Botswana ist nicht oft in den deutschsprachigen Schlagzeilen. Im April 2024 jedoch provozierte Staatspräsident Mokgweetsi Masisi mit der Aussage, er würde den Deutschen 20’000 Elefanten schicken, sollten sie den Import von Jagdtrophäen verbieten. Auch Grossbritannien hatte seine Regierung 10’000 Elefanten angeboten, beziehungsweise angedroht.
Die deutsche und die britische Presse fanden das unglaublich ulkig. Dutzende Artikel machten sich einen Spass daraus, sich die Umsiedlung in bunten Farben auszumalen. Man konnte glatt vergessen, dass es eigentlich darum geht, dass Elefanten in Botswana weiterhin erschossen werden sollen.
Weitgehend unhinterfragt blieb Masisis Argument, dass die Elefantenpopulation nur dank der Trophäenjagd konstant bleibt und nicht explodiert. In den letzten dreissig Jahren hat sich diese von 50’000 auf 130’000 erholt – wobei diese oft zitierten Zahlen bisweilen bestritten werden. Ebenso unhinterfragt blieb, dass man Konflikte zwischen Menschen und Elefanten nur durch Schusswaffen regeln kann.
Ökonomie der Trophäenjagd
Etwas Kontext: Noch in den 2000er-Jahren florierte der Jagdtourismus in Botswana. Das Aushängeschild der Industrie waren die Elefanten, auch wenn sie statistisch gesehen viel seltener erschossen wurden als etwa Impalas. Das CITES-Artenschutzabkommen gibt zudem vor, dass in Botswana nicht mehr als vierhundert Elefanten pro Jahr erschossen und als Trophäe exportiert werden dürfen.
Schaut einmal zum Fenster raus, wahrscheinlich seht ihr bald ein Tier. Sie sind die Mehrheit der Bevölkerung. Doch in der Schweizer Medienlandschaft werden sie meist ignoriert. „Animal Politique“ gibt Gegensteuer. Nico Müller schreibt über Machtsysteme, Medien, Forschung und Lobbyismus. Und denkt nicht, es gehe immer „nur“ um Tiere. Ihre Unterdrückung hängt oft mit der Unterdrückung von Menschen zusammen. „Animal Politique“, geschrieben von Tierethiker Nico Müller, macht das sichtbar.
Es kostet etwa 50’000 Franken, einen Elefanten zu erschiessen. Laut Behauptungen der Industrie bleiben etwa drei Viertel des Geldes in Botswana. Insgesamt machte die Trophäenjagd 2001 etwa 1.3 Promille des Bruttoinlandprodukts aus – nicht gerade der Wirtschaftsmotor, aber auch nicht ganz zu vernachlässigen.
Das entscheidende Argument für die Trophäenjagd war allerdings nie, dass sie Botswana insgesamt ernährt. Sondern dass sie es ermöglicht, Geld in abgelegenen und weniger schönen Gebieten zu verdienen, wo der übliche Öko- und Foto-Tourismus nicht funktioniert.
Entsprechend gross war der Aufschrei 2014, als die Regierung des damaligen Präsidenten Ian Khama die Trophäenjagd verbot. Weder wurde die lokale Bevölkerung einbezogen, noch gab es ausreichende Massnahmen, um finanzielle Ausfälle auszugleichen. Der Umstieg auf Fototourismus war harzig und gelang nur teilweise.
Währenddessen gab es immer wieder Konflikte, weil Elefanten sich an Feldern bedienten, Gebäude beschädigten oder im Extremfall auch Menschen verletzten oder töteten. Es gibt zwar durchaus Ansätze, um dies zu verhindern – zum Beispiel kann man Elefanten mit Strobolicht oder dem Geruch verbrannter Chilischoten von Feldern abhalten. Aber diese Lösungen sind weder perfekt noch flächendeckend implementiert.
Das Trophäenjagdverbot wurde laut Umfragen sehr negativ aufgenommen und förderte Ressentiments gegen den Elefantenschutz. Die meisten Anwohnenden hätten sich – verständlicherweise – eine Kompensation gewünscht. Stattdessen führte Masisi die Trophäenjagd 2019 kurzerhand wieder ein.
Nun stört er sich daran, dass manche europäischen Länder ihrerseits den Import von Jagdtrophäen strenger regeln wollen. Belgien hat bereits ein Verbot für Trophäen bedrohter Arten eingeführt, in Deutschland und Grossbritannien wird darüber diskutiert.
Eine Trophäe gilt als Zeichen erfolgreicher Eroberung und Unterwerfung, und sie ist ein Erinnerungsstück. Das ist alles witzlos, wenn man sie nicht nach Hause mitnehmen darf. Es drohen also wieder finanzielle Einbussen für Botswana.
Neoliberaler Elefantenschutz
Der mitreissende Redner Masisi versteht es, die europäische Presse für seine Botschaft zu nutzen. Dabei setzt er auf zwei Argumente, die auf rechte und linke Sensibilitäten zugeschnitten sind.
Das ökonomische Argument für die Trophäenjagd ist ein neoliberaler Fiebertraum. Nicht nur, weil der Artenschutz laut diesem Argument durch private statt öffentliche Mittel finanziert werden soll. Nein, der gute Zweck soll sogar durch individuelle Laster erreicht werden – durch die Grausamkeit, den Grössenwahn, das Geltungsbedürfnis der Reichen. Das ist geradezu symbolisch für ein rechtslibertäres Weltbild, in dem alles durch das freie Zusammenspiel individueller Gier funktionieren soll.
Wie die meisten neoliberalen Lösungen krankt aber auch diese daran, dass am Ende nur wenige profitieren. Selbst wenn 75 Prozent des generierten Geldes in Botswana bleibt, heisst das noch lange nicht, dass es gewöhnlichen Anwohnenden zugutekommt. Elefantenschützer*innen bemängeln, dass für viele Jagdhelfer*innen bloss ein Hungerlohn und etwas Elefantenfleisch herausspringt. Die Arten im Gebiet seien dann zwar geschützt, aber die Menschen darin lebten prekär.
Wer ist hier kolonialistisch?
Für die Linke offeriert Masisi im gleichen Atemzug ein anderes Argument, nämlich eine vernichtende moralische Kritik: Importverbote seien „herablassend“ und eine „Rückkehr zu kolonialer Eroberung“. Es sei nicht an Europa zu bestimmen, wie Botswana seinen Artenschutz finanziert.
Auch dieser Punkt blieb in der europäischen Presse ziemlich unreflektiert. Kaum ein Bericht machte sich die Mühe, neben Masisi noch eine andere Person aus einer ehemaligen Kolonie nach ihrer Einschätzung zu fragen. Dabei hat sich zum Beispiel der kenianische Ökologe Mordecai Ogada, der in das Lamm bereits den Zürcher Zoo kritisierte, schon vor Jahren zum Zusammenhang von Trophäenjagd und Kolonialismus geäussert.
„Alles, was mit der Jagd in Afrika zu tun hat, basiert auf White Supremacy“, schreibt mir Dr. Ogada. „Dazu gehört auch ein Präsident, der darüber jammert, dass Weisse nicht mehr vorbeikommen und seine Elefanten töten wollen.“ Es sei Masisi, der hier das kolonialistische Denken fördere.
Und was rät er europäischen Ländern – sollen sie Jagdtrophäen importieren oder nicht? „Es ist völlig egal, was sie tun, solange sie über unsere Artenschutzpolitik und ‑praxis in Afrika den Mund halten.“
Auch die Schweiz erlaubt Importe
Da legt Dr. Ogada den Finger genau in die Wunde. Denn wenn Europäer*innen über den Import von Jagdtrophäen diskutieren, sprechen sie tatsächlich meistens darüber, welche Auswirkungen er im Ursprungsland hat. Als ob man den Artenschutz über den Kopf der dortigen Regierung und Bevölkerung hinweg regeln könnte.
Das ist auch in der Schweiz nicht anders. In parlamentarischen Vorstössen, die Jagdtrophäen verbieten oder strenger regulieren wollen (etwa hier, hier und hier), dreht sich die Argumentation darum, wie sich die Trophäenjagd vor Ort auswirkt. Der Bundesrat sagt dann jeweils, dass solche Angelegenheiten besser international geregelt werden.
Doch man könnte auch anders argumentieren. Zum Vergleich: In der Schweiz gibt es bald ein Pelz-Importverbot. Aber nicht, weil wir uns einbilden, dadurch die Tierquälerei der finnischen oder chinesischen Pelzindustrie zu beenden. Der Grund ist vielmehr schweizbezogen: Wir wollen einfach nicht, dass etwas importiert wird, dessen Herstellung bei uns zu Recht verboten ist. So argumentierte zum Beispiel Nationalrat Matthias Aebischer (SP).
Man könnte Jagdtrophäen also auch verbieten, weil wir es nicht dulden wollen, dass unsere Reichen in den Süden fliegen, um sich dort einen Spass aus Tierquälerei zu machen. Das ist in erster Linie inländische Politik und völlig berechtigt.
Ergeben sich für Botswana dadurch ernsthafte Einbussen, sollte die Schweiz und die internationale Gemeinschaft mehr Unterstützung leisten. Denn wären uns die Elefanten wirklich wichtig, würden wir Botswana so unterstützen, dass eine friedliche Koexistenz der Spezies möglich ist. Und nicht nur genug, um vermeintlich überzählige Elefanten abzuknallen.
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