Trump sollte man ignorieren, sagen immer alle. Um dann doch bei jedem von Bullshit triefenden Tweet wieder kräftig die Aufmerksamkeitsökonomie anzukurbeln. So geschehen vor wenigen Tagen, als der POTUS mitten in einer Pandemie und während anhaltenden Protesten gegen die faschistoide Polizeigewalt gegen Schwarze verkündete, man prüfe, „die Antifa“ als terroristische Organisation einzustufen.
Was viele sofort als transparenten Versuch erkannten, einen weiteren Kulturkampf zu starten, um von den bestehenden Problemen abzulenken, stösst in der bürgerlichen Schweiz durchaus auf offene Ohren. Die Reaktionen lassen sich grob in drei Kategorien einteilen: trumpistisch, unwissend, verhalten solidarisch.
Da wäre zum einen unser ganz eigener Alpen-Trump aus Oberwil-Lieli, Andreas Glarner. Dieser möchte mit einem parlamentarischen Vorstoss die Antifa auch hierzulande verbieten lassen, inklusive ihrer Symbole. Dass es „die“ Antifa als ganzheitliche Gruppierung zumindest in der Schweiz gar nicht gibt, sondern es sich viel mehr um die Eigenbezeichnung antifaschistisch aktiver Menschen handelt, lässt Glarner nicht gelten.
Aber wer will ihm die begriffliche Schludrigkeit verübeln, in einem Land, wo Journalist*innen an jeder Demonstration den „Schwarzen Block“ oder noch besser „den schwarzen Block aus Zürich“ erkennen wollen, als wäre das eine selbstständige Organisation mit Vereinsstatuten und Sommerhöck.
Zurück zu Glarner, der zwar ahnungslos ist, aber seinen Vorschlag durchaus ernst meint. Zwar ist es fraglich, ob ein solches Verbot überhaupt durchsetzbar wäre: Hierzulande sind bisher einzig al-Qaida und der sogenannte IS als Terrororganisation gesetzlich verboten. Aber das politische Signal einer Annahme des Vorstosses wäre in einem Land, in dem das öffentliche Tragen von nationalsozialistischen Symbolen weiterhin nicht verboten ist, fatal.
Einen anderen Zugang wählt die NZZ. In einer Kolumne mit dem Titel „Die RAF ist tot, es lebe die Antifa?“ betreibt Bettina Röhl selbstentblössende Höhlenforschung. Röhl ist übrigens die Tochter von Ulrike Meinhof, einer der zentralen Figuren der RAF. Was an ihrem Text stossend ist? Fast alles. Etwa das Fazit: „Man darf die Frage stellen, ob die Antifa so etwas ist wie eine verbeamtete RAF, eine Terrorgruppe mit Geld vom Staat unter dem Deckmantel ‚Kampf gegen rechts‘.“ Röhls Wissen über politische Bewegungen in Deutschland ist offensichtlich antiquiert und unfundiert. Dass die NZZ sie unkommentiert Parallelen zwischen der RAF und einer ominösen Antifa ziehen lässt, ist journalistisch fragwürdig – und vor allem peinlich.
Der Text taugt höchstens als Sinnbild: für den Medienzirkus rund um ein Thema, das die Redaktionen offensichtlich überfordert. Weil es kaum Ansprechpersonen gibt, berufen sie sich auf selbst ernannte Expert*innen. Die dann wiederum Theorien zitieren, die offenkundig auf satirische Texte zurückzuführen sind . Wenn die NZZ einen Text publiziert, in dem unkommentiert behauptet werden darf, die „deutsche Antifa“ werde von „dieser Politik“ finanziert (Stichwort Demogeld), dann ist das so, wie wenn die angeschwipste Tante auf Facebook einen reisserischen Postillon-Artikel teilt, weil sie den Inhalt für bare Münze nimmt: zum Fremdschämen.
Auf der gegenüberliegenden Seite des Reaktionsspektrums kann man derweil einen Urinstinkt von Herr und Frau Schweizer beobachten, der auch oder gerade vor Intellektuellen mit Twitterzugang nicht Halt macht: die sorgfältige Einmittung samt zögerlicher Solidarität und trennscharfer Abgrenzung gegen alles, was der Eigendefinition von Antifaschismus zuwiderläuft. Nehmen wir als Beispiel etwa den Spoken Word Artist und ehemaligen Rapper Jürg Halter. Halter setzte einen Tweet zum Thema ab (wie übrigens sehr viele andere Journis und Journas auch, er dient lediglich als Beispiel), so wie er das zu den meisten Themen tut, und signierte ihn mit der Formel „Ein Antifaschist“. Vielleicht ist das Internetkultur, vielleicht ist es nett und Ausdruck einer durchaus löblichen Solidarität. Vielleicht – wäre da nicht der Inhalt des Tweets. Da schreibt Halter nämlich:
„Gibt es eine Position zwischen Antifaschismus und Faschismus? Nein. Also, eben, Ende der Diskussion. Ein Antifaschist.“
Und in einem darauf folgenden Tweet: „Zur Präzisierung: Als Antifaschist kann man links, liberal, konservativ oder gar moderat-rechts sein. Und für mich muss ein Antifaschist ebenso Antikommunist sein, denn ein aufrichtiger Antifaschist ist gegen jegliche Form von Diktatur und Menschenhass.“
Und der Jungfreisinnige-Shootingstar und Twitterpromi Nicolas A. Rimoldi schreibt auf selbigem Medium:
„25, #Antifaschist, deshalb auch gegen gewalttätige Extremisten wie die #Antifa. Gewalt hat in einer Demokratie nichts verloren. Selbstverständlich.“
Vorneweg, weil bei dieser ganzen Diskussion von rechts über liberal bis links mit wahnwitzigen Eigendefinitionen jongliert wird, hier vielleicht eine kurze Einordnung: Antifaschismus als Grundhaltung („Ich bin gegen Faschos“) ist nicht dasselbe wie diese ominöse Antifa, die eine Abkürzung für ‚antifaschistische Aktion‘ ist. Hier hat Rimoldi also einen Punkt: Rein logisch ist es kein Widerspruch, zu reklamieren, man sei Antifaschist und gleichzeitig die Antifa als Terrororganisation zu verunglimpfen. Es zu tun ist aber natürlich reinster Opportunismus und Wohlfühlpolitik: denn wer möchte schon offen auf Twitter sagen „Hey ich bin Faschist!“ Eben. Also lieber dagegen. Aber am Diskurs schiesst das vorbei.
Wer die Dichotomie von Antifaschismus und Faschismus aufstellt, macht den Antifaschismus zahnlos. Antifaschismus, das ist nicht die bürgerliche Mitte, die seit Jahren damit ringt, die NPD zu verbieten und von Nazi-Konzerten in Unterwasser nichts gewusst haben will. Antifaschismus ist nicht der bürgerliche Liberalismus, der in der Vergangenheit immer wieder gern den Faschismus der Eigentumsfrage vorgezogen hat. Und der sich auch heute nicht zu schade ist, mit Geldern, Waffen oder Politik faschistische Regierungen zu schützen. Die Dichotomie von Antifaschismus und Faschismus ist krass unterkomplex und gefährlich. Es gibt eine grosse, breite Mitte, die nach links oder rechts ausschlägt. Es gibt unpolitische Menschen, sehr viele davon. Es gibt Linke, die sich klar von der Antifa distanzieren. Und es gibt eben Menschen, die keine Faschist*innen sind, aber die auch nichts dagegen unternehmen, wenn diese marschieren, regieren, unterdrücken – und töten.
Aus der bürgerlichen Mitte heraus zu reklamieren, man sei Antifaschist*in, ist zwar eines jeden Menschen Recht, entspringt in diesem Fall aber wohl vor allem dem grundschweizerischen Bedürfnis nach Einmittung. Eine durchaus radikale Position wird zu einem Ding der Mitte gemacht, zu einem fröhlichen Mitmachclub für lustige Politiker und nette Journis. Natürlich ist die antifaschistische Bewegung kein exklusiver Club und keine einheitliche Organisation, keine Subkultur und keine Szene per se. Aber sie ist eben auch kein Hashtag. Es geht bei dieser Kritik nicht um Exklusivität, sondern darum, dass der Opportunismus der Mitte dem rechten Narrativ in die Hände spielt.
Denn wenn plötzlich alle antifaschistisch sind, dann werden tatsächlich aktive Antifaschist*innen zum Sonderbaren. Dann wird die schwarz-rote Flagge zum ominösen Symbol, das verboten gehört. Wenn der nette Nachbar und der freundliche Chef Antifaschisten sind, dann können es die Schwarzvermummten, diejenigen, die Nazi-Rallys stören und deren Teilnehmer*innen outen, diejenigen, die im Hintergrund Nazi-Netzwerke recherchieren und offenlegen, all jene, die sich der Kriminalisierung aussetzen, um der legalen Menschenverachtung entgegenzutreten, eben gerade nicht sein.
Wenn Herr Schweizer Antifaschist ist, dann sind Antifas Terroristen. Genauso, wie auch der Nazi, der ein Asyllager anzündet – und den sie davon abzuhalten versuchen. Im Land der politischen Mitte, der Konkordanz, Neutralität und des Föderalismus fliegt einem das Hufeisen der sich treffenden Extreme schneller um den Kopf, als man RAF sagen kann.
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