Mit knappem Vorsprung von eineinhalb Prozent hat Donald Trump die US-Präsidentschaftswahl gegen Kamala Harris gewonnen. Sein Wahlkampf richtete sich mit immer radikaler zur Schau gestelltem Rassismus, Frauenhass und Transphobie intensiv an seine vornehmlich weisse und männliche Basis. Trump knüpfte mit der Aussage, Einwander*innen „vergiften das Blut unserer Nation“ an Nazipropaganda an. Er versprach, 15 Millionen Immigrant*innen zu deportieren oder in Lager zu sperren. Immer wieder kündigte er Gewalt an („it will be a bloody story“) und versprach, die Opposition zu verfolgen und das Militär gegen Protestierende einzusetzen.
Im Wahlkommentar von Loren Balhorn stellt auch das Lamm fest, Trump „appellierte erfolgreich an die niedrigsten Instinkte und setzte darauf, dass Angst und Ressentiment mehr Menschen mobilisieren würden“, bietet aber zur Erklärung ein altbekanntes Narrativ an: Die Demokratische Partei habe verloren, weil sie am „neoliberalen Dogma“ festhalte und die Arbeiter*innenklasse im Stich gelassen habe.
Dieses gerne und oft bemühte Narrativ ist tröstlich für die linke Selbstvergewisserung: Linksliberale verlieren Wahlen, weil sie nicht links genug sind. Aber hält es dem Realitätscheck stand? Könnte man die Wähler*innen faschistischer Parteien durch linke Wirtschaftspolitik „abholen“?
Sehr wohl „wütende Männer“
In der Realität sind die Demokrat*innen in den letzten Jahren deutlich nach links gerückt. Biden und Harris haben im Grundsatz ökonomisch progressiv – und weniger neoliberal – regiert. Sie foutierten sich um Defizite, tätigten Investitionen in Infrastruktur und Klimaschutz, haben ambitionierte Industriepolitik gemacht, die Unischulden von Millionen Studierenden reduziert und Medikamentenpreise gesenkt.
Und Trump? Hat sich der New Yorker Immobilienspekulant „als Verfechter der amerikanischen Arbeiter*innenklasse inszeniert“, wie das Loren Balhorn in seinem Kommentar schreibt?
Im Gespräch mit seinem wichtigsten Unterstützer, dem Multimilliardär Elon Musk, empfahl er die (illegale) Entlassung streikender Arbeiter*innen. Ökonomisch versprach er hohe Einfuhrzölle, die die Inflation anheizen würden, und die neoliberalen Evergreens wie Sparpolitik, Deregulierung und Steuersenkungen für Reiche. Er machte sogar Andeutungen über „harte Zeiten“, die nach seiner Wahl zu erwarten seien.
Trump wurde unterstützt von Superreichen aus Techbro-Szene, Finanzindustrie, wie auch dem Rohstoffsektor, und nicht zuletzt von Petrodiktatoren wie Putin, und machte nicht mal einen Hehl aus der Absicht, seine Regierung im Interesse dieser Oligarchen zu führen.
Insoweit Trump attraktiv für Arbeiter*innen ist, kann es nicht an seiner Wirtschaftspolitik liegen. Sein Wahlkampf war vor allem auf Identitätspolitik und Kulturkrieg ausgerichtet. Anders als die von ihm als „Marxistin“ und „Kommunistin“ betitelte Harris, die ein Massnahmenpaket zur Entlastung niedriger Einkommen vorschlug, machte er den unteren Schichten keinerlei konkrete ökonomische Angebote.
Stattdessen versprach er seiner Basis Dominanz in einer traditionellen, hierarchischen Gesellschaft. Wir müssen zur Kenntnis nehmen, dass solche Botschaften erfolgreich sind, weil für viele Menschen eben nicht nur das ökonomische Interesse ausschlaggebend ist, sondern genauso Wertvorstellungen und Zugehörigkeit.
Die Umfragen zeigen klar, dass die Wahlentscheidung heute am stärksten von den Faktoren Race, Gender, Bildung und Urbanität bestimmt wird. Natürlich korrelieren diese Faktoren stark mit der ökonomischen Position der Wähler*innen, aber entgegen Balhorns Aussage waren es sehr wohl „wütende Männer“, die Trump zum Sieg verhalfen.
Die Grenzen anti-liberaler Politik
Balhorn sieht den Wahlausgang dennoch als „Ergebnis der aufgestauten Frustration der US-amerikanischen Arbeitnehmer*innen über ihre wirtschaftliche Situation“. Gemäss Umfragen war die Unzufriedenheit mit der Wirtschaft tatsächlich gross, vor allem wegen der Inflationserfahrung 2022. Die war aber ein globales Phänomen, die von der Pandemie und Putins Angriffskrieg verursacht wurde, Faktoren ausserhalb der Kontrolle des Präsidenten.
Bidens Wirtschaftspolitik war durchaus erfolgreich und die USA erholten sich deutlich besser als Europa von der Krise. Die Inflation ist unter Kontrolle, die Arbeitslosigkeit tief, die Löhne – besonders die niedrigen – sind sogar gestiegen.
Die Unzufriedenheit in der Bevölkerung ist trotzdem real. Doch es ist auch vielfach dokumentiert, dass diese Stimmung von Desinformation und feindseligen Medien miterzeugt wurde, deren Wirtschaftsberichterstattung systematisch negativ war. Ein grosser Teil der Medien (und der sozialen Medien), insbesondere auch der lokalen Medien, gehört Oligarchen, die direkt – wie Murdoch und Musk – oder indirekt – wie Bezos – Trump unterstützen.
Balhorn sagt, Harris hätte „Trumps Steuersenkungen für Milliardäre anprangern und versprechen, die unter Biden begonnenen Infrastrukturinvestitionen zu erweitern und auszubauen“ sollen. Aber genau das hat sie getan! Balhorn verweist auf den „links-sozialdemokratischen, populistischen Wahlkampf“ eines Bernie Sanders. Der hat sich aber mehrmals um die Nomination beworben und verloren, weil er trotz der vermuteten Popularität seiner Politik die Basis nicht für sich mobilisieren konnte.
Auch andere „Linkspopulisten“ wie Mélenchon in Frankreich oder Babler in Österreich haben es nicht geschafft, mit einem dezidiert anti-neoliberalen Programm Wahlen zu gewinnen. Umgekehrt sind Rechtsparteien wie AfD, FPÖ und SVP erfolgreich, obwohl (oder weil?) ihre Wirtschaftsprogramme knallhart rechtsliberal sind.
Ich fürchte, dass Aspekte des Neoliberalismus trotz aller Wirtschaftskrisen durchaus populär geblieben sind. Staatliche Eingriffe in die Wirtschaft und höhere Steuern für Reiche werden skeptisch gesehen, wie sich bei Abstimmungen immer wieder zeigt. Auch in der Schweiz. Der Neoliberalismus hat das Vertrauen in die Problemlösungsfähigkeit (sozial)staatlicher Institutionen untergraben.
Und superreiche Oligarchen wie Musk geniessen offenbar – trotz aller verlogenen „Eliten“-Schelte – grosse Bewunderung und Zustimmung. Das ist eine grosse Herausforderung für die Linke.
Kein „kleineres Übel“
Die US-Linke ist schwach. Ein Teil bringt sich kritisch in die Demokratische Partei ein, wie das etwa Alexandra Ocasio-Cortez tut. Eine andere, antiliberale Fraktion sieht die Dems eher als Systempartei, die es zu bekämpfen gilt. Diese negative Fokussierung auf die progressivere der beiden US-Parteien verzerrt die Wahrnehmung und engt die politischen Handlungsmöglichkeiten der Linken ein. Beispielhaft dafür sind linke Publikationen wie Jacobin oder die WOZ.
Letztere berichtet oft nach der Devise „über die Demokraten nur Schlechtes“. Eine Doppelseite im September mit der Headline „Wut auf die Demokratische Partei“ fasst die Tonalität der Berichterstattung zusammen. Über progressive Demokratische Initiativen las man kaum etwas, und es wurde suggeriert, die Demokraten täten zu wenig für reproduktive Rechte – eine Verdrehung der Tatsachen, denn überall da, wo in den USA derzeit die reproduktiven Rechte (noch) gewährleistet sind, ist es wegen der Demokrat*innen.
Umgekehrt hat die anti-liberale Fraktion Trump lange verharmlost („Wo ist der Coup geblieben?“, fragte die WOZ drei Wochen vor seinem Umsturzversuch vom 6. Januar) und seine faschistischen Tendenzen unterschätzt, um sich besser auf die Demokrat*innen als Hauptfeind einschiessen zu können.
Ironischerweise spiegelt das die Haltung der zentristischen Medien, die den Trumpismus durch Sanewashing normalisierten, und Biden sowie Harris systematisch negativ dastehen liessen.
Biden und Harris waren aus linker Sicht nicht perfekt, und dennoch verdienten sie die Unterstützung der Linken – aus sachpolitischen wie auch strategischen Gründen.
Die Partei, die für liberale Demokratie, Rechtsstaat und Sozialstaat einsteht, ist kein „kleineres Übel“ – wie es im linken Diskurs oft heisst – im Vergleich zum Faschismus. Für diese Errungenschaften, so imperfekt sie sind, haben Menschen jahrhundertelang gekämpft.
Der Trumpismus ist keine gewöhnliche Rechtspartei, sondern Ausdruck einer internationalen oligarchisch-faschistischen Allianz, die den Nachkriegskonsens aufgekündigt hat und die liberale Demokratie für eine Zumutung hält, der ein Ende gesetzt werden muss.
Viele Linke wie auch Liberale haben den Ernst der Lage immer noch nicht erkannt. Wer Trumps Sieg nur zum Anlass für Schuldzuweisungen an die Adresse der Demokrat*innen nimmt, hat meiner Meinung nach nichts gelernt.
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