Schwin­dende Medi­en­viel­falt bedeutet tote Winkel überall

Wie in der Schweiz debat­tiert die Politik auch in den Verei­nigten Staaten über staat­liche Subven­tio­nie­rung von Medien. Professor Chri­sto­pher R. Martin im Inter­view über jour­na­li­sti­sche Unab­hän­gig­keit und mögliche Formen der Medienförderung. 
"Wenn wir über Unabhängigkeit sprechen, reden wir meistens davon, dass Medien unabhängig von staatlichen Eingriffen berichten können" (Foto: ReadyElements / Pixaby)

Das Lamm: Herr Martin, der Unter­titel Ihres Buchs lautet „Wie die Main­stream-Medien die Arbei­ter­klasse im Stich liess“. Was genau verstehen Sie unter dem Begriff Mainstream-Medien?

Chri­sto­pher R. Martin: Unter dem Begriff verstehe ich Medi­en­häuser, die sich an ein möglichst grosses Publikum richten, die also ihren Inhalt auf eine breite Öffent­lich­keit ausrichten.

Der Begriff wird aber auch immer wieder von der poli­ti­schen Rechten instru­men­ta­li­siert, um Journalist:innen zu diskreditieren…

Das stimmt! Und es passiert auch hier in den Verei­nigten Staaten. Ich unter­scheide deswegen auch zwischen Main­stream-Medien und konsve­ra­tiven Medien. Erstere verschreiben sich keiner poli­ti­schen Seite und berichten meistens aus einer poli­ti­schen Mitte, damit sie einen möglichst grossen Teil der Gesell­schaft erreichen.

Konser­va­tive Medien hingegen verfolgen in den Verei­nigten Staaten ein klares poli­ti­sches Ziel. Das haben nicht zuletzt die neusten Enthül­lungen gezeigt, die beweisen, dass Moderator:innen von „Fox News“, dem konser­va­tiven US-ameri­ka­ni­schen Nach­rich­ten­sender, regel­mässig mit Berater:innen des ehema­ligen US-Präsi­denten Donald Trump in Kontakt standen.

Chri­sto­pher R. Martin ist Professor für digi­talen Jour­na­lismus in der Abtei­lung für Kommu­ni­ka­tion und Medien an der Univer­sity of Nort­hern Iowa in Cedar Falls, Iowa. Sein neustes Buch erschien 2019 unter dem Titel „No Longer News­worthy: How the main­stream-media aban­doned the working-class“. 

In Ihrem Buch beschreiben Sie bei den grossen Zeitungen in den Verei­nigten Staaten eine finan­ziell moti­vierte Verschie­bung des Inhaltes, der in den späten 1950er-Jahren beginnt.

Bis in die späten 1960er-Jahre waren die meisten Zeitungen im Besitz von Fami­lien. Sie rich­teten sich an eine breite Masse. Die Idee dahinter war: Je mehr Personen erreicht werden, desto mehr kaufen auch die Zeitung. Mit den Börsen­gängen der Verlage begannen sich deren Prio­ri­täten zu verschieben. 

Um die Einnahmen zu maxi­mieren und den Aktionär:innen gerecht zu werden, fokus­sierten sie sich auf ein geho­be­neres Publikum. In meinen Recher­chen stiess ich auf unzäh­lige Inse­rate in Bran­chen­ma­ga­zinen aus den 1960er- und 1970er-Jahren, in denen Zeitungen ihre kauf­kräf­tigen Leser:innen an Werbe­kunden verkauften. Zeitungen wurden plötz­lich von Massen­me­dien zu Klas­sen­me­dien, mit einem Fokus auf die Mittelschicht.

Und gaben so – wie Ihr Buch­titel sugge­riert – die Arbei­ter­klasse auf?

Ja. In dieser Zeit können wir einen Anstieg von Unter­neh­mens­jour­na­lismus und Kolumnen zu persön­li­chen Finanz­ent­scheiden fest­stellen, während die Bericht­erstat­tung über Arbeits­rechte, Gewerk­schaften und Macht­un­ter­schiede immer mehr in den Hinter­grund rücken. Die Zeitungen spra­chen ihre Leser:innen vermehrt nicht mehr als Bür­ger:innen in einer leben­digen Demo­kratie, sondern als Konsument­:innen mit prallem Porte­mon­naie an. Und das verän­derte auch die verwen­deten Narrative.

Haben Sie dazu ein Beispiel?

Ja, zwei Streiks von Arbeiter:innen der öffent­li­chen Verkehrs­be­triebe in New York stehen exem­pla­risch für die verän­derte Bericht­erstat­tung. Beim Streik in den 1940er-Jahren waren 900 000 Passa­giere betroffen. Der Haupt­teil der Bericht­erstat­tung konzen­trierte sich auf die Forde­rung der Arbeiter:innen, auch weil damals die Über­zeu­gung vorherrschte, dass ein erfolg­rei­cher Streik immer allen Arbeiter:innen weiterhilft. 

Als aber bei einem viel klei­neren Streik in den­ 1980er-Jahren gerade einmal 90 000 Passa­giere betroffen waren, finden sich fast nur Artikel, die die nega­tiven Einflüsse des Streiks auf die Pendler:innen aus den wohl­ha­benden New Yorker Vororten hervorhoben.

In diesen Zeit­raum, in dem die Main­stream-Medien die Arbei­ter­klasse aufge­geben haben, fällt auch der Aufstieg der konser­va­tiven Medien in den Verei­nigten Staaten. Sie wussten einen Teil der Arbei­ter­klasse – insbe­son­dere weisse Männer – mit kultu­rellen Themen wie Abtrei­bungen oder dem vermeint­li­chen Krieg gegen Weih­nachten abzu­holen. Andere Teile der Arbei­ter­klasse – People of Color, Frauen – hatten hingegen keine öffent­liche Stimme mehr, was für eine funk­tio­nie­rende Demo­kratie ein grosses Problem ist.

Ist es nicht aber auch ein Problem, dass von Journalist:innen vermehrt ein akade­mi­scher Abschluss verlangt wird und somit Personen aus der Arbei­ter­klasse unter­ver­treten sind?

Das hat sicher was, ja, wobei ich als Jour­na­lis­mus­pro­fessor natür­lich Leute dazu moti­vieren möchte, einen Abschluss zu machen (lacht). Aber ernst­haft: Viel wich­tiger als der sozio-ökono­mi­sche Hinter­grund der Journalist:innen ist, welche Ziel­gruppe eine Zeitung anspre­chen möchte. 

Journalist­:innen kennen ihre Leser:innen, und wenn sie Arbeiter:innen und Gewerk­schafts­mit­glieder nicht dazu zählen, hat das auch einen Einfluss auf die Bericht­erstat­tung. Aktuell zeichnet sich aber ein span­nender Trend in den Verei­nigten Staaten ab: Immer mehr Journalist­Innen orga­ni­sieren sich selbst in Gewerk­schaften, etwa bei der „Chicago Tribune“. Sie reali­sieren gerade selbst, wie wichtig Gewerk­schaften sind.

Ein weiteres Problem für die Demo­kratie ist der Nieder­gang von Lokal­zei­tungen. Die Verei­nigten Staaten weisen der Schweiz eine düstere Zukunft: Seit 2004 sind über 2100 Zeitungen einge­gangen. Wie in der Schweiz läuft aktuell auch in den Verei­nigten Staaten eine Debatte zur Medi­en­för­de­rung. Die Biden-Regie­rung möchte Lokal­zei­tungen, die Journalist:innen anstellen, indi­rekt mit Erleich­te­rungen bei den Lohn­steuern subven­tio­nieren. Eine gute Idee?

Die Verei­nigten Staaten kennen die indi­rekte Pres­se­för­de­rung seit dem „Postal Service Act“ von 1792. Seitdem erhalten Zeitungen, wie in der Schweiz, eine Ermäs­si­gung auf die Post­zu­stel­lung, und zwar allein aufgrund formaler Krite­rien. Der Staat kann also keine unlieb­same Zeitung von der Subven­tion ausschliessen.

Der jetzt im Senat disku­tierte Vorschlag ist Teil einer grös­seren Geset­zes­vor­lage. Er basiert auf den Kurz­ar­beits­ent­schä­di­gungen, mit denen der Staat den Zeitungen während der Pandemie unter die Arme gegriffen hat. 

Es gibt verschie­dene Arten, wie der Staat Medien subven­tio­nieren kann, aber eines ist klar: Der Verlust von immer mehr Lokal­zei­tungen führt zu fehlender Kontrolle von Regie­rungen auf lokaler Ebene, zu weniger Bericht­erstat­tung über Arbeiter:innen und Gewerk­schaften sowie zu einem Vakuum, das durch Fake-News in den sozialen Medien gefüllt wird. Ausserdem führt es dazu, dass lokale Themen durch natio­nale poli­ti­sche Debatten über­schattet werden.

Sowohl Republikaner:innen als auch rechte Politiker:innen in der Schweiz fürchten jedoch, dass die Medi­en­för­de­rung zu einem Verlust der jour­na­li­sti­schen Unab­hän­gig­keit führt.

Das Wich­tige ist doch, wie die Medi­en­för­de­rung ausge­staltet ist. Ich habe zum Beispiel 2020 in einem Meinungs­bei­trag vorge­schlagen, dass der Staat die Post­zu­stel­lung von Zeitungen komplett subven­tio­nieren sollte. Grosse Medi­en­häuser wie etwa die „New York Times“ schaffen die digi­tale Trans­for­ma­tion gut, aber für Lokal­zei­tungen wird die gedruckte Zeitung noch länger zentral bleiben. Ihnen würde der komplette Erlass der Post­ge­bühren Zeit und Luft für die Umge­stal­tung ihres Ange­bots geben. 

Andere, wie etwa der Akti­vist und Professor für Kommu­ni­ka­tion Robert W. McChesney schlagen vor, dass der Staat den Bürger:innen soge­nannte Nach­richten-Gutscheine gibt, mit denen sie im Wert von 200 Dollar gemein­nüt­zige Medi­en­un­ter­nehmen ihrer Wahl unter­stützen können.

Was ich am Schweizer Medi­en­paket gut finde, ist die Beschrän­kung der direkten Medi­en­för­de­rung für Online­me­dien auf sieben Jahre. So wird ausge­schlossen, dass die Politik gewisse Medien für unlieb­same Bericht­erstat­tung bestrafen kann. Solange die Vertei­lung der Subven­tionen auf formalen und nicht auf inhalt­li­chen Krite­rien passiert, sehe ich kein Problem.

Wie aber müssen wir über den Verlust von Unab­hän­gig­keit denken, wenn ein Gross­teil der Zeitungen in den Händen immer weniger Medi­en­kon­zerne liegt?

Das ist eine gute Frage. Wenn wir über Unab­hän­gig­keit spre­chen, reden wir meistens davon, dass Medien unab­hängig von staat­li­chen Eingriffen berichten können. Tatsäch­lich gibt es aber auch Zensur, die von den Medi­en­kon­zernen selbst ausgeht. So berichten Zeitungen nicht gern kritisch über ihre grössten Werbe­kunden. Und wenn ihre Beleg­schaft streikt oder sich in einer Gewerk­schaft orga­ni­sieren möchte, spre­chen sie auch lieber über andere Themen.

Herr Martin, Sie sind Professor für digi­tale Medien. Eine einfache Frage zum Schluss: Wie kann man mit Online­jour­na­lismus Geld verdienen?

Leider habe ich auch keine abschlies­sende Antwort. Was klar ist: Die Inse­ra­te­ein­nahmen sind weiter am Schwinden, als Finan­zie­rungs­mo­dell eignet sich der Werbe­markt immer weniger. Zwar sind die Kosten für ein reines Online­me­dium ein biss­chen tiefer, aber der grösste Ausga­ben­po­sten – die Journalist­:nnen – bleibt bestehen. Viele Medien setzen wieder vermehrt auf Abonnent:innen.

Das Pro­blem dabei ist, dass Online­me­dien längst nicht mehr nur mit anderen jour­na­li­sti­schen Medien um Gelder kämpfen, sondern auch mit anderen Unter­hal­tungs­pro­dukten wie Netflix oder Podcasts. Jeder Haus­halt hat eine finan­zi­elle Limite, wie viel er für Abos ausgeben kann. 

Eine Stra­tegie, wie die verlo­renen Werbe­ein­nahmen an Online­me­dien zurück­ver­teilt werden können, verfolgt Austra­lien. Dort müssen Face­book und Google ihre Werbe­ein­nahmen mit Medien teilen, weil deren Artikel einen grossen Teil der Inhalte auf den sozialen Medien ausmachen.

Im Allge­meinen empfehle ich Verleger:innen, die in finan­zi­eller Not stecken, dass sie sich wieder als Massen­me­dium verstehen sollen: Schreibt über die Themen, die die Menschen vor Ort beschäf­tigen, damit sie sich mit der Zeitung iden­ti­fi­zieren. Das bedeutet aber auch, dass der einsei­tige Fokus auf die Mittel­klasse verschwinden muss und vermehrt die Probleme aller Bürger:innen ins Zentrum rücken müssen. Und das umfasst auch Bericht­erstat­tung über Arbei­ter­kämpfe und Gewerkschaften.

Am 13. Februar dieses Jahres stimmt das Schweizer Stimm­volk über das Medi­en­paket des Bundes ab. Damit wird entschieden, ob Medien in Zukunft staat­liche Subven­tionen erhalten. Auch das Magazin Das Lamm würde von einer allfäl­ligen Medi­en­för­de­rung profi­tieren. Wie viel Subven­tionen im Falle einer Annahme des Medi­en­pa­kets tatsäch­lich zuge­spro­chen würden, sind unklar. Die Abstu­fungen werden erst vom Bundesrat ausge­ar­beitet, wenn die Vorlage ange­nommen wird.

Nächste Woche erscheint bei uns ein Inter­view dazu, worin wir uns genauer damit ausein­an­der­setzen und Stel­lung beziehen.

Dieses Inter­view ist zuerst bei der P.S.-Zeitung erschienen. Die P.S.-Zeitung gehört wie Das Lamm zu den verlags­un­ab­hän­gigen Medien der Schweiz.


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