Ich war kürzlich wieder einmal im Ausgang. Meine Cousine und ich zogen an der Langstrasse von einer Bar zur nächsten und hatten eine gute Zeit. Das heisst, abgesehen davon, dass ich in einer Zeitspanne von fünf Stunden tatsächlich von vier unterschiedlichen Männern blöd angemacht oder belästigt worden war – einer schnauzte mich an, einer mansplainte mir etwas, einer schrie mich an und einer kam mir körperlich viel zu nahe.
Die Interaktionen waren anstrengend, emotional aufwühlend und liessen mich frustriert zurück. Ich fragte mich, ob es daran gelegen hat, dass wir uns in einem männlich dominierten Party-Umfeld bewegt haben.
An Orten, die hauptsächlich FINTA (Frauen, inter, non-binäre, trans und agender Personen) besuchen, ist mir so etwas nämlich noch nie passiert. Auch wenn cis Männer anwesend sind, sind es eben meistens diejenigen cis Männer, die das Prinzip Konsens verstanden und ihre Privilegien zumindest angefangen haben zu reflektieren. Ich fühle mich wohler, wenn mein Umfeld hauptsächlich aus Nicht-Männern besteht. Und das bringt mich zum Thema dieser Kolumne.
Lohnungleichheit, unbezahlte Care-Arbeit, sexualisierte Gewalt, aber auch der Kampf gegen toxische Maskulinität, die Abschaffung der Wehrpflicht und homosoziale Gewalt sind feministische Themen – und werden als „Frauensache“ abgestempelt. Dadurch werden diese Themen einerseits abgewertet, andererseits die Verantwortung für die Lösung dieser Probleme auf FINTA (Frauen, inter, non-binäre, trans und agender Personen) übertragen.
Das ist nicht nur unlogisch, sondern auch unnütz: Die Ursache des Problems liegt nicht auf der Betroffenen‑, sondern auf der Täterseite. Es sind eben Männersachen. Deshalb müssen Männer als Teil der privilegierten Gruppe Verantwortung übernehmen und diese Probleme angehen.
Möglichkeiten gibt es genug
Der feministische Streiktag rückt immer näher (juhu). In verschiedenen Kantonen sind über den ganzen Tag verteilt unterschiedliche Aktionen geplant und wie immer mündet der 14. Juni in violetten, kämpferischen, feministischen Demonstrationen.
Während die feministischen Kollektive sich intensiv auf den Tag vorbereiten und FINTA sich die Demo fett in die Agenda schreiben, stellen gewisse cis Männer wieder einmal sich selbst ins Zentrum: „Dürfen Männer an die Demo kommen? Wieso schliesst ihr Männer aus, wenn ihr wollt, dass wir uns für Gleichstellung einsetzen? Das ist doch umgekehrter Sexismus?“ Die Fragen tauchen unter Instagram-Posts der feministischen Streikkollektive, in meinen DMs (direct messages) und in persönlichen Gesprächen auf.
Die meisten Streikkollektive lösen die Frage mittlerweile diplomatisch, indem sie FINTA im Demoaufruf ansprechen, cis Männer hingegen weder explizit ein- noch ausladen. In Zürich, Basel und Bern gibt es zudem Gruppen von Soli-Männern, die am 14. Juni unter anderem Kinder betreuen, die Soli-Bar betreiben und Aufräumarbeiten übernehmen.
Ich kann verstehen, dass Feminismus-Neulinge etwas verwirrt sind: Wie soll ich mich engagieren, wenn ich nicht an die Demonstration kommen darf?
Darum hat denn auch das Zürcher Streikkollektiv zusammen mit der Soli-Gruppe zwei Veranstaltungen organisiert, um cis Männern zu erklären, wie sie den feministischen Streik unterstützen können. Auch „Die Feministen“ sind dieser Frage im Rahmen einer Podiumsdiskussion nachgegangen und haben auf Instagram eine Liste mit „Do’s“ publiziert.
Cis Männern werden also mehrere Möglichkeiten aufgezeigt, wie sie sich engagieren können: Leistet Care-Arbeit, übernehmt die Arbeitsschicht eure*r Kolleg*in, engagiert euch in der Soli-Gruppe, räumt auf, fragt FINTA in eurem Umfeld, wie ihr sie unterstützen könnt und bleibt ansonsten im Hintergrund. Nur zur Demo sind cis Männer halt nicht ausdrücklich eingeladen. Viele lesen das als: Ich bin dort nicht willkommen.
Einige fragen sich jetzt: Wie kann das feministisch sein? Sollten nicht alle Geschlechter gleichgestellt und überall willkommen sein?
Die Antwort ist kompliziert.
Eine Demo als safer space
Das Thema Raumpolitik und die Frage, wer wo wann willkommen ist, beschäftigt feministische Aktivist*innen schon lange. Eine mögliche Lösung kann mit dem Stichwort safer space (dt. sichererer Ort) zusammengefasst werden. Der Ursprung des Konzepts ist nicht klar definiert, es soll aber schon in den 1960er- Jahren in der Frauenbewegung und parallel in der queeren Community benutzt worden sein.
In einem safer space wird keine Diskriminierung oder Gewalt toleriert, und es soll eine Möglichkeit für diskriminierte Gruppen darstellen, unter sich zu sein. Für viele entfällt so eine Anspannung oder Angst, sich immer wieder erklären oder sogar Grenzüberschreitungen erleben zu müssen.
Für queere Menschen kann ein safer space ein Ort ohne cis-hetero Menschen bedeuten, für People of Colour ein Ort ohne weisse Menschen, für FINTA kann das ein Ort ohne cis Männer sein. Es ist keine exakte Wissenschaft, sondern ein Versuch, einen oft zeitlich und örtlich begrenzten Raum zu schaffen, in dem diskriminierte Personen zur Ruhe kommen und Gemeinschaft finden können.
Das Konzept funktioniert nicht immer und kann auch problematisch sein: Eine Kontrolle lässt sich kaum durchführen und gewisse Menschen, die eigentlich eingeschlossen werden sollten, fühlen sich manchmal ausgeschlossen. Zum Beispiel können trans oder non-binäre Personen an FINTA-Veranstaltungen Ablehnung oder gar Grenzüberschreitungen erfahren, wenn sie als (cis) männlich gelesen werden. Das führt natürlich dazu, dass sie sich nicht wohl fühlen und den Veranstaltungen fernbleiben – was den Grundgedanken des safer space wieder aushebelt.
Logischerweise sollte das Verhalten einer Person ausschlaggebend dafür sein, ob sie an einem Ort oder Anlass willkommen ist oder nicht. Und dennoch können wir nicht verleugnen, dass ein Ort, an dem keine cis Männer sind, für viele FINTA sicherer wirkt und darum wertvoll ist.
Dass die feministische Demonstration, die Hauptveranstaltung des 14. Juni, also FINTA vorbehalten sein soll, hat auch damit zu tun. FINTA, die sexualisierte oder häusliche Gewalt erlebt haben, möchten oder können vielleicht nicht neben einer lauten Männergruppe dagegen demonstrieren.
Ich finde es absurd, wenn sich cis Männer darüber aufregen, dass sie jetzt ausnahmsweise nicht inkludiert sind. Als gäbe es nicht unendlich viele Räume, die FINTA strukturell verwehrt bleiben: von Sitzungen in Teppichetagen über den Freihantelbereich im Gym bis zu buchstäblich jedem Park nach Einbruch der Dunkelheit – und das scheint euch herzlich wenig zu stören.
Ein Akt der Selbstermächtigung
Der für mich viel wichtigere Punkt ist aber: Dass FINTA auf die Strassen gehen und mit dieser Demonstration so viel öffentlichen Raum einnehmen, ist ein Akt der Selbstermächtigung.
Cis Männer dominieren gewöhnlicherweise den öffentlichen Raum, ob durch Lautstärke, Auftreten oder Menge. Ihr redet oft und laut, ihr setzt euch breitbeinig in den ÖV, ihr läuft mit grossen Schritten die Strasse entlang, kurz: Ihr nehmt euch den Platz, den ihr wollt. Und wenn ihr dann noch in einer Gruppe unterwegs seid, verzehnfacht sich dieser Effekt. Das Problem ist, dass ihr so anderen Menschen – lies: FINTA – ihren Platz wegnehmt und sogar Grenzen überschreitet.
Das Ganze hat System: Unsere Infrastruktur ist für Männer gebaut, unsere Medizin auf Männer ausgelegt, unsere Lohnarbeit an Männern aufgehängt und unsere Gesellschaft von und für Männer gestaltet.
Ihr lauft mit einer solchen Selbstverständlichkeit durch die Welt und merkt gar nicht, was für ein Privileg das ist. Ich wünschte mir, dass ihr all diese überschüssige Energie – die ihr habt, weil ihr geschlechterspezifische Diskriminierungen nicht erleben müsst – nutzen würdet.
Es gibt nämlich viele Protestformen und viel unsichtbare Arbeit, die in der Vorbereitung auf so einen Tag steckt. Sie mag nicht so spektakulär sein, wie an einer lauten, bunten Demonstration mit Prosecco und guter Musik mitzulaufen, aber sie ist nötig, sodass diese Demo überhaupt stattfinden kann.
Darum noch mal liebe Männer: Ihr stellt die falsche Frage. Statt „Dürfen Männer an die feministische Demo?“, fragt doch einfach „Wie kann ich euch unterstützen?“, und akzeptiert die Antwort.
Wenn ihr euch aber an dem klitzekleinen Fakt aufhängt, dass ihr an ein-zwei Demos im Jahr nicht eingeladen werdet, geht’s euch nicht darum, euch für feministische Forderungen einzusetzen – sondern um euer eigenes Vergnügen.
Journalismus kostet
Die Produktion dieses Artikels nahm 14 Stunden in Anspruch. Um alle Kosten zu decken, müssten wir mit diesem Artikel CHF 988 einnehmen.
Als Leser*in von das Lamm konsumierst du unsere Texte, Bilder und Videos gratis. Und das wird auch immer so bleiben. Denn: mit Paywall keine Demokratie. Das bedeutet aber nicht, dass die Produktion unserer Inhalte gratis ist. Die trockene Rechnung sieht so aus:
Wir haben einen Lohndeckel bei CHF 22. Die gewerkschaftliche Empfehlung wäre CHF 35 pro Stunde.
CHF 490 → 35 CHF/h für Lohn der Schreibenden, Redigat, Korrektorat (Produktion)
CHF 238 → 17 CHF/h für Fixkosten (Raum- & Servermiete, Programme usw.)
CHF 260 pro Artikel → Backoffice, Kommunikation, IT, Bildredaktion, Marketing usw.
Weitere Informationen zu unseren Finanzen findest du hier.
Solidarisches Abo
Nur durch Abos erhalten wir finanzielle Sicherheit. Mit deinem Soli-Abo ab 60 CHF im Jahr oder 5 CHF im Monat unterstützt du uns nachhaltig und machst Journalismus demokratisch zugänglich. Wer kann, darf auch gerne einen höheren Beitrag zahlen.
Ihr unterstützt mit eurem Abo das, was ihr ohnehin von uns erhaltet: sorgfältig recherchierte Informationen, kritisch aufbereitet. So haltet ihr unser Magazin am Leben und stellt sicher, dass alle Menschen – unabhängig von ihren finanziellen Ressourcen – Zugang zu fundiertem Journalismus abseits von schnellen News und Clickbait erhalten.
In der kriselnden Medienwelt ist es ohnehin fast unmöglich, schwarze Zahlen zu schreiben. Da das Lamm unkommerziell ausgerichtet ist, keine Werbung schaltet und für alle frei zugänglich bleiben will, sind wir um so mehr auf eure solidarischen Abos angewiesen. Unser Lohn ist unmittelbar an eure Abos und Spenden geknüpft. Je weniger Abos, desto weniger Lohn haben wir – und somit weniger Ressourcen für das, was wir tun: Kritischen Journalismus für alle.
Einzelspende
Ihr wollt uns lieber einmalig unterstützen?