Die Tech­no­logie des Silicon Valley verbindet – seine Ideo­logen wollen aber trennen

Lange herrschte die Meinung vor, das Silicon Valley sei nicht nur ein tech­no­lo­gisch, sondern auch gesell­schaft­lich fort­schritt­li­cher Ort. Die relativ kleine neo-reak­tio­näre Bewe­gung bringt diese Gewiss­heit immer stärker ins Wanken – auch wegen ihrer Verbin­dungen zur Neuen Rechten in Europa. 
Symbolbild (Foto: Maxim Hopman / Unsplash)

Als sich am 14. Dezember 2016 die Vertre­te­rInnen der Tech­no­lo­gie­branche mit dem frisch gewählten US-Präsi­denten Donald J. Trump trafen, sass der finanz­starke Inve­stor Peter Thiel direkt neben ihm. Das Treffen hatte Trump einbe­rufen, um sein schwie­riges Verhältnis mit den Unter­neh­me­rInnen aus dem Silicon Valley zu klären. Wie eine Studie der Stan­ford Graduate School of Busi­ness sugge­rierte, seien Vertre­te­rInnen des kali­for­ni­schen Erfin­der­tals ausge­prägt gesell­schafts­li­beral, anti-auto­ritär und kosmo­po­li­tisch – alles Attri­bute, die sich mit der Politik von Trump beissen. So war es wenig über­ra­schend, dass die eben­falls anwe­senden Sheryl Sand­berg und Jeff Bezos Trump äusserst kritisch begegneten.

In diese Kritik mochte Trumps Sitz­nachbar Thiel nicht einstimmen. Der Mitgründer des Zahlungs­dien­stes PayPal und dienst­äl­te­stes Mitglied des Verwal­tungs­rates von Face­book (neben Mark Zucker­berg) war ein laut­starker Befür­worter von Trump im Wahl­kampf. Das erste Mal gespro­chen habe er mit Trump nach seiner Rede am Natio­nalen Repu­bli­ka­ni­schen Kongress in Cleve­land, der Heimat­stadt von Thiel. Trump sei auf ihn zuge­kommen und habe ihm als Dank für die Rede seine lebens­lange Freund­schaft zuge­si­chert. Im Gegenzug unter­stützte Thiel Trumps Wahl­kampf mit stolzen 1,25 Millionen US-Dollar. Dementspre­chend froh­lockte der 50-jährige Inve­stor dann in einem Inter­view mit der New York Times, Trump habe am Treffen mit der Tech­no­lo­gie­branche ein phäno­me­nales Verständnis für Menschen gezeigt und sei sehr charis­ma­tisch gewesen.

Thiel sieht sich selbst als Liber­tären und ist wie Trump ein Lieb­ling der nazi­sti­schen Alt-Right-Bewe­gung. Viel­leicht liegt das daran, dass er 2009 in einem Blog­post schrieb, er glaube nicht mehr länger, Demo­kratie und Frei­heit seien mitein­ander kompa­tibel. Viel­leicht fanden die noto­risch sexi­sti­schen Alt-Right-Leute aber auch seine frau­en­feind­li­chen Aussagen anspre­chend, wonach gewisse Verge­wal­ti­gungen auf ameri­ka­ni­schen Univer­si­täts­ge­länden ledig­lich Verfüh­rungen waren, die später von den betref­fenden Frauen bereut wurden. Aber viel­leicht liegt es auch daran, dass Thiel in Startups wie Urbit investiert.

Urbit wurde von Curtis Yarvin gegründet, der unter seinem Alter Ego „Mencius Moldbug“ als einer der theo­re­ti­schen Vordenker der Dark-Enligh­ten­ment-Bewe­gung wirkt. Zusammen mit dem briti­schen Philo­so­phen Nick Land liefert er das theo­re­ti­sche Gerüst für diese neo-faschi­sti­sche Philo­so­phie, welche ein Binde­glied zwischen Alt-Right-Leuten, liber­tären Silicon-Valley-Inve­sto­rInnen und Neu-Rechten in Europa bildet. Sie propa­giert den Traum von einem monar­chi­sti­schen Turbo­ka­pi­ta­lismus, der Egali­ta­rismus und Libe­ra­lismus ablehnt – und die Demo­kratie verachtet. Damit dieser Zustand aber erreicht werden kann, muss zuerst „die Kathe­drale“ zerstört werden.

Weg von libe­ralen Werten

Die Kathe­drale – anti­se­mi­tisch grun­diert auch Synagoge genannt – besteht für Yarvin und Land aus denje­nigen Jour­na­li­stInnen, Lehre­rInnen, Wirt­schafts­füh­re­rInnen und Poli­ti­ke­rInnen, die der Gesell­schaft angeb­lich vorschreiben, wie sie zu denken hat. Sie ist also keine Insti­tu­tion wie ihr katho­li­scher Namens­geber, samt pompösem Bau, Ange­stellten und Finanz­ver­wal­tung. Viel­mehr handle es sich bei ihr um ein Netz von Denk- und Sprech­ver­boten, das von soge­nannten „Snow­flakes” (also Frauen resp. ethni­schen oder sexu­ellen Mino­ri­täten) errichtet worden sei. Die Kathe­drale ist die meta­pho­ri­sche Ausge­stal­tung eines altbe­kannten Vorwurfs: Femi­ni­stInnen, links-libe­rale Vega­ne­rInnen und Gläu­bige der Multi-Kulti-Lüge (sic!) zensu­rierten die freie Meinungs­äus­se­rung. Es ist die Verschmel­zung von Lügen­presse und Gutmen­schentum. Von Fake News und Poli­tical Correctness.

In libe­ralen Demo­kra­tien wird die Meinungs­äus­se­rungs­frei­heit oft als Fort­schritt hoch­ge­halten. Für die Vertre­te­rInnen der Dark-Enligh­ten­ment-Bewe­gung (auch: NRx für Neo-Reak­tio­näre) ist sie ledig­lich ein Schat­ten­boxen. Kritik am System werde nur dann akzep­tiert, wenn sie inner­halb der Vorgaben der Kathe­drale geäus­sert wird. Linke Kritik an der Polizei wegen Racial Profiling sei beispiels­weise akzep­tiert, denn: Was hier gefor­dert wird, ist mehr Egali­ta­rismus, mehr Rechte für Minder­heiten – also genau die libe­ralen Werte, welche die Kathe­drale so vehe­ment vertritt. Wer hingegen eine Meinung vertrete, die den Vertre­te­rInnen der Kathe­drale wider­strebe – etwa, dass ethni­sche Diver­sität zu Krieg führt – verliere seinen Job und werde öffent­lich geächtet. Hilfe von „Social Justice Warriors“ sei sicher­lich keine zu erwarten.

Monar­chi­sti­scher Turbokapitalismus

Ihre Ableh­nung der Demo­kratie unter­legen die Neo-Reak­tio­nären mit empi­ri­schen Daten: Libe­rale Demo­kra­tien hätten histo­risch hohe Suizid- und Krimi­na­li­täts­raten sowie eine tiefere Zufrie­den­heit in der Bevöl­ke­rung. Dass diese Stati­stiken nur zum Teil stimmen und nicht die ganze Geschichte erzählen, ist für die Neo-Reak­tio­nären egal. Wer ihre Grund­prä­misse glaubt, dass libe­rale Grund­werte ledig­lich ein Dogma seien, wird wohl auch ihrem Schluss auf die einfachste Erklä­rung folgen: Die Demo­kratie ist inef­fi­zient und defekt.

Auf der anderen Seite akzep­tieren sie nur ein objek­tives Krite­rium für Fort­schritt: tech­ni­sche Verbes­se­rung. Dieser Ableh­nung der libe­ralen Gesell­schafts­ord­nung steht ein unbän­diger Glaube in den tech­no­lo­gi­schen Fort­schritt gegen­über. Früher musste man Kohle mit Spitz­hacke und Schaufel unter prekären Bedin­gungen ausgraben. Heute über­nehmen das gigan­ti­sche Schau­fel­rad­bagger. Julius Evola und Carl Schmitt, zwei philo­so­phi­sche Säulen­hei­lige der Neo-Reak­tio­nären, mussten ihre anti-libe­ralen Gedanken zuerst in den Buch­druck geben, bevor ihre Theo­rien poli­ti­sches Gewicht bekamen. Heute reicht ein Blog­spot-Account oder ein Tweet, um eine ungleich grös­sere Reich­weite zu gene­rieren. Menschen­rechte und Sozi­al­staat – durch­ge­setzt von der Kathe­drale – würden diesen Fort­schritt bremsen. Deshalb sollte man sich auf die effi­zi­en­teste Orga­ni­sa­ti­ons­form zurück­be­sinnen: die Monar­chie.

Diese Regie­rungs­form orga­ni­siere Gesell­schaften nicht nur effi­zi­enter als die Demo­kratie, sondern begün­stige zugleich die Entfes­se­lung des Kapi­ta­lismus. An der Spitze dieser ‚schönen neuen Welt’ stehen gut ausge­bil­dete, weisse Wirt­schafts­führer (ohne ‑innen) wie Thiel. Dass die grossen Unter­nehmen des Silicon Valleys – Face­book, Google, Amazon – bereits wie tech­no­kra­ti­sche Monar­chien struk­tu­riert sind, zeigt, wer die Vorbilder von Yarvin und Co. sind. Durch diese Restruk­tu­rie­rung der Gesell­schaft sollen letzten Endes die Unter­schiede zwischen Arm und Reich vergrös­sert werden – bis zum dem Punkt, an dem arme und schwache Menschen ‚aussterben’. So also funk­tio­niert Sozi­al­dar­wi­nismus 2.0.

Philo­so­phi­sche Becken­rand­schwimmer im poli­ti­schen Mainstream

Die tech­no­philen Sozi­al­dar­wi­ni­sten, so fremd sie uns auch sein mögen, müssen uns deshalb inter­es­sieren, weil ihre schau­rige Ideo­logie auch in Europa und Asien einen Nähr­boden findet. So zum Beispiel bei Aleksandr Dugin, Vordenker der Neu-Eura­sier und wich­tiger Berater von Putin. Dugin vertritt einen ausge­prägten Ethno­na­tio­na­lismus, welcher die Welt in unver­söhn­liche Werte­sy­steme aufteilt. Eura­sien — ein geopo­li­ti­scher Raum, welchen er zwischen Dublin und Vladi­vo­stok aufspannt — brauche den atlan­ti­schen Libe­ra­lismus nicht.

Dugin verbreitet diese Ideo­logie über einen Video­pod­cast beim ultra-konser­va­tiven Think Tank Katheon, welcher neurechten AutorInnen wie Marine Le Pen vom fran­zö­si­schen Front National und Alt-Right-Anfüh­re­rInnen wie Richard Spencer für sich schreiben lässt. Präsi­dent der Denk­fa­brik ist Konstantin Malo­feev, der in der Vergan­gen­heit zusammen mit Dugin Tagungen für die Anfüh­re­rInnen der Neuen Rechten in Europa veran­staltet hat. Eine Partei, die sich gerne an solchen Veran­stal­tungen zeigt, ist die AfD. Und dass sie den libe­ralen Werten nicht gerade wohl­ge­sinnt ist, ist mitt­ler­weile bekannt.

Im Kampf gegen Gleich­heit, Menschen­rechte und die ganze frei­heit­liche Gesell­schaft zeigen die verschie­denen Strö­mungen der illi­beral-rechten Bewe­gung also eine poli­ti­sche Tugend, die heute oft zu fehlen scheint: Prag­ma­tismus. So lehnt Yarvin White Supra­macy nicht wegen des offen­sicht­li­chen Rassismus ab. Nein, weisser Natio­na­lismus sei abzu­lehnen, weil er wie die Demo­kratie ein inef­fi­zi­entes Mittel zur Errei­chung von Zielen der NRx-Bewe­gung ist. „Auch wenn ich kein Anhänger von White Supre­macy bin, sollte es offen­sicht­lich sein, dass ich nicht gerade aller­gisch auf diese Posi­tion bin“, so Yarvin in einem bereits zitierten Blog­post. Dass ihre Vorstel­lungen im Detail wider­sprüch­lich sind, ist den Vertre­te­rInnen der einzelnen Bewe­gungen egal – für die Ableh­nung der Aufklä­rung arbeiten sie noch so gerne zusammen.

Dieser Prag­ma­tismus erlaubt es den Antie­ga­li­tären, ein globales Netz­werk mit ihrem Gedan­kengut zu spannen. Die gemein­same Posi­tion ist nicht ein einheit­li­ches poli­ti­sches Programm, sondern eine grund­sätz­liche Ableh­nung der Aufklä­rung. Der Gleich­heit. Ein Gegen­pro­gramm zum Huma­nismus. Und dieses hat Strahl­kraft weit über die neo-reak­tio­nären Kreise hinaus.

Anklang auch bei Schweizer Libertären

Inwie­fern der tech­no­kra­ti­sche Sozi­al­dar­wi­nismus auch in der Schweiz ange­kommen ist, zeigte ein kürz­lich erschie­nenes WOZ-Inter­view. David Dürr, selbst­er­klärter Anar­cho­ka­pi­ta­list und Vater des FDP-Regie­rungs­rats Baschi Dürr, sagte dort, dass ohne Sozi­al­staat die Erfolg­reich­sten am meisten Kinder hätten. „Unter den gegen­wär­tigen Bedin­gungen ist die Situa­tion nicht mehr euge­nisch, das Menschen­ma­te­rial wird also nicht mehr besser, sondern eher schlechter.” David Dürr ist zwar kein Neo-Reak­tio­närer, aber seine Aussage könnte ohne Weiteres von „Mencius Moldbug” stammen.

Am offen­sicht­lich­sten wird die Verbin­dung zwischen Liber­tären und Neo-Reak­tio­nären in der Schweiz aber mit der Welt­woche. Am 24.08.2017 liess die Zeitung von Verleger und SVP-Natio­nalrat Roger Köppel James Deling­pole über den Abgang von Steve Bannon aus dem Weissen Haus schreiben. Deling­pole ist Jour­na­list beim publi­zi­sti­schen Arm der Alt-Right-Bewe­gung, Breit­bart News, und selbst­er­nannter „liber­tärer Konser­va­tiver” (Breit­bart bestreitet dieses Label). In den Lobge­sang von Deling­pole über den natio­na­li­sti­schen Bannon scheint nun die Welt­woche erneut einzu­stimmen. Am 6. März hielt Bannon auf Einla­dung der Welt­woche einen Vortrag in Zürich. In einem 5‑seitigen Inter­view in der Woche zuvor antwor­tete er auf die Frage, ob er schon Kontakte mit euro­päi­schen (rechten, Anm. d. Red.) Bewe­gungen geknüpft habe: „Ich komme in die Schweiz, um zu lernen. [...] Ich reise um die Welt, um aus erster Hand mehr von den Leuten dieser popu­li­sti­schen, dieser natio­na­li­sti­schen Bewe­gung zu erfahren.”

Warum Roger Köppel mit seiner Welt­woche einer frau­en­feind­li­chen, rassi­sti­schen und anti-frei­heit­li­chen Ideo­logie den Hof macht, bleibt sein persön­li­ches Geheimnis. Struk­tu­rell gesehen passt die Einla­dung aber durchaus ins Bild, das der neurechte Arm seiner Partei in den letzten Jahren immer stärker vermit­telt. Immerhin gilt die radikal liber­täre Frak­tion der SVP, wie sie im Umfeld des berüch­tigten Zürcher Flügels entstanden ist, schon länger als Vorbild und Wegbe­rei­terin der Neuen Rechten in Europa.

Das Netz­werk ist also aufge­spannt. Vom Silicon Valley zum Vorhof des Kremls, von den Neo-Reak­tio­nären über die Liber­tären und Anar­cho­ka­pi­ta­li­stInnen bis hin zu den Wort­füh­re­rInnen der euro­päi­schen Neuen Rechten. Und eben: auch in die Schweiz. Ob bürger­liche Parteien ihre Türen für eine dermassen anti-frei­heit­liche Ideo­logie öffnen, weil sie einver­standen sind, sei dahin­ge­stellt. Bis jetzt sind es (namhafte) Ausnahmen. Damit sie sich von Yarvin, Bannon und Co. abgrenzen können, müssen sie aber erklären, wie die Rechte der Menschen in einer markt­ra­di­kalen Welt mit Mini­mal­staat geschützt werden können. Anson­sten werden aus den Bürger­li­chen von heute schnell die Neo-Reak­tio­nären von morgen.


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