Vom Bunker zur Massenunterkunft

Der Kanton Luzern geriet in den letzten Monaten wegen der Unter­brin­gung von Geflüch­teten wieder­holt in die Schlag­zeilen. Der Fall einer ukrai­ni­schen Familie zeigt auf, welche Folgen die Versäum­nisse der Behörden haben. 
Der Kanton Luzern gilt in Bezug auf Unterbringung von Geflüchteten als Negativbeispiel. (Illustration: Luca Schenardi)

Diese Publi­ka­tion erschien zuerst im 041 — das Kultur­ma­gazin (Ausgabe 04/2023).

In zügigen Schritten eilt Marina Doro­schenko vom Bahnhof Entle­buch den Hügel hoch. Obwohl die Sonne scheint, ist es beis­send kalt an diesem Nach­mittag Anfang Februar. „Es gefällt uns hier“, sagt sie. Auch wenn das Leben im Dorf ein scharfer Kontrast ist zu jenem, das die Familie in der ostukrai­ni­schen Stadt Charkiw geführt hatte.

Über ein Jahr ist nun vergangen, seit Russ­land seinen Krieg gegen die Ukraine begann. Charkiw war eine jener Städte, die in den ersten Wochen massiv ange­griffen wurden. Zwei Wochen verbrachten Marina, ihr Mann Igor und ihre Kinder im Bunker. Danach flohen sie erst in den Westen der Ukraine, einen Monat später in die Schweiz. Es sei einfach zu schwierig geworden, sagt Marina Doro­schenko auf dem Weg zu dem Haus, wo sie inzwi­schen leben. „Vor allem für unsere Kinder.“

Ihre rich­tigen Namen wollen sie für sich behalten. Marina, Igor und ihre Kinder gehören zu den 70’000 Ukrainer*innen, die seit Beginn des Kriegs in die Schweiz kamen. So viele Geflüch­tete erreichten die Schweiz zuletzt während der Balkan-Kriege in den 1990er-Jahren. Die hohe Anzahl stellte Bund und Kantone vor eine Heraus­for­de­rung: Innert kurzer Zeit mussten sie tausende Menschen unterbringen.

Nicht alle gingen dabei den glei­chen Weg. Während an manchen Orten, wie etwa im Kanton Zug, vor allem die Unter­brin­gung bei Privaten geför­dert wurde, setzte der Kanton Luzern für die Ange­kom­menen auf Massen­un­ter­künfte. In einem zweiten Schritt sollten die 2’700 Geflüch­teten, die bis Ende Jahr in den Kanton kamen, dann auf die Gemeinden weiter verteilt werden.

Diese Stra­tegie wurde im letzten Jahr immer wieder kriti­siert, sowohl von linken Politiker*innen wie auch von vielen, die frei­willig oder profes­sio­nell Geflüch­tete unter­stützen. Der Kanton würde sich neben der Unter­brin­gung zu wenig auf die psychi­schen, sozialen und wirt­schaft­li­chen Bedürf­nisse der Geflüch­teten kümmern. Er arbeite kaum mit der Zivil­ge­sell­schaft zusammen, obwohl dort viele bereit waren zu helfen.

Schliess­lich kam es zu Berichten über Miss­stände in den Unter­künften, und ein paar Geflüch­tete, unter ihnen auch die Familie Doro­schenko, reichten Ende Januar eine Klage gegen den Kanton aufgrund zu tiefer Sozi­al­hilfe ein.

Die Geschichte über die ukrai­ni­schen Geflüch­teten im Kanton Luzern erzählt von der Heraus­for­de­rung, in kurzer Zeit sehr viele Menschen unter­bringen zu müssen – und darüber, was schief­laufen kann, wenn eine Behörde selbst in einer Krisen­si­tua­tion an ihren alten Rezepten fest­hält. Die Gespräche mit Betrof­fenen und Helfer*innen zeigen auf, was es gebraucht hätte, um Fehler zu vermeiden und wie die Unter­brin­gung der Geflüch­teten dadurch humaner geworden wäre.

Wer zu spät kommt, kriegt eine Strafe

Das Haus, in dem die Familie Doro­schenko heute lebt, liegt an der Haupt­strasse, die sich durch Entle­buch hoch zum Glau­ben­berg­pass zieht. Eine Holz­treppe führt in den ober­sten Stock: Spann­tep­pich, eine ältere Küche. Das Bade­zimmer liegt ausser­halb der Wohnung, am anderen Ende des Flurs. Im hinteren Zimmer stehen zwei Kisten mit Stoff­tieren und Spiel­sa­chen, im Wohn­zimmer ein paar Bilder­bü­cher. Anson­sten hat die Familie kaum persön­liche Gegenstände.

Seit Anfang Dezember 2022 lebt die Familie hier, der Umzug war eine Erleich­te­rung. Davor hatten sie in einem neun Quadrat­meter grossen Zimmer in einer Massen­un­ter­kunft im ehema­ligen Kloster St. Urban gelebt. „Es hiess am Anfang, es sei nur temporär“, sagt Marina Doro­schenko. Schliess­lich wurden daraus acht Monate.

Die Unter­kunft in St. Urban ist eine von neun tempo­rären Unter­künften, welche die Dienst­stelle für Asyl- und Flücht­lings­wesen (DAF) des Kantons für die Unter­brin­gung der Ukrainer*innen eröffnet hatte: in einer Genos­sen­schaft, in einem Hotel, in einem ehema­ligen Alters­heim. Die Massen­un­ter­künfte sollen den vielen Ankom­menden ein Dach über dem Kopf bieten, bevor sie auf die Gemeinden verteilt werden. Doch viele Gemeinden schafften es nicht, im Laufe des Jahres die vom Kanton gefor­derte Anzahl Plätze zur Verfü­gung zu stellen. Im November rief die Luzerner Regie­rung den Notstand im Asyl­wesen aus.

In den ersten paar Wochen in St. Urban hätten sie sich wohl gefühlt, sagt Igor Doro­schenko. Die Familie war froh, ein Dach über dem Kopf zu haben, und hoffte, in einer betreuten Unter­kunft Hilfe bei Behör­den­gängen oder der Einschu­lung der Kinder zu erhalten. Doch mit der Zeit habe sich die Stim­mung in der Unter­kunft verän­dert. Immer mehr kam es zu Konflikten und Span­nungen zwischen Bewohner*innen und Betreuer*innen. Es ist ein Phänomen, das nicht auf St. Urban beschränkt war. In einer anderen Unter­kunft, in der Mari­en­burg in Wikon, schrieben im Sommer mehrere Bewohner*innen einen Brief an die DAF, in dem sie Macht­miss­brauch und Miss­stände durch die Betreuer*innen beklagten.

„Wir wollten nicht viel. Wir wollten nur in Sicher­heit leben, ohne ernied­rigt zu werden.“

Igor Doro­schenko

Es habe mit kleinen Dingen ange­fangen, erzählt Igor Doro­schenko. Da war etwa die Geschichte mit dem Bade­zimmer, das sich, neben jenen in den Zimmern, auf dem Stock der Familie befand. Am Anfang war es offen, so dass manche Bewohner*innen, vor allem jene mit Kindern, die Bade­wanne manchmal benutzten. Irgend­wann aber hätten die Betreuer*innen das Bad abge­schlossen. Die Begrün­dungen vari­ierten jedes Mal, wenn jemand nach dem Schlüssel fragte. Einmal hiess es, die Hausbesitzer*innen erlaubten die Benut­zung nicht. Dann hiess es, es gäbe ein Problem mit dem Wasserhahn.

Eine andere Episode, erzählt Igor Doro­schenko, war jene mit dem Spiel­platz für die Kinder. Weil es keinen Ort zum Spielen gab, schlugen ein paar Frei­wil­lige vor, die manchmal in die Unter­kunft kamen, beim einzigen über­dachten Bereich draussen eine Spiel­ecke einzu­richten. Doch die Betreuer*innen hätten dies nicht erlaubt. Ein paar Tage später, sagt Doro­schenko, hätten dort die Müll­tonnen gestanden. Manche Kinder hätten dennoch jeweils dort gespielt – neben Müll und Glas­scherben am Boden. Weil es der einzige Ort draussen war, an dem sie im Schatten waren.

Wenn die Bewohner*innen nach­fragten oder sich über die strengen Vorschriften beschwerten, hätten die Betreuer*innen neue, stren­gere Regeln erlassen. Zum Beispiel wurde die Anzahl Tage redu­ziert, welche die Geflüch­teten ausser­halb der Unter­kunft verbringen durften. „Am Ende waren es nicht mehr als zwei oder drei Tage.“ Dies, obwohl die ukrai­ni­schen Geflüch­teten mit dem Schutz­status S eine gültige Aufent­halts­er­laubnis in der Schweiz haben.

Im Früh­sommer hätten alle Bewohner*innen einen Vertrag unter­zeichnen müssen – mit der Drohung, dass eine Weige­rung den Raus­wurf zur Folge hätte. Das Doku­ment war nicht über­setzt. „Es listete alle Regeln auf und die finan­zi­ellen Sank­tionen, falls wir sie nicht befolgen“, erzählt Doro­schenko. Darunter etwa: Wer zu spät kommt, kriegt eine Strafe. Wer sich nicht an den Putz­plan hält, kriegt eine Strafe.

Unter den Regeln war auch aufge­li­stet, wie viel die Bewohner*innen von den Putz­ar­beiten über­nehmen sollten. Dabei wurden plötz­lich Dinge an sie dele­giert, die vorher von den Betreuer*innen über­nommen worden waren – etwa, dass sie die vollen Müll­tonnen auf die Strasse stellen mussten. Die Tonnen waren so schwer, dass Igor Doro­schenko sich einmal die Schulter ausrenkte und operiert werden musste.

„Wir haben kein Problem damit zu putzen“, sagt Marina Doro­schenko. „Wir wollen ja auch an einem sauberen Ort leben.“ Doch die vielen Regeln und vor allem die Art und Weise, wie sie durch­ge­setzt wurden, empfanden sie als unan­ge­nehm. „Wir wollten nicht viel. Wir wollten nur in Sicher­heit leben, ohne ernied­rigt zu werden“, fügt Igor an.

In der Unter­kunft in St. Urban müssen Kinder neben Müll­tonnen spielen, um im Schatten sein zu können. (Illu­stra­tion: Luca Schenardi)

Spar­kurs und Personalmangel

Im Kanton Luzern gibt es, anders als etwa in Basel oder Zürich, keine unab­hän­gige Beschwer­de­stelle für das Asyl­wesen. Wenn sich die Bewohner*innen der Unter­kunft bei der DAF beschweren wollten, fanden sie beim zustän­digen Büro nur einen Zettel an der Tür. Bewohner*innen der Massen­un­ter­künfte, die sich beschweren wollten, sollten sich an die Betreuer*innen in den Unter­künften wenden, hiess es da. An jene Leute also, um die es in der Beschwerde ging.

Wie aber konnte sich die Situa­tion in den Unter­künften so zuspitzen?

Ein Teil der Antwort liegt darin, wie die Unter­brin­gung der Geflüch­teten derzeit orga­ni­siert ist. Seit sechs Jahren macht der Kanton Luzern dies selbst. Das ist unge­wöhn­lich: Viele andere Kantone arbeiten dafür mit externen Orga­ni­sa­tionen zusammen. Auch in Luzern hatte dies früher dreissig Jahre lang die Caritas gemacht. Doch auf Ende 2016 endete der Vertrag des Kantons mit dem Hilfs­werk. Der Kanton habe die Abgel­tung für die Arbeit in einem Masse redu­zieren wollen, dass die Weiter­füh­rung für die Caritas nicht mehr möglich war, teilte das Hilfs­werk damals mit. Für die Caritas war der Verlust des Auftrags einschnei­dend: Er bedeu­tete vierzig Prozent weniger Umsatz.

Der Kanton hoffte offenbar, so weit wie möglich Kosten sparen zu können. Doch diese Stra­tegie schien späte­stens im Krisen­jahr 2022 nicht mehr aufzugehen.

„Der Kanton behan­delt die Unter­brin­gung von Geflüch­teten als tech­ni­sches Problem, das man mit genü­gend Betten lösen kann“, sagt der grüne Kantonsrat Urban Frye. „Wenn es Probleme gibt, versucht er, sie mit Druck zu lösen.“ Das zeige sich in den Unter­künften an den strengen Regeln, die in Form von Zetteln aufge­hängt wurden. Stets mit der Drohung, bei einer Verlet­zung der Regeln werde das Geld gekürzt.

Ein anderes – vermut­lich gravie­ren­deres – Problem ist der Mangel an quali­fi­ziertem Personal. In einer Situa­tion wie 2022, als plötz­lich zehn­tau­sende Geflüch­tete in die Schweiz kamen, wird Personal zur Hypo­thek. Die Betreuer*innen in den tempo­rären Unter­künften, kriti­siert Frye, seien kaum darauf vorbe­reitet gewesen, mit den Geflüch­teten und den teil­weise trau­ma­ti­sierten Menschen umzugehen. 

Viele von ihnen hätten zuvor beim Corona-Contact-Tracing gear­beitet und seien dann ohne genü­gend Vorbe­rei­tung in den Unter­künften einge­setzt worden. Als Alter­na­tive, schlägt Frye vor, hätte der Kanton mit der Hoch­schule Luzern zusam­men­ar­beiten können, etwa indem Student*innen in sozialer Arbeit spezi­fisch geschult und dann als Betreuer*innen in den Unter­künften einge­setzt worden wären. Kurz: Krea­tive Lösungen suchen und mit zivil­ge­sell­schaft­li­chen Orga­ni­sa­tionen zusam­men­ar­beiten, ange­sichts der grossen Heraus­for­de­rung, dass sehr viel mehr Geflüch­tete ankamen als in anderen Jahren.

Der Mangel an ausge­bil­detem Personal sei schon seit Jahren ein Problem, sagt Nicola Neider, Seel­sor­gerin bei der katho­li­schen Kirche der Stadt Luzern. „Sie sind froh um jeden, der kommt“, sagt sie. „Das sind selten ausge­bil­dete Leute, sondern solche, die anpacken wollen. Da hat man mal mehr Glück und mal weniger.“ Der Kanton, sagt sie, müsse bedeu­tend mehr eigene Mittel in die Hand nehmen, um die Unter­brin­gung und Betreuung der Geflüch­teten zu verbessern.

„Es findet null Austausch statt. Der Kanton weigert sich, Ange­bote von Leuten anzu­nehmen, die etwas auf die Beine stellen wollen.“

Urban Frye

Anders als die Caritas verfügt der Kanton nicht über ein breites Netz­werk von Frei­wil­ligen, die sich enga­gieren möchten. Ausserdem, meint Caritas-Spre­cher Reto Stalder, mache der Kanton Luzern in der Regel nicht mehr als das, was vom Bund vorge­geben sei. Stalder betont, dass das Hilfs­werk heute gut mit dem Kanton zusam­men­ar­beite. Dennoch sieht er Heraus­for­de­rungen; etwa bei der Inte­gra­tion der Ukrainer*innen in den Arbeits­markt. Dies hänge vor allem mit dem unsi­cheren Status S zusammen, bei dem nicht klar sei, wie lange dieser verlän­gert werden würde. Doch die Kantone hätten hier Spiel­raum, die Inte­gra­tion in den Arbeits­markt zu fördern, sagt Stalder – sie müssten ihn nur ausnutzen.

Mit dem Krieg gegen die Ukraine hatten im vergan­genen Jahr viele Menschen das Bedürfnis zu helfen. Doch der Kanton habe es verpasst, diese Bereit­schaft zu nutzen und die Frei­wil­ligen und zivil­ge­sell­schaft­li­chen Orga­ni­sa­tionen in die Arbeit einzu­be­ziehen. Grünen-Kantonsrat Frye hat das selbst immer wieder erlebt. Er hat in den Wohn­häu­sern für Studie­rende, die er betreut, fast vierzig Kunst- und Musik­stu­die­rende aufge­nommen und in einem der Häuser mit Ljuba Sumi­lina das Kultur­zen­trum ‚Prostir‘ gegründet. Inzwi­schen haben sich mehr als 700 geflüch­tete Personen mit ihren Kindern bei Prostir registriert.

Damit tue er das, was der Kanton versäumt habe, sagt Frye: auf die Bedürf­nisse der Menschen einzu­gehen, Programme zu initi­ieren oder psycho­so­ziale Betreuung zu orga­ni­sieren. „Es findet null Austausch statt. Der Kanton weigert sich, Ange­bote von Leuten anzu­nehmen, die etwas auf die Beine stellen wollen.“

Auch Kevin Schmidli vom Solinetz hat immer wieder erlebt, wie Ange­bote von Frei­wil­ligen beim Kanton ins Leere liefen. Zum Beispiel breche oft der Kontakt zwischen Frei­wil­ligen und Geflüch­teten ab, nachdem Letz­tere von den Unter­brin­gungs­zen­tren auf die Gemeinden weiter­ver­teilt worden sind. Die Frei­wil­ligen würden nicht über den Umzug informiert.

Marina und Igor erzählen wiederum, dass eine Gruppe von Frei­wil­ligen jeden Freitag Lebens­mittel vorbei­ge­bracht hätte. Doch manchmal seien sie von den Betreuer*innen daran gehin­dert worden – mit der Begrün­dung, dass die Bewohner*innen Geld für Essen erhielten und daher keine zusätz­li­chen Hilfs­lei­stungen erhalten sollten. Die Situa­tion kennt auch die Seel­sor­gerin Nicola Neider, die sich in solchen Fällen oft als Media­torin versteht zwischen Behörden, Frei­wil­ligen und Geflüch­teten. „Natür­lich stützt sich der Kanton immer auf die gesetz­li­chen Grund­lagen“, sagt Neider. „Aller­dings gibt es in der Kommu­ni­ka­tion mit Frei­wil­ligen und Geflüch­teten Luft nach oben.“

Weit­rei­chende Missstände

Das Problem ist nicht auf die ukrai­ni­schen Geflüch­teten beschränkt. Aller­dings ist die Situa­tion der Ukrainer*innen nur begrenzt vergleichbar mit der von Asyl­su­chenden aus anderen Ländern. Diese blieben bis zum Abschluss des Asyl­ver­fah­rens in einem Bundes­asyl­zen­trum – in der Zentral­schweiz etwa auf dem Glau­ben­berg. Dort sind die Zustände weitaus schlimmer als in den tempo­rären Unter­künften der Ukrainer*innen. Menschen leben bis zum Abschluss ihres Asyl­ver­fah­rens mit 24 Leuten in einem Zimmer: Fami­lien, Frauen und Männer aus allen Ländern.

Für jene, die einen posi­tiven Asyl­ent­scheid erhalten, würde es danach einfa­cher. Oft kommen sie nur kurz in eine Massen­un­ter­kunft im Kanton, wo sie bereits anfangen können, Deutsch zu lernen. Dann wech­seln sie über in eine Gemeinde. 

Anders sieht es für jene aus, die einen nega­tiven Asyl­ent­scheid erhalten: Sie leben von da an in Nothil­fe­un­ter­künften, die oft abge­legen sind, und erhalten so wenig Geld pro Tag, dass es kaum reicht, mit dem Bus irgend­wohin zu fahren. Bis vor einem Jahr, als in Luzern die Nothil­fe­un­ter­künfte noch von der Stadt orga­ni­siert wurden, hätte diese den Bewohner*innen ab und zu ein Monatsabo bezahlt, sagt Kevin Schmidli, der sich in einer Besuchs­gruppe in den Notun­ter­künften enga­giert. Doch: „Das macht der Kanton nicht mehr.“

Auch sonst sei die Situa­tion in den Unter­künften sehr schwierig. „Wenn die Heizung aussteigt, dauert es oft Tage oder Wochen, bis sie repa­riert wird“, sagt Schmidli. In einem Fall sei der Kanton erst aktiv geworden, als sich Frei­wil­lige von der Besuchs­gruppe einschalteten.

Mit der mehr­fa­chen Kritik wurde im Zuge dieser Recherche auch das DAF konfron­tiert. Eine Antwort von der zustän­digen Stelle blieb leider aus.

Im Dezember 2022 erhielt die Familie Doro­schenko endlich den Bescheid, dass sie in das Haus in Entle­buch umziehen konnte. Der Umzug fiel genau auf jenen Tag, an dem Igor seine Opera­tion an der Schulter hatte. Selbst hier hielten die Betreuer*innen der Unter­kunft an den Regeln fest: Um acht Uhr morgens musste das Zimmer geräumt sein.


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