SRF und die Junge Tat: Werbe­spot mit Rückendeckung

Rechts­extreme feiern die kürz­lich erschie­nene SRF-Repor­tage über die Junge Tat als Werbe­spot für die eigene Sache. Trotz zahl­rei­cher Beschwerden steht das SRF unent­wegt hinter ihrer Produk­tion. Wer nach­sieht, wer für den Film mitver­ant­wort­lich ist, ahnt, wieso. 
Wer der verantwortungsvollen Berichterstattung über Rechtsextreme nicht gewachsen ist, greift ihnen unweigerlich unter die Arme. (Bild: Screenshot SRF / b. Luca Mondgenast)

Ende März veröf­fent­lichte das SRF eine Doku­men­ta­tion über die Junge Tat. Das Ziel: Mit den jungen Schweizer Rechts­extremen spre­chen, anstatt nur über sie. Mit Kamera im Selfie­modus macht sich der eben­falls junge Jour­na­list Samuel Konrad ganz in der SRF „rec.“-Manier auf Wander­schaft mit den Neonazis, die bereits wegen Rassen­dis­kri­mi­nie­rung verur­teilt wurden. 

Das Ergebnis ist ein über 30-minü­tiger Film, den das rechts­extreme Publikum selbst als bril­lanten “Werbe­spot” feiert. Eine halbe Stunde lang reihen sich die selbst­in­sze­nierten Social Media-Videos der Neurechten und Inter­view­sequenzen mit den beiden Anfüh­rern der Jungen Tat anein­ander. Zwar werden hin und wieder ein paar “Experten” zum Thema befragt, die Grup­pie­rung als offen rassi­stisch bezeichnet und ihre ethno­na­tio­na­li­sti­sche Ideo­logie erklärt. Viel zu viele Aussagen der Rechts­extremen bleiben aber unwidersprochen.

Beispiels­weise, als sie Migrant*innen für die Wohnungs­knapp­heit verant­wort­lich machen oder gender­queere Personen als krank bezeichnen. Gene­rell ist Konrad den Neonazis im Inter­view­set­ting rheto­risch und argu­men­tativ unter­legen, stellt sich aber dennoch beiden Medi­en­trai­nierten gleich­zeitig. Diese rasseln abwech­selnd ihre altbe­kannten Narra­tive runter: Die Nazi­rune in ihrem Logo habe nichts mit dem Natio­nal­so­zia­lismus zu tun, ihre Gewalt­ver­bre­chen seien “Jugend­sünden” und so weiter. 

Mit Nazis spricht man nicht – oder doch?

Alles in allem scheint es so, als sei das SRF der Ernst­haf­tig­keit des Themas nicht gewachsen, was in Anbe­tracht des erstar­kenden Rechts­extre­mismus in ganz Europa um so schwerer wiegt. Das Schweizer Fern­sehen behan­delt die Rechts­extremen eher wie eine rebel­li­sche Jugend­gang denn als das, was sie tatsäch­lich sind: eine brand­ge­fähr­liche poli­ti­sche Orga­ni­sa­tion mit völki­scher Ideo­logie, die sich als Teil der Iden­ti­tären Bewe­gung versteht. Diese unter­hält wiederum Verbin­dungen zu rassi­stisch moti­vierten Massen­mör­dern und sucht ganz gezielt die öffent­liche Aufmerksamkeit.

Ist die verant­wor­tungs­lose Bericht­erstat­tung des SRF über Rechts­extre­mismus nur schlechte Arbeit – oder so gewollt?

Auch die Einschät­zung des Medi­en­wis­sen­schaft­lers Vinzenz Wyss, der im darauf­fol­genden Q&A zur Repor­tage auf die zahl­reiche Kritik aus der Commu­nity eingehen soll, scheint der Ernst­haf­tig­keit des Themas nicht gewachsen: Unauf­hör­lich deutet er darauf hin, dass man im Jour­na­lismus Dinge “nicht totschweigen” dürfe. Man könne an den eigenen Prin­zi­pien trotzdem fest­halten, aber auch “einen Schritt aufein­ander zugehen” und versu­chen “sich zu verstehen”, selbst “ohne Verständnis zu haben”. Ausserdem seien viele Aussagen so einschlägig, dass sie “für sich selbst” stünden. Er verweist auf die rassi­sti­sche Aussage von Anführer Manuel Corchia, dass Schwarze Personen keinen Platz in der Jungen Tat hätten. 

Beim Betrachten beider Videos drängt sich die Frage auf, ob sich auch nur eine der betei­ligten Personen in der Produk­tion spezi­fisch mit der Bericht­erstat­tung über Rechts­extre­mismus ausein­an­der­ge­setzt hat, oder ob dies für die Betei­ligten einfach ein Thema wie jedes andere ist. Beispiels­weise die Hand­rei­chungen vom Center für Moni­to­ring, Analyse und Stra­tegie (CeMAS), das Exper­tise zu Verschwö­rungs­ideo­lo­gien, Desin­for­ma­tion, Anti­se­mi­tismus und Rechts­extre­mismus bündelt, gäbe Hinweise darauf, wie man in solchen Fällen verant­wor­tungs­be­wusst berichten kann: Insze­nie­rung unter­binden, Falsch­aus­sagen unmit­telbar entkräften und Konse­quenzen des Rechts­extre­mismus in den Fokus rücken – anstatt die Rechtsextremist*innen selbst. Das sind nur einige der Aspekte, die es zu beachten gäbe. 

Die SRF-Doku­men­ta­tion hat in vielen dieser Punkte versagt. War das nur schlechte Arbeit – oder so gewollt?

“Sensible Themen mit grösster Sorg­falt behandeln”

Nicht nur aus der Zuschau­er­schaft hagelt es Kritik an dem fahr­lässig produ­zierten Werbe­spot für die Neonazis. Über 200 Medien- und Kultur­schaf­fende wenden sich mit einer Beschwerde an die Ombuds­stelle des Schweizer Fern­se­hens und verlangen, dass das SRF die Repor­tage aus ihrer Media­thek entfernt und das Versäumnis aufar­beitet. Über zwei Wochen später haben die Kritiker*innen noch immer keine Antwort vom SRF erhalten.

Auf Anfrage von das Lamm zitiert die Medi­en­stelle des SRF die Ange­bots­ver­ant­wort­liche Anita Richner. Das SRF stehe hinter der Repor­tage, würde die Kritik  aber “inner­halb der Redak­tion disku­tieren” und die “internen Stan­dards weiter schärfen” um sicher­zu­stellen, dass “sensible Themen mit grösster Sorg­falt behan­delt” würden.

Anita Richner, die seit 1994 in wech­selnden Funk­tionen beim SRF tätig ist, ist die Ehefrau von Markus Somm, Verleger und Chef­re­daktor des rechten Sati­re­ma­ga­zins Nebel­spalter. Erst letzten Herbst stand Somm gemeinsam mit der AfD-Frak­ti­ons­vor­sit­zenden Alice Weidel auf der Bühne des Zürcher Kongress­hauses und peitschte das Publikum in rassi­sti­schem Furor gegen “Muslime, die ihr Unwesen trieben” auf. Die AfD sei “über­haupt nicht rechts­extrem” und Alice Weidel müsse an die Macht, damit das “schwä­chelnde Deutsch­land wieder normal” werde, berich­tete die WOZ nach dem Event. Wenig später versam­melte sich die rechts­extreme Szene in Kloten. Neben Expo­nenten der Neonazi-Orga­ni­sa­tion Blood & Honour und einem Mitglied der jungen SVP waren auch die Junge Tat und die AfD vertreten. 

Ist das SRF der Konfron­ta­tion mit dem erstar­kenden Rechts­extre­mismus gewachsen – und will es ihm über­haupt standhalten?

Zwar lassen sich aus Somms Gesin­nung und seinem Verhalten keine direkten Rück­schlüsse auf die redak­tio­nelle Arbeit seiner Part­nerin ziehen. Die Vorge­hens­weise bei der Bericht­erstat­tung über die Junge Tat lassen jedoch Zweifel an den Fähig­keiten und Absichten des SRF aufkommen. 

Erst kürz­lich stellte das SRF einige Formate ein, die mass­geb­lich zur Diver­sität des Programms beitrugen und Inhalte für eine offene, tole­rante Gesell­schaft boten. Darunter der reich­wei­ten­starke Podcast Ziva­di­li­ring, für dessen Abset­zung Richner mitver­ant­wort­lich war. Ange­sichts der von der SVP lancierten Halbie­rungs­in­itia­tive, die dem SRF droht, stellt sich die Frage, wohin dieser Kurs und die Ange­bots­fo­kus­sie­rung führen. Und ob das SRF der Konfron­ta­tion mit dem erstar­kenden Rechts­extre­mismus gewachsen ist – oder diesem über­haupt stand­halten will.


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