Stellen Sie sich vor: Ein Paar trifft sich in einer Bar. Er will mit ihr reden. Er sei irritiert. Sie solle sich aber keinen Kopf machen. Sie macht sich einen Kopf und schlägt eine Bar vor, in die nicht alle fünf Minuten jemand reinkommt, den sie kennen. Dann sitzen sie also in dieser Bar, im Hintergrund Liftmusik (keiner ihrer Freunde hat einen derart schlechten Musikgeschmack) und trinken eine Apfelschorle (es ist ernst!).
Er: Ich will mich von dir trennen.
Sie: Und ich will mich von dir trennen.
Dann verabschieden sie sich freundschaftlich zugewandt, sind wahnsinnig dankbar für die gemeinsame Zeit und wissen, dass die Entscheidung richtig ist. Sie werden ihren Freunden erzählen: „Wir haben uns getrennt, aber wir bleiben Freunde.“ Und dann werden sie sich irgendwann wieder treffen. Er wird sich zuerst melden, sie will sich noch etwas emanzipieren. Dann gehen sie zum Japaner, bei dem sie immer gerne waren, und erzählen sich dort aus ihren Leben mit dem Unterschied, dass am Ende jeder zu sich nach Hause geht.
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Kennen Sie dieses Szenario? Eben. Es gibt sie selten, diese Gleichzeitigkeit und den Satz „Wir haben uns getrennt“, den beide im gleichen Moment unterschreiben möchten. Es ist immer einer von beiden, der es macht. Auch wenn der andere erleichtert sein mag: Es ist doch ein Unterschied, ob man sich trennt oder ob man abgetrennt wird. Es gibt die wüste Trennung, die dem Tod nahe kommt:
- Jedes Lied im Radio wurde für mich geschrieben.
- Sie/er wird gestalkt (mehrmals täglich, auch ihre/seine Freunde werden gestalkt),
- das Bettlaken vakuumiert,
- ein Altar mit Geschenken, Fotos und Postkarten gebaut.
- Uferlos heulen (auf ihre/seine Mailbox, im Bus, an der Kasse und beim Quali-Gespräch mit dem Chef)
- Ausführlich über Rückeroberung nachdenken und besoffen die Rückeroberung auf ihrer/seiner Mailbox lallend ankündigen
- Fiese Beleidigungen in einer Sprachnachricht und die Rückeroberung wieder zurückziehen und
- am nächsten Morgen die reumütige SMS – auf die dann erst mal gar nichts zurück kommt.
Gottlob, nein, an so einer Trennung muss ich mich zum Glück gerade nicht abarbeiten, aber vor dem Ende hatte ich immer grossen Respekt, eigentlich während der ganze Beziehung. Finden Sie mich deswegen ängstlich? Neurotisch? Misstrauisch? Nun, immerhin kommt mir jetzt entgegen, dass es nicht noch eine Übergabe mit Kleidern und Persönlichem geben muss. Er hat nach 2,5 Jahren genau eine Trainerhose, ein T‑Shirt und eine angefangene Flasche Linsenmittel von mir bei sich.
Und weil es eben nicht die oben beschriebene wüste Trennung ist, muss ich auch nicht all seine Geschenke aus der Wohnung werfen, was wirklich schade wäre. Ich mag sie sehr, den Kaktus, den „Zermatt“-Kühlschrankmagnet, die Apple-Kopfhörer mit Leopardenprint, die Postkarte, das Geschirrtuch aus Leine mit einem Esel drauf, den Kugelschreiber mit der Gravur „N or a“ (or für golden, ha!) und den Wurst- und Gemüsehobel aus Holz.
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So, und nun schulde ich Ihnen noch etwas an Rahmenhandlung: Ich kam aus einer amour fou, er aus einer Scheidung. Was will man da erwarten. Niemand wollte den anderen verletzen und keiner wollte nochmals derart verletzt werden. Der Altersunterschied von achtzehn Jahren war nie ein Problem – intellektuelle Gespräche, schwere Rotweine, gutes Essen. Was freundschaftlich begann, verwandelte sich in eine Paarbeziehung, gerade langsam und vorsichtig genug, dass wir beide unsere Ängste etwas zur Seite schieben konnten und es dann auch richtig gut fanden, was wir zusammen hatten.
Und trotzdem waren wir in verschiedenen Lebensabschnitten, sei es in Bezug auf die Arbeit, die Auseinandersetzungen mit uns selbst oder die Wünsche und Vorstellungen an die Beziehung, die sich ja erst im Zusammensein hervortun.
Und so stritten wir uns öfter, er fühlte sich unter Druck gesetzt von meinen Wünschen wie „Lass uns für drei Tage wegfahren“ oder „Ich fände es schön, wenn du auch mal wieder bei mir übernachtest“. Und dann war es entweder immer sehr gut zwischen uns, weil es vorher gar nicht gut war, oder es war gerade schwierig. Da ich nicht viele Referenzen hatte, dachte ich, das ist also Beziehung, das muss wohl so sein, drum ist’s vielleicht auch nichts für mich längerfristig.
Und dann geht’s ganz schnell. Ein hässlicher Streit am Telefon. Beiden ist klar: Jetzt ist etwas zerbrochen, jetzt sind wir ungerecht, jetzt wird es gruselig. Die SMS werden formaler, die nicht ganz ernstgemeinten Kosenamen verwandeln sich zurück in Vornamen, an die wegfallenden Emojis will ich gar nicht denken.
Abgesehen von Burglind, die es nicht möglich machte, dass wir uns nach der Trennung vor der Bar vernünftig umarmen konnten („Sag mal weinst du, oder…“ Ja, es war der Regen!), war es eine pragmatische Trennung. Natürlich die eine und andere Verkürzung des Sachverhaltes und eine holprige Argumentationskette – aber all in all: keine Perspektiven in unserem Zusammensein, er wisse nicht, was er vom Leben möchte und möchte das jetzt herausfinden, er möge mich sehr, aber sei mir nicht mit Haut und Haar verfallen. Und das Erstaunlichste daran: Ich wusste bereits während des Trennungsgesprächs: Das hat alles wenig mit mir zu tun. Und ich fing nicht mit der Selbstzerfleischung an, von wegen ich würde nicht genügen, hätte meine Arbeit immer vor alles andere gestellt, meine Stimmungen seien zu heftig, ich so oder so eine grosse Zumutung auf allen Ebenen.
Nein, ich wurde sehr still, fühlte mich schlagartig auf mich zurückgeworfen und habe kurz über Mikrodosierung von LSD nachgedacht. Hab es dann aber sein lassen und mich an den Satz von meinem Ex-Ex-Freund erinnert, der sagte: „Wir halten uns gegenseitig die Handbremse angezogen.“ Zwar fuhr immer er Auto, weil ich es nicht kann, aber es hat auch zu dieser Trennung gepasst.
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Ich bin sehr froh, hat er entschieden. Ich hätte es noch nicht gemacht, da hätte noch mehr passieren müssen, dass ich mich abgewiesener und unterernährter fühle. Also eigentlich bin ich ihm geradezu dankbar, weil ich mich frei fühle. Natürlich musste ich ihm dann doch noch sagen: Falls da gleich eine 50-jährige erfolgreiche Kinderärztin um die Ecke biegt mit schönem Haar und ausgeglichener Psyche, die fein nach Nivea riecht und Leichtigkeit und Selbstverständnis in sein Leben bringt, würde ich das gerne wissen. Er hat gelacht und gesagt, dass es vielleicht einfacher wäre, gäbe es jemand neues, aber das sei ja nicht der Punkt.
Ja, das ist nicht der Punkt. Aber ich mache Punkte, oder eher Rechtecke. Mit einem grünen Filzstift male ich jeden Abend in meinem Filofax-Jahresplaner ein kleines Rechteck aus für jeden kontaktlosen Tag. Auch wenn ich gar nicht ernst einen Impuls unterdrücken müsste, ihm zu schreiben, weil wirklich alles gesagt ist. Rührend, irgendwie. Wie sich das aber mit den grünen Kästchen verhält, wenn ich ihm zufällig begegne, was bereits vorgekommen ist, weiss ich noch nicht recht. Die Kästen werden grün, aber es gibt eine Randnotiz, habe ich jetzt entschieden.
Oh, und ich habe mir eine Dose Burgerstein-Hair & Nail-Tabletten gekauft. 240 Tabletten. Pro Tag soll man drei Tabletten nehmen. Wenn ich alle Tabletten gegessen habe, sind 80 Tage vorbei. Dann könnte ich ihm ja mit hirsegestärktem Haar und bruchfesten Nägeln schreiben, wie es ihm gehe. Ein bisschen zwanghaft darf man schon mal sein nach so einer Eruption mit Veränderungscharakter.
Und wissen Sie was? Ich denke, das mit der Freundschaft könnte in diesem speziellen Fall vielleicht eben doch irgendwann klappen. Aber daran denke ich jetzt nicht, erst durchlebe ich alle Phasen so einer Trennung.
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