„Fortschritt heisst Vernetzung. Und Vernetzung heisst 5G.“
Mit diesem Mantra befeuert die Swisscom den Ausbau des Mobilfunknetztes der fünften Generation: höhere Downloadgeschwindigkeiten, kürzere Reaktionszeiten, eine erhöhte Datenkapazität und eine gesteigerte Energieeffizienz dank 5G. Dieser Ausbau führe zu einer Fülle an Möglichkeiten der technologischen Innovation, so die Hoffnung.
4K-Videos ruckelfrei zu streamen, ist zwar ganz nett. Der Ausbau der 5G-Infrastruktur wird aber vor allem für die zahlreichen industriellen Anwendungen vorangetrieben. Das Internet of Things, selbstfahrende Fahrzeuge und Augmented Reality sind Anwendungen mit enormem wirtschaftlichem Potenzial. Die jetzige Mobilfunkgeneration 4G hat Geschäftsmodelle wie Uber oder Spotify erst möglich gemacht. Das Internet of Things eröffnet noch einmal neue Möglichkeiten: von Smart Home mit intelligenten Gegenständen im Haushalt bis zu Smart Cities, in denen Verkehr, Kommunikation und andere Systeme vernetzt werden können.
Von Aluhüten und Elektrosensiblen
Opposition gegen den geplanten Ausbau der 5G-Infrastruktur kommt vor allem aus einer Ecke: Strahlengegner*innen und Elektrosmog-Sensible fürchten sich vor der erhöhten Strahlenbelastung der neuen Technologie. Deren gesundheitlichen Risiken seien noch nicht vollständig geklärt. Verfechter*innen des technologischen Fortschritts hingegen wittern hier eine Verschwörungstheorie und offerieren den Gegner*innen Aluhüte.
Zeit, sich der Hysterie zu entledigen. Was in der Debatte um den Ausbau der digitalen Infrastruktur fehlt, sind nüchterne Überlegungen jenseits der Strahlenthematik: Welche Vor- und Nachteile bringt die Entwicklung? Vier Anstösse für eine kritische Sicht:
1. Effizientere Geräte führen nicht unbedingt zu weniger Energieverbrauch
Befürworter*innen des 5G-Ausbaus sehen in der Technologie die Möglichkeit, Infrastrukturen intelligent zu vernetzen. Dies generiere ein hohes Energieeffizienzpotenzial und führe damit zu einer Reduktion von CO2-Emissionen. „Mit 5G kann der Energieverbrauch je übertragenem Bit um den Faktor Tausend gesenkt werden, das Netz wird nachhaltiger und günstiger im Betrieb“, schreibt die Swisscom auf ihrer Webseite.
Diese Argumentation greift aber zu kurz. Grund dafür ist der Rebound-Effekt. Dieser besagt, dass eine erhöhte Energieeffizienz nicht zu Einsparungen, sondern zu Mehrnachfrage führt. Im schlimmsten Fall heisst mehr Effizienz einen real erhöhten Energie- und Ressourcenverbrauch. Wie kommt das?
Die zunehmende Vernetzung durch das Internet of Things kann gemäss den Ökonomen Tilman Santarius und Steffen Lange gleich dreifach zu einem höheren Energieverbrauch führen. In ihrem Buch Smarte grüne Welt? führen sie die Gründe auf. Erstens verbrauchen die intelligenten Geräte mehr Energie, weil sie vernetzt sind und neue Schnittstellen brauchen. Zweitens müssen Datenströme der Geräte aufgezeichnet, gespeichert und übertragen werden, was zusätzliche Energie auf Servern und für die Übertragung benötigt. Und drittens werden die sich beschleunigenden Innovationszyklen die Entwicklung von neueren Geräten befeuern – und damit den Ressourcenverbrauch erhöhen.
Effizienz allein sei also nicht die Lösung für das Energieproblem. Wenn zukünftig alle Kühlschränke mit Kaffeemaschinen kommunizieren können müssen, dann werde die Herausforderung, die Energieversorgung mit erneuerbaren Energien sicherzustellen, nicht kleiner, schreiben Sartorius und Lange.
2. Sprechende Toaster und denkende Kühlschränke: über Sinn und Unsinn von 5G
In der Debatte um Strahlenwerte und Aluhüte kommt eine entscheidende Frage zu kurz: Was bringt der 5G-Ausbau eigentlich konkret? Welche heute bestehenden Probleme löst er?
Der deutsche Populärphilosoph Richard David Precht stellt in seinem Buch Jäger, Hirten, Kritiker die provokative Frage, ob die Digitalisierungsinnovationen aus dem Silicon Valley überhaupt je Probleme gelöst hätten, die es vorhin schon gab. Man muss Precht nicht mögen. Es tut uns jedoch sicherlich gut festzustellen, dass digitale Innovationen allein nicht alle bestehenden Probleme des 21. Jahrhunderts lösen werden.
In der Diskussion um 5G ist es daher durchaus legitim zu fragen, ob wir alle selbstfahrende Autos, Alexa als Gesprächspartnerin und einen denkenden Kühlschrank brauchen. Und ob diese Gadgets unser Leben und unsere Gesellschaft wirklich besser machen. Dies als wohltuende Alternative zum teilweise sektiererisch anmutenden Geschrei nach Digitalisierung, Innovation und Disruption der Silicon-Valley-Päpste.
3. Die alte Machtfrage: Wer profitiert von der Digitalisierung?
Spätestens seit Roger Federer an gefühlt jedem Bahnhof für 5G wirbt, weiss man: Die Schweizer Telekomanbieter wollen den Ausbau schnell vorantreiben. Das Internet of Things, Augmented Reality und selbstfahrende Autos sind schliesslich ein sich öffnender Milliardenmarkt für die Internet- und Technologiefirmen.
Einst gab es die romantische Idee einer demokratischen digitalen Ordnung: Die Produktionsverhältnisse würden demokratisiert, das Netz bringe alle näher zusammen, dank BigData, Algorithmen und der Sharing Economy würden die Probleme der Menschheit gelöst.
Diese Sichtweise ist längst Geschichte. Die Technologieunternehmen im Silicon Valley haben sich das Feld unter den Nagel gerissen. Im Valley, dem Tal des libertären, weissen, technophilen Mannes, gelten die eisernen Gesetze des freien Markts. Wer nicht mitkommt, ist schwach – und gehört eliminiert.
Digitalisierung und Vernetzung haben nicht zur erhofften Demokratisierung der Welt geführt, sondern im Gegenteil zu perverser Machtkonzentration in den Händen von einigen wenigen Grosskonzernen. Dies wird sich mit der Einführung von 5G noch weiter verstärken.
4. Mehr Datenaufzeichnung heisst mehr Überwachung
Wenn das Internet of Things mehr Geräte miteinander vernetzt, werden automatisch viel mehr Daten erhoben. Dies ist in zweierlei Hinsicht problematisch. Erstens können die neuen Daten benutzt werden, um Benutzer*innenprofile zu perfektionieren und die nächsten Produkte noch besser auf die Konsument*innen anzupassen. Damit steigen der Konsum, der Profit der Digitalbranche und schliesslich auch der Ressourcen- und Energieverbrauch.
Zweitens ist die erwartete Datenflut auch demokratiepolitisch kritisch zu hinterfragen. Die Möglichkeiten für Überwachung und Kontrolle nehmen mit dem Ausbau zu. An der letzten SXSW-Konferenz meinte Amy Webb, Gründerin des Future Today Institute, dass wir uns mit dem Ende der Privatsphäre abfinden müssten. Diese Entwicklung sei sowieso nicht zu verhindern.
Die Privatsphäre und damit die Unterscheidung zwischen öffentlich und privat ist jedoch zentral und unbedingt notwendig für Rechtsstaat und Demokratie. Oder in den Worten des Soziologen Harald Welzer: „Der politische Bürger braucht die Sicherheit der Privatsphäre, damit er in der Öffentlichkeit auftreten kann.“
Wie viel Digitalisierung wollen wir als Gesellschaft?
Die Debatte um 5G ist verhärtet. Sie ist geprägt von gegenseitigen Vorwürfen und Verschwörungstheorien. Dabei würde das Thema eine gute Gelegenheit bieten, sich über Grundsatzfragen der Digitalisierung auszutauschen.
Diesen Dialog müssen wir in der Schweiz führen. Die Antwort auf die Frage, wie viel Digitalisierung wir wollen, wird nicht im Silicon Valley oder in Shenzhen entschieden, sondern in Sion und Schaffhausen.
„Die Digitalisierung wird sowieso kommen, man kann nichts dagegen tun.“ Das oft gehörte Argument hilft nicht weiter. Die Frage, in welcher Gesellschaft man leben möchte, beantwortet nach wie vor die Gesellschaft selbst.
Die Digitalisierung kann sicherlich viel Positives bewirken. Der einzige Schlüssel und die Lösung der Probleme dieser Welt ist sie jedoch nicht.
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