritische Haltung. © Kira Kynd

Wir leben in bewegten Zeiten. Klima­pro­teste, erstar­kende Frau­en­be­we­gung, Proteste gegen Ausschaf­fungen und Grenz­re­gime, national ausge­legte anti­fa­schi­sti­sche Spen­den­kam­pa­gnen, Demon­stra­tionen gegen die Masken­pflicht. Streit­bare Initia­tiven spalten die Gesell­schaft und dazu eine Pandemie, welche von jeder und jedem eine Stel­lung­nahme abver­langt: Sind wir soli­da­risch oder lassen wir es lieber sein?

Haltung zeigen – Watson lesen! Markige Worte vor schwarz-weissem Hinter­grund, darauf jeweils eine Person mit watson­pinkem Strich auf der Backe und ernstem Blick. Martia­lisch ist die neue Werbe­kam­pagne, bewe­gend. Und damit nicht genug: Passend zur Kampagne hat Watson einen eigenen Insta­gram-Filter lanciert.

Öffnet man den Filter, erscheint die Frage: „Was ist deine Haltung?” – ein Zufalls­ge­nerator schmeisst dann eine akti­vi­sti­sche Über­schrift über das eigene Schwarz-Weiss-Bild, zum Beispiel: „Schön­heit hat keine Haut­farbe!” Oder: „Nein heisst Nein”, „All bodies are beau­tiful”, „Gay, hetero or trans, who cares”, „Black lives matter”, „Let’s support each other!” und viele andere. Die entspre­chende Message kann dann über die eigenen Kanäle geteilt werden und für das Medium noch mehr perfor­ma­tive Diver­sity mit unter­schied­li­chen Gesich­tern erzeugen – kostenlos.

Viele der Bewe­gungen, deren akti­vi­sti­sche Parolen hier plagi­iert werden, haben im Kern gemeinsam, dass sie von kapi­ta­li­sti­schem Denken wegkommen wollen und statt­dessen post­ma­te­ria­li­sti­sche, iden­ti­täts­po­li­ti­sche oder Fragen bezüg­lich alter­na­tiver Gesell­schafts­formen in den Vorder­grund stellen.

Gleich­heit ist keine Wort­hülse, Schön­heit ein poli­ti­scher Begriff und Black Lives Matter mehr als ein schwarzes Quadrat auf Insta­gram. Diese Motive für eine Werbe­kam­pagne zu brau­chen, wider­spricht dem Kern der Sache. Diese dann aber auch noch zu verwenden, um für ein Medium zu werben, welches Storys zu trau­rigen Hunden, Picdumps und Listicles (die letzten beiden sind laut Watson-Website fast durch­ge­hend  „meist­ge­lesen”) als Haltung auslegt, ist fragwürdig.

Doch mit diesem Ansatz steht die Watson-Werbe­ab­tei­lung nicht allein.

Akti­vismus verkauft sich gut, oder meinen Sie, es ist Zufall, dass „Revo­lu­tion” und „Change” auf diversen Produkten von Klei­dern, Make-up bis hin zu Auto­wer­bungen und Toilet­tentabs ein gängiges Schlag­wort ist? Googeln Sie mal „Revo­lu­tion” und ein Produkt Ihrer Wahl. Viel Spass dabei.

Es ist bezeich­nend für die Werbe­branche, sich Sprache anzu­eignen, zu einer Wort­hülse verkommen zu lassen und den eigenen Zwecken entspre­chend umzu­münzen, ohne jemals über die sprach­liche Ebene hinaus­zu­gehen. Der Onlin­ever­sand­händler Galaxus etwa verwendet das Gender­stern­chen und wird dafür über­schwäng­lich gelobt, während er seine Ange­stellten unter schlechten Arbeits­be­din­gungen an deren physi­sche Leistungs­grenze kommen lässt, wie die WOZ erst kürz­lich berich­tete. Man könnte die Gender­stern­chen in diesem Kontext dennoch als kleinen Fort­schritt werten – oder aber als perfor­ma­tive Iden­ti­täts­po­litik ohne jegliche mate­ri­elle Grund­lage. Und der Mode­riese Zalando wirbt auf seiner neusten Plakat­kam­pagne mit dem Slogan „Empowe­ring Women”.

Es ist Werbung für die Gene­ra­tion „Insta­gram-Akti­vismus” und funk­tio­niert auf der altbe­währten Marke­ting­schiene von „Gutes tun und darüber reden”, wobei der erste Teil ruhig auch vernach­läs­sigt werden darf.

Diese Anbie­de­rung hilft niemandem ausser den Werbe­trei­benden und den Chef­re­dak­tionen, und sie wertet poli­ti­sche Bewe­gungen, ihre Slogans und Ästhetik ab, macht sie zu etwas Konsu­mier­barem und letzt­end­lich Käuflichem.

Es geht in dieser Kritik auch gar nicht darum, zu bean­standen, wie ernst es Watson mit der Diver­sity meint oder ob Galaxus im „Gender­stern­chen” wirk­lich die Unter­neh­mens­werte wieder­finden, sondern um den Gestus, um die Dome­sti­zie­rung von Akti­vismus: Poli­ti­sche Begriffe verlieren so ihre Spreng­kraft, verlieren ihre Bedeu­tung und werden zu austausch­baren Worthülsen.

Vor allem jungen Menschen wird so sugge­riert, dass ein solches State­ment reicht, um Haltung zu zeigen. Wer muss noch gegen Nazis auf die Strasse gehen, wenn man sich den eigenen Anti­ras­simus in die Insta-Story posten, einen Beitrag liken, ein Video teilen oder Produkte bei einem Händler bestellen kann, der sich um gegen­derte Sprache schert, statt um die Rechte der Arbeitnehmer:innen?

Auf der anderen Seite der Werbe­wand stellt sich wiederum die Frage: Wenn all die Kapitaleigner:innen nach ihrer Fort­schritts- und Revo­lu­ti­ons­äs­thetik handeln würden, bräuchte es dann über­haupt noch eine poli­ti­sche Haltung von Seite der Konsument:innen?

Ähnliche Artikel