Wir leben in bewegten Zeiten. Klimaproteste, erstarkende Frauenbewegung, Proteste gegen Ausschaffungen und Grenzregime, national ausgelegte antifaschistische Spendenkampagnen, Demonstrationen gegen die Maskenpflicht. Streitbare Initiativen spalten die Gesellschaft und dazu eine Pandemie, welche von jeder und jedem eine Stellungnahme abverlangt: Sind wir solidarisch oder lassen wir es lieber sein?
Haltung zeigen – Watson lesen! Markige Worte vor schwarz-weissem Hintergrund, darauf jeweils eine Person mit watsonpinkem Strich auf der Backe und ernstem Blick. Martialisch ist die neue Werbekampagne, bewegend. Und damit nicht genug: Passend zur Kampagne hat Watson einen eigenen Instagram-Filter lanciert.
Öffnet man den Filter, erscheint die Frage: „Was ist deine Haltung?” – ein Zufallsgenerator schmeisst dann eine aktivistische Überschrift über das eigene Schwarz-Weiss-Bild, zum Beispiel: „Schönheit hat keine Hautfarbe!” Oder: „Nein heisst Nein”, „All bodies are beautiful”, „Gay, hetero or trans, who cares”, „Black lives matter”, „Let’s support each other!” und viele andere. Die entsprechende Message kann dann über die eigenen Kanäle geteilt werden und für das Medium noch mehr performative Diversity mit unterschiedlichen Gesichtern erzeugen – kostenlos.
Viele der Bewegungen, deren aktivistische Parolen hier plagiiert werden, haben im Kern gemeinsam, dass sie von kapitalistischem Denken wegkommen wollen und stattdessen postmaterialistische, identitätspolitische oder Fragen bezüglich alternativer Gesellschaftsformen in den Vordergrund stellen.
Gleichheit ist keine Worthülse, Schönheit ein politischer Begriff und Black Lives Matter mehr als ein schwarzes Quadrat auf Instagram. Diese Motive für eine Werbekampagne zu brauchen, widerspricht dem Kern der Sache. Diese dann aber auch noch zu verwenden, um für ein Medium zu werben, welches Storys zu traurigen Hunden, Picdumps und Listicles (die letzten beiden sind laut Watson-Website fast durchgehend „meistgelesen”) als Haltung auslegt, ist fragwürdig.
Doch mit diesem Ansatz steht die Watson-Werbeabteilung nicht allein.
Aktivismus verkauft sich gut, oder meinen Sie, es ist Zufall, dass „Revolution” und „Change” auf diversen Produkten von Kleidern, Make-up bis hin zu Autowerbungen und Toilettentabs ein gängiges Schlagwort ist? Googeln Sie mal „Revolution” und ein Produkt Ihrer Wahl. Viel Spass dabei.
Es ist bezeichnend für die Werbebranche, sich Sprache anzueignen, zu einer Worthülse verkommen zu lassen und den eigenen Zwecken entsprechend umzumünzen, ohne jemals über die sprachliche Ebene hinauszugehen. Der Onlineversandhändler Galaxus etwa verwendet das Gendersternchen und wird dafür überschwänglich gelobt, während er seine Angestellten unter schlechten Arbeitsbedingungen an deren physische Leistungsgrenze kommen lässt, wie die WOZ erst kürzlich berichtete. Man könnte die Gendersternchen in diesem Kontext dennoch als kleinen Fortschritt werten – oder aber als performative Identitätspolitik ohne jegliche materielle Grundlage. Und der Moderiese Zalando wirbt auf seiner neusten Plakatkampagne mit dem Slogan „Empowering Women”.
Es ist Werbung für die Generation „Instagram-Aktivismus” und funktioniert auf der altbewährten Marketingschiene von „Gutes tun und darüber reden”, wobei der erste Teil ruhig auch vernachlässigt werden darf.
Diese Anbiederung hilft niemandem ausser den Werbetreibenden und den Chefredaktionen, und sie wertet politische Bewegungen, ihre Slogans und Ästhetik ab, macht sie zu etwas Konsumierbarem und letztendlich Käuflichem.
Es geht in dieser Kritik auch gar nicht darum, zu beanstanden, wie ernst es Watson mit der Diversity meint oder ob Galaxus im „Gendersternchen” wirklich die Unternehmenswerte wiederfinden, sondern um den Gestus, um die Domestizierung von Aktivismus: Politische Begriffe verlieren so ihre Sprengkraft, verlieren ihre Bedeutung und werden zu austauschbaren Worthülsen.
Vor allem jungen Menschen wird so suggeriert, dass ein solches Statement reicht, um Haltung zu zeigen. Wer muss noch gegen Nazis auf die Strasse gehen, wenn man sich den eigenen Antirassimus in die Insta-Story posten, einen Beitrag liken, ein Video teilen oder Produkte bei einem Händler bestellen kann, der sich um gegenderte Sprache schert, statt um die Rechte der Arbeitnehmer:innen?
Auf der anderen Seite der Werbewand stellt sich wiederum die Frage: Wenn all die Kapitaleigner:innen nach ihrer Fortschritts- und Revolutionsästhetik handeln würden, bräuchte es dann überhaupt noch eine politische Haltung von Seite der Konsument:innen?