Staat­lich geför­dertes Punching-Down

Stefan Büsser und sein Team sorgen in ihrem Podcast und Late-Night-Show von SRF für heftige Kritik, weil ihre Satire ständig nach unten tritt. Unser*e Autor*in disku­tiert, warum Humor Realität schafft und welche Verant­wor­tung das SRF trägt. 
Wenn Büsser und Co. wöchentlich über Gewalt und Minderheiten scherzen, hat das reale Konsequenzen für Betroffene. (Bild: Luca Mondgenast)

Drei Männer sitzen zusammen und witzeln unge­hemmt über sexu­elle Über­griffe und Frau­en­fuss­ball. Was wie ein Stamm­tisch-Gespräch in einer Quar­tier­beiz klingt, läuft seit Jahren öffent­lich im vom SRF produ­zierten Podcast „Come­dy­männer“. Gast­geber ist Come­dian Stefan Büsser und mit ihm die Co-Hosts Michael Schweizer und Aron Herz. Parallel erhielt Büsser auf SRF seine eigene Late-Night-Show: „Late Night Switz­er­land“ – mit Schweizer als Side­kick und Herz als Headautor.

In einer ihrer Podcast­folgen schil­dern die Come­dy­männer eine Szene, in der eine Frau in der Disco in Ohnmacht fällt. Das Trio kommen­tiert das lachend mit der Bemer­kung, jetzt könne „wenig­stens Händ­chen gehalten werden“. Der vermeint­liche Witz spielt darauf an, dass sich die Frau nicht wehren kann – und verharm­lost damit eine klas­si­sche Dynamik sexu­eller Über­griffe: die Ausnut­zung von Wehrlosigkeit. 

Witze auf Kosten von margi­na­li­sierten Gruppen sind nicht Ausdruck künst­le­ri­scher Frei­heit, sondern zeugen von reak­tio­närem Gedankengut.

Während eines anderen Gesprächs scherzen die drei Männer, das Frauen-Fuss­ball­sta­dion „Espen­moos“ in St. Gallen müsste doch eigent­lich „Espen­möse“ heissen. Anstatt sport­liche Leistung und Enga­ge­ment sichtbar zu machen, wird der Fokus auf ein anzüg­li­ches Wort­spiel gelenkt. Solche Aussagen festigen das Bild, dass Frauen im Sport nicht ernst zu nehmen seien – weder auf dem Feld noch in der Öffentlichkeit.

Diese gefähr­li­chen Pointen stossen auch seit geraumer Zeit auf Kritik beim Publikum. Späte­stens seit ein Insta­gram-Account namens @uncover_comedymaenner diverse proble­ma­ti­sche Szenen öffent­lich gemacht hat, steht zur Debatte, wie unbe­denk­lich dieser Humor wirk­lich ist – und welche Verant­wor­tung ein öffent­lich-recht­li­cher Sender dafür trägt.

Humor schafft Realität

Was Büsser und Co. raus­lassen, sind nicht „nur Witze“. Humor wirkt – gerade, wenn er medial verbreitet wird. Wenn wöchent­lich popu­läre Podca­ster über Ohnmacht, Gewalt oder Minder­heiten lachen, hat das Konse­quenzen. Auch wenn es „nicht böse gemeint“ ist. Diese Art des Humors baga­tel­li­siert Gewalt, verfe­stigt Vorur­teile und norma­li­siert Diskri­mi­nie­rung unter dem Deck­mantel der Satire.

Öffent­lich-recht­liche Medien haben einen Auftrag: infor­mieren, bilden, unter­halten – aber nicht auf Kosten der Würde anderer. Der Podcast wurde zwar zwischen­zeit­lich privat produ­ziert, kehrte aber zu SRF zurück. Auch die Come­dians blieben fest mit dem Sender verbunden. Stefan Büsser wurde zum Gesicht der SRF-Late-Night-Unter­hal­tung gemacht, ein Format zur besten Sendezeit. 

Hat das SRF die Kritik über­hört oder bewusst wegge­schaut, um Büssers Popu­la­rität bei jüngeren Zuschauer*innen nicht zu gefährden?

Satire darf vieles. Sie ist Mittel, um an Ereig­nissen und Personen Kritik zu üben, sie der Lächer­lich­keit preis­zu­geben und Zustände anzu­pran­gern. Wer dabei nach unten tritt, ist armselig – und hat die Schwä­cheren auf dem Gewissen.

Die zentrale Frage ist nicht, ob Comedy das darf. Sondern: Warum will SRF das senden?

Witze auf Kosten von Frauen, migran­ti­schen Menschen oder anderen margi­na­li­sierten Gruppen sind nicht Ausdruck künst­le­ri­scher Frei­heit, sondern zeugen von reak­tio­närem Gedan­kengut. Dass genau diese „Gags“ öffent­lich gesendet – und mit Gebühren finan­ziert – werden, macht das ganze umso bedenklicher.

Natür­lich soll Humor frei sein – aber nicht frei von Kritik und Verant­wor­tung. Keine*r verlangt Zensur. Ein öffent­lich-recht­li­cher Sender sollte sich aber fragen: Was wollen wir zeigen? Wen wollen wir errei­chen? Und umge­kehrt: Wer wird ausge­schlossen oder herab­ge­wür­digt? Keine*r verbietet Büsser und Co. ihre Sprüche im privaten Raum. Doch wenn solche Inhalte öffent­lich ausge­strahlt werden – in einem Land, das gerne von Viel­falt spricht, sie aber längst nicht für alle lebt – dann ist vom öffent­lich-recht­li­chen Fern­sehen mehr zu erwarten als ein „Ist halt Satire“ wie die SRG-Ombuds­stelle 2019 sinn­ge­mäss äusserte.

Die zentrale Frage ist nicht, ob Comedy das darf. Sondern: Warum will SRF das senden?

Verant­wor­tung übernehmen

Die fehlende Verant­wor­tung zeigte sich zuletzt eindrück­lich am Fall Vera Çelik: In der SRF-Late-Night-Show wurde die 19-jährige Zürcher SP-Poli­ti­kerin und Muslima mit dem rechts­extremen JSVP-Poli­tiker Nils Fiechter vergli­chen – unter Verweis auf ein altes Bild, das Fiechter in einer Burka mit Bomben­gürtel zeigt. Die Pointe: Es sei nicht zu erkennen, ob Vera oder Fiechter abge­bildet sei. Diese Gleich­set­zung – eine junge musli­mi­sche Frau wird optisch mit einem Rechts­extremen in Terror­ver­klei­dung auf eine Stufe gestellt – ist kein sati­ri­sches Miss­ver­ständnis, sondern eine gefähr­liche Chiffre. Sie spielt mit dem jahr­zehn­te­alten Klischee, musli­mi­sche Klei­dung habe etwas mit Gewalt zu tun. 

Es ist gefähr­lich, Witze als „harm­losen Spass“ abzutun – sie sind Teil eines Klimas, das reale Konse­quenzen hat. Für Vera Çelik zum Beispiel waren es Morddrohungen.

Das ist nicht nur geschmacklos, sondern wirkt real: Vera Çelik wurde danach mit Hass­nach­richten und Mord­dro­hungen über­flutet. Ihre öffent­liche Kritik an der Pointe quit­tierte Büsser mit einer Nicht-Entschul­di­gung: „Es tut mir leid, dass du dich verletzt fühlst.“ Statt klar zu sagen: „Das war ein Fehler. Ich mach’s besser.“ kam rela­ti­vie­rendes Framing. Er warf Vera vor, öffent­lich statt persön­lich kommu­ni­ziert zu haben – obwohl er selbst sie vor der Ausstrah­lung weder infor­miert noch kontak­tiert hatte. Zudem beklagte er, dass durch ihren Protest ein „Shits­torm“ ausge­löst worden sei. Ein klas­si­sches Beispiel für Victim Blaming, wie es der Sati­riker Renato Kaiser tref­fend analy­sierte. Nicht Vera Çeliks Reak­tion verur­sachte die Eska­la­tion, sondern die Entschei­dung, sie über­haupt in dieser Form zur Ziel­scheibe eines Witzes zu machen. Auch hier bleibt der Eindruck: Die Pointe ging auf Kosten der Betrof­fenen – und SRF gab ihr eine Bühne.

Nun liegt der Ball mal wieder beim SRF. Über 478 Bean­stan­dungen gingen bei der Ombuds­stelle der SRG ein.

Von wegen auf Augenhöhe

Stefan Büsser und seine Kollegen täten gut daran, die Kritik nicht als Angriff zu begreifen, sondern als Einla­dung zur Weiter­ent­wick­lung. Verant­wor­tung zu über­nehmen. Sich zu reflek­tieren, statt sich zu vertei­digen. Fehler einzu­ge­stehen, anstatt sie auf andere – weniger privi­le­gierte – abzuwälzen.

Gerade im Fall Vera Çelik wird deut­lich, wie absurd das häufig einge­for­derte „Gespräch auf Augen­höhe“ ist: Eine 19-jährige Poli­ti­kerin mit rund 1’900 Instagram-Follower*innen kriti­siert einen etablierten Come­dian mit über 100’000 Follower*innen und einem reich­wei­ten­starken SRF-Come­dy­format im Rücken – und wird danach medial für ihre Tonlage zur Rechen­schaft gezogen. Wer hier die grös­sere Bühne, die besseren Verbin­dungen und den direk­teren Zugang zur Öffent­lich­keit hat, ist offensichtlich.

Während Çelik Drohungen erhält, bekommt Büsser öffent­liche Rücken­deckung, etwa vom schul­ter­klop­fenden Comedy-Vater Viktor Giacobbo, von Natio­nal­rätin Meret Schneider oder Mode­ra­torin Christa Rigozzi. Wenn sich in solchen Konstel­la­tionen der Mäch­ti­gere in die Opfer­rolle zurück­zieht, wird Kritik syste­ma­tisch entwertet.

Wer lacht, hört hin

Denn: Diskri­mi­nie­rung beginnt nicht erst bei physi­scher Gewalt. Sie beginnt viel früher – mit Worten, Bildern, vermeint­li­chem Humor. Wer immer wieder die glei­chen Gruppen verspottet, zemen­tiert gesell­schaft­liche Macht­ver­hält­nisse. Auf der soge­nannten Gewalt­py­ra­mide stehen diskri­mi­nie­rende Witze ganz unten – aber sie bilden die Grund­lage für die nächste Stufe: Abwer­tung, Ausgren­zung, offene Anfein­dung. Und im schlimm­sten Fall bilden sie die Basis für Gewalt. Deshalb ist es gefähr­lich, Witze als „harm­losen Spass“ abzutun – sie sind Teil eines Klimas, das reale Konse­quenzen hat. Für Vera Çelik zum Beispiel waren es Mord­dro­hungen. Für andere ist es Angst, Scham oder das Gefühl, nicht dazuzugehören.

Komiker*innen wie Lisa Christ oder Reena Krishn­a­raja zeigen längst, dass Humor auch ohne Tritte nach unten funk­tio­niert – klug, rele­vant und auf Augen­höhe. Es geht nicht darum, Comedy einzu­schränken. Es geht darum, sie ernst zu nehmen. Denn wer lacht, hört hin. Und wer gehört wird, trägt Verantwortung.

SRF sollte hier nicht hinter­her­laufen, sondern voran­gehen. Als Sender mit öffent­li­chem Auftrag. Als Platt­form, die Viel­falt abbildet. Und als Instanz, die weiss: Guter Humor braucht Haltung.

Öffent­li­cher Humor braucht öffent­liche Verant­wor­tung – damit wirk­lich alle lachen können.


Jour­na­lismus kostet

Die Produk­tion dieses Arti­kels nahm 16 Stunden in Anspruch. Um alle Kosten zu decken, müssten wir mit diesem Artikel CHF 1092 einnehmen.

Als Leser*in von das Lamm konsu­mierst du unsere Texte, Bilder und Videos gratis. Und das wird auch immer so bleiben. Denn: mit Paywall keine Demo­kratie. Das bedeutet aber nicht, dass die Produk­tion unserer Inhalte gratis ist. Die trockene Rech­nung sieht so aus:

Soli­da­ri­sches Abo

Nur durch Abos erhalten wir finan­zi­elle Sicher­heit. Mit deinem Soli-Abo ab 60 CHF im Jahr oder 5 CHF im Monat unter­stützt du uns nach­haltig und machst Jour­na­lismus demo­kra­tisch zugäng­lich. Wer kann, darf auch gerne einen höheren Beitrag zahlen.

Ihr unter­stützt mit eurem Abo das, was ihr ohnehin von uns erhaltet: sorg­fältig recher­chierte Infor­ma­tionen, kritisch aufbe­reitet. So haltet ihr unser Magazin am Leben und stellt sicher, dass alle Menschen – unab­hängig von ihren finan­zi­ellen Ressourcen – Zugang zu fundiertem Jour­na­lismus abseits von schnellen News und Click­bait erhalten.

In der kriselnden Medi­en­welt ist es ohnehin fast unmög­lich, schwarze Zahlen zu schreiben. Da das Lamm unkom­mer­ziell ausge­richtet ist, keine Werbung schaltet und für alle frei zugäng­lich bleiben will, sind wir um so mehr auf eure soli­da­ri­schen Abos ange­wiesen. Unser Lohn ist unmit­telbar an eure Abos und Spenden geknüpft. Je weniger Abos, desto weniger Lohn haben wir – und somit weniger Ressourcen für das, was wir tun: Kriti­schen Jour­na­lismus für alle.

Ähnliche Artikel