Klar, schon heute gibt es auf manchen Zürcher Strassen Velostreifen. Aber ein gutes Velonetz könnte so viel mehr sein als ein paar gelbe Strichlinien, die überall dort auf die Strassen gezeichnet wurden, wo die Spurenbreite dies problemlos erlaubt. Vielmehr könnten Auto- und Veloverkehr dank eines durchgängigen Velonetzes voneinander entflochten werden. Zum Beispiel mit Veloschnellrouten, die grundsätzlich vom motorisierten Individualverkehr befreit wären. Sprich: Die Zweiräder müssten ihre Verkehrsfläche nicht mehr mit einer Horde von SUVs und Transportern teilen.
Denn eines muss gerade zu Beginn gesagt werden: In dieser Abstimmung, ja in allen Diskussionen rund um das Velo, geht es nie nur darum, ob man das Velo fördern will, soll oder kann. Es geht immer vor allem darum, ob man das Velo auf Kosten der Autos fördert. Der städtische Raum ist begrenzt. Was an neuen Velowegen entsteht, muss dem Autoverkehr abgerungen werden. Und es sprechen so einige Gründe dafür, das auch wirklich zu tun. Wir haben die wichtigsten gesammelt.
1) Weil Autos allen schaden
Egal, wie wir uns fortbewegen: Unsere Mobilität ist nicht nur nützlich, sondern auch schädlich. Während der Nutzen logischerweise zum grössten Teil bei der sich bewegenden Person liegt, entfällt der Schaden zu einem grossen Teil auf die ganze Gesellschaft. Etwa in Form von sogenannten externen Kosten, also die durch den Verkehr verursachten Umwelt‑, Gesundheits- und Unfallkosten. Sie beliefen sich 2017 laut dem Bundesamt für Raumentwicklung (ARE) schweizweit auf 13.4 Milliarden Franken.
Durchschnittlich berappte also indirekt jeder Schweizer und jede Schweizerin eine Rechnung von rund 1500.- Franken für das Verkehrsverhalten von sich selbst und allen anderen. 26’800 Spitaltage wegen Erkrankungen durch Luftverschmutzung und Lärm, 88’000 Tonnen Ernteausfall und 39’000 Tage für Asthmasymptome bei Kindern sind genauso Teil dieser traurigen Abrechnung wie 17’200 verlorene Lebensjahre. Hauptverursacher ist der private motorisierte Strassenverkehr. Wegen der riesigen Mengen an Schadstoffen, dem Lärm und den Unfällen, die er verursacht: 71 % der externen Kosten, also 9.5 Milliarden Franken, gehen auf seine Kappe.
2) Weil Velos allen nützen
Auch das Velo verursacht externe Kosten: 2017 waren es 554 Millionen Franken. Grösster Kostenpunkt: selbstverschuldete Unfälle. Aber: Im Gegensatz zum Auto fallen beim Velo nicht nur externe Kosten an, es generiert auch externen Nutzen. Wer Velo fährt, ist gesünder und verursacht dadurch weniger Kosten im Gesundheitswesen, was zu tieferen Prämien für uns alle führt. Diesen externen Nutzen bezifferte das ARE für 2017 mit 457 Millionen Franken. Damit bleiben lediglich 97 Millionen Franken, die der Veloverkehr an externen Kosten verursacht. Das ist fast hundert Mal weniger als der Autoverkehr.
Freilich wird per Velo auch eine viel geringere Strecke zurückgelegt als mit dem Auto. Doch die grosse Kosten-Differenz lässt sich damit nur bedingt erklären. Denn die externen Kosten können auch nach zurückgelegten Kilometern aufgeschlüsselt werden. Der motorisierte Privatverkehr verursachte 2017 externe Kosten von 7.8 Rappen pro Kilometer und Person. Das Velo bringt es auf 3.9 Rappen pro Personenkilometer.
Und dieser bereits tiefe Wert liesse sich mit einem besser ausgebauten Velonetz noch deutlich reduzieren: Denn auch wenn die Unfälle, die hinter den externen Velokosten stecken, selbstverschuldet waren, so wird die Schwere und damit die Kosten der Unfälle wohl vor allem damit zusammenhängen, dass die Velos mit einem Auto und nicht mit einem anderen Velo zusammengestossen sind. Ein gutes Velonetz könnte also dazu führen, dass jeder und jede VelofahrerIn der Bevölkerung netto sogar Nutzen statt Schaden beschert. Beim Fussverkehr ist das bereits heute der Fall.
3) Weil das Auto gar nicht viel schneller ist
Trotzdem kommt das Velo in der Schweiz laut dem Bericht Verkehrsverhalten der Bevölkerung 2015 vom ARE bis jetzt lediglich für rund 2 % der zurückgelegten Kilometer zum Einsatz. Ein Grund dürfte die weitverbreitete Meinung sein, dass man mit dem Auto weniger Zeit braucht, um ans Ziel zu kommen. Doch das stimmt nur bedingt.
Natürlich: Wenn man mit dem Auto von A nach B fährt, kann man in einer Stunde gut 60 Kilometer zurücklegen. Wenn man aber im Anschluss daran noch eine halbe Stunde lang einen Parkplatz sucht, ist man bereits bei einer Durchschnittsgeschwindigkeit von 40 km pro Stunde (60 km / (1 h Fahrt + 0.5 h Parkplatzsuche) = 40 km/h). Und die Parkplatzsuche ist bei Weitem nicht die einzige Zeit, die man neben der reinen Fahrtzeit aufwenden muss, um mit einem Auto voranzukommen.
Denn: Das Auto muss ja zuerst gekauft werden. Dafür braucht man Geld, und dafür muss man Arbeitszeit aufwenden. Genauso wie für die Versicherung, den Benzinkauf und die Reparaturkosten. Je nach Stundenlohn, zurückgelegter Strecke und Autokosten kommt man dadurch auf eine massiv tiefere Durchschnittsgeschwindigkeit von zwischen 20 und 30 Kilometer pro Stunde, wie dieser Artikel in der Frankfurter Allgemeinen zeigt.
Ein deutscher Blogger errechnet sich für seinen teuren Mercedes S 500 gar eine durchschnittliche Geschwindigkeit von 2 km/h in der Berliner Innenstadt. Da ist das Velo um einiges schneller. Laut einer Erhebung des Bundesamts für Statistik liegt die mittlere Geschwindigkeit der Schweizer FahrradfahrerInnen bei 13.3 km/h.
Und wenn man dazurechnet, dass ja auch noch die 1500.- Franken an externen Kosten zuerst erarbeitet werden müssen, dann kann das Auto entgültig einpacken. Laut der Studie Effective speed: Cycling because it’s faster des australischen Wissenschaftlers Paul Tranter von 2012 könnten StadtbewohnerInnen zehn bis fünfzehn Jahre früher in Pension gehen, wenn sie nicht das Auto, sondern das Fahrrad nutzen würden.
4) Wegen den Abgastoten
Angesichts der Sterberate, die der fossil betriebene Verkehr mit sich bringt, ist es schon sehr erstaunlich, dass wir nicht stärker auf die Barrikaden gehen. Laut dem Tages-Anzeiger töteten die Verkehrsabgase 2015 in der Schweiz 830 Menschen. Zählt man die 2019 vom Bundesamt für Statistik gemeldeten 187 direkten Todesfälle durch Umfälle mit dazu, ergeben sich 1’017 jährliche Todesopfer.
Gesundheitsschädlich sind die Abgase vor allem wegen des Ozons und des Feinstaubs. Sie können zu Herzerkrankungen, Schlaganfällen, chronischen Lungenerkrankungen, Lungenkrebs und Infektionen der Atemwege führen – und dadurch zu vorzeitigen Todesfällen. Immerhin darf man hoffen, dass die Zahl der frühzeitigen Tode seit 2015 ein wenig gesunken ist. Woran das liegt? Ein grosser Teil des schädlichen Feinstaubs kann auf Dieselfahrzeuge zurückgeführt werden, und deren Verkauf ging laut der Taschenstatistik des Bundesamtes für Statistik (BFS) in den letzten Jahren massiv zurück. Dieselskandal sei Dank. Dafür haben die Benziner zugelegt. Und auch die verschmutzen die Luft. Fakt ist: Autos töten, Velos nicht.
5) Weil man keine leere Dreiercouch mit sich rumfahren muss
Die durchschnittliche Besetzung eines Autos liegt laut dem BFS bei 1.6 Personen. Grundsätzlich fährt also jede und jeder mit seinem Auto eine leere Dreiercouch spazieren. Das ist schlichtweg dumm. Denn der gesamte Schweizer Verkehr (ohne Schiff- und Luftfahrt) verursacht 32 % Prozent der gesamten Treibhausgasemissionen in der Schweiz. Laut dem Bundesamt für Umwelt gehen fast drei Viertel davon auf die Kappe der Personenwagen. Mit ihren leeren Rückbänken. Diese Dummheit will ich niemandem erklären müssen, der sich in den nächsten Jahrzehnten mit den Folgen des Klimawandels konfrontiert sehen wird. Vor allem, weil der Grossteil der Autokilometer (44 %) im Rahmen von Freizeitbeschäftigungen zurückgelegt wird. Der viel beschworene Gewerbeverkehr macht hingegen gerade einmal 7 % aus. Es ist deshalb höchste Zeit, die Platzverhältnisse auf den städtischen Strassen zugunsten der klimafreundlichen Varianten neu zu verteilen.
6) Weil es auch für die AutofahrerInnen entspannter wäre
Klar: Ein paar wenige fossil betriebene Vehikel wird es auch in Zukunft noch brauchen. Dem Gewerbe, den Blaulichtorganisationen und Personen mit eingeschränkter Mobilität bleiben in naher Zukunft noch nicht viele Alternativen. Aber auch die VerkehrsteilnehmerInnen, die weiterhin mit einem Diesel- oder Benzinmotor durch die Strassen düsen, werden sich über ein besseres Velonetz und damit über weniger Drahtesel in ihrer Fahrbahn freuen.
Die Chancen stehen gut, dass die ZürcherInnen am 27. September „Ja“ sagen zur Veloinitiative. Denn in der Stadt Zürich ist mehr als die Hälfte der Haushalte autofrei. Zudem stehen sowohl der Stadtrat als auch die meisten Parteien hinter der Initiative. Lediglich die FDP und die SVP lehnen die Vorlage ab. Gemäss der Infoseite der Stadt Zürich zum kommenden Abstimmungssonntag sehen sie darin „eine einseitige Lösung, die auf Kosten der weiteren Verkehrsteilnehmenden umgesetzt wird“. In Tat und Wahrheit ist es genau umgekehrt: Der jetzige Zustand wird seit Langem auf Kosten derjenigen aufrechterhalten, die nicht fossil durch die Gegend düsen.
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