das Lamm: Woher kommt dein Interesse daran, dich mit Frauen im Film auseinanderzusetzen?
Lisa Blatter: Wenn man gerne und viele Filme schaut, merkt man irgendwann, dass man fast nur den Geschichten von Männern folgt – ausser das Genre verlangt explizit nach Frauen. Frauen sind in Filmen immer noch zu wenig präsent und wenn, dann nur in zudienenden Rollen. Das fällt auf.
Wie wichtig ist denn die Repräsentation von Frauen im Film?
Es ist wichtig, dass viele Frauen auf der Leinwand zu sehen sind. Aber noch wichtiger finde ich es, dass mehr Frauen selbst Filme machen – egal, zu welchen Themen und mit welchen Geschlechtern als Hauptrollen. Dazu eine Anekdote: Ich war letztens an einem Workshop, und da nahm ein Mann teil, der einen Film mit einer Frau in der Hauptrolle realisiert. Alle fanden das voll toll und mutig, aber wenn ich einen Film mit einem Mann in der Hauptrolle schreibe, heisst es schnell: Wieso machst du das? Du müsstest doch als Frau auch einen Film mit einer Frau in der Hauptrolle umsetzen.
In Hollywood wurde das Monopol des weissen, starken Mannes etabliert, der dieses Business sowohl hinter als auch vor der Kamera prägt, und das muss in alle Richtungen aufgebrochen werden. Dafür braucht es eben nicht nur mehr Frauen vor der Kamera, sondern auch dahinter – in allen Funktionen.
[info-box post_id=„12950”]Dein Workshop an den Jugendfilmtagen trägt den Titel „Atelier: Wie schreibt man eine Frauenfigur und wie geht man mit Schauspielerinnen am Set um?” Warum müssen angehende FilmemacherInnen lernen, wie man Frauenfiguren schreibt?
Es ist mir ein Anliegen, junge FilmemacherInnen dafür zu sensibilisieren, dass man mit nur wenigen Kunstgriffen eine Frauenrolle besser charakterisieren kann. Ein ganz plakatives Beispiel: In Hollywoodfilmen trägt immer noch die Mehrheit der Frauen Highheels. Das entspricht doch nicht der Wirklichkeit. Natürlich ist das ein Detail, aber solche Details sind ein guter Ausgangspunkt dafür, etwas daran zu ändern, wie Frauen dargestellt werden. Es muss den Filmemachenden einfach bewusst sein, dass man sich sehr schnell an Klischees bedient.
Aber mit mehr Turnschuhen wäre es ja nicht getan.
Frauen werden oft mehr auf das Aussehen hin geschrieben als auf den Charakter. Umfängliche, charakterlich tiefe Frauenrollen mit gewissen Ambivalenzen und realer Menschlichkeit sind im Mainstreamfilm eine Seltenheit. Wir haben das auch in der Ausbildung nie gelernt: wie man sich von gesellschaftlich geprägten Klischees lösen kann. Hinzu kommt, dass es oft schnell gehen muss mit dem Plot. Da verlieren Charaktere – besonders weibliche – an Tiefe und werden zu Schablonen.
Wie kann man diese Schablonen durchbrechen?
RegisseurInnen sollten versuchen, Charaktere aus dem Leben zu greifen und ihnen kleine positive und negative Eigenschaften zu geben. Sie sollten Charaktere schreiben, die eine menschliche Entwicklung durchmachen, die man auch als Zuschauerin kennenlernen muss. Das ultimative Ziel ist es, dass Frauen- und Männercharaktere in Filmen einfach gleich behandeln werden. Im Moment müssen aber Frauencharaktere oft zuerst etwas Schlimmes erleben, um dann stark zu werden oder als eigenständiger, spannender Charakter zu gelten.
[info-box post_id=„12954”]Viele sogenannte Kultfilme drehen sich um Gewalt an Frauen. Und Gewalt an Frauen, etwa sexuelle Gewalt, wird im Mainstreamfilm oft als Plot-Element verwendet. Haben wir uns einfach daran gewöhnt?
Ich glaube nicht, dass es im Film statistisch mehr Gewalt an Frauen als zwischen Männern gibt, und ich bin auch der Meinung, dass Gewalt an Frauen, ein reales Problem unserer Gesellschaft, kritisch reflektiert und filmisch thematisiert werden sollte. Aber auch hier muss auf Klischees geachtet werden. Ein Beispiel: Oft trägt die Frau, die im Film vergewaltig wird, einen kurzen Rock – eine absolute Absurdität. Hier braucht es Gegensteuer. Auch dass diese Gewalt immer graphisch gezeigt werden muss und somit zu einem Kunstelement wird, ist problematisch. Gewalt wird ausgeschlachtet – egal, ob sie für den Film zentral ist oder nicht. Dahinter steckt, zumindest im Mainstreamfilm, wohl der Wunsch nach Vereinfachung: Gewalt hilft, das Geschehene und die Figuren in Gut und Böse zu unterteilen. Zudem ist etwa Rache ein treibendes Gefühl, das wir als sehr menschlich empfinden und uns dazu bringt mitzueifern.
In deinem Workshop wird es auch darum gehen, wie mit Schauspielerinnen am Set umgegangen werden soll.
Eine Schauspielerin bietet dir für jede Szene verschiedene Facetten an. Ich will den Teilnehmenden zeigen, dass die dargestellte Rolle nicht nur davon abhängt, wie sie geschrieben wurde, sondern auch von der Inszenierung. Zum anderen sind da sensible Themen wie Nacktheit. Es ist wichtig für die herangehenden Regisseurinnen zu erkennen, wo und wie Nacktheit eingesetzt werden kann, weil es die Szene erfordert. Und wo Nacktheit nur ein sexualisierendes, herabwürdigendes Element ist. Ein sensiblerer Umgang mit solchen Themen ist wichtig, dass sich die Darstellerinnen wohlfühlen.
Die ganze Filmindustrie ist männerdominiert. Als Schauspielerin bist du umzingelt von Männern. Gerade bei feinen, intimen Szenen können viele Blicke irritieren.

Wirst du denn selber als Frau weniger ernst genommen in der Filmbranche?
Ja. Das hat schon im Studium begonnen. Ich machte meine Kurzfilme immer zusammen mit einem Kollegen. Nach zwei Jahren hiess es, er solle ins Master-Programm wechseln, aber ich solle noch bleiben und meinen eigenen Stil entwickeln. Unsere ganze Zusammenarbeit: Alles wurde ihm angerechnet. Ich bekam dafür faktisch keine Anerkennung. Die gemeinsame Handschrift wurde als seine gelesen. Als ich meinen Abschlussfilm zeigte, kamen dann die Dozentinnen zu mir und sagten: Ah, das war ja doch deine Handschrift. Das ist ärgerlich.
Auch heute ist es für viele noch so, dass Menschen bei einer Kooperation sofort annehmen, dass der Mann eher den Lead innehat. Auf der anderen Seite habe ich auch schon oft Sprüche gehört wie: „Ah, das ist jetzt die weibliche Sicht?” oder „Ist das jetzt ein weiblicher Film?”
Ich glaube, viele Männer in der Branche haben Angst vor der weiblichen Perspektive. Denn dadurch wird ihnen die Deutungs- und Darstellungshoheit langsam entzogen. Ich glaube aber auch, dass dieser Abwehrreflex nicht notwendig ist. Um ihn zu überwinden, braucht es aber Anstrengung und den Willen, ausserhalb der Box zu denken – und Gespräche und Sensibilität. Generell braucht die Branche primär einen Abbau von Klischees und Stereotypen. Und die fundamentale Einsicht, dass es Frauen mindestens genauso gut machen können.
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