Mitten in den chilenischen Anden liegt die Kleinstadt Andacollo. Seit den Neunzigern hat hier der industrielle Bergbau die handwerkliche Rohstoffgewinnung abgelöst. Tausend Meter über dem Meeresspiegel bohrt sich nun das kanadische Bergbauunternehmen Teck tief in das Erdreich. Heraus kommen Kupfer, das seltene Molybdän und Gold. Letzteres wird direkt in die Schweiz geliefert, wo es verarbeitet und zum Teil eingelagert wird.
Der industrielle Bergbau hat die Landschaft rund um Andacollo geprägt. Ein riesiges Loch frisst sich in die Landschaft rund um die Kleinstadt, die Zerstörung ist weitreichend.
Durch das Stadtzentrum verläuft ein ausgetrocknetes Flussbett, nur vereinzelt regnet es im trocknen Tal. Die letzte natürliche Quelle wurde unter der Abraumhalde von Teck begraben, es fehlt an Wasser.
Am Flussbett, fast schon im Stadtzentrum, befindet sich ein kleines Haus, zwei Schlafzimmer, ein Wohnzimmer und eine kleine Küche. Hunde bellen im Vorgarten. Zusammen mit Mónica Alvárez sitzen José Calderon und Hector Vicencio am Wohnzimmertisch. Die Hände rau, die Gesichter von Jahren harter Arbeit gezeichnet. Es sind nur wenige Aktivist*innen, die bis heute in Andacollo ihre Stimme gegen die Umweltzerstörer erheben. „Alle haben Angst“, meint Vicencio. „Wer aktiv ist, verliert den Job. Und wenn nicht du, dann vielleicht dein Bruder, Onkel oder Vater“. Der Bergbau dominiert das wirtschaftliche Leben im Tal.
In vier Kapiteln widmet sich das Lamm dem Bergbau in Andacollo. Der Fall zeigt exemplarisch auf, wie legaler Goldabbau im globalen Süden funktioniert und was er für die lokale Bevölkerung bedeutet.
- 1. Teil: Das verfluchte Gold
- 2. Teil: Widerstand gegen den sauren Regen
- 3. Teil: Im Sumpf der Behörden
- 4. Teil: Ein Hafen aus Gold
Die drei Anwesenden sind über die Jahre zu Freund*innen geworden. Mit ein paar Einwohner*innen und einer Handvoll Arbeitern gründeten sie im Jahr 2006 eine Umweltschutzorganisation, die Vereinigung für Umweltkontrolle und soziale Entwicklung von Andacollo, kurz CMA. Alvárez ist seit nunmehr zwei Jahren die Präsidentin der Vereinigung.
Gemeinsam erinnern sie sich an vergangene politische Kämpfe, und sie reden über ihr aktuelles Handeln. Alvárez ist wütend auf die Mine und sagt: „Sie töten uns ganz langsam und füllen ihre Taschen mit Geld“. In ihrer Stimme schwingen Nostalgie und Erschöpfung mit. Aus einem Kampf gegen den Bergbau ist einer für die Einhaltung der wenigen geltenden Umweltstandards geworden.
Saurer Regen
“Ein Sturm fegte im Jahr 1997 über das eigentlich trockene Tal“, erzählt Vicencio, als ob es gestern passiert wäre, obwohl mittlerweile 25 Jahre vergangen sind. Es regnete , innerhalb weniger Tage fielen ganze 100 Millimeter Wasser pro Quadratmeter. Zum Vergleich: Zwischen Januar 2018 und Mai 2022 fielen in der Stadt nur 147 Millimeter Wasser.
Als Folge des Regens füllte sich die Minengrube mit Wasser. Die Wassermengen waren so enorm, dass Teck künstliche Wolken erzeugen musste, um die Verdunstung zu fördern. Doch „es war eine Katastrophe“, meint Vicencio. Schwefelsäure im Wasser zog in Form von Dunst direkt über den kleinen Vorort Chepiquilla gleich neben Andacollo. Dort verätzte der saure Regen die Wellblechdächer, tötete Pflanzen und Tiere. Es folgte der erste Widerstand einzelner Anwohner*innen: der Beginn des Unbehagens mit der Mine.
Das Gewinnungsverfahren, auf welches Teck setzt, ist ein sehr umweltschädlicher Prozess und wurde in den Neunzigerjahren exzessiv eingesetzt. Um Kupfer, Molybdän und Gold aus dem Gestein der Anden zu lösen, braucht es Schwefelsäure. Reine Adern, die abgebaut werden könnten, gibt es hier schon lange nicht mehr. Die Rohstoffe sind nur noch als Staub in der Erde vorhanden.
Grob zusammengefasst funktioniert der Prozess so: Riesige Felsbrocken werden zerrieben und zu Erdhaufen getürmt. Diese werden dann konstant mit Schwefelsäure besprenkelt. Die Säure reagiert mit den Metallen, bevor sie langsam den Hang hinunterläuft. Unten angekommen wird sie gemeinsam mit den in ihr aufgelösten Metallen aufgefangen und weiterverarbeitet.
Schon vor dem Regenereignis vom Winter 1997 hatten sich die Anwohner*innen über die schlechten Gerüche des Schwefels beschwert. Aber mit dem Jahrhundertregen wurde der Schwefel noch bedrohlicher: Das Wasser, das sich in der Grube ansammelte, vermischte sich mit der Schwefelsäure. Die künstlichen Wolken, mit Hilfe derer die Firma Teck der Überschwemmung begegnete, verteilten die giftigen Inhaltsstoffe über das ganze Dorf.
Zu Hilfe kam damals der landesweit bekannte Umweltaktivist Lucio Cuenca. Am Telefon erzählt Cuenca von dieser Zeit. Er und seine Organisation sollten den Kampf gegen das Unternehmen juristisch begleiten. Cuenca war damals erst seit wenigen Jahren Mitglied des Lateinamerikanischen Observatoriums für Umweltkonflikte (OLCA). “Die Anwohner*innen waren verzweifelt“, sagt er. Nach mehreren gescheiterten Versuchen, das Problem auf nationaler Ebene zu lösen, versuchte OLCA ein erst kürzlich unterschriebenes Freihandelsabkommen mit Kanada zu nutzen, um auf die Umweltprobleme aufmerksam zu machen. Cuenca erzählt: “Das Abkommen sah eine Reihe von Mechanismen dafür vor, Umweltprobleme auf internationaler Ebene anzugehen“.
Der Gang vor das internationale Schiedsgericht hatte zum Ziel, Teck zu sanktionieren und den chilenischen Staat zum Handeln zu zwingen. Doch als die Beschwerde schliesslich an die höchste Instanz gelangte, entschieden sich die Umweltminister beider Länder, dem Thema nicht weiter nachzugehen. Ein Urteil blieb aus. „Damit war das Verfahren beendet“, schildert Cuenca. Beim Freihandelsabkommen, gemäss dem auch Umweltvergehen sanktioniert werden sollten, waren die Minister die obersten Richter – eine unabhängige Instanz wurde damals nicht geschaffen.
Ende und aus
Die Beziehung zwischen dem Aktivisten Cuenca und den Menschen von Chepiquilla zerbrach, das Vertrauen war verloren. Weitere Versuche, vor nationalen Gerichten und Kommissionen das Thema vorzutragen, scheiterten. Zu Verhandlungen im Jahr 2001 erschienen die Anwohner*innen von Chepiquilla nicht mehr.
Vicencio, der damals den Konflikt aus der Nähe beobachtete, vermutet, dass sich Cuenca verraten fühlte und er deshalb aufhörte, den Kampf der Menschen in dieser Gemeinde zu unterstützen. Es war das Ende des ersten Umweltkonflikts.
Vicencio stellte fest, dass Teck einen Grossteil der Bevölkerung von Chepiquilla anstellte, obgleich kaum jemand Arbeitserfahrung hatte. „Sie wurden gekauft“, meint er abschliessend.
Die Methode zur Lösung der Metalle vom Gestein durch Schwefelsäure wird jedoch bis heute durchgeführt. Allerdings nicht mehr mit Sprinkleranlangen sondern mit Verfahren, die verhindern, dass die Säure in die Luft gelangt. Ausserdem hat es seit dem Jahrhundertniederschlag von 1997 nie mehr so stark geregnet.
Die Ausgeschlossenen
Der Protest von Chepiquilla war der erste Protest gegen das Bergbauunternehmen Teck, aber nicht der letzte. Im Haus von Alvárez wird es dunkel, so langsam senkt sich die Sonne, und ein kalter Wind kommt auf. Alvárez läuft um den Tisch, um den Anwesenden Tee zu servieren. Ihr Mann Calderón meint bedrückt: „Trotz langjähriger Proteste hat sich vieles nicht verbessert.“ Alvárez, die Präsidentin der Vereinigung, erzählt von den Schäden, die durch die Sprengungen an den Häusern um die Mine entstanden sind. “Es gibt Nachbarn, deren Keramikfliesen von den Wänden gefallen sind, die Böden sind mittlerweile alle kaputt, unzählige Häuser sind abrissreif“.
Ihr Ehemann Calderón fügt hinzu: „Wir haben ein Lärmproblem.“ Je weiter die Grube in die Tiefe reicht, desto stärker hallt der Lärm des Bergwerks durch das Erdreich, bevor er schliesslich die Wohnungen der Bewohner*innen erreicht. „Es hört sich manchmal so an, als würden die Lastwagen im Haus selbst herumfahren“, meint Calderón bedrückt.
Immer wieder kommt es zu Problemen im Abbau. Im Jahr 2006 erregten die Staubwolken von Teck die Gemüter der Bevölkerung von Andacollo. Die Bergarbeiter rund um Vicencio besorgte das Thema, sie fühlten sich für die Umweltprobleme verantwortlich. Er erzählt: “Wir sahen Tag für Tag, wie geltende Umweltregeln verletzt wurden”.
Hector Vicencio begann Ende der Neunzigerjahre, für Teck zu arbeiten. Er fuhr die riesigen Lastwagen und war beteiligt an den Sprengungen, die mehrere Tonnen Gestein vom Berg lösten und riesige Staubwolken erzeugten. „Wir haben unser eigenes Grab geschaufelt“, sagt Vicencio heute. Mit dieser Erkenntnis gelangte er 2006 zu seinem Umweltaktivismus, auf den Teck mit Repression antwortete. Alle Aktivisten, die bei Teck gearbeitet hatten, wurden auf einen Schlag entlassen
“Es waren untragbare Verhältnisse”, erinnert sich Vicencio. “Manchmal verschwand die ganze Stadt in einer riesigen Staubwolke”. Er kramt aus seinen Dokumenten ein altes Foto heraus. Es zeigt das Tal von Andacollo, doch anstatt der Stadt ist eine riesige Smogwolke zu sehen. Einzig der Kirchturm ragt aus dem Meer heraus. Solche Ereignisse verursachen Atemprobleme, die zu lang anhaltenden Krankheiten führen können.
An manchen Tagen sollen in der Luft Werte von bis zu 600 Mikrogramm Feinstaub pro Kubikmeter (µg/m3) gemessen worden sein. Das ist das Sechzigfache Schweizer und internationaler Grenzwerte und immerhin das Zwölffache der chilenischen Obergrenze für Feinstaub. Das schweizerische Bundesamt für Umwelt betrachtet schon eine jährliche Überschreitung von 10 µg/m3 im Jahresdurchschnitt als Auslöser für Hautausschlag, Atemprobleme und Lungenkrebs.
Als die Aktivist*innen im Jahr 2006 begannen, sich ein zweites Mal zu organisieren, war der Kampf gegen diese enorme Staubentwicklung ihr Hauptanliegen. Sie suchten den Dialog mit Teck und schlugen in einer Sitzung konkrete Lösungen für die Reduktion der Staubentwicklung vor. Als Reaktion darauf wurden alle organisierten Arbeiter entlassen, erzählt Calderon.
Auf der schwarzen Liste gelandet
Vicencio erzählt, wie er nach seiner Entlassung eine neue Arbeit als Mineur gesucht hat und nirgends eine bekam. Ein Bekannter, der ihm zuvor fast eine Stelle verschafft hatte, sagte ihm nach einer Ablehnung, Vicencio sei auf einer schwarzen Liste gelandet. Dabei handelt es sich um ein inoffizielles Dokument, in dem alle grossen chilenischen Minenunternehmen unerwünschte Gewerkschafter*innen und Umweltschützer*innen vermerken.
Offiziell existiert diese Liste nicht, doch selbst das Arbeitsministerium konnte in mehreren Fällen die Entlassung und Nichtwiedereinstellung im Bergbau aufgrund solcher Sanktionierungen nachweisen. Eine Praxis, die gegen geltendes Recht verstösst, aber bis heute angewandt wird.
Trotz des Rausschmisses erzielten die Aktivist*innen zumindest einen Teilerfolg. Nach Demonstrationen und Blockaden der Einfahrtsstrasse nach Andacollo erklärten die Behörden Andacollo schliesslich zu einer umwelttechnisch “ausgelasteten Gemeinde”. Die Politik nahm sich erstmals formal dem Thema an. Und das Unternehmen Teck sah sich gezwungen, etwas gegen die hohe Feinstaubbelastung zu unternehmen. Das Bergbauunternehmen führte Sprengungen nur noch bei bestimmten Windrichtungen durch und baute einen riesigen Dom über die Abladefläche für die Lastwagen. So wurde zumindest ein Teil der Feinstaubemissionen eliminiert. Doch bis heute werden in Andacollo Feinstaubwerte von über 300 µg/m3 erreicht.
Vicencio blickt mit einer Träne im Auge zurück: „Die Menschen mobilisierten sich und die Behörden hörten uns erstmals richtig zu.“ Die Bevölkerung hatte sich damals mit aller Kraft gegen das Bergwerk gewehrt. Zum ersten Mal waren es nicht nur ein paar Aktivist*innen, die sich gegen den Bergbau stellten. Die Erkenntnis hatte sich verbreitet, dass nach anderthalb Jahrzehnten des industriellen Bergbaus seine Wohlstandsversprechen nicht erfüllt worden waren. Doch der Minenbetreiber heuerte daraufhin einen neuen Manager an, der regelmässig Geld für soziale Organisationen und Einrichtungen verteilte. Ein Teil der Bevölkerung gab sich damit zufrieden. Der Widerstand war bald gebrochen.
Business as usual
Heute sind die Aktivist*innen wieder auf sich allein gestellt. Gemeinsam betreiben sie eine Radiosendung im Lokalsender, in der sie über Umweltthemen berichten. Regelmässig beantragt Alvárez Einsicht in die aktuellen Daten bezüglich der Feinstaubbelastung. Doch abgesehen davon kann sie wenig gegen die schädlichen Folgen des industriellen Bergbaus unternehmen.
Vicencio lebt heute vom Tourismus. Zusammen mit seiner Frau eröffnete er ein kleines Gasthaus, in dem die beiden Pilger*innen empfangen. Aber die Pandemie hat sie hart getroffen, und während der letzten zwei Jahre war ihr Lokal meistens geschlossen, erzählt er.
Die Aktivist*innen sind sich einig: Ein Problem ist die Trägheit der Behörden. Sie kämpfen nicht nur gegen ein Unternehmen, sondern auch dafür, dass der Staat endlich handelt.
Trotz mehrfacher Anfrage und gegenseitigem Mailverkehr, antwortete das Unternehmen Teck nicht auf den Vorwurf der Umweltverschmutzung. Auf der Webseite zeigt man sich einzig stolz auf internationale Umweltzertifikate, Kampagnen zum Schutz der Wildnis und Geschenke, die an die Bevölkerung von Andacollo vergeben werden.
Diese Reportage wurde mit Unterstützung von JournaFONDS recherchiert und umgesetzt.
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