Zwei Milli­arden sinn­voll einsetzen

Der Natio­nalrat möchte den Mili­tär­haus­halt bis 2030 schritt­weise auf ein Prozent des Brut­to­in­lands­pro­duktes erhöhen. Das sind rund zwei Milli­arden Franken mehr als bisher. Wir haben elf alter­na­tive Ideen für diesen Geldtopf. 
Geheimwaffe der Schweizer Armee. (Illustration: Oger, www.ogercartoon.com )

Zwei Milli­arden, das ist eine Zwei mit neun Nullen, so viel soll der Bund ab 2030 zusätz­lich in den Mili­tär­haus­halt stecken. Warum? Eine immi­nente Bedro­hung Russ­lands, meinen die einen.

Selbst die konser­va­tive NZZ warnt: Das Projekt sei „ehrgeizig“, „will­kür­lich“ und wider­spreche jeder „finanz­po­li­ti­schen Tugend“. Denn, so rechnet die Zeitung aus, sollte das BIP bis ins Jahr 2030 den Erwar­tungen gemäss steigen, könnten es fast vier Milli­arden Franken werden, die zusätz­lich in die Kano­nen­köpfe gesteckt würden.

Wenn sich sogar die NZZ sorgt, müssen wir uns also schon fragen: Wofür das ganze Geld?

Diese Frage wusste selbst der Komman­dant des Heeres, René Willinger, nicht so recht zu beant­worten. Laut dem Tages­an­zeiger sagte Willinger, man wolle neue Rüstungs­güter mehr „in die Breite beschaffen“. Also einfach mehr kaufen. Wir können diese Schwam­mig­keit verstehen, was soll man denn sonst auch sagen, wenn man einfach so zwei Milli­arden jähr­lich zusätz­lich geschenkt kriegt, ganz ohne Plan oder konkrete Anfrage?

Zwei Milli­arden, das sind auf jede Person in der Schweiz 232 Franken. Verteilen wir das Geld gemessen an der Bevöl­ke­rung im ganzen Land, so würden der Stadt Zürich knapp 100 Millionen und dem Kanton mit seinen 1,5 Millionen Einwohner*innen ganze 361 Millionen Franken zustehen.

Auch wenn sich Willinger mit einer konkreten Antwort schwertut: Drin­genden sozialen, ökolo­gi­schen oder einfach nur gemein­nüt­zigen Projekten werden so Milli­arden vorent­halten, denn hier, so hören wir seit Jahren, sei schlichtweg kein Geld da. Diese hohe Summe verleitet dennoch zum Träumen.

Hier elf Vorschläge für eine Zwei mit neun Nullen, die wirk­lich allen, und nicht nur ein paar Waffen­nerds, Prep­pern und Aufrü­stungs­fa­na­ti­kern, zugutekämen.

1) Kosten­loser ÖV in der Stadt Zürich

Im Jahr 2020 lancierte die Stadt­zür­cher Juso eine Initia­tive für einen kosten­losen ÖV in der gesamten Stadt Zürich. Viel zu teuer, hiess es damals aus der Verwal­tung, die im Januar 2021 Zahlen dazu veröf­fent­lichte: 314,3 Millionen Franken würde es jähr­lich kosten, um in der gesamten Zone 110 kosten­freien ÖV anzubieten.

Die neue Ausga­ben­po­litik des Natio­nal­rates lässt diese Initia­tive nun in einem ganz anderen Licht dastehen. Da ja auch Personen aus dem Kanton die Stadt­zür­cher Verkehrs­mittel nutzen, könnte man die 361 Millionen Franken, die dem Kanton im Verteil­schlüssel zustehen würden, problemlos für einen kosten­losen Nahver­kehr für alle einsetzen.

Und wenn das funk­tio­niert, kann das Projekt auch gleich ausge­weitet werden. Schliess­lich stehen noch weitere 1,7 Milli­arden Franken zur Verfü­gung und auch in Bern, Basel oder Genf würde man einem kosten­losen ÖV sicher nicht ableh­nend gegenüberstehen.

2) Ener­gie­wende ohne Mehr­ko­sten für die Schweizer Bevölkerung

Die Ener­gie­wende tut uns allen im Porte­mon­naie weh und bela­stet tiefere Einkom­mens­schichten über­pro­por­tional stark? Von wegen, der Bund über­nimmt die Zeche! Das Paul-Scherrer-Institut hat im Jahr 2021 in einer Studie vorge­rechnet, wie viel es kosten würde, die Schweiz bis ins Jahr 2050 CO2-neutral zu gestalten: Zwischen 200 und 800 Franken pro Jahr und Person.

Die 232 CHF, die der Natio­nalrat pro Jahr und Person zu Kano­nen­futter verwan­deln will, liegen also im unteren Bereich des Mögli­chen. Sollte aber das Brut­to­in­lands­pro­dukt wie erwartet steigen und damit auch die zusätz­li­chen Mili­tär­aus­gaben auf bis vier Milli­arden anwachsen, bewegen wir uns mit 464 Franken im Mittel­feld der Zahlen, die die Forscher*innen vorge­rechnet haben.

Wenn wir also das nächste Mal hören, der Klima­schutz sei zu teuer, erin­nere man sich einfach an den Mili­tär­haus­halt. Die grüne Wende und der Kampf gegen den Klima­wandel kann kommen und dafür, man reibe sich die Augen, braucht es nicht einmal eine Aufrüstung!

3) Gratis Tampons für alle!

Auch von der Debatte gehört, dass Menstrua­ti­ons­pro­dukte neu nur noch mit der normalen Mehr­wert­steuer von 2,5 Prozent statt mit dem Acht-Prozent-Steu­er­satz für Luxus­güter wie Kaviar bela­stet werden sollen? Oder davon, dass in manchen Schulen mitt­ler­weile Gratistam­pons und ‑binden verteilt werden?

Laut Stati­stik­platt­form Statista gene­riert der Bereich der soge­nannten „Damen­hy­giene“ in der Schweiz einen jähr­li­chen Umsatz von um die 90 Millionen Franken, Tendenz stei­gend. Die zwei Milli­arden Franken des Bundes würden also locker dafür ausrei­chen, Menstrua­ti­ons­pro­dukte gratis an jede Person zu verteilen, die diese braucht. Und zwar über mehrere Jahre hinweg.

4) Endlich Entwick­lungs­aus­gaben gemäss UNO-Vorgaben

Wie viel soll jedes reiche Land für die Entwick­lungs­hilfe ausge­geben? Die UNO hat da sehr genaue Vorstel­lungen und spricht von 0,7 Prozent des Brut­to­in­lands­pro­duktes. Deutsch­land hat dieses 1970 verein­barte Ziel im Jahr 2016 erst­mals erreicht.

Die Schweiz hingegen dümpelt seit Jahren bei ledig­lich 0,5 Prozent des BIPs. Im Jahr 2021 wurden gerade mal 3,5 Milli­arden Franken für die Entwick­lungs­hilfe ausge­geben. Obwohl hier auch Kosten von 336 Millionen Franken zur Aufrecht­erhal­tung des inlän­di­schen Asyl­we­sens ange­rechnet werden.

Nichts­de­sto­trotz: Mit zusätz­li­chen zwei Milli­arden Franken wäre die 0,7‑Prozentmarke geknackt und das ganz ohne Rech­nungs­tricks. Ausserdem wäre eine Inve­sti­tion in die globale Entwick­lungs­hilfe vermut­lich ein viel grös­serer Beitrag für den Welt­frieden als jeder Rappen, der in den Uniformen, Stie­feln und Panzern der Armee verschwindet.

5) Kosten­lose Kita­plätze im Kanton Basel-Stadt

Eine andere lang­jäh­rige Forde­rung vieler Eltern könnte durch die zwei Milli­arden des Bundes im Nu reali­siert werden: vergün­stigte oder gar staat­lich bezahlte Kinder­ta­ges­stätten. Im vergan­genen Jahr lancierte die SP Basel-Stadt eine Initia­tive zur kosten­losen Kinder­be­treuung bis ins Primar­schul­alter, Kosten­punkt 54 Millionen Schweizer Franken.

Das ist dir zu teuer? Der Bund könnte mit seinen zwei Milli­arden unter die Arme springen. Denn auf die Bevöl­ke­rung von Basel-Stadt gerechnet stehen dem Stadt­kanton knapp 47 Millionen Franken zu. Und wenn der Natio­nalrat schon mal so frei­zügig ist, könnte er noch ein biss­chen mehr Geld frei­spre­chen und andere Städte ins Auge fassen, am Geld kann es schliess­lich nicht liegen.

6) 300 neue Genos­sen­schafts­woh­nungen pro Jahr in der Stadt Zürich

Wohnungsnot in der Stadt Zürich? Auch das könnte mit zwei Milli­arden Franken oder dem entspre­chenden Teil von 100 Millionen für die Stadt­be­völ­ke­rung gelöst werden.

Wie?

Erst im März beschloss der Gemein­derat einen einma­ligen Fonds für den Kauf, die Reno­vie­rung oder den Bau neuer Wohnungen. Der Gemein­derat gab dem Fonds eine einma­lige Anfangs­do­ta­tion von 100 Millionen Franken mit auf den Weg. Die NZZ war wie üblich entsetzt. Wir setzen dem noch etwas drauf: Statt einmalig 100 Millionen Franken könnte das Geld jähr­lich zum Aufkauf privater Wohnungen, Reno­vie­rung und Bau genutzt werden.

Eine andere Lösung wäre es, die Genos­sen­schaften direkt zu finan­zieren. Denn auf Anfrage schreibt die ABZ: „Mit 100 Millionen bauen wir gerade ein Hoch­haus auf dem Koch-Areal mit 204 gemein­nüt­zigen Wohnungen (80 Mio.) und einen Quar­tier­park (22.8 Mio). Im Glatt­park in Opfikon haben wir 2019 rund 300 gemein­nüt­zige Wohnungen erstellt für 100 Millionen Franken.“

7) Zürichs Velo­in­fra­struk­tur­aus­gaben mal fünf

Stolz verkündete das Tief­bau­de­par­te­ment der Stadt Zürich, von 2021 bis 2023 insge­samt 63,5 Millionen Franken für neue Velo­in­fra­struktur ausgeben zu wollen. Damit soll unter anderem der neue Velo­tunnel unter dem Haupt­bahnhof finan­ziert werden.

Das ist dir zu wenig?

Dank der minde­stens 100 Millionen Franken, die der Stadt Zürich zustehen würden, könnte dieser Beitrag verfünf­facht werden. Also lass uns träumen: Velo­brücken? Velo­auf­züge an den Hängen? Oder gar einen Velo­tunnel unter dem See? Gratis Velo­mechs? Brei­tere, sichere und durch­gän­gige Velo­spuren? Nicht nur in Zürich, sondern schweiz­weit? All das könnte durch die zwei Milli­arden vom Bund ermög­licht werden. Man muss es nur wollen.

8) Medi­en­paket hoch 13 und mehr Geld für das Lamm

Erin­nerst du dich auch noch an die Debatte um das Paket zur Medi­en­för­de­rung, dass an der Urne im Februar dieses Jahres sehr deut­lich abge­lehnt wurde? Damals hiess es, man dürfe unter anderem Medi­en­kon­zernen wie Tamedia, Ringier oder NZZ nicht weiteres Geld in den Rachen stecken. Verloren haben aber Online­me­dien wie das Lamm, die damit erst­mals staat­liche Gelder unab­hängig von ihrer Bericht­erstat­tung erhalten hätten. 151 Millionen Franken wären mit dem neuen Medi­en­paket den Medien zusätz­lich zugu­te­ge­kommen. Pro Jahr.

Betrachten wir unsere zwei Milli­arden Franken, so sehen die 151 Millionen Franken aus wie ein Kinder­velo neben einem Off-Roader. Mit den Geldern, die nun unter anderem in die Taschen der Rüstungs­kon­zerne fliessen, hätten mehr als 13 solcher Medi­en­pa­kete finan­ziert werden können.

Denn wenn unab­hän­gige und kleine Medien kein Geld mehr haben, wer soll dann noch darüber berichten, wie der Staat mit Mili­tär­zu­wen­dungen um sich wirft?

9) Einen Gott­hard-Basis­tunnel alle sechs Jahre

Velos sind dir zu langsam und zu mühsam? Du fährst lieber auf Schienen? Schon einmal über­legt, wie es wäre, wenn durch die ganze Schweiz ein U‑Bahn Netz führen würde? Mit den zwei Milli­arden vom Bund wäre das möglich.

Denn für den Gott­hard-Basis­tunnel, den läng­sten Eisen­bahn­tunnel der Welt, wurden etwa zwölf Milli­arden Franken ausge­geben. Nehmen wir den durchaus hohen Wert, für den 57 Kilo­meter durch den Berg gebohrt wurden, so könnten wir im Jahr 9,5 Tunnel­ki­lo­meter finan­zieren. Inner­halb von 23,5 Jahren wäre ein Tunnel über die derzei­tige Strecken­linie von 224 Kilo­meter von Zürich bis nach Genf bezahlt. Die U‑Bahn-Schweiz kann kommen!

10) Ein letztes Mal die WM erleben? Dann aber auf Kosten des Bundes!

Wir schreiben das Jahr 2026. Aufgrund von Hitze­wellen, Wirt­schafts­krisen und sozialen Prote­sten wird die WM abge­sagt. Auch die kommenden werden nicht mehr statt­finden. Man habe Wich­ti­geres zu tun, heisst es vonseiten der Veranstalter*innen.

Wärst du nur 2022 nach Qatar geflogen und hättest ein letztes Mal die WM gesehen, denkst du dir. Aber du konn­test dir die 1’500 Franken nicht leisten, die der Flug dahin kostet. Verbit­tert denkst du daran zurück, denn die Lösung wäre so nah gewesen: Dank der zwei Milli­arden Franken hätte damals unge­fähr 1,5 Millionen Personen das Flug­ticket für den Hin- und Rück­flug spen­diert werden können. Ein grosser, letzter Ausflug zusammen in den Ruin.

Und das sogar ohne schlechtes Gewissen, denn trotz massivem CO2-Austoss und Menschen­rechts­ver­let­zungen vor Ort wäre vermut­lich selbst hier das Geld besser einge­setzt gewesen als in einer grossen Aufstockung der Armee.

11) Frei­bier für Alle

Und wenn das alles nicht klappt und uns der Welt­un­ter­gang ohnehin erbar­mungslos ins Haus steht, sollte der Bund uns zumin­dest noch ein paar letzte Jahre Spass und Erho­lung hier vor Ort spen­dieren. Oder anders ausge­drückt: Mit den zwei Milli­arden Franken könnte der gesamte Bier­konsum eines Jahres finan­ziert werden.

Pro Jahr trinkt jeder Mensch in der Schweiz um die 50 Liter Bier. Mit den 232 Franken, die jeder Person zustehen, könnten also ganze 50 Liter eines Stan­dart­biers mit einem Preis von um die zwei Franken bezahlt werden. Oder wir könnten ein Billig­bier kaufen, das nur 50 Rappen kostet, dann wären wir bei 464 Litern. Wer kein Bier mag, kriegt für diesen Preis sicher auch eine gute Alter­na­tive, Haupt­sache alle sind glück­lich! Prost!


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