„Sind die Alpen jetzt auch in Lateinamerika?“, wollten wir von Denner wissen, als wir vor ein paar Monaten auf dieses irreführend verpackte Trockenfleisch stiessen, das aus Brasilien stammt:
In Bern wird momentan an einem Freihandelsabkommen mit den südamerikanischen Mercosur-Staaten Argentinien, Brasilien, Paraguay und Uruguay gefeilt. Durch ein solches Abkommen würden die Fleischimporte aus diesen Ländern ziemlich sicher zunehmen. Das SRF titelte vor kurzem: „Es geht den Mercosur-Staaten ganz eindeutig um Fleisch“. Umso wichtiger wäre es, dass Fleisch, das über den Atlantik zu uns tuckert, auch klar als solches gekennzeichnet ist – und nicht wie Denners Carne Secca delle Valli Apine (siehe Bild) als scheinbar regionale Ware daherkommt.
Wir haben uns mit Denner in Verbindung gesetzt, um in Erfahrung zu bringen, wie es zu der Verpackung kam, die positiv gedeutet irreführend, etwas harscher betrachtet Etikettenschwindel ist:
Guten Tag
Kürzlich habe ich bei Ihnen Trockenfleisch gekauft. Es hat echt sehr gut geschmeckt. Aber ich war ein wenig verwirrt, als ich die Etikette genauer angeschaut habe. Das Trockenfleisch heisst Carne Secca delle Valli Alpine. Im Hintergrund ziert eine alpine Berglandschaft die Verpackung. Doch auf der Rückseite steht, dass das Produkt mit Fleisch aus Brasilien in Italien hergestellt worden ist.
Finden Sie es ok, dass Sie mich an der Nase herumgeführt haben?
Vielen Dank für eine kurze Antwort und freundliche Grüsse
Das Lamm
Die Antwort des Discounters flatterte im Handumdrehen bei uns rein.
Sehr geehrtes Lamm
Vielen Dank für Ihre Mitteilung und Ihr Interesse an unseren Produkten.
Wir verstehen, dass Sie etwas über diesen Umstand verwirrt sind.
Ihr Anliegen haben wir umgehend unserem Qualitätsmanagement weitergeleitet. Gerne teilen wir Ihnen das Ergebnis unseren Abklärungen mit.
Der Veredelungsprozess bei diesem Artikel besteht aus der Trocknung des Fleisches an der italienischen Höhenluft. Aus diesem Grund ist die Aufmachung gesetzlich zulässig und nicht täuschend, solange natürlich das Herkunftsland des Fleisches deklariert ist. Das Produkt ist jedoch korrekt deklariert.Wir bitten um Verständnis und danken Ihnen im Voraus.
Freundliche Grüsse
Denner Kundendienst
Zuständig für die „Veredelung an der italienischen Höhenluft” ist die Firma Rigamonti Salumificio S.p.A. Sie liegt nur eine knappe halbe Stunde Autofahrt von der Schweizer Grenze entfernt. Die Firma Rigamonti hat mehrere Produktionsstätten. Zwei liegen auf 297 m.ü.M. Eine dritte etwas höher auf 556 m.ü.M. Mit alpiner Weideromantik hat das nicht viel zu tun.
Aber auch dem zotteligsten Lamm ist klar, dass die Zeiten vorbei sind, wo die Schinken im Steinkeller eines alten, von der Sonne dunkelgefärbten Alpenstalls zur perfekten Reife gelangten. Damit, dass die Keulen heute in einer Industriehalle und nicht mehr an alten Eichenpfeilern hängen, muss man rechnen. Auch wenn uns die Marketingabteilungen das gerne anders präsentieren, um uns den Kaufentscheid zu erleichtern. Aber muss ich auch damit rechnen, dass ein Carne delle Valli Alpine aus Brasilien stammt?
Transporte mit schwerölbetriebenen Frachtern
Denn ich will eigentlich nichts kaufen, das 9’000 Kilometer für mich auf einem Frachtschiff über den Ozean tuckern musste. Vor allem nicht, wenn es regionale Alternativen gäbe. Schiffstransporte sind zwar besser als Flugtransporte, aber da die meisten Frachter mit dreckigem Schweröl betrieben werden, lassen sie neben CO2 auch Schwefeldioxide, Stickoxide und eine gute Ladung Feinstaub in die Luft. Wenn das Transportgut zudem auf minus 20 Grad Celsius gekühlt werden muss, wie das Fleisch für das Carne Secca delle Valli Alpine, frisst das zusätzliches Schweröl. Deshalb mag ich es nicht, wenn man mir brasilianisches Fleisch mithilfe eines regionalen Sujets unterjubelt.
Doch das Ganze ist noch ein wenig komplizierter. Denn auch für den Verzehr von Schweizer Fleisch braucht es Schiffstransporte. Und zwar einige. Für ein Kilogramm konventionell hergestelltes Schweizer Rindfleisch braucht es 6.5 Kilogramm Getreide und Soja. Und woher stammt wohl das meiste in der Schweiz verfütterte Soja? Genau: aus Brasilien.
Laut einem Bericht der NGO Public Eye aus dem Jahr 2014 importiert die Schweiz jährlich 300’000 Tonnen Soja, damit der Heisshunger von Herr und Frau Schweizer auf Rind, Schwein und Huhn gedeckt werden kann. Im Schnitt vertilgen wir nämlich ein Kilo Fleisch pro Woche und Person.
Der Sojaanbau in Brasilien verbraucht nicht nur sehr viel Wasser, sondern treibt auch die Abholzung des Regenwaldes voran, um neue Anbauflächen zu gewinnen. So ist die Schweizer Fleischproduktion mit dafür verantwortlich, dass in Brasilien wertvolle Lebensräume für bedrohte Tierarten verschwinden.
Fazit: Auch wenn die Rigamonti Salumificio S.p.A. für ihr Carne-Secca Fleisch aus den umliegenden Alpentälern verwenden würde, müssten dafür schwerölbetriebene Riesenfrachter über die Weltmeere tuckern. Vielleicht sogar mehr als durch die Verarbeitung von brasilianischem Fleisch in den italienischen Alpentälern.
Hat man hier wirklich nur die Wahl zwischen Pech und Cholera?
Bleibt uns hier also lediglich die Wahl zwischen einer schlechten und einer noch schlechteren Variante? Nein! Es gibt eine Alternative. Bio Suisse beschränkt bereits heute den Einsatz von Kraftfutter, wozu auch Soja zählt. Zudem muss ab 2019 sämtliches Futtermittel aus Europa kommen. Ab 2022 werden Bio-Suisse-Höfe ihre Kühe sogar nur noch mit in der Schweiz hergestelltem Futter versorgen dürfen.
Über diese neuen Regeln können sich nicht nur Schweizer Futterproduzenten freuen, sondern auch der brasilianische Jaguar, alle BewohnerInnen von feinstaubgeplagten Küsten und alle, die im und um den Alpenraum leben und diesen schätzen. Denn die Alpen brauchen grasfressenden Kühe!
Die alpine Weidelandschaft, wie sie die Verpackung des Carne Secca ziert, ist nämlich nicht nur kulturhistorisch, sondern auch ökologisch wichtig. Sie wurde den Gebirgswäldern vor Jahrhunderten abgetrotzt, um Fleisch, Milch und Käse zu produzieren. Dabei entstanden ökologische Nischen für eine Vielzahl von Tier- und Pflanzenarten. Vielerorts drängt aber heute der Wald zurück in das Weideland. Wieso? Die Bewirtschaftung an den steilen Berghängen ist anstrengend, mühsam und teuer. Die Kühe im Flachland mit Soja aus Brasilien zu füttern ist weitaus einfacher und günstiger.
So führen ironischerweise gerade Produkte wie das Carne Secca delle Valli Alpine zum Verschwinden eben dieser Sujets, mit denen sie auf ihren Verpackungen werben.
Deshalb, lieber Herr Bundesrat Schneider-Ammann, gilt es bei den Verhandlungen über das Freihandelsabkommen mit den Mercosur-Staaten nicht nur über die möglichen Gewinne der Schweizer Exportwirtschaft nachzudenken, sondern auch darüber, wie wichtig uns die Schweizer Alpenlandschaft ist.
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