Tiziano De Luca beteiligt sich seit einem Jahr am Kampf gegen die Klimakrise. Er ist beim Klimastreik in Zürich aktiv und organisiert zusammen mit anderen Aktivist:innen den Strike for Future.
Das Lamm: Tiziano, das neue CO2-Gesetz will bis 2030 gegenüber 1990 die Treibhausgase um die Hälfte reduzieren. Es beinhaltet unter anderem Abgaben auf Flugtickets, Benzin und Heizöl sowie die Gründung eines Klimafonds. Zieht man die hiesigen parlamentarischen Verhältnisse in Betracht, dann ist diese Kompromisslösung zumindest ein erster Schritt. Warum ergreifen nun einige Sektionen des Klimastreiks das Referendum dagegen?
Tiziano De Luca: Zwei zentrale Punkte sprechen gegen das neue CO2-Gesetz: Erstens, dass die Politik der kleinen Schritte sich nicht mit dem Tempo vereinbaren lässt, mit dem die Klimakatastrophe auf uns zukommt. Man sagt uns, dass wir dieses Gesetz doch hinnehmen sollen, dass es einen Fortschritt darstelle. Doch diese Fortschritte bringen uns nicht weiter. Wenn die sogenannten „Tipping-Points“, die Kipppunkte unseres Klimas, erreicht sind, werden Temperaturerwärmungen von mehreren Grad Celsius nicht mehr aufzuhalten sein. Die Vorstellung, dass wir die Klimakrise politisch Schritt für Schritt abwenden könnten, lässt die Dringlichkeit der Sache aussen vor. Das neue CO2-Gesetz unterschätzt die Klimakrise fahrlässig.
Und der zweite Punkt?
Das Gesetz steht für einen unsozialen Klimaschutz. Bei den CO2-Grenzwerten für Alt- und Neubauten lässt es den Vermieter:innen zu viele Ausweichmöglichkeiten (siehe CO2-Gesetz, Art. 10, Abs. 5, Anm. d. Redaktion). Auch von Sozialpartnerschaft ist im Gesetzestext gar nicht die Rede. Das Gesetz ist ein Versuch, mit systemimmanenten Methoden gegen die Klimakrise vorzugehen. Dabei zeigt die Klimakrise doch genau auf, wie das System selbst versagt. Wir müssen einen anderen Weg aufzeigen, wie Klimaschutz funktionieren kann.
Gewisse Punkte wie die Flugticketabgabe weisen aber doch in die richtige Richtung…
Trotzdem ist das Gesetz ein Schritt in die falsche Richtung. Wir stärken damit die Mechanismen, die uns erst in diese Situation gebracht haben. Ein Beispiel: Ein Unternehmen schafft einen Neuwagen an, der zu viel CO2 ausstösst. Mit dem neuen Gesetz wird dieses Unternehmen gebüsst und muss eine Abgabe machen. Diese Abgabe wird dann zu 50 Prozent in den Strassenfonds rückverteilt, mit dem die Nationalstrassen ausgebaut werden (siehe CO2-Gesetz, Art. 53, Abs. 3, Anm. d. Redaktion). Das ist doch verkehrt.
Und der Klimafonds?
Den kann man als Fortschritt sehen. Es stellt sich aber die Frage, welche Projekte damit unterstützt werden. Beispielsweise verursachen neue Technologien meist hohe Grauemissionen und führen zu erhöhter Produktion. Wenn also durch den Klimafonds Gelder daraus zu Start-Ups fliessen, die dafür sorgen, dass noch mehr produziert wird, dann bringt das rein gar nichts. Und obwohl der Finanzplatz 22-mal mehr CO2 ausstösst als die ganze Bevölkerung, sind im CO2-Gesetz keine Massnahmen gegen Grosskonzerne und Banken vorgesehen.
Welche konkreten Änderungen müssten am Gesetz vorgenommen werden, damit ihr dahinterstehen könntet?
Klimaschutz sollte dort ansetzen, wo die unsozialen Mechanismen überwunden und die Entscheidungen über die Massnahmen demokratisiert werden können. Das neue CO2-Gesetz steht auf dem Fundament unseres momentanen Wirtschaftssystems. Darum finde ich es grundsätzlich schwierig, konkrete Änderungsvorschläge anzubringen. Stattdessen versuchen wir im Rahmen des Strike for Future alternative Formen von Klimaschutz aufzuzeigen. In einem ersten, an die Corona-Krise angepassten „Krisenaktionsplan“ schlagen wir konkrete Massnahmen wie autofreie Städte, einen Subventionsstopp für fossile Energien und Arbeitszeitverkürzungen vor.
Wie rechtfertigt ihr die unheilige Allianz mit der SVP und einigen Wirtschaftsverbänden, mit denen ihr das Referendum ergreift?
Wir gehen ja keine Partnerschaft mit denen ein. Natürlich distanzieren wir uns von der SVP, die die Klimakrise entweder relativiert, leugnet oder mit rassistischen, sexistischen oder ökofaschistischen Ansätzen abwenden will. Dass wir diesen Kreisen nicht die Deutungshoheit über das Gesetz überlassen wollen, ist mitunter ein Grund, weshalb wir das Referendum überhaupt ergriffen haben.
Wenn ihr konkrete Veränderungen erreichen wollt, dann seid ihr auf die parlamentarische Linke angewiesen, die Vorstösse einbringt und Gesetze aufgleist. Diese steht geschlossen für das Gesetz und gegen das Referendum ein. Siehst du die Gefahr, dass dadurch Gräben zur SP und den Grünen aufgerissen werden?
Einerseits ist das Referendum für uns nur ein Projekt von vielen. Bei anderen Themen arbeiten wir selbstverständlich weiterhin mit der SP und den Grünen zusammen, zum Beispiel beim Strike for Future. Dort versuchen wir, Verbindungen herzustellen und mit verschiedenen gesellschaftlichen Akteur:innen gemeinsame Strukturen zu schaffen.
Andererseits sehe ich die Aufgabe des Klimastreiks vor allem darin, die gesellschaftliche Debatte zu verschieben. Dies sollte auch jetzt unsere Aufgabe sein. Bis jetzt meistern wir diese Aufgabe recht gut, wie ich meine. Kein:e einzige:r linke:r Parlamentarier:in würde behaupten, dass dieses CO2-Gesetz genügt. Von daher bin ich optimistisch, dass die weitere Zusammenarbeit funktionieren wird. Wir machen das jetzt, bleiben aber in Kontakt und versuchen, Verständnis für unsere Haltungen aufzubauen.
Nehmen wir an, das Referendum kommt durch und das Gesetz zurück ins Parlament. Es bedürfte einer grossen Mobilisierungs- und Informationskampagne, damit die Rechte den Sieg nicht für sich reklamiert und das Gesetz im Parlament noch mehr verwässert. Welche konkreten aktivistischen Schritte plant ihr für dieses Szenario?
Die Abstimmung fiele etwa in den Zeitrahmen Mai, Anfang Juni 2021. Für diese Zeit planen wir den Strike for Future. Da sind wir dabei, mit verschiedenen Akteur:innen konkrete Forderungen und ein Programm auszuarbeiten. Sollte das neue CO2-Gesetz gebodigt werden, hoffen wir natürlich, dass sich wieder viele Menschen die Strasse nehmen und ein grosses Zeichen für konsequenten und sozialen Klimaschutz setzen werden.
Welche Protestformen zieht ihr in Betracht?
Bei der Bundesplatz-Besetzung hat der zivile Ungehorsam funktioniert, die Medien sind auf den Zug aufgesprungen. Es wird bestimmt wieder ähnliche Aktionen geben.
Verfolgt ihr eine systematische Strategie? Jede Woche eine Besetzung an einem anderen Ort?
Wir haben eine Strategie. Sie beinhaltet sehr viele verschiedene Aktionsformen und Möglichkeiten. Diese jetzt aber alle aufzuzählen, ginge zu lange. Und unsere Strategie bleibt halt erst mal noch unsere Strategie.
Wie geht ihr innerhalb der Bewegung damit um, beim Thema CO2-Gesetz gespalten zu sein? Wie diskutiert ihr das aus?
In jedem Medienauftritt von Klimastreikenden zum Referendum wurde der Zusammenhalt der Bewegung betont. Wir sind basisdemokratisch und föderalistisch organisiert, verschiedene Regionen verfolgen verschiedene Projekte unter verschiedenen Bedingungen. In der Romandie beispielsweise wird traditionell eher als in der Deutschschweiz ein Referendum ergriffen, weil die SVP dort nicht so stark ist. Aber auch in der Deutschschweiz gibt es Menschen wie mich in der Bewegung, die finden, dass das richtig ist. Die Bewegung spaltet sich nicht. Wir verfolgen weiterhin unsere gemeinsamen Projekte. Beim Referendum geht es doch vor allem um die Frage, wie man taktisch vorgehen sollte. Generell diskutieren wir alles Relevante in unseren Plänen. Dort gibt es Differenzen und schwierige Momente. Aber das war schon zu Beginn so und gehört dazu.
Die Klimabewegung hat es geschafft, politische Prozesse in Gang zu setzen. Doch bis jetzt sind daraus noch keine konkreten Veränderungen hervorgegangen. Wie steht ihr dazu, eure Ziele wie Netto Null bis 2030 direkt über eine Initiative in die Verfassung zu schreiben?
Viele in der Bewegung haben den Glauben an die institutionelle Politik verloren. Gerade in der Frage der Regulierung des Finanzplatzes hat sich ja gezeigt, dass der Weg über das Parlament schwierig ist. Wir haben die Bundesversammlung zwei Jahre lang dazu zu bringen versucht, den Finanzplatz stärker zu regulieren. Warum sollten wir nun daran glauben, dass wir genügend Druck auf das von Lobbyismus geprägte Parlament ausüben können, damit sich wirklich etwas verändert? Ich bin da nicht sehr optimistisch.
Wie wollt ihr dann vorgehen?
Die Bewegung versucht momentan viel eher über den Aufbau alternativer Strukturen Veränderungen herbeizuführen. Andererseits gehört das Vertrauen in die institutionelle Politik und in die direkte Demokratie zum Selbstverständnis der Schweizer Bürger:innen. Das dürfen wir nicht ignorieren. Ein Vorwurf gegen uns beim Referendum lautet, dass wir uns den Mitteln der institutionellen Politik bedienen, obwohl wir diese ablehnen. Ich finde, dass wir diese Mittel bewusst für unsere Anliegen nutzen sollten, statt diese Anliegen nur auf der Strasse zu präsentieren.
Was heisst das konkret?
Das Aufgleisen einer Initiative sehe ich derzeit vor allem als eine Möglichkeit, um aufzuzeigen, dass die institutionelle Politik in der Klimakrise nicht funktioniert. Bis etwa eine Initiative Netto Null bis 2030 aufgegleist, angenommen und dann umgesetzt würde, ginge es einfach viel zu lange. Solange die Gletscherinitiative mit dem Ziel Netto Null 2050 im Gang ist, werden wir unsere Energie nicht dafür einsetzen, etwas anderes aufzugleisen, auch wenn die Initiative ein wenig aus der Zeit gefallen ist und nicht den Zielen unserer Bewegung entspricht. Trotzdem ist es möglich, dass gewisse Regionen etwas anreissen werden.
Letztlich stellt sich ja die Frage nach konkretem Wandel. Wenn ihr den herbeiführen wollt, dann müsst ihr entweder vermehrt Initiativen und Referenden ergreifen oder in euren Aktionsformen radikaler werden…
Vielleicht über einen Generalstreik? Die Frage nach den Mitteln, mit denen man ein System überwinden kann, lässt viele Antworten offen. Wir werden weiterhin auf zivilen Ungehorsam setzen und vom Mittel des Streiks Gebrauch machen. Wir versuchen, dieses seit Beginn der Bewegung für uns beanspruchte Mittel breiter zu nutzen und es wieder an seinen Ursprungsort, den Arbeitsplatz, zurückzutragen.
Zusammen mit den Gewerkschaften werden wir im Rahmen von Strike for Future erste ökonomische Streiks lancieren und in der gesamten Schweiz basisdemokratische Klimagruppen aufbauen. Damit wollen wir eine gesamtgesellschaftliche Diskussion anstossen und notwendige Massnahmen mit Direktbetroffenen besprechen. Wir rufen somit zur Organisation, Vernetzung und Aktion in allen Lebensbereichen auf.
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