Wer in der Schweiz das Klima aufheizt

Berech­nungen zeigen, dass die Super­rei­chen mit ihrem Lebens­stil und ihren Inve­sti­tionen für beson­ders viele Emis­sionen verant­wort­lich sind. Trotzdem macht es sich die Linke zu einfach, wenn sie mit dem Finger nur auf den Luxus­konsum zeigt. 
Bevorzugtes Reisemittel für Superreiche: der Privatjet. (Illustration: Luca Mondgenast)

„Wir können uns die Luxuse­mis­sionen der Reichen einfach nicht mehr leisten“, meint Filou*, eine Klima­ge­rech­tig­keits­ak­ti­vi­stin. Deshalb hat sie mit circa 100 anderen im vergan­genen Mai eine Verkaufs­messe für Privat­flug­zeuge in Genf gestört. Die Aktivist*innen haben sich an Jets gekettet und den Haupt­ein­gang blockiert. Ihre Forde­rung ist so prägnant wie einfach: Privat­flug­zeuge gehören verboten.

Das Verkehrs­mittel verdeut­licht die globale Klimaun­ge­rech­tig­keit ganz beson­ders: Während 80 Prozent der Welt­be­völ­ke­rung noch nie in einen Flieger gestiegen sind, sind die in Privat­jets zurück­ge­legten Strecken in den letzten Jahren gera­dezu explo­diert. Im Jahr 2022 waren in der Schweiz 63 Prozent mehr Privat­flieger unter­wegs als im Vorjahr, wie eine Studie von Green­peace zeigt. Die am meisten beflo­gene Route war jene zwischen Genf und Paris. Insge­samt 2’745 Mal wählten Menschen im letzten Jahr einen Privatjet für diese Strecke, obwohl man sie mit dem Schnellzug in gerade einmal 3 Stunden und 13 Minuten zurück­legen kann.

Ein neuer klima­po­li­ti­scher Hebel

Bei ihrer Aktion hat sich die Klima­ak­ti­vi­stin Filou ein wenig wie in einer Kohle­grube gefühlt. Die Klientel auf der Messe habe ihr den Eindruck vermit­telt „bei den rich­tigen Leuten zu stören und direkt bei einer weiteren Ursache der Klima­krise anzu­setzen“. Genau wie die Aktivist*innen der Letzten Gene­ra­tion, die in Deutsch­land einen Privatjet mit Farbe beschmiert haben, hat Filou neben den Kohle­gruben, Flüs­sig­ga­s­ter­mi­nals oder Gross­banken ein weiteres Ziel gefunden: den klima­zer­stö­re­ri­schen Lebens­stil der Superreichen.

Ganz offen­sicht­lich ist die Verant­wor­tung für den Klima­wandel sehr ungleich verteilt.

Die Zahlen spre­chen für diese Fokus­set­zung. Denn die reich­sten 10 Prozent dieser Welt waren 2019 laut einer Studie des Ökonomen Lucas Chancel für 48 Prozent der globalen Emis­sionen verant­wort­lich. Das reichste Prozent für fast 17 Prozent.

Ganz offen­sicht­lich ist die Verant­wor­tung für den Klima­wandel sehr ungleich verteilt. Dieser Befund müsste eigent­lich die Klima­po­li­tiken beein­flussen. So wäre es zum Beispiel effi­zient – und darüber hinaus auch noch sozial gerecht – wenn vor allem die Reichen Klima­ab­gaben bezahlen müssten.

Um den klima­po­li­ti­schen Hebel an der rich­tigen Stelle anzu­setzen, müssten die Staaten damit beginnen, Zahlen zu den einkom­mens­ab­hän­gigen Emis­sionen zu erheben. Die Verfasser des „Climate Inequa­lity Report“ von 2023, zu denen auch Lucas Chancel gehört, rufen deshalb die Regie­rungen dazu auf, bei der Gene­rie­rung von CO2-Ungleich­heits­sta­ti­stiken vorwärtszumachen.

Zahlen zur Schweiz

Die Schweizer Bundes­ver­wal­tung will davon aber nichts wissen. Das Bundesamt für Umwelt halte sich bei ihren Treib­haus­gas­sta­ti­stiken an die Vorgaben der UNO, heisst es auf Anfrage von das Lamm. Das Bundesamt erhebt die Emis­sionen also nach Quellen oder Wirt­schafts­sek­toren, aber nicht nach verschie­denen Bevöl­ke­rungs­gruppen bezie­hungs­weise Vermö­gens­klassen. Auch von Nicht­re­gie­rungs­or­ga­ni­sa­tionen wurden bislang noch keine Zahlen zur Klima­be­la­stung der Reichen in der Schweiz veröffentlicht.

Zahlen des „World Inequa­lity Lab“, die öffent­lich zugäng­lich sind, geben jedoch inter­es­sante Anhalts­punkte. Das Lamm hat die Zahlen analy­siert. Auch der Tages­an­zeiger hat kürz­lich darüber berichtet.

Der WID-Indi­kator zu den indi­vi­du­ellen CO2-Fuss­ab­drücken umfasst Emis­sionen, die auf den Konsum, die Inve­sti­tionen und öffent­liche Ausgaben zurück­zu­führen sind. Er schätzt somit eben­falls die soge­nannten grauen Emis­sionen, also Emis­sionen, die ein Indi­vi­duum in einem anderen Land verur­sacht, indem er oder sie impor­tierte Güter konsumiert.

Inter­es­sant am WID-Indi­kator ist ausserdem, dass er die Verant­wor­tung für den Klima­wandel nicht nur am indi­vi­du­ellen Konsum, sondern eben­falls an den Inve­sti­ti­ons­tä­tig­keiten der jewei­ligen Personen festmacht.

Der durch­schnitt­liche CO2-Fuss­ab­druck einer in der Schweiz lebenden Person beträgt demnach 17 Tonnen CO2-Äqui­va­lente (tCO2e) pro Jahr. Mit dieser Einheit wird die Klima­wir­kung verschie­dener Treib­haus­gase wie Methan, Lachgas oder Kohlen­di­oxid verein­heit­licht. Zu beachten ist, dass es sich bei den Zahlen der World Inequa­lity Data­base nur um sehr unge­naue Schät­zungen handelt.

Ein*e Superreiche*r für 21 Arme

Diesen Zahlen zufolge hatte eine Person aus der ärmeren Hälfte der Schweizer Bevöl­ke­rung im Jahr 2019 einen CO2-Fuss­ab­druck von 9 tCO2e. Das ist fast sechsmal weniger als eine durch­schnitt­liche Person aus den reich­sten 10 Prozent, deren geschätzter CO2-Fuss­ab­druck 53.5 tCO2e betrug.

In gänz­lich anderen Sphären bewegte sich das reichste 1 Prozent: Mit einem geschätzten CO2-Fuss­ab­druck von 195.4 tCO2e emit­tierte es mehr als 21-mal so viel wie eine Person aus der ärmeren Bevölkerungshälfte.

Gestützt auf die Bevöl­ke­rungs­zahlen lässt sich nun nicht nur der Ausstoss einzelner Personen, sondern jener der gesamten Reich­tums­klasse berechnen. So zeigt sich: Das reichste eine Prozent war 2019 für circa 11.5 Prozent, das reichste Zehntel für unge­fähr 31 Prozent, die ärmere Hälfte für etwa 26 Prozent der gesamt­haften Emis­sionen aller in der Schweiz lebenden Personen verant­wort­lich. Die deut­liche Diskre­panz zwischen den reichen und armen Bevöl­ke­rungs­gruppen ist geringer als auf globaler Ebene, was aufgrund des vergleichs­weise hohen Lebens­stan­dards in der Schweiz nicht verwundert.

Inter­es­sant ist schliess­lich, wie sich diese CO2-Ungleich­heit histo­risch entwickelt hat. Wie in anderen Ländern ist auch in der Schweiz die Schere zwischen Arm und Reich laut diesen Berech­nungen seit den 1990er-Jahren weiter ausein­an­der­ge­gangen. Zwischen 1990 und 2019 ist der Anteil des reich­sten Zehn­tels von fast 24 auf 31 Prozent gestiegen, während jener der ärmeren Hälfte von rund 32.5 auf 26.5 Prozent gesunken ist.

Darin zeichnet sich ein globaler Trend ab. Denn mitt­ler­weile ist die CO2-Ungleich­heit inner­halb der Länder grösser als jene zwischen den Ländern, wie Lucas Chancel heraus­ge­funden hat.

Tax the Rich

Aus den vorlie­genden Zahlen lassen sich zwei wich­tige Schluss­fol­ge­rungen für die Schweizer Klima­po­litik ziehen. Erstens gibt es einen riesigen, noch längst nicht ausge­schöpften klima­po­li­ti­schen Hebel: die Emis­sionen der Reichen und Super­rei­chen. Das wäre über eine Regu­lie­rung oder ein Verbot des Luxus­kon­sums oder über eine stär­kere Besteue­rung auf grosse Einkommen und Vermögen.

Zwei­tens zeigen die Zahlen deut­lich, dass eine Bekämp­fung des Klima­wan­dels nicht unver­einbar ist mit Armuts­be­kämp­fung und offenen Grenzen. 

Das sieht auch Peppina Beeli, die Dossier­ver­ant­wort­liche für Klima­po­litik bei der Gewerk­schaft Unia, so: „Der ökolo­gi­sche Umbau ist ja nicht billig, deswegen macht es Sinn, progres­sive Gewinn- und Einkom­men­steuern zu erheben, um ihn zu finan­zieren.“ In dieselbe Kerbe schlägt auch die JUSO Schweiz: Mit der „Initia­tive für eine Zukunft“ fordert die Jung­partei eine Schen­kungs­steuer von 50 Prozent auf sehr grosse Erbschaften, um eine „sozial gerechte Bekämp­fung der Klima­krise“ zu finan­zieren, wie es im Initia­tiv­text steht.

Auch global werden die Forde­rungen nach Besteue­rung der Super­rei­chen lauter. Im vergan­genen Juli etwa haben sich 150 führende Ökonom*innen für eine Steuer auf Super­ver­mögen posi­tio­niert, um eine sozial und global gerechte Bekämp­fung der Klima­ka­ta­strophe zu ermög­li­chen. Nur schon eine Steuer von zwei Prozent auf diese Vermögen würde zwischen 2.5 und 3.6 Billionen US-Dollar jähr­lich generieren.

Zwei­tens zeigen die Zahlen deut­lich, dass eine Bekämp­fung des Klima­wan­dels nicht unver­einbar ist mit Armuts­be­kämp­fung und offenen Grenzen. Das Problem ist nicht, dass zu viele Menschen in der Schweiz leben, wie es aus rechten Kreisen immer wieder heisst. Das Problem ist in erster Linie, dass es eine Gruppe von Reichen und Super­rei­chen gibt, die ein Viel­fa­ches an beheiztem Wohn­raum oder fossiler Mobi­lität bean­spru­chen können – einfach deshalb, weil es ihr Porte­mon­naie ihnen erlaubt.

Der gesamte Schweizer Mittel­stand ist Teil jener globalen Bevöl­ke­rungs­gruppe, die die Klima­ka­ta­strophe ganz beson­ders anheizt. 

Umver­tei­lung ist somit eine wirk­same klima­po­li­ti­sche Mass­nahme – unter bestimmten Bedingungen.

Öffent­li­cher Luxus

Denn noch etwas zeigen die analy­sierten Zahlen eindrück­lich. Mehr als die reichere Hälfte der Schweizer Bevöl­ke­rung gehört global gesehen zu den 10 Prozent, die – zur Erin­ne­rung – für fast die Hälfte der globalen Emis­sionen verant­wort­lich sind. Mit anderen Worten: Der gesamte Schweizer Mittel­stand ist Teil jener globalen Bevöl­ke­rungs­gruppe, die die Klima­ka­ta­strophe ganz beson­ders anheizt. Auch diese rund 3.5 Millionen Menschen werden das Klima nicht wie bisher bela­sten können.

Denn laut Oxfam müssten bis 2030 die durch­schnitt­li­chen Emis­sionen pro Kopf auf 2.2 tCO2e sinken, wenn das Klima­ziel von 1.5 Grad Celsius noch erreicht werden soll. Unter der Annahme einer global gerechten Vertei­lung der Emis­sionen müsste der Schweizer Mittel­stand also inner­halb von weniger als sieben Jahren seine Emis­sionen um das Acht­fache reduzieren.

Für das Anliegen einer Umver­tei­lung von Reichtum in der Schweiz ergeben sich dadurch kniff­lige Fragen – vor allem für Linke und Gewerkschafter*innen. Wer nämlich nur Geld umver­teilt, die tatsäch­li­chen oder ange­strebten Lebens­formen des Mittel­standes aber beibe­hält, wird nicht zwin­gend nur Gutes fürs Klima tun. Zwar hätten die Super­rei­chen weniger auf dem Konto. Gleich­zeitig könnten sich aber Menschen aus dem Mittel­stand oder aus ärmeren Schichten einen emis­si­ons­in­ten­si­veren Lebens­stil leisten, etwa indem sie sich ein grös­seres Auto kaufen oder ein zusätz­li­ches Mal in den Urlaub fliegen.

Ein Ausweg aus diesem Dilemma könnte darin bestehen, lebens­not­wen­dige und emis­si­ons­arme Güter und Dienst­lei­stungen vom Markt zu nehmen und allen gratis oder kosten­gün­stig durch die öffent­liche Hand zur Verfü­gung zu stellen. So könnte man mithilfe von Steuern auf grosse Vermögen und Konzerne eine kosten­lose Infra­struktur von Spitä­lern, öffent­li­chen Verkehrs­mit­teln, kultu­rellen Einrich­tungen, öffent­li­chem Wohn­raum, Alters­heimen oder Kitas aufbauen.

Umver­tei­lung bestünde dann nicht mehr allein darin, Geld von den Reichen zu den Ärmeren zu verschieben. Umver­teilt würde viel­mehr die Möglich­keit, am gemein­schaft­li­chen Leben teil­zu­haben: Frei­zeit zu haben, sich poli­tisch oder ehren­amt­lich enga­gieren zu können, gut umsorgt zu werden. Der unab­hän­gige Think Tank für eine demo­kra­ti­sche Wirt­schaft Communia nennt das „öffent­li­chen Luxus“. Sie meinen damit den „bedin­gungs­losen Zugang zu den Gütern, die unser Leben möglich und schön machen – und das für alle“.

Dafür wären grund­le­gende gesell­schaft­liche Verän­de­rungen notwendig, die weit mehr Menschen betreffen würden als nur die Super­rei­chen. Auch das müssten Linke hier­zu­lande aner­kennen – bei aller berech­tigten Empö­rung über Super­yachten und Privatjets.

*Name von der Redak­tion geändert


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