Die bunte Welt der Symbolpolitik

Firmen und Unter­nehmen möchten auch dieses Jahr ihre vermeint­liche Soli­da­rität mit der Queer-Commu­nity durch symbol­hafte Regen­bogen bekennen. Das ist schein­heilig. Auch die Debatte um Queer­feind­lich­keit bleibt symbolisch. 
Momentan überall zu sehen: die Pridefahne (Foto: Tim Biehler / Unsplash)

Es ist wieder Pride-Monat und das Regen­bo­gen­mar­ke­ting scheint jedes Jahr krasser zu werden. Mitt­ler­weile färben nicht nur BMW, Siemens oder H&M ihre Logos und Schau­fen­ster in allen Farben des Regen­bo­gens, sondern auch Banken oder die euro­päi­sche Grenz­po­lizei Frontex, die auf staat­li­chen Auftrag Menschen an den euro­päi­schen Aussen­grenzen ermordet.

Die Spitze des Zynismus ist also erreicht. Mit einem Bekenntnis zur Queer-Commu­nity hat die bunte Fassa­den­ma­lerei schon lange nichts mehr zu tun. Das Gegen­teil trifft eher zu: Heute wirken in Pride-Farben getunkte Werbe­mittel beinahe wie eine Garantie für ein eigent­lich menschen­feind­li­ches Unternehmen.

„Pink­wa­shing“ bringt Profite: Für Unter­nehmen sind die Rechte von Queers nur eine weitere Marke­ting-Kampagne – sinn­ent­leerte, entpo­li­ti­sierte bunte Streifen am blauen Himmel des Kapi­tals. Endlich ein moderner Aufhänger für mehr Konsum!

Die Kauf­kraft der queeren Commu­nity ist ja auch immens, da muss jedes clevere Unter­nehmen zulangen. Das soge­nannte „rosa Geld“ wird global auf 3.7 Billionen US-Dollar pro Jahr geschätzt. Dass grund­le­gende Menschen­rechte nicht durch das Lippen­be­kenntnis von Unter­nehmen kommen können, die in erster Linie die mate­ri­elle Lebens­grund­lage queerer Menschen ausbeuten, lässt sich dabei gekonnt hinter ein wenig Glitzer verbergen.

Glitzer und Glimmer

Auch die öffent­liche Debatte um die Beleuch­tung der Münchner Allianz Arena verschlei­erte das eigent­liche Problem mit Homo­phobie, das die Welt noch immer hat. Plötz­lich wurde ein buntes Fuss­ball­sta­dion zu einer wirk­samen Mass­nahme gegen Queer­feind­lich­keit in Ungarn hochstilisiert.

Empö­rung machte sich breit: gegen die UEFA, von der eigent­lich klar sein müsste, dass sie ein korrupter Wirt­schafts­ver­band weisser Männer ist, der sich nun wirk­lich nicht für Menschen­rechte inter­es­siert und den Regen­bogen am lieb­sten komplett entpo­li­ti­sieren würde.

Sogar Bayerns Mini­ster­prä­si­dent Markus Söder rief dazu auf, sich stark­zu­ma­chen „gegen Diskri­mi­nie­rung und Ausgren­zung“. Der gleiche Poli­tiker, dessen Partei zuvor gegen das Hissen der glei­chen Fahne an der Fassade des baye­ri­schen Land­tags gestimmt hatte, lange Zeit Orbán hofierte und mit der unga­ri­schen FIDESZ im Euro­päi­schen Parla­ment sass. 

Doch während der Debatte um das Stadion wurde auf Ungarn mit seinem ewig­gest­rigen Ober­haupt herab­ge­blickt. Eine Hand­voll Fuss­ball­spieler mussten dabei als Reprä­sen­tanten für Orbáns queer­feind­liche Politik herhalten. Anschei­nend ging völlig vergessen, wie rück­schritt­lich es auch in Deutsch­land oder der Schweiz zu- und hergeht – und dass das Gefühl mora­li­scher Über­le­gen­heit hier mehr als fehl am Platz ist.

In der Schweiz ist die Diskri­mi­nie­rung aufgrund sexu­eller Orien­tie­rung erst seit 2000 verfas­sungs­recht­lich explizit unter­sagt. Seit 2020 erst steht die Diskri­mi­nie­rung Homo­se­xu­eller unter Strafe, wobei trans Personen noch immer nicht mitein­ge­schlossen und somit unge­schützt sind.

Auch über die „Ehe für alle“ wird bei uns erst disku­tiert: und dann noch über eine Version, die lesbi­sche Paare weiterhin diskri­mi­niert. Was die Rechte für Queers angeht, steht die Schweiz im euro­päi­schen Vergleich ledig­lich im Mittel­feld – nur fünf Plätze vor Ungarn und hinter Monte­negro, Kroa­tien oder Slowe­nien. Unsere Befrei­ungs­kämpfe müssen inter­na­tional gedacht werden und auch bei uns ist es immer noch eine Klas­sen­frage, wer offen und eini­ger­massen sicher queer leben kann.

Natür­lich können Symbole wichtig sein. Schwierig wird es dann, wenn tatsäch­liche poli­ti­sche Hand­lungen durch solche Gesten ersetzt und der eigent­liche poli­ti­sche Hand­lungs­spiel­raum vertuscht wird.

Dann disku­tieren wir über bunte Fuss­ball­sta­dien und „Tole­ranz“ anstatt über mate­ri­elle Auswir­kungen von poli­ti­schen Hand­lungen. Inter­es­sant könnte symbo­li­sches Agieren aber werden, wenn Ungarn tatsäch­lich die Geschäfte mit Konzernen kappt, die sich soli­da­risch mit der queeren Commu­nity zeigen. Dann könnten bunte Fahnen tatsäch­lich etwas bewirken, nämlich die Irri­ta­tion einer queer­feind­li­chen Wirt­schaft. Lasst uns weitermachen!


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