Wer hat uns verraten?

Der Poli­zei­ein­satz gegen die Proteste in Bern zeigt, warum sie nötig sind. Ein Kommentar. 

Warum wählt eigent­lich irgend­je­mand in diesem Land links? Klar, wich­tige Gründe dafür hat in den vergan­genen Tagen die parla­men­ta­ri­sche Gegen­seite gelie­fert: Glarner war rassi­stisch, Wasser­fallen hat vor blinder Wut schier über­bissen und viele, die sich sonst als “liberal” schimpfen, hatten fast schon eroti­sierte Freude an der Poli­zei­ge­walt, die sich im Laufe des Diens­tags in der Haupt­stadt abspielte.

Aber: Für die Poli­zei­ge­walt mit der die Migrant*innen und Aktivist*innen der Stop-Isola­tion-Kund­ge­bung und der #RiseU­pF­or­Ch­ange-Beset­zung einge­deckt wurden, sind vor allem die grossen linken Parteien verantwortlich.

Mit vier von fünf Gemeinderät*innen besitzen sie eine solide Mehr­heit in der stadt­berner Exeku­tive. Und diese Exeku­tive veran­lasste Einsätze, bei denen Polizist*innen aus kürze­ster Nähe mit Wasser­wer­fern eine Sitz­blockade aufbra­chen, scheinbar fried­li­chen Personen ins Gesicht schlugen, und bei denen Migrant*innen, die auf die ihnen wider­fah­rende Staats­ge­walt aufmerksam machen wollten, mit eben dieser Gewalt zum Schweigen gebracht werden sollten.

Sie tragen die Verant­wor­tung, weil das alles nicht nötig gewesen wäre.

Wie die demo­kra­ti­schen Jurist*innen Bern bereits am Diens­tag­morgen in einer Medi­en­mit­tei­lung verlauten liessen, wäre der Gemein­derat gar nicht verpflichtet, den Bundes­platz räumen zu lassen. Er könne den Platz auch während der Session für poli­ti­sche Kund­ge­bungen zulassen. “Der Bund, das heisst auch National- und Stän­derat, haben aufgrund des Föde­ra­lismus und der Gemein­de­au­to­nomie keinerlei Kompe­tenz in dieser Frage.”

Aber die natio­nalen Räte finden Föde­ra­lismus anschei­nend nur dann geil, wenn’s um die Fest­le­gung von Steu­er­sätzen geht. Wenn die demo­kra­ti­sche Parti­zi­pa­tion vor dem Grös­sen­wahn­sinn einiger Bundesparlamentarier*innen geschützt werden soll, wird die Schweiz plötz­lich wieder zum Zentralstaat.

Und die Kommune wieder zum Vasallen: Die linken Mitglieder des Gemein­de­rates liessen sich von den akti­vi­sti­schen Forde­rungen des Natio­nal­rats- und Stän­de­rats­prä­si­diums einschüch­tern. Am Mitt­woch­morgen wurde der Bundes­platz geräumt – und damit bewiesen, weshalb seine Beset­zung über­haupt erst nötig war.

Wenn eine linke Stadt­re­gie­rung auf fried­liche Aktivist*innen mit der ganzen Staats­ge­walt reagiert, bestä­tigt sie das, was die ausser­par­la­men­ta­ri­sche Linke seit jeher kriti­siert: Dass die grossen linken Parteien keine wirk­lich linke Politik anbieten. Und damit auch keine Alter­na­tive zum zivilen Unge­horsam, wie ihn Bern diese Woche erlebt hat.

Trans­pa­renz: Der Autor sitzt für eine regio­nale Jung­partei im Gemein­de­par­la­ment von Olten in einer Frak­tion mit der SP. Er ist aber weder Mitglied der SP Schweiz noch der SP Olten. 


Jour­na­lismus kostet

Die Produk­tion dieses Arti­kels nahm 8 Stunden in Anspruch. Um alle Kosten zu decken, müssten wir mit diesem Artikel CHF 676 einnehmen.

Als Leser*in von das Lamm konsu­mierst du unsere Texte, Bilder und Videos gratis. Und das wird auch immer so bleiben. Denn: mit Paywall keine Demo­kratie. Das bedeutet aber nicht, dass die Produk­tion unserer Inhalte gratis ist. Die trockene Rech­nung sieht so aus:

Soli­da­ri­sches Abo

Nur durch Abos erhalten wir finan­zi­elle Sicher­heit. Mit deinem Soli-Abo ab 60 CHF im Jahr oder 5 CHF im Monat unter­stützt du uns nach­haltig und machst Jour­na­lismus demo­kra­tisch zugäng­lich. Wer kann, darf auch gerne einen höheren Beitrag zahlen.

Ihr unter­stützt mit eurem Abo das, was ihr ohnehin von uns erhaltet: sorg­fältig recher­chierte Infor­ma­tionen, kritisch aufbe­reitet. So haltet ihr unser Magazin am Leben und stellt sicher, dass alle Menschen – unab­hängig von ihren finan­zi­ellen Ressourcen – Zugang zu fundiertem Jour­na­lismus abseits von schnellen News und Click­bait erhalten.

In der kriselnden Medi­en­welt ist es ohnehin fast unmög­lich, schwarze Zahlen zu schreiben. Da das Lamm unkom­mer­ziell ausge­richtet ist, keine Werbung schaltet und für alle frei zugäng­lich bleiben will, sind wir um so mehr auf eure soli­da­ri­schen Abos ange­wiesen. Unser Lohn ist unmit­telbar an eure Abos und Spenden geknüpft. Je weniger Abos, desto weniger Lohn haben wir – und somit weniger Ressourcen für das, was wir tun: Kriti­schen Jour­na­lismus für alle.

Ähnliche Artikel

Fick den Genderstern!

Die SVP betreibt mit der Genderstern-Initiative rechten Kulturkampf und will dem sogenannten ‚Woke-Wahnsinn‘ den Garaus machen. Sie können das Sonderzeichen gerne haben – vorausgesetzt, genderqueere Personen können ein sicheres Leben führen.