Wer Asyl will, muss Privat­s­sphäre aufgeben

Der Bund will die Smart­phones von Asyl­su­chenden auswerten. Expert:innen kriti­sieren dieses Vorhaben vehement. 
Im Rahmen der Mitwirkungspflicht müssen Asylsuchende bald ihre Passwörter offenlegen. (Bild: Unsplash)

Wer in der Schweiz einen Asyl­an­trag stellt, muss sich zunächst ausweisen: Name, Geburtstag, Herkunfts­land. Für viele Menschen auf der Flucht ist das nicht möglich. Ohne Pass oder Geburts­ur­kunde können sie nicht beweisen, dass ihre Angaben stimmen. Laut dem Staats­se­kre­ta­riat für Migra­tion (SEM) ist das in drei von vier Fällen so – und offenbar ein Problem.

Vor vier Jahren reichte SVP-Natio­nalrat Gregor Rutz deswegen eine parla­men­ta­ri­sche Initia­tive ein, die das ändern soll. Die Forde­rung: Elek­tro­ni­sche Geräte wie Handy, Tablet und PC sollen im Rahmen der gesetz­li­chen „Mitwir­kungs­pflicht“ von den Behörden durch­sucht werden dürfen, um die Iden­tität Asyl­su­chender fest­zu­stellen. Vergan­gene Woche wurde die Initia­tive im Parla­ment angenommen.

Was bedeutet das?

Das Schweizer Asyl­ge­setz besagt, dass Asyl­su­chende eine „Mitwir­kungs­pflicht“ haben, um den Behörden das Asyl­ver­fahren zu erleich­tern. Nament­lich heisst das, sie sind verpflichtet zu folgenden Dingen:

  • Iden­tität offenlegen
  • Iden­ti­täts­aus­weise abgeben
  • Angeben, warum sie Asyl beantragen
  • Beweis­mittel bezeichnen und einreichen
  • Biome­tri­sche Daten erheben lassen (zum Beispiel Fingerabdrücke)
  • Sich einer medi­zi­ni­schen Unter­su­chung unterziehen

Diesem Gesetz wird jetzt ein Punkt hinzu­fü­ge­fügt. Neu soll es auch „die Pflicht umfassen, die entspre­chenden [elek­tro­ni­schen] Geräte heraus­zu­geben, wenn die Iden­tität des Gesuch­stel­lers nicht auf anderem Wege fest­ge­stellt werden kann“.

Laut Rutz birgt die aktu­elle Situa­tion nicht nur ein Problem für die innere Sicher­heit, sondern auch zivil­recht­liche Schwie­rig­keiten, etwa wenn Asyl­su­chende Kinder bekommen. Er fügte seinem Antrag im Parla­ment sarka­stisch hinzu, dass Mobil­te­le­fone „erstaun­li­cher­weise“ seltener verloren gingen als Ausweise.

Ähnliche Rege­lungen sind etwa in Deutsch­land bereits in Kraft. Die Soft­ware, die dafür ange­wandt wird, kann laut eines Berichts der Gesell­schaft für Frei­heits­rechte zum Beispiel folgende Infor­ma­tionen auswerten:

  • Länder­codes von gespei­cherten Nummern
  • Einge­hende und ausge­hende Anrufe inklu­sive Länder­code und Länge des Anrufs
  • Einge­hende und ausge­hende SMS inklu­sive Ländercode
  • Die benutzte Sprache in SMS
  • Die Länder­codes von besuchten Webseiten
  • Log-In Namen und Mail­adressen, die für Apps benutzt werden
  • Loka­li­sie­rungs­daten von Fotos, mögli­cher­weise auch von Apps

Auf Anfrage listet der Medi­en­spre­cher des SEM zusätz­liche Daten auf, die ausge­wertet werden könnten: Geolo­ka­li­sie­rungs­daten (GPS), Kontakt­li­sten und Foto­da­teien. Die Details müsse der Bundesrat aber noch fest­legen, so der Pressesprecher.

An der Vorlage gab es unter Expert:innen Kritik. Der erste Kritik­punkt ist recht­lich begründet: Die Flücht­lings­hilfe etwa stellte in der Vernehm­las­sung zur Vorlage fest, dass die gesetz­liche Grund­lage für einen derar­tigen Eingriff in die Grund­rechte nicht gegeben sei. Sie kriti­sierten zudem, dass es für die Durch­su­chung des Smart­phones kein rich­ter­li­ches Urteil bräuchte, wie es etwa in einer Straf­un­ter­su­chung der Fall ist. So würden Asyl­su­chende benach­tei­ligt gegen­über Menschen, gegen die ermit­telt wird.

Streit gab es auch darüber, ob Asyl­su­chende mit dem Gesetz gezwungen werden könnten, sich durch­leuchten zu lassen. Die Kommis­sion schreibt dazu, dass zunächst andere Methoden zur Fest­stel­lung der Iden­tität ange­wandt werden sollen, wenn diese weniger aufwändig sind. Daher sieht Rutz im Gesetz keinen Zwang.

Ein Bericht des Eidge­nös­si­schen Daten­schutz- und Öffent­lich­keits­be­auf­tragten (EDÖB) entgegnet: Die auto­ma­ti­sierte und stan­dard­ge­mässe Auswer­tung von Smart­phones sei voraus­sicht­lich nicht aufwän­diger als die anderen Methoden zur Iden­ti­täts­fest­stel­lung. Und betont:  „Die Effi­zienz darf nicht über die Wahrung funda­men­taler Frei­heits­rechte gestellt werden.“ Der EDÖB lehnt die Vorlage auch aus diesem Grund ab. Der Bericht des EDÖB mahnt zudem, „dass frei­heits­ein­schrän­kende Mass­nahmen oft zunächst gegen­über Minder­heiten einge­führt werden, bevor sie schritt­weise in anderen Zusam­men­hängen auf breite Bevöl­ke­rungs­kreise ausge­weitet werden“.

Der zweite Kritik­punkt betrifft die Umset­zung: Das UNHCR gab in ihrer Stel­lung­nahme zu Bedenken, dass Smart­phones auf dem Fluchtweg oft von vielen unter­schied­li­chen Personen benutzt würden. Es sei unklar, wie die Behörden zwischen den für das Asyl­ge­such rele­vanten und anderen Daten unter­scheiden wird. Schliess­lich ist nicht jedes Selfie mit Freund:innen, nicht jedes Tele­fon­ge­spräch mit Verwandten für ein Asyl­ge­such relevant.

Auch der Anwalt und Daten­schutz­ex­perte Martin Steiger sieht hier Frage­zei­chen, und zwar „wie immer bei der wirk­samen Aufsicht“, wie er auf Anfrage sagt. Wie wird kontrol­liert und durch­ge­setzt, dass keine will­kür­liche Daten­sam­melei losgeht? Es käme auf die Anwält:innen von Asyl­su­chenden an, bei der Auswer­tung von Daten die Rechts­staat­lich­keit durch­zu­setzen, so Steiger.

In der Schluss­be­stim­mung des Parla­ments steht zudem, dass Daten von Dritt­per­sonen eben­falls ausge­wertet werden können, falls es auf anderem Wege nicht gelinge, die Iden­ti­täten der Asyl­su­chenden zwei­fels­frei festzustellen.

Der dritte Kritik­punkt betrifft die Wirk­sam­keit: Die links-grüne Minder­heit im Parla­ment sprach sich gegen die Vorlage aus und bezog sich dabei auf einen Test­lauf. Während eines halben Jahres wurde die Vorlage in zwei Migra­ti­ons­äm­tern in der Schweiz umge­setzt. Das Resultat: Nur in 15 Prozent der Fälle lieferte die Durch­su­chung die gewünschten Informationen.

Ähnliche Resul­tate gibt es auch aus der aktu­ellen Praxis in Deutsch­land. Diese Erfolgs­rate reiche nicht aus, um einen derar­tigen Eingriff in die Privat­sphäre so vieler Menschen und derart hohe Kosten zu recht­fer­tigen, fand etwa Grünen-Natio­nalrat Balthasar Glättli.

Der Vorstoss passt zu einer allge­meinen Tendenz, asyl­recht­liche und straf­recht­liche Methoden zu vermi­schen. Auch das Poli­zei­mass­nahmen Gesetz (PMT), das im vergan­genen Sommer von der Bevöl­ke­rung ange­nommen wurde, macht das. So kommen die Methoden der „Eingren­zung“ und der „Ausgren­zung“ ursprüng­lich aus dem Migra­ti­ons­be­reich und werden neu auch in der Terror­be­kämp­fung ange­wendet. Dabei wird Menschen das Verlassen oder Betreten gewisser Orte verboten. Bei der Erwei­te­rung der Mitwir­kungs­pflicht ist es andersrum: Eine poli­zei­liche Methode wird auf Asyl­su­chende ange­wandt, ohne dass diese je in Konflikt mit dem Gesetz geraten sind.


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