Wie pro-israe­li­sche Stimmen Verschwö­rungs­er­zäh­lungen verbreiten

Rund um den Genozid in Gaza kursieren viele Verschwö­rungs­er­zäh­lungen. Sie machen nicht nur Diskus­sionen zur Tortur, sondern tragen konkret dazu bei, dass das Morden in Palä­stina weitergeht. 
Während israelische Bomben Gaza dem Erdboden gleichmachen, verbreiten sich zahlreiche Falschinformationen, die das Leid der Palästinenser*innen relativieren. (Bild: Luca Mondgenast)

Dem Klischee nach sind «Schwurbler» eher bildungs­ferne Menschen. Sie beziehen ihr Wissen von dubiosen Tele­gram-Kanälen statt aus Quali­täts­me­dien oder wissen­schaft­li­chen Studien. Doch ihre Theo­rien sind oft unglaub­lich komplex. Wer davon über­zeugt ist, dass die Corona-Pandemie von Bill Gates erfunden wurde, um die Welt­be­völ­ke­rung mit Mikro­chips auszu­spähen, wird dir alle mögli­chen Gegen­ar­gu­mente auf krea­tivste Weise zunichte machen. Und wenn nichts mehr weiter­hilft, wirst du womög­lich selbst als Teil der Verschwö­rung enttarnt.

Je länger die Verbre­chen im Gaza­streifen anhalten und je lauter inter­na­tio­nale Orga­ni­sa­tionen und Expert*innen Alarm schlagen, umso stärker flüchten sich die Verteidiger*innen des israe­li­schen Vorge­hens in Verschwörungstheorien. 

Da werden die Vereinten Nationen zu Mario­netten der Hamas, die Menschen­rechts­or­ga­ni­sa­tion zu Isra­el­has­sern und Wissenschaftler*innen zum Feind­bild erklärt. Aktuell schaltet die israe­li­sche Regie­rung auf YouTube Werbe­clips, um mit einzelnen Aufnahmen von Restau­rants in Gaza die dortige Hungersnot zu leugnen. Ein zentraler Kampf­be­griff hierbei ist «Pally­wood». Das Wort diskre­di­tiert Foto- und Video­ma­te­rial, das Menschen­rechts­ver­bre­chen an Palästinenser*innen doku­men­tiert, als Produkt einer angeb­lich Holly­wood-artigen Propa­ganda-Indu­strie. Die Publi­zi­stin Mirna Funk verbrei­tete diese Verschwö­rungs­er­zäh­lung zum Beispiel im Mai letzten Jahres in der NZZ.

Wie disku­tiert man mit jemandem, dessen Welt­bild gegen Zweifel immun ist? 

«Wenn aber die Bilder Geld bringen, gibt es keinen Grund, aufzu­hören mit dem Terror. Und mit dem Krieg», schreibt Funk in ihrem «Pallywood»-Artikel. Der Israel-Palä­stina-Konflikt erscheint hier als raffi­nierte Insze­nie­rung gieriger Filmproduzent*innen, die wort­wört­lich über Leichen gehen. Dagegen wirkt das anti­se­mi­ti­sche Bild vom «jüdisch gesteu­erten Holly­wood» schon fast harmlos.

Aber wie könnte man jemanden wie Funk davon abbringen, die vielen Bilder von ermor­deten Männern, Frauen und Kindern in Gaza – oder auch die Zerstö­rung der Infra­struktur, wie man sie in Satel­li­ten­auf­nahmen sehen kann – als «Pallywood»-Produktion abzutun?

Was gegen Verschwö­rungs­er­zäh­lungen hilft

In meiner Recherche stosse ich auf ein Doku­ment mit dem Titel «FAQ Verschwö­rungs­ideo­lo­gien». Es stammt von der Amadeu-Antonio-Stif­tung, die sich den Einsatz für die demo­kra­ti­sche Zivil­ge­sell­schaft zum Ziel setzt. Doch schon die Defi­ni­tion von Verschwö­rungs­ideo­lo­gien fällt ernüch­ternd aus: «Eine Verschwö­rungs­ideo­logie ist ein gegen Kritik und Zweifel immunes Welt­bild. Es basiert auf der Annahme, dass eine kleine, aber sehr mäch­tige Gruppe von Menschen sich im Geheimen zusam­men­ge­schlossen hätte, um bestimmte Ereig­nisse in der Welt zu ihren Gunsten zu manipulieren.»

Wie disku­tiert man mit jemandem, dessen Welt­bild gegen Zweifel immun ist? Wie kriti­siert man etwas, das per Defi­ni­tion gar keine Kritik zulässt? 

Die Stif­tung ist sich dieser Schwie­rig­keit bewusst und weckt keine falschen Hoff­nungen: «Akzep­tieren Sie zunächst, dass die Person für eine sach­liche Diskus­sion nicht ansprechbar ist», raten die Autor*innen. «Bieten Sie der Person statt­dessen an, über andere Themen zu spre­chen. Hilf­reich kann es sein, zu erfahren, wann die Person begonnen hat, entspre­chende Seiten, Blogs, Kanäle oder Lite­ratur zu nutzen. Gibt es eine Art Schlüsselereignis? Was hat die Person dabei gefühlt?»

Bei der Entwir­rung von Verschwö­rungs­knoten geht es also weniger um die Inhalte der Ideo­logie an sich. Die sind austauschbar und rational nicht zu kontern. Viel­mehr spielt das Innen­leben der Person eine Rolle. Einen Leser dieses Texts, der fest daran glaubt, dass die Kinder in Gaza für «Pally­wood» sterben, werde ich nicht über­zeugen können. Was ich statt­dessen tun kann, ist aufzeigen, woran man Verschwö­rungs­denken unter pro-israe­li­schen Akteur*innen erkennt. Denn nicht alle nutzen dabei offen­sicht­lich propa­gan­di­sti­sche Begriffe wie «Pally­wood».

Verschwö­rungs­er­zäh­lungen brau­chen keine Belege

Ein gutes Beispiel für etwas anspruchs­vol­leres Verschwö­rungs­denken ist leider die Amadeu-Antonio-Stif­tung (AAS) selbst – die Heraus­ge­berin der hilf­rei­chen FAQ-Broschüre. Als vorgeb­lich «anti­ras­si­sti­sche» Stif­tung steht sie wegen ihrer einsei­tigen Israel-Soli­da­rität schon seit Langem in der Kritik von Linken.

Diesen Sommer hat die AAS der angeb­li­chen «Isra­el­feind­schaft» der Vereinten Nationen einen knapp 40-seitigen Bericht gewidmet. Das Vorwort des Berichts stammt vom deut­schen Anti­se­mi­tis­mus­be­auf­tragten Felix Klein. Nur wenige Monate vor der Veröf­fent­li­chung hatte Klein Verständnis für Donald Trumps Gaza-Pläne geäus­sert und damit so viel Kritik ausge­löst, dass sich sogar die Bundes­re­gie­rung von seinen Aussagen distan­zierte. «Ich halte es nicht für verkehrt, radikal und einmal völlig neu zu denken» sagte er über die Idee des US-Präsi­denten, die Bewohner*innen von Gaza «umzu­sie­deln», um den Land­streifen in eine «Riviera des Nahen Ostens» zu verwan­deln. Der vorlie­gende AAS-Bericht wurde durch Mittel aus Kleins Behörde gefördert.

Entspre­chend liest sich auch der Text. Ob die Welt­ge­sund­heits­be­hörde (WHO), die UN-Gene­ral­ver­samm­lung oder UNRWA, das UN-Hilfs­werk für palä­sti­nen­si­sche Geflüch­tete: Alle werden sie beschul­digt, sich zu will­fäh­rigen Gehilfen der Hamas zu machen und für eine «anti­se­mi­ti­sche Mobi­li­sie­rung in Deutsch­land» mitver­ant­wort­lich zu sein. Im Bericht ist ein vier­sei­tiges Inter­view mit einer Spre­cherin der pro-israe­li­schen Lobby-Orga­ni­sa­tion «UN Watch» einge­bettet, das ohne kriti­sche Nach­fragen auskommt. Dort behauptet die Lobby­istin zum Beispiel: «Letzt­lich fördert die UNO die Propa­ganda der Hamas, anstatt die tatsäch­liche Situa­tion darzu­stellen.» Belege für diese Anschul­di­gung liefert sie nicht.

Aber Verschwö­rungs­er­zäh­lungen brau­chen eben keine Belege. Dieser Aspekt macht die Ausein­an­der­set­zung mit ihnen so ener­vie­rend. Sie versu­chen nicht, ausge­hend von Fakten die Wirk­lich­keit best­mög­lich zu beschreiben – sondern klauben sich einzelne Versatz­stücke zusammen, die das eindi­men­sio­nale Welt­bild vermeint­lich stützen. Nicht beleg­bare Unter­stel­lungen bilden ihre zentralen Bezugs­punkte. So wird für die AAS das Rück­kehr­recht der Palästinenser*innen zum «anti­se­mi­ti­schen Narrativ», weil es die Demo­gra­phie zwischen Jordan und Mittel­meer zum Nach­teil der jüdi­schen Bevöl­ke­rung beein­flussen könnte. Der Einsatz für die Rechte der Palästinenser*innen kann in dieser Lesart immer nur als Tarnung für Juden­hass existieren – ähnlich wie anderswo Pande­mien immer nur als Vorwand dienen, um eine angeb­liche «neue Welt­ord­nung» zu errichten.

Verschwö­rungs­er­zäh­lungen gefährden ganz konkret Menschen, die sie zum Feind­bild erklären und deren Leid als unecht abgetan wird.

Auch Ärzt*innen können krank werden. Die Amadeu-Antonio-Stif­tung kann wunder­bare Mate­ria­lien über Verschwö­rungs­denken produ­zieren und bei bestimmten Themen selbst ins Schwur­beln kommen.

Tatsäch­lich speist sich die aufklä­re­ri­sche Arbeit der Stif­tung wohl aus der glei­chen Quelle wie ihr zutiefst proble­ma­ti­scher Bericht über der UN. Wer sich für die Belange von Jüdinnen und Juden einsetzt, wird viel mit Verschwö­rungs­theo­rien zu kämpfen haben: In anti­se­mi­ti­schen Welt­bil­dern erscheinen «die Juden» als geheim­nis­volle Gruppe, die im Hinter­grund die Fäden zieht, um die Geschicke der Welt zum eigenen Vorteil zu bestimmen.

Wer aber Israel auf seine Iden­tität als «jüdi­scher Staat» redu­ziert – und dabei histo­ri­sche und aktu­elle Menschen­rechts­ver­let­zungen zugun­sten eines idea­li­sierten Wunsch­bilds ausblendet –, der rutscht mit seinem vermeint­li­chen Einsatz gegen Anti­se­mi­tismus schnell in einen unre­flek­tierten Pro-Israel-Akti­vismus ab. In Zeiten der rech­te­sten israe­li­schen Regie­rung in der Geschichte des Landes wird man damit anfällig für extre­mi­sti­sche Erzäh­lungen. «Laut Studien sind Verschwö­rungs­ideo­lo­gien unter rechts­extrem einge­stellten Personen beson­ders weit verbreitet», weiss die AAS.

Mit Desin­for­ma­tion den Diskurs aushebeln

Verschwö­rungs­er­zäh­lungen machen nicht nur poli­ti­sche Diskus­sionen zur Tortur. Sie gefährden ganz konkret Menschen, die sie zum Feind­bild erklären und deren Leid als unecht abgetan wird. Sie verdrängen warnende Stimmen mithilfe von Desin­for­ma­tion aus dem Diskurs.

Konkret zeigt sich das an einer aktu­ellen Diskre­di­tie­rungs­kam­pagne gegen die Inter­na­tional Asso­cia­tion of Geno­cide Scho­lars (IAGS), die welt­weit grösste Verei­ni­gung für Genozid-Forschende mit über 500 Mitglie­dern. Der Verband erkannte vor Kurzem den israe­li­schen Genozid im Gaza­streifen an – eine Kata­strophe für die pro-israe­li­sche Propa­ganda. Aktivist*innen versuchten, Zweifel an der Serio­sität des Verbands zu säen. Sie stellten Anträge auf Mitglied­schaft mit Namen wie «Adolf Hitler» und Fotos mit Hamas-Symbolen. Ihre Mitglied­schaften wurden von der Seite zunächst auto­ma­tisch bestä­tigt. Die rechts­extreme Platt­form NIUS titelte: «SZ, ntv, taz zitieren diese irre Erklä­rung: Inter­net­seite von User ‚Adolf Hitler‚ wirft Israel Völker­mord vor».

Indem sich Verschwö­rungs­er­zäh­lungen mit Vorliebe gegen Medien, inter­na­tio­nale Orga­ni­sa­tionen und Wissenschaftler*innen richten, rauben sie Menschen die Möglich­keit, sich ein akku­rates Bild von der Welt zu verschaffen.

Timothy Williams, Vize­prä­si­dent der IAGS und Professor an der Bundes­wehr­uni­ver­sität München, stellte in einem Inter­view mit der «Frank­furter Rund­schau» klar: Vor der Gaza-Reso­lu­tion gab es keine Fake-Mitglied­schaften. Die aller­mei­sten Mitglieder sind Wissenschaftler*innen, die sich mit Geno­ziden beschäf­tigen. Doch zu spät: Ist eine Desin­for­ma­tion einmal im Umlauf, bleibt sie das auch. Pro-israe­li­sche Accounts in den Sozialen Medien wieder­holen die Falsch­aus­sagen weiterhin gebetsmühlenartig.

Tragisch ist, dass sich längst nicht nur anonyme Trolle an solchen Diskre­di­tie­rungs­kam­pa­gnen betei­ligen. Nicholas Potter, ein Redak­teur der links­li­be­ralen taz, leug­nete in einem Meinungs­bei­trag vom März dieses Jahres, dass Israel einen Genozid begeht. Nach der gegen­teilig lautenden Reso­lu­tion der IAGS stellte Potter die Vertrau­ens­wür­dig­keit der Orga­ni­sa­tion öffent­lich in Frage. Für einen geringen Geld­be­trag könnte angeb­lich jede*r Mitglied werden. Ausserdem teilte er auf der Platt­form X eine gravie­rende Falsch­in­for­ma­tion: Nach dem 7. Oktober 2023 seien hunderte Mitglieder hinzu­ge­kommen. Potter impli­zierte, dass Aktivist*innen die Verei­ni­gung gezielt geka­pert hätten, um gegen Israel zu stimmen. Auch das stellte Williams im Inter­view richtig: Sowohl vor als auch nach dem 7. Oktober lag die Zahl der Mitglieder stabil zwischen 500 und 600.

Indem sich Verschwö­rungs­er­zäh­lungen mit Vorliebe gegen Medien, inter­na­tio­nale Orga­ni­sa­tionen und Wissenschaftler*innen richten, rauben sie Menschen die Möglich­keit, sich ein akku­rates Bild von der Welt zu verschaffen. Deswegen hier noch einmal kurz die Fakten: Laut dem palä­sti­nen­si­schen Gesund­heits­mi­ni­ste­rium wurden in Gaza bis zum 14. September 2025 minde­stens 64.000 Menschen getötet, fast 20.000 von ihnen sind Kinder. Einige Studien gehen von deut­lich höheren Opfer­zahlen aus. Im gesamten Gebiet herrscht eine menschen­ge­machte Hungersnot, jedes 5. Kind in Gaza-Stadt ist laut UNICEF akut unterernährt.

Wer diese Fakten nicht aner­kennt, wird die israe­li­sche Armee jeden Tag weitere Männer, Frauen und Kinder töten lassen. Das ist die Absicht hinter den Erzählungen.


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