Ein ehemaliger Kollege bezeichnete Frauen, die gerne und oft Sex haben, als Schlampen; einer meiner Dozenten insinuierte vor versammeltem Hörsaal, dass Frauen in Beziehungen vor allem aufs Geld aus sind; mein Onkel meint, Frauen könnten nicht Auto fahren; mein Arbeitskollege erklärte mir ungefragt, wie ich meine Arbeit zu verrichten habe.
Ich kann gar nicht mehr zählen, wie oft ich in einer Situation war, in der ein Mann etwas Sexistisches gesagt oder getan hat und ich überlegen musste, ob ich jetzt etwas entgegnen soll oder nicht. Ich habe in so einem Fall drei Optionen. Erstens: Ich antworte direkt in der Situation, dass diese Aussage oder Handlung sexistisch ist und ich das nicht in Ordnung finde. Die Stimmung ist dahin, bestenfalls folgt betretenes Schweigen, schlimmstenfalls werde ich (je nach dem von mehreren Personen) beschimpft.
Zweitens: Ich sage in der Situation nichts und spreche den Mann nachher darauf an. Das Risiko ist gross, dass er das Ganze ins Lächerliche zieht („Ach, so war das doch nicht gemeint“) oder es als mein persönliches Problem darstellt („Du bist so empfindlich“).
Drittens: Ich sage nichts und laufe den Rest des Tages mit diesem ekligen Bauchgefühl, das ich in solchen Situationen bekomme, herum.
Diese Optionen sind wenig zufriedenstellend. Die einzige Alternative ist, solche Situationen ganz zu vermeiden – was ich auch tue, wenn möglich. Wenn es doch passiert, wähle ich meistens die Konfrontation; damit alle Anwesenden hören, dass sich jemand gewehrt hat. Vielleicht bringt es jemanden zum Nachdenken, vielleicht wird jemand inspiriert, das nächste Mal selbst etwas zu sagen, vielleicht ist mir auch einfach jemand dankbar.
Obwohl wir viel über Sexismus und sexistisches Verhalten sprechen, ist es sinnvoll, noch mal klarzustellen, was alles damit gemeint sein kann.
Eine mögliche Definition ist: „Sexismus beschreibt die Diskriminierung von Menschen aufgrund ihres Geschlechts. Sexismus kann sich gegen alle Geschlechter richten, überproportional betroffen sind jedoch Mädchen und Frauen sowie Personen, die sich nicht heteronormativen, zweigeschlechtlichen Vorstellungen von Geschlecht zuordnen lassen.“
Sexistisch ist, wenn einer weiblich gelesenen Person aufgrund ihres Geschlechts eine – oft stereotypische – Eigenschaft zu- oder abgesprochen wird, um sie negativ darzustellen. Beispiele für Alltagssexismus, die weiblich gelesene Personen erfahren, sind unter anderem:
- Ihnen wird abgesprochen, dass sie stereotyp männliche Eigenschaften haben oder Tätigkeiten ausüben können.
- Sie werden als übermässig emotional bezeichnet und darum weniger ernst genommen.
- Von ihnen wird erwartet, dass sie den Grossteil der Haushalts‑, Erziehungs- und sonstiger Care-Arbeit übernehmen (wollen).
- Ihnen wird weniger zugetraut und sie werden darum belächelt.
- Sie werden negativer bewertet als männlich gelesene Personen in derselben Situation: hat viele wechselnde Sexualpartner*innen, ist ein*e strenge*r Chef*in, ist arbeitender Elternteil.
- Sie werden ungefragt angefasst beim Vorbeilaufen, zum Beispiel am Arm, an den Schultern oder am unteren Rücken.
- Sie werden auf ihr Aussehen und ihren Körper reduziert.
Wichtig zu betonen ist, dass es neben Alltagssexismus auch strukturellen Sexismus gibt, der die Benachteiligung von FINTA (Frauen, inter, non-binäre, trans und agender Personen) aufgrund der Organisation unserer Gesellschaft beschreibt. Beispiele dafür sind Lohnungleichheit, Fehlen eines dritten Geschlechtseintrags, ungleiche Elternzeit und das bis vor Kurzem fehlende Frauenstimmrecht.
Zudem gibt es FINTA, die neben Sexismus auch von Ableismus, Rassismus oder Queerfeindlichkeit betroffen sind, was als Mehrfachdiskriminierung bezeichnet wird.
Am meisten provozieren mich die Männer, die Sexismus mitbekommen und dann einfach schweigen; still danebenstehen, während ein Dude eine misogyne Aussage nach der anderen macht. Wenn ihr denkt, dass ihr nicht auffällt, weil ihr nichts gesagt habt, täuscht ihr euch gewaltig. Wir sind hier nicht in der Wildnis, wo ihr euch wie eine Maus vor einer Schlange retten könnt, indem ihr erstarrt.
Eure Stille ist laut. Wenn sich einer eurer Freunde sexistisch äussert und ihr nichts sagt, wird das als stillschweigende Zustimmung gedeutet; von ihm, aber auch von allen anderen, die zuhören. Allyship funktioniert anders.
Ein ally (dt. Verbündete*r) ist eine Person in einer privilegierten Position, die diskriminierten Personen beiseitesteht. Theoretisch gesehen sind sich allies bewusst, welche Macht sie als Mitglied einer dominanten sozialen Gruppe haben und fühlen eine gewisse Verantwortung für die Ungerechtigkeit, die diskriminierte Personen erfahren.
Mich beschäftigt (offensichtlich) die Frage, wie wir Männer für Ungerechtigkeit sensibilisieren und für Feminismus motivieren können. Insbesondere die Männer, die sich kaum mit dem Thema auseinandersetzen oder finden, dass „der Feminismus zu weit geht“. Wie es die Logik aber so will, würden Männer, die Frauen nicht respektieren, mir als Frau nie zuhören.
Versteht ihr eigentlich, wie frustrierend das ist?
Das Einzige, das ich tun kann, ist euch – den Männern, die gewillt sind, mir zuzuhören – versuchen zu erklären, dass und wie ihr euer Privileg nutzen und gute allies sein könnt.
Also, liebe Leser: Sagt endlich etwas! Macht das Maul auf, wenn euer Arbeitskollege rumerzählt, die Kollegin hätte die Beförderung aufgrund ihres Aussehens erhalten, sagt eurem besten Freund, wenn er im Ausgang zu aufdringlich ist und erklärt eurem Vater, dass er fremde junge Frauen nicht als „Schätzli“ bezeichnen kann.
Ihr seid konfrontationsscheu? Das macht nichts, ihr könnt das üben. Fängt an mit einem „Ich finde das nicht lustig“ oder „Ich stimme dir nicht zu“. Auch ein „Das ist nicht in Ordnung“ oder das explizite „Das ist sexistisch“ funktionieren sehr gut.
Und wisst ihr was? Wenn ihr – im Gegensatz zu mir, eurer Arbeitskollegin oder eurer Schwester – eure Mitmänner kritisiert, ist die Chance sogar relativ gross, dass es einen positiven Effekt hat. Das hat eine Studie schon vor zwanzig Jahren gezeigt: Wenn Männer Sexisten konfrontierten, empfanden diese die negative Rückmeldung als legitimer und fühlten sich schuldiger, wie wenn eine Frau sie konfrontiert hätte.
Eine weitere Studie kommt zum Schluss, dass eine Konfrontation mehr Wirkung hat, wenn sie von jemandem ausgeht, der als ähnlich wahrgenommen wird. In diesem Fall von einem anderen Mann, der sagen kann: „So machen wir Männer das nicht“.
Ihr seid also nicht einmal das Ziel des Sexismus und werdet trotzdem ernster genommen, wenn ihr ihn verurteilt. Das macht mich sowohl wütend wie auch hoffnungsvoll, denn hier ist glasklar: Ohne euch kommen wir nicht weiter.
Fast alle Männer, die ich persönlich darauf angesprochen habe, finden es schwierig, in solchen Situationen etwas zu sagen. Man wolle nicht als Spielverderber dastehen oder die kollegiale Beziehung gefährden. Solche Gespräche seien nicht üblich. Klartext: Sobald ihr riskiert, selbst in eine etwas unangenehme Situation zu raten und ein bisschen an Coolness einzubüssen, ist Schluss mit eurer Solidarität.
Das finde ich schwach.
Als weisse, studierte, hetero-gelesene cis Frau ohne Behinderung habe ich extrem viele Privilegien. Diese möchte ich nutzen, indem ich auch diskriminierende Aussagen und Handlungen kritisiere, die nicht mich betreffen. Heisst das, dass mir das immer gelingt, ich immer die Energie dazu habe oder ich es super einfach finde? Nein.
Aber ich sehe es als meine Verantwortung, weil mir je nachdem eher zugehört wird und ich in der privilegierten Position weitaus weniger zu verlieren habe als die Betroffenen. Und ich weiss, dass mein kurzer Ausflug aus meiner Komfortzone kein Vergleich ist zu den energieraubenden und teils traumatischen Erfahrungen, die mehrfach diskriminierte Personen machen müssen.
Ich glaube dran, dass die allermeisten von euch keine Arschlöcher sein wollen. Aber dann müsst ihr auch endlich bereit sein, ein paar Minuten Unwohlsein auszuhalten und hie und da schwierige Gespräche zu führen. Es wird sich lohnen.
Lohnungleichheit, unbezahlte Care-Arbeit, sexualisierte Gewalt, aber auch der Kampf gegen toxische Maskulinität, die Abschaffung der Wehrpflicht und homosoziale Gewalt sind feministische Themen – und werden als „Frauensache“ abgestempelt. Dadurch werden diese Themen einerseits abgewertet, andererseits die Verantwortung für die Lösung dieser Probleme auf FINTA (Frauen, inter, non-binäre, trans und agender Personen) übertragen.
Das ist nicht nur unlogisch, sondern auch unnütz: Die Ursache des Problems liegt nicht auf der Betroffenen‑, sondern auf der Täterseite. Es sind eben Männersachen. Deshalb müssen Männer als Teil der privilegierten Gruppe Verantwortung übernehmen und diese Probleme angehen.
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