Es ist wieder Pride-Monat und das Regenbogenmarketing scheint jedes Jahr krasser zu werden. Mittlerweile färben nicht nur BMW, Siemens oder H&M ihre Logos und Schaufenster in allen Farben des Regenbogens, sondern auch Banken oder die europäische Grenzpolizei Frontex, die auf staatlichen Auftrag Menschen an den europäischen Aussengrenzen ermordet.
Die Spitze des Zynismus ist also erreicht. Mit einem Bekenntnis zur Queer-Community hat die bunte Fassadenmalerei schon lange nichts mehr zu tun. Das Gegenteil trifft eher zu: Heute wirken in Pride-Farben getunkte Werbemittel beinahe wie eine Garantie für ein eigentlich menschenfeindliches Unternehmen.
„Pinkwashing“ bringt Profite: Für Unternehmen sind die Rechte von Queers nur eine weitere Marketing-Kampagne – sinnentleerte, entpolitisierte bunte Streifen am blauen Himmel des Kapitals. Endlich ein moderner Aufhänger für mehr Konsum!
Die Kaufkraft der queeren Community ist ja auch immens, da muss jedes clevere Unternehmen zulangen. Das sogenannte „rosa Geld“ wird global auf 3.7 Billionen US-Dollar pro Jahr geschätzt. Dass grundlegende Menschenrechte nicht durch das Lippenbekenntnis von Unternehmen kommen können, die in erster Linie die materielle Lebensgrundlage queerer Menschen ausbeuten, lässt sich dabei gekonnt hinter ein wenig Glitzer verbergen.
Glitzer und Glimmer
Auch die öffentliche Debatte um die Beleuchtung der Münchner Allianz Arena verschleierte das eigentliche Problem mit Homophobie, das die Welt noch immer hat. Plötzlich wurde ein buntes Fussballstadion zu einer wirksamen Massnahme gegen Queerfeindlichkeit in Ungarn hochstilisiert.
Empörung machte sich breit: gegen die UEFA, von der eigentlich klar sein müsste, dass sie ein korrupter Wirtschaftsverband weisser Männer ist, der sich nun wirklich nicht für Menschenrechte interessiert und den Regenbogen am liebsten komplett entpolitisieren würde.
Sogar Bayerns Ministerpräsident Markus Söder rief dazu auf, sich starkzumachen „gegen Diskriminierung und Ausgrenzung“. Der gleiche Politiker, dessen Partei zuvor gegen das Hissen der gleichen Fahne an der Fassade des bayerischen Landtags gestimmt hatte, lange Zeit Orbán hofierte und mit der ungarischen FIDESZ im Europäischen Parlament sass.
Doch während der Debatte um das Stadion wurde auf Ungarn mit seinem ewiggestrigen Oberhaupt herabgeblickt. Eine Handvoll Fussballspieler mussten dabei als Repräsentanten für Orbáns queerfeindliche Politik herhalten. Anscheinend ging völlig vergessen, wie rückschrittlich es auch in Deutschland oder der Schweiz zu- und hergeht – und dass das Gefühl moralischer Überlegenheit hier mehr als fehl am Platz ist.
In der Schweiz ist die Diskriminierung aufgrund sexueller Orientierung erst seit 2000 verfassungsrechtlich explizit untersagt. Seit 2020 erst steht die Diskriminierung Homosexueller unter Strafe, wobei trans Personen noch immer nicht miteingeschlossen und somit ungeschützt sind.
Auch über die „Ehe für alle“ wird bei uns erst diskutiert: und dann noch über eine Version, die lesbische Paare weiterhin diskriminiert. Was die Rechte für Queers angeht, steht die Schweiz im europäischen Vergleich lediglich im Mittelfeld – nur fünf Plätze vor Ungarn und hinter Montenegro, Kroatien oder Slowenien. Unsere Befreiungskämpfe müssen international gedacht werden und auch bei uns ist es immer noch eine Klassenfrage, wer offen und einigermassen sicher queer leben kann.
Natürlich können Symbole wichtig sein. Schwierig wird es dann, wenn tatsächliche politische Handlungen durch solche Gesten ersetzt und der eigentliche politische Handlungsspielraum vertuscht wird.
Dann diskutieren wir über bunte Fussballstadien und „Toleranz“ anstatt über materielle Auswirkungen von politischen Handlungen. Interessant könnte symbolisches Agieren aber werden, wenn Ungarn tatsächlich die Geschäfte mit Konzernen kappt, die sich solidarisch mit der queeren Community zeigen. Dann könnten bunte Fahnen tatsächlich etwas bewirken, nämlich die Irritation einer queerfeindlichen Wirtschaft. Lasst uns weitermachen!
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