Kaum ist der düstere, freudlose Januar vorbei, schleicht das nächste Finanzloch um die Ecke: die Steuern. Ob man viel zahlen muss oder nicht – das Ausfüllen allein ist schon ein notwendiges aber kompliziertes Übel. Immerhin ist es seit ein paar Jahren möglich, die Steuern online zu erledigen. Sogar die Vorjahresdaten kann man importieren. Wenn das Leben also grösstenteils gleich geblieben ist, bleibt es die Steuererklärung auch. Schön, dieser Fortschritt.
Jedoch ist auch bei der Steuererklärung ein Relikt aus dem letzten Jahrhundert hängengeblieben: Die Bezeichnung der steuerpflichtigen Person als „Ehemann“.
Jedes Jahr stolpere ich über den Begriff, der über dem leeren Textfeld steht, in dem ich meinen Namen reinschreiben soll. Beim Ausfüllen meiner ersten Steuererklärung fragte ich mich sogar, wieso ich ein Steuerformular für Ehepaare erhalten hatte. Erst auf den dritten Blick sah ich, dass hinter „Ehemann“ noch „Einzelperson“ stand: Damit war ja doch ich gemeint!
Für die Schweizer Behörden scheint der verheiratete Mann nach wie vor der Standard zu sein. Alle anderen – also Frauen, non-binäre Personen, Ledige, Homosexuelle und viele weitere – müssen hinten anstehen. Doch all diese Menschen zahlen genauso Steuern. Wieso also steht immer noch „Ehemann“ an erster Stelle? Genau das habe ich die gefragt, die es wissen sollten:
Liebes Steueramt Zürich
Ich habe letzte Woche die Unterlagen für die Online-Steuererklärung 2019 erhalten. Ich habe mich heute also eingeloggt und die Steuererklärung aufgemacht. Auf der ersten Seite werden die Personalien angezeigt.
Wie all die Jahre zuvor bin ich über ein Wort gestolpert: Ehemann. Das verwirrt mich jedes Jahr wieder, denn ich bin eine Frau. Darum meine Frage: Wieso steht über den Feldern für die Personalien als aller erstes „Ehemann“ und nicht „Einzelperson“?
Mit freundlichen Grüssen
Postwendend kam eine Antwort von Felix Bührer, dem stellvertretenden Kommunikationsbeauftragten der Finanzdirektion Zürich. Darin schrieb er aber nur, dass er mein „Anliegen“ weitergeleitet hätte. Wir mussten einige Emails austauschen, bis ich die Antwort bekam, nach der ich suchte:
Liebes Lamm
Gerne antworten wir Ihnen wie folgt:
Der Grund, warum über den Feldern für die Personalien als erstes „Ehemann“ und nicht „Einzelperson“ steht, ist rein technischer Natur. Die technische Sortierung der Begriffe erfolgt bisher streng alphabetisch, also in der Reihenfolge: Ehemann, Einzelperson und P1 (Person 1).
Mit Ihrer Frage haben Sie uns gleichzeitig eine nachvollziehbare Anregung zum Überdenken dieses Sortierverfahrens gegeben. Wir begrüssen Ihren Input sehr, nehmen ihn deshalb gerne auf und werden die bisherige Praxis der alphabetischen Sortierung der Begriffe intern überprüfen.
Ich hoffe, Ihnen mit diesen Angaben dienen zu können und stehe für weitere Medienanfragen von „das Lamm“ gerne zur Verfügung.
Freundliche Grüsse
Es ist also weder Tradition, Faulheit oder gar Gleichgültigkeit für die Erstnennung des Ehemanns verantwortlich, sondern die „alphabetische Sortierung“. Obwohl der Grund scheinbar technischer Natur ist, stellt sich die Frage: Wieso ist bis jetzt niemandem in den Sinn gekommen, die Formulierung der Realität anzupassen?
690’000 Betroffene
Im Jahr 2018 waren im Kanton Zürich 921’073 Personen steuerpflichtig. Von den knapp 1.5 Millionen Menschen, die im Kanton Zürich leben, sind rund 80 Prozent volljährig und davon die Hälfte verheiratet. Wenn wir diesen Prozentsatz auf die Steuerpflichtigen anwenden, reden wir von rund 450’000 unverheirateten Steuerpflichtigen. Zusammengerechnet mit den verheirateten Frauen ergibt das fast 690’000 Personen, die das Steuerformular erhalten, aber fälschlicherweise als „Ehemann“ angesprochen werden.
Dass „Ehemann“ an erster Stelle steht, ist nicht mehr zeitgemäss. Verheiratete müssen zwar gemäss dem Steuerharmonisierungsgesetz von 1990 die Steuererklärung zusammen ausfüllen und abgeben. Dass der Ehemann früher mit dem höchsten oder gar einzigen Lohn der Familie auf dem Formular an erster Stelle kam, scheint insofern logisch. Aber warum ist das heute noch so?
Schon 1991 verrichteten 68 Prozent der Frauen Lohnarbeit. Seither ist diese Quote stetig gestiegen. Zudem ist die Gleichstellung zwischen Frau und Mann seit ziemlich genau zwanzig Jahren in der Bundesverfassung verankert. Doch die Realität zeigt: Die Gleichstellung ist in der Schweiz noch nicht erreicht.
Denn auch die Sprache, die in einem mickrigen Steuerformular verwendet wird, drückt unser Gesellschaftsbewusstsein aus. Es kann also nicht zu viel verlangt sein, als (ledige) Frau oder non-binäre Person auf der Steuererklärung über dem eigenen Namen nicht „Ehemann“ lesen zu müssen. Man stelle sich den Aufschrei vor, wenn hetero Cis-Männer ihren Namen unter „Ehefrau“ reinschreiben müssten. Leise wäre er nicht.
Schweizweit ist der Ehemann der Standard
Doch wie sieht es eigentlich in anderen Teilen der Schweiz aus? Eine kurze Umfrage im Freund*innenkreis hat gezeigt: Die anderen Kantone sind Zürich ein bisschen voraus, indem sie wenigstens die „alphabetische Sortierung“ ausgeschaltet haben. In den Kantonen Aargau, Baselland und Solothurn steht nicht „Ehemann“ zuvorderst, sondern „Person 1“ oder „Einzelperson“. Trotzdem suggerieren auch diese Steuerformulare, dass der „Ehemann“ mit der „Person 1“ gleichzusetzen sei. Dabei machen verheiratete Männer nur etwa 20 Prozent der Steuerpflichtigen aus. Die Bezeichnung „Person 1“ würde im Gegensatz zu „Ehemann“ alle korrekt ansprechen.
Also habe ich mich nochmals an die Zürcher Finanzdirektion gewandt und wollte von ihnen wissen, weshalb die Bezeichnung „Ehemann“ überhaupt in der Überschrift auftauchen müsse. Auch hierzu hatten sie eine Antwort bereit:
Liebes Lamm
Vielen Dank für Ihre zusätzliche Medienanfrage. Gerne antworten wir Ihnen wie folgt:
[…] Der Kanton Zürich [regelt] die Führung des Steuerregisters in der „Weisung der Finanzdirektion über die Führung der Steuerregister in den Gemeinden“. Dort findet sich auch die folgende Passage unter Buchstabe B, I. Inhalt:„Bei Ehepaaren und eingetragenen Partnerschaften wird für die Zeitdauer der gemeinsamen Steuerpflicht ein gemeinsames Konto angelegt. Taktgeber ist bei Ehepaaren der Ehemann und bei eingetragene (sic!) Partnerschaften der Partner, dessen Name in der alphabetischen Sortierung an erster Stelle kommt. ...“
Daraus ergibt sich die fragliche Reihenfolge, welche wie erwähnt rein registertechnischer Natur ist. Ebenso wichtig sind unter anderem die Vorschriften in Bezug auf die verfahrensrechtliche Stellung der Ehegatten, welche sich in § 123 des Steuergesetzes des Kantons Zürich finden.
Wir hoffen, Ihnen mit diesen wenigen Angaben dienen zu können.
Freundliche Grüsse
Da steht es also schwarz auf weiss: „Taktgeber ist bei Ehepaaren der Ehemann“. Das klingt, als wäre es in den fünfziger Jahren geschrieben worden. Falsch gedacht: Die angesprochene „Weisung der Finanzdirektion über die Führung der Steuerregister in den Gemeinden“ (folgend „Weisung“) wurde am 7. Januar 2019 aktualisiert. Eindrücklich ist insbesondere, dass in der älteren Version dieser „Weisung“, die bis zum 6. Januar 2019 gültig war, kein ähnlicher Satz zu finden ist. Auch eine bundesgesetzliche Grundlage sucht man vergebens: Das einzige Bundesgesetz, woran sich die Kantone bezüglich den Steuern halten müssen, ist das Steuerharmonierungsgesetz (StHG). Darin ist nirgendwo festgehalten, dass der Ehemann an erster Stelle kommen muss.
Die Finanzdirektion Zürich hat also letztes Jahr im Alleingang klammheimlich ihre interne „Weisung“ angepasst und damit eine rechtliche Grundlage für die Formulierungen auf ihrer Steuererklärung geschaffen. Die Finanzdirektion schreibt, die Reihenfolge sei „registertechnischer Natur“. Aber eigentlich ist sie nur eines: sexistisch. Welche Person oder welches Gremium für den Teilsatz „Taktgeber ist bei Ehepaaren der Ehemann“ verantwortlich ist, will uns die Finanzdirektion Zürich nicht sagen.
Es ist erschreckend, dass eine offizielle Schweizer Behörde in punkto Gleichstellung einen solchen Schritt nach hinten macht und überhaupt machen kann. Der Gleichstellungsartikel in der Bundesverfassung ist schön und gut – aber verkommt zu einem symbolischen Akt, wenn er so etwas nicht verhindert.
Journalismus kostet
Die Produktion dieses Artikels nahm 21 Stunden in Anspruch. Um alle Kosten zu decken, müssten wir mit diesem Artikel CHF 1352 einnehmen.
Als Leser*in von das Lamm konsumierst du unsere Texte, Bilder und Videos gratis. Und das wird auch immer so bleiben. Denn: mit Paywall keine Demokratie. Das bedeutet aber nicht, dass die Produktion unserer Inhalte gratis ist. Die trockene Rechnung sieht so aus:
Wir haben einen Lohndeckel bei CHF 22. Die gewerkschaftliche Empfehlung wäre CHF 35 pro Stunde.
CHF 735 → 35 CHF/h für Lohn der Schreibenden, Redigat, Korrektorat (Produktion)
CHF 357 → 17 CHF/h für Fixkosten (Raum- & Servermiete, Programme usw.)
CHF 260 pro Artikel → Backoffice, Kommunikation, IT, Bildredaktion, Marketing usw.
Weitere Informationen zu unseren Finanzen findest du hier.
Solidarisches Abo
Nur durch Abos erhalten wir finanzielle Sicherheit. Mit deinem Soli-Abo ab 60 CHF im Jahr oder 5 CHF im Monat unterstützt du uns nachhaltig und machst Journalismus demokratisch zugänglich. Wer kann, darf auch gerne einen höheren Beitrag zahlen.
Ihr unterstützt mit eurem Abo das, was ihr ohnehin von uns erhaltet: sorgfältig recherchierte Informationen, kritisch aufbereitet. So haltet ihr unser Magazin am Leben und stellt sicher, dass alle Menschen – unabhängig von ihren finanziellen Ressourcen – Zugang zu fundiertem Journalismus abseits von schnellen News und Clickbait erhalten.
In der kriselnden Medienwelt ist es ohnehin fast unmöglich, schwarze Zahlen zu schreiben. Da das Lamm unkommerziell ausgerichtet ist, keine Werbung schaltet und für alle frei zugänglich bleiben will, sind wir um so mehr auf eure solidarischen Abos angewiesen. Unser Lohn ist unmittelbar an eure Abos und Spenden geknüpft. Je weniger Abos, desto weniger Lohn haben wir – und somit weniger Ressourcen für das, was wir tun: Kritischen Journalismus für alle.
Einzelspende
Ihr wollt uns lieber einmalig unterstützen?